EINS

Henriette beäugte misstrauisch die Ausrüstungsgegenstände, die Renk vor ihr ausbreitete. »Glauben Sie wirklich, dass wir damit in die Fabrik hineinkommen?«

»Wenn Ihnen nicht von jetzt auf gleich ein Paar Flügel wachsen, so dass Sie hineinfliegen und mich mitnehmen können, ist es der einzige Weg. Ziehen Sie sich um! Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Zögernd streifte Henriette ihr T-Shirt über den Kopf und öffnete den Reißverschluss ihrer Jeans. Als sie schließlich in Slip und Hemdchen vor Torsten stand, warf dieser ihr einen kurzen Blick zu, wandte sich aber sofort wieder seiner Ausrüstung zu. Er trug bereits das hautenge Trikot aus Kunststoff-Fasern, hatte die Kapuze aber noch nicht aufgesetzt. Nach kurzem Nachdenken zog er außerdem noch seine Alltagskleidung darüber. »Nur für den Fall, dass wir unterwegs Frau Leclerc begegnen. Ihr darf nichts auffallen. Dann kann sie auch nichts weitererzählen.«

Henriette zeigte mit einem Kichern auf die Reisetasche, in die Renk alles stopfte, was er glaubte mitnehmen zu müssen. »Ich hoffe nicht, dass Frau Leclerc uns begegnet. Sonst denkt sie noch, wir wollten die Zeche prellen.«

Torsten schloss die Reisetasche und funkelte seine Partnerin missbilligend an. »Wenn Sie die Pension so langsam verlassen, wie Sie sich umziehen, werden wir der guten Frau ganz bestimmt über den Weg laufen.«

»Entschuldigung, ich bin ein bisschen nervös!« Henriette zog das zweite Hosenbein über und suchte nach einem Knopf, um die Hose zu schließen.

»Soll ich Ihnen helfen, den Klettverschluss zuzumachen?« Torsten wurde zunehmend ungeduldig.

»Ich schaffe es schon, Herr Oberleutnant!« Während Henriette die Hose schloss, dachte sie daran, dass sie und Renk bis vor wenigen Minuten noch brav beim Du eines verliebten Paares geblieben waren. Doch jetzt in der Anspannung vor ihrer nächsten Aktion waren sie wieder in das dienstliche Sie zurückgefallen. Das tat ihr leid, denn es vermittelte ihr das Gefühl, nur das ungewollte Anhängsel ihres Vorgesetzten zu sein. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass sie selbst daran schuld war, hatte sie doch während Renks Erklärungen zu oft jenes Wort gebraucht, das er aus seinem Vokabular gestrichen zu haben schien, nämlich »unmöglich«.

Mit grimmiger Miene schlüpfte sie in das Oberteil ihres Trikots und zerrte so lange an den Ärmeln, bis sie richtig saßen. »Eigentlich hätte Major Wagner meine Konfektionsgröße kennen müssen«, schimpfte sie, weil das Trikot so eng saß, dass sich der Klettverschluss nicht über der Brust schließen ließ.

»Lassen Sie mich mal ran«, sagte Torsten und zog so kräftig, dass die Ränder weit genug überlappten. »Die Größe stimmt schon. Nur ist das Trikot für einen Mann gemacht. Seien Sie froh, dass Sie keinen üppigen Busen haben! Sonst müssten Sie hierbleiben und auf mich warten.«

»Wenn Major Wagner nicht darauf bestanden hätte, dass ich mitkommen soll, hätten Sie mich sowieso hier zurückgelassen! «

Torsten entgegnete nichts, sondern kontrollierte noch einmal den Sitz ihres Trikots und fand, dass sie trotz des beengenden Oberteils darin weiblicher aussah als in T-Shirt und Jeans. Verwundert, weil er ausgerechnet in dieser Situation auf so etwas achtete, reichte er ihr die Pistole. »Hier! Da Sie noch kein Schulterhalfter haben, werden Sie sie in Ihre Beintasche stecken müssen. Ziehen Sie normale Kleidung darüber, dann können wir aufbrechen.«

Henriette beobachtete, wie sich Renks Gesicht mit einem Mal veränderte. Der mürrische Zug um seinen Mund schwand, die hellen Augen glänzten, und um die Mundwinkel lag ein Lächeln, als wäre das, was vor ihnen lag, ein fröhliches Spiel. Dennoch wirkte er hochkonzentriert. Sie hingegen war so nervös, dass es ihr kaum gelang, sich die Röhre ihrer Jeans über das linke Bein zu ziehen. Reiß dich zusammen, Mädchen, befahl sie sich. Du hast einen Mann neben dir, der in etlichen europäischen Ländern Orden erhalten hat. Renk weiß, was er tut. Er wird keine Fehler machen, und du darfst das auch nicht.

Seufzend schloss sie ihre Hose, doch statt sogleich aufzubrechen, öffnete sie zunächst die Mineralwasserflasche und trank sie in einem Zug leer.

»Wehe, wenn Sie unterwegs Pipi machen müssen«, drohte Renk und schulterte seine Reisetasche.

Bei diesen Worten musste Henriette kichern, und als sie auf die Tür zuging, diese vorsichtig öffnete und horchte, ob sie Frau Leclercs Schritte auf den knarrenden Dielen vernahm, spürte sie, dass seine Bemerkung ihre größte Unsicherheit vertrieben hatte.

Die geheime Waffe
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