DREIZEHN
Sie fanden Petra schwitzend vor ihrem Computerbildschirm. Neben ihr auf dem Schreibtisch lag eine Schachtel, aus der sie gerade eine Praline herausnahm.
»Hi Petra, darf ich dich kurz stören?«, begann Torsten.
Petra kniff die Augen zusammen. »Mir ist jede Störung recht. Ich bin fertig! Ich schaffe es nicht mehr, aus diesem verdammten Kasten ein brauchbares Ergebnis herauszuholen. Seit Tagen schaufle ich alles an Daten hinein, was ich nur finde, und er zeigt mir immer noch die lange, rote Zunge. Die Auswertungen, die das unheimliche Gewehr betreffen, sind einfach nur bizarr, und was die Waffenlieferung angeht, die auf dem Weg zum Horn von Afrika verschwunden ist, hält der Computer so ziemlich jeden für verdächtig, der den Containern auch nur auf tausend Meter nahe gekommen ist.«
Petra legte den Bildschirmschoner über die Seite, an der sie eben gearbeitet hatte, angelte sich eine weitere Praline und sah Torsten an. »Schieß los. Was gibt es?«
»Neue Befehle von unserem Major Brummerjan. Leutnant von Tarow und ich sollen noch heute Abend in Richtung Den Haag düsen. Vorher müssen wir uns aber neue Zivilkleidung besorgen – und für den Leutnant eine passende Artillerie.«
»Das hört sich nach Stress an.«
»Wagner macht einen draus. Ich wollte dich fragen, ob du uns alles zusammenstellen kannst, was wir brauchen, und auch die Geschäfte, in denen wir die Sachen am schnellsten bekommen. Ich rufe inzwischen Hans an.«
»Ich tu ja alles für dich«, antwortete Petra und rief ein neues Panel auf. Sie war froh, etwas anderes tun zu können, als für Wagner Nüsse zu knacken, die aus Granit zu bestehen schienen. Ihr fehlten einfach Informationen. Im Gegensatz dazu war es für sie kinderleicht, Torstens Bitte zu erfüllen. In weniger als fünf Minuten hatte sie herausgefunden, was er seines Erachtens benötigte.
Sie lächelte herausfordernd. »Braucht ihr auch Unterwäsche, oder habt ihr da genug?«
»Ich habe genug, könnte aber ein bisschen was als Reserve brauchen«, erklärte Henriette.
Petra sah, wie Torsten die Augen verdrehte, und kicherte. »Du wechselst die Unterwäsche im Einsatz nicht, weil du in deinem Kampfgepäck keinen Platz dafür hast.«
Torsten telefonierte gerade mit Hans Borchart und beschloss, Petras Bemerkung zu überhören. »Ich kann mich also auf dich verlassen, Hans? Sehr schön. Wir treffen uns spätestens um neunzehn Uhr in der Halle.« Dann legte er auf und drehte sich zu Henriette um. »Während wir in der Stadt sind, sucht Hans mehrere Pistolen heraus, die für Sie in Frage kommen. Nach unserer Rückkehr können Sie diese testen und die Beste davon mit nach Holland nehmen.«
»Wieso eigentlich nach Holland? Und deshalb die ganze Aufregung? So wie Wagner sich aufgeführt hat, habe ich schon angenommen, ihr müsstet umgehend nach Afghanistan oder in den Kongo ausrücken.« Nun wunderte sich auch Petra über Wagners Eile und fragte sich, ob der Major die beiden nur triezen wollte oder einen höheren Zweck damit verfolgte. Wahrscheinlich aber ging es ihm darum herauszufinden, wie rasch seine Leute auf unerwartete Begebenheiten reagieren konnten.
Unterdessen sah Henriette Torsten verwundert an. »Ich soll mir erst, nachdem wir aus der Stadt zurück sind, eine Waffe aussuchen? Aber Hans Borchart und seine Kollegen machen doch um siebzehn Uhr Feierabend.«
»Der gute Hans macht heute extra für uns Überstunden«, erklärte Torsten schmunzelnd.
Petra reichte ihm zwei Ausdrucke. »Ihr solltet trotzdem nicht zu lange ausbleiben. Da sind eure Laufzettel! Die Geschäfte für Leutnant von Tarow sind rot, die für dich blau markiert. Damit weiß jeder von euch, wo er hinmuss. Soll ich euch auch noch die besten U-Bahn-Verbindungen heraussuchen? Ihr werdet ja sicher nicht mit dem Auto in der Innenstadt unterwegs sein wollen.«
»Warum nicht?«, fragte Torsten, sagte sich dann aber dass es Blödsinn wäre, Zeit für die Parkplatzsuche zu vergeuden.
»Such uns den geeignetsten Park-and-Ride-Platz heraus. Wir fahren von da aus in die Innenstadt, trennen uns dort und treffen uns dann beim Auto wieder. Sind Sie damit einverstanden, Leutnant?«
Henriette nickte, obwohl sie sich in München nicht auskannte und nach den Geschäften würde suchen müssen. »Einverstanden. Ich schaff das schon!«
Da drückte Petra ihr ein weiteres Blatt in die Hand. »Hier, das ist ein Innenstadtplan. Die Geschäfte sind farbig markiert, und die Ziffern bedeuten in ihrer Reihenfolge die Läden, die Sie aufsuchen sollten. Bei der niedrigsten Nummer kaufen Sie nur eine Kleinigkeit, bei dem Geschäft mit der höchsten Zahl hingegen das meiste. Es wäre klug, es als Letztes zu nehmen, sonst müssten Sie zu viel mit sich herumschleppen.«
»Danke. Sie sind wirklich lieb zu mir!« Henriette streckte Petra erleichtert die Hand hin. Diese ergriff sie, hob dann die Schachtel mit ihren Pralinen an und hielt sie Henriette hin.
»Nehmen Sie eine! Die hilft gegen Stress!«
Henriette fasste nach der Praline und steckte sie in den Mund. »Hm, lecker. Darf ich Sie noch etwas fragen?«
»Nur zu!«, kam es von Torsten, der sich angesprochen fühlte.
Henriette blieb jedoch vor Petra stehen. »Sie sagen doch hier fast zu jedem du außer zu mir. Das macht mich ganz verlegen. «
Für verlegen hielt Petra den Leutnant nicht. In ihren Augen war Henriette eine junge und selbstbewusste Frau mit einem Kämpferherzen. Allerdings hatte sie geglaubt, dass diese sie wegen ihrer pummeligen Figur und ihres absolut unmilitärischen Verhaltens verspotten würde. Doch in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass Henriette trotz ihres guten Aussehens nicht weniger eine Außenseiterin war als sie selbst. Ihre zierliche Gestalt und das exotische Aussehen verführten viele dazu, sie zu unterschätzen. Auch Torsten gehörte zu diesen Trotteln. Aber dem würden die Augen schon noch aufgehen.
»Dann sagen wir halt du zueinander. Aber jetzt verschwindet! Eure Sachen kaufen sich nicht von selbst.« Damit schob Petra die beiden zur Tür hinaus und setzte sich an ihren Computer. Auch wenn sie nach dieser Pause ebenso wenig auf einen grünen Zweig kam wie vorher, so fühlte sie sich doch besser, und ihr Wille, die Nüsse zu knacken, war wieder erwacht.