ZWEIUNDZWANZIG

Rechmann fuhr mit zügigem Tempo in Richtung Autobahn und summte einen Schlager. Neben ihm saß jener Niederländer, der, so viel er erfahren hatte, in Breda die Schlägerei mit den beiden Schnüfflern angefangen hatte, die jetzt im Keller des Hauptquartiers gefangen saßen. Nun trug der Mann zum ersten Mal seit Wochen wieder Zivilkleidung und fühlte sich darin sichtlich unwohl.

Schließlich nahm Maart die ungewohnte Kappe ab, legte sie sich auf den Schoß und sah missmutig zu Rechmann hin. »Eine ehrliche Rauferei ist mir lieber als diese Heimlichtuerei! «

»Nur bringt eine – wie du sagst – ehrliche Rauferei nicht viel. Diese Aktion hingegen wird uns beide unsterblich machen. In den Geschichtsbüchern wird noch in tausend Jahren stehen, dass wir beide dem Königreich Belgien den Todesstoß versetzt haben.«

»Dass ihr Deutschen es immer mit tausend Jahren habt. Das hat schon beim letzten Mal nicht geklappt!«, spottete Maart.

»Diesmal wird es klappen«, antwortete Rechmann und schaltete das Autoradio ein. Ihm ging es dabei weniger um musikalische Ablenkungen, sondern um Meldungen über Sperrungen und Umleitungen, die es im Zuge der Trauerfeier geben würde. Dabei ging er in Gedanken noch einmal den Plan durch, während Maart sich auf die Begegnung mit der flämischen Polizei einstellte, die bereits ihre Kontrollposten errichtet hatte.

Nachdem sie die Autobahn erreicht hatten und in Richtung Antwerpen fuhren, überholten sie etliche Lastwagen, deren Ziel der Hafen der Stadt war. Auf den Hauptverkehrsadern merkte man nichts von den Problemen, in denen dieses Land steckte. Auch im laufenden Jahr würden wieder mehr Container umgeschlagen werden als in den Jahren zuvor. Es war, als wolle Europa nicht wahrhaben, was hier geschah, oder es hatte sich bereits mit dem Zerfall des Landes abgefunden.

Bei Lammersberg verließen sie die Autobahn und fuhren über Halle und Sint-Antonius nach St.-Job-in-’t-Goor. Dort wechselten sie auf die A 1, um den Anschein zu erwecken, als kämen sie direkt aus den Niederlanden. Kurz darauf holten sie einen Kleinbus ein, der ebenfalls die Aufschrift einer Gärtnerei trug. Rechmann überlegte, ob er ihn überholen sollte, um vor ihm anzukommen, blieb dann aber hinter dem anderen Wagen, der vermutlich ähnliche Trauerkränze für van Houdebrinck geladen hatte wie sie. Das Fahrzeug würde ihm helfen herauszufinden, wie scharf die Kontrollen vor dem Friedhof wirklich waren.

Nach einer Weile bog der Lieferwagen vor ihnen wie erwartet auf die A 4 ab. Rechmann folgte ihm und sah, dass der erste Kontrollpunkt bereits nach der Abfahrt auftauchte. Als sie anhielten, kamen zwei Polizisten mit vorgehaltenen Maschinenpistolen auf den vorderen Wagen zu. Dessen Fahrer drehte das Seitenfenster herab und redete auf die Männer ein. Gleichzeitig hielt er ihnen einen Zettel hin, der so aussah wie ein Lieferschein. Rechmann lächelte, denn auch in dieser Beziehung hatte er vorgebaut. Einer der Polizisten ging um den Kleinbus herum und öffnete die Heckklappe. Nun waren die Kränze deutlich zu sehen. Sie lagen einzeln auf Gestellen, damit sie unterwegs keinen Schaden nehmen konnten, und waren mit riesigen schwarzen Schleifen und silbernen oder goldenen Aufschriften versehen.

Zu Rechmanns Freude beließ es der Polizist bei einem kurzen Blick und schlug dann die Hecktür wieder zu. Er nickte seinem Kollegen zu, dieser winkte dem Fahrer zu, und das Gärtnereifahrzeug setzte sich in Bewegung.

Jetzt wandten die Beamten sich Rechmanns Wagen zu. Rechmann bedachte Maart mit einem mahnenden Blick. Dieser kurbelte das Seitenfenster herab und sprach die Polizisten an. »Guten Tag, wir bringen Kränze für die Beerdigung Mijnheer van Houdebrincks!«

Wenigstens gelang es Maart, seine Nervosität zu verbergen, dachte Rechmann und reichte den beiden Polizisten die gefälschten Lieferscheine.

»Sie haben zwölf Kränze geladen?«, fragte ein Polizist.

»Ja!« Das Wort konnte Rechmann noch selbst sagen.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns Ihren Wagen einmal ansehen?«, fragte der Polizist weiter.

»Nein«, sagte Rechmann, und Maart setzte ein »Tun Sie Ihre Pflicht!« hinzu.

Während einer der Polizisten neben dem Lieferwagen stehen blieb und den Lauf einer Maschinenpistole auf die Fahrerkabine richtete, ging sein Kollege nach hinten und wollte die Hecktür öffnen.

»He, die ist verschlossen«, rief er, als das nicht gelang.

Der Lauf der Maschinenpistole wanderte einen Deut höher und zielte jetzt auf Rechmanns Kopf.

»Entschuldigen Sie, ich mache auf!« Rechmann wunderte sich selbst, wie gut er auf einmal Niederländisch sprechen konnte. Doch als er mit der Hand nach dem entsprechenden Knopf greifen wollte, griff der Polizist ein.

»Halt! Heben Sie beide die Hände so, dass ich sie sehen kann, und dann öffnen Sie mit der Linken die Tür!«

Rechmann verfluchte sich, weil er diesen Fehler begangen hatte. Wenn die Bullen misstrauisch wurden und den Kleinbus genauer untersuchten, war sein ganzer schöner Plan beim Teufel.

Jetzt bedauerte er es, dass er die Pistole, die er von dem Bundeswehroffizier erbeutet hatte, zu Hause gelassen hatte. Doch dann sagte er sich, dass es ihm auch nichts nützen würde, die beiden Bullen niederzuschießen. Nur ein Dutzend Schritte entfernt standen weitere, und selbst wenn er auch mit diesen kurzen Prozess machen würde, hätte er keine Chance mehr, die Königsfamilie auszuschalten.

Mit aller Ruhe, die er aufbringen konnte, öffnete er die Fahrertür und lächelte den Polizisten an. »Kann ich jetzt die Hecktüren entriegeln, oder wollen Sie es selbst machen?«

Der Polizist reckte ein wenig den Kopf, um zu sehen, welchen Knopf Rechmann meinte, und nickte. »Machen Sie auf.«

Rechmann gehorchte und bemühte sich dann, nicht allzu angestrengt in den Rückspiegel zu schauen. Nach einer schier endlosen Wartezeit kam die Entwarnung.

»Ihr könnt weiterfahren!« Der Polizist, der hinten nachgesehen hatte, schloss die Hecktür, und sein Kollege gab den Weg frei.

»Auf Wiedersehen!« Rechmann bemühte sich, nicht zu erleichtert zu wirken, als er den Wagen anrollen ließ.

Maart hatte sich nicht so gut im Griff, sondern lachte auf. »Mein Gott, sind das Idioten! Und so was ist die Sicherheit des Staates anvertraut.«

»Halt die Schnauze!«, fuhr Rechmann ihn an. »Hier lungern genügend Bullen herum, um sich jeden, der hier fährt, genau anzusehen.«

Sein Begleiter zog erschrocken den Kopf ein und gab keinen Laut mehr von sich.

Rechmann hatte ohnehin anderes zu tun, als sich um Maart zu kümmern. Die Straße, die durch Berendrecht zum Friedhof führte, war mit Kopfsteinen gepflastert und so uneben, dass sich der Transporter in ein Rüttelsieb verwandelte. Kurz vor ihrem Ziel gerieten sie wieder auf Asphalt. Unterwegs hatten sie Polizisten gesehen, die mit Spürhunden und Spiegeln an langen Stangen die geparkten Autos kontrollierten, und weiter hinten entdeckte Rechmann mehrere gepanzerte Polizeifahrzeuge.

»Sag jetzt noch einmal, dass die Bullen hier nicht achtgeben«, meinte er noch. Dann musste er auf die Bremse treten. Ein Polizist kam auf sie zu, die unvermeidliche FN-Herstal P90 im Anschlag.

»Behalt ja die Nerven«, flüsterte Rechmann Maart zu und kurbelte das Fenster herunter.

»Ihre Papiere«, forderte der Polizist. Unterdessen tauchte ein zweiter Bulle auf der Beifahrerseite auf und hielt Maart mit seiner MP in Schach.

Rechmann holte seinen Ausweis aus der Tasche. Dieser lautete auf einen anderen Namen und wies ihn als eingebürgerten Deutschen aus Antwerpen aus. Es handelte sich um ein Originaldokument, denn einer von Zwengels Leuten arbeitete im Passamt der Stadt und hatte etliche falsche Pässe für seine Gesinnungsfreunde ausgestellt. Maart hingegen besaß einen niederländischen Pass, was ihre Tarnung als Fahrer einer niederländischen Gärtnerei noch überzeugender machte.

»Was wollen Sie, und was haben Sie geladen?« Die Stimme des Polizisten klang forsch.

»Wir wollen zum Friedhof, und geladen haben wir Kränze«, erklärte Maart, der seine Sprache wiedergefunden hatte.

Während die beiden Polizisten einen kurzen Blick wechselten, tauchte ein weiterer Exekutivbeamter auf und steckte seinen Spiegelstab unter den Kleinbus. Auch er arbeitete sorgfältig, konnte hinterher seinen Kollegen allerdings nur sagen, dass er nichts Auffälliges entdeckt habe.

»So, jetzt will ich mir das Innere ansehen«, sagte er anschließend und öffnete die Hecktür. Als er mit seiner Spiegelstange zwischen die Kränze fuhr, wurde Rechmann nervös.

»Machen Sie nichts kaputt!«

Der Polizist kümmerte sich nicht darum, sondern fuhrwerkte weiter mit seinem Stab im Laderaum herum. Allerdings lag die Sprengladung gut verborgen im vorderen Teil des Laderaums und war mit Kränzen verdeckt. Da der Polizist diese nicht beschädigen wollte, zog er seine Stange zurück und überließ seinen Platz einem Kollegen, der einen Spürhund heranführte.

Rechmann blieb ruhig. Von Zwengels Gewährsleuten wusste er, wie die belgischen Spürhunde ausgebildet waren, und hatte sich für eine neuartige Sprengstoffsorte entschieden, die diese Hunde noch nie gerochen hatten. Trotzdem schnupperte das Tier mehrmals und lief ein Stück auf den Wagen zu.

Sein Hundeführer griff schon zum Halsband, um die Leine zu lösen, damit der Hund in den Transporter klettern konnte, doch da blieb dieser unschlüssig stehen und schien nicht mehr zu wissen, was er tun sollte.

»Das Kerlchen mag anscheinend die Blumen auf den Kränzen«, witzelte Rechmann, der den Wagen am Vorabend innen und außen mit einer Flüssigkeit besprüht hatte, die im Allgemeinen Hunde fernhielt.

Der Polizist, der die erste Untersuchung durchgeführt hatte, drehte sich ungeduldig zu seinem Kollegen um. »Und, was ist jetzt?«

»Tinko hat anscheinend keine rechte Lust. Dabei geht der Zirkus erst richtig los!« Der Beamte zeigte auf die Reihe an Autos, die bereits hinter Rechmanns Wagen angehalten hatten. Die Schlange wurde schnell länger. Anscheinend hatten viele Trauergäste mit solch scharfen Kontrollen gerechnet und sich deshalb frühzeitig auf den Weg gemacht.

Der Chef des Polizeitrupps winkte seinen Männern, das Gärtnereifahrzeug durchzulassen, und wandte sich dem nächsten Wagen zu.

»Puh, noch einmal gut gegangen«, stöhnte Maart. »Ich dachte schon, jetzt hätten sie uns.«

Rechmann sah selbstgefällig auf ihn hinab. »Du solltest nicht erst an die Probleme denken, wenn sie sich stellen, sondern bevor sie überhaupt auftreten. Ich habe den Wagen ausgezeichnet präpariert. Nicht einmal der Hund hat etwas gewittert. «

»Trotzdem hatten wir Glück!«

Rechmann teilte zwar diese Meinung, hatte aber nicht vor, dies seinen Beifahrer wissen zu lassen. Maart und die anderen Niederländer sollten glauben, er wäre ein Mann, der alles und jeden im Griff hatte.

Die geheime Waffe
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