SECHS

Torsten Renk wusste, dass es so mit ihm und seiner Auszubildenden nicht weitergehen konnte. Obwohl er das Generalstöchterchen auf den Mond wünschte, durfte er sich bei seiner Arbeit nichts zuschulden kommen lassen. Da Wagner ihm befohlen hatte, sie auszubilden, würde er es auch tun. In sich hineingrinsend legte er sich die ersten Schritte zurecht. Leutnant von Tarow sollte es gründlich bedauern, sich zum MAD gemeldet zu haben.

»Je eher sie das Handtuch wirft, umso besser«, sagte er sich. Sobald er dieses Anhängsel los war, würde Wagner ihm wieder vernünftige Aufträge erteilen.

Zufriedener als in den Wochen vorher betrat Torsten an diesem Morgen sein Büro. Wie immer saß Henriette von Tarow bereits vor ihrem Laptop.

»Ach ja, Leutnant. Da Sie schon einmal hier sind, können Sie mir von nun an jeden Morgen die wichtigsten Nachrichten zusammenstellen und ausdrucken, damit ich sie gleich parat habe.«

»Guten Morgen, Herr Oberleutnant!« Henriette war verblüfft, denn so munter hatte sie Renk noch nicht erlebt.

»Ach ja! Guten Morgen. Das hatte ich ganz vergessen.« Torsten setzte sich an seinen Schreibtisch, schaltete seinen Laptop an und sortierte die eingegangenen Mails.

Unterdessen rief Henriette die wichtigsten Nachrichten auf und druckte die Texte aus. Den kleinen Papierstapel schob sie zu Renk hinüber. »Hier sind die gewünschten Informationen, Herr Oberleutnant.«

»Danke!« Torsten nahm das erste Blatt zur Hand und überflog es. »Der Waffentransport nach Somaliland sollte diesmal nicht schiefgehen. Sonst haben wir dort einen Verbündeten weniger.«

»Das hat auch der Major letztens gesagt!«

»Ach ja? Ich kann mich nicht erinnern.« Torsten legte den Bericht über die Unruhen in Somalia beiseite und ergriff das nächste Blatt.

Gut eine Viertelstunde konnte man im Büro nur das Klappern der Tasten und das Rascheln von Papier vernehmen. Dann schob Torsten die ausgedruckten Blätter beiseite und musterte Henriette nachdenklich. Sie ist zu klein und zu zierlich für diesen Job, sagte er sich. Zwar konnte sie gut Auto fahren, aber darauf kam es nicht an. Wenn sie in Wagners Truppe blieb, würde sie bald in Gegenden kommen, in denen Kugeln bereits zum Frühstück serviert wurden.

»Wie steht es eigentlich mit Ihren Schießkünsten?«, fragte er.

Henriette blickte überrascht auf. »Ich habe die für die BW-Laufbahn vorgeschriebenen Lehrgänge gemacht und dabei mit der jeweils vorgestellten Waffe geschossen.«

»Um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind nicht im Training. Aber bei unserer Arbeit ist es überlebensnotwenig, seine Waffe zu beherrschen. Ich glaube, wir lassen den Papierkram fürs Erste liegen und sehen uns den Schießplatz an.«

»Aber wir sollen doch Frau Waitl helfen«, wandte Henriette ein.

»Was wir für Petra tun konnten, haben wir getan. Wir müssen uns endlich um Ihre Ausbildung kümmern. Da Wagner noch immer nicht dazu gekommen ist, den versprochenen Plan fertigzustellen, werde ich erst einmal improvisieren. Kommen Sie mit!«

Torsten stand auf und sah Henriette auffordernd an. Diese ahnte, dass etwas im Busch war, und nahm sich vor, alles zu tun, um ihm den Spaß zu verderben.

»Wie steht es mit Ihrer persönlichen Artillerie?«, fragte Torsten auf dem Weg zum Schießplatz.

»Sie meinen, ob ich Schusswaffen besitze?«

»Genau das meine ich!«

»Ich habe zu Hause ein Kleinkalibergewehr«, sagte Henriette und verschwieg, dass sie damit im letzten Jahr zum Unmut aller männlichen Schützen Siegerin im großen Preisschießen ihres Heimatorts geworden war.

»Ich glaube nicht, dass so eine Kinderflinte zu den für unseren Job relevanten Waffen zählt. Ich hatte eher an so etwas hier gedacht!«

Bevor Henriette seine Handbewegung richtig erkennen konnte, hielt Torsten seine Sphinx AT2000 in der Hand.

Ein Soldat, der ihnen entgegenkam, wich erschrocken zurück.

Um Henriettes Lippen zuckte es. »Wenn Sie nicht einmal aus Versehen erschossen werden wollen, sollten Sie solche Scherze unterlassen, Herr Oberleutnant.«

Der Soldat stierte Torstens zivile Kleidung verdattert an. »Das ist ein Oberleutnant? Und bei mir meckert der Spieß schon, wenn ich mal ne private Unterhose anziehe.«

Sein Blick wurde anzüglich. »Und wie ist das bei euch Amazonen? Bekommt ihr auch vorgeschrieben, was ihr unter euren Röcken zu tragen habt?«

»Sicher! Wir bekommen jedes Jahr zu Weihnachten die Kataloge der edelsten Dessoushersteller aus Paris und dürfen uns etwas aussuchen.« Henriette sah amüsiert, wie der Bursche schluckte. Solche Anzüglichkeiten kamen unter Soldaten immer wieder vor. Wenn eine Frau es nicht fertigbrachte, sich Respekt zu verschaffen, wurde sie rasch zur Zielscheibe aller aufgeblasenen Kerle.

Torsten tippte den jungen Soldaten mit dem Zeigefinger an. »Du hast sicher zu tun, Kleiner. Wenn du das nächste Mal den Mund aufreißen willst, denke vorher nach. Einen weiblichen Offizier so anzumachen, wie du es eben getan hast, könnte dich das nächste freie Wochenende kosten.«

Es war direkt komisch, wie schnell der Bursche verschwand. Henriette musste sich das Lachen verkneifen. Dennoch passte es ihr nicht, dass Renk sich eingemischt hatte. »Ich wäre mit dem Mann auch allein fertiggeworden. Sie hätten ihm nicht gleich mit Urlaubsentzug drohen müssen.«

»Wie es aussieht, bekommt er den auch so!« Torsten deutete nach hinten.

Offenbar hatte der junge Mann nicht aufgepasst und war mit einem Offizier im Hauptmannsrang zusammengestoßen. Dieser begann auch sogleich zu brüllen. »Was fällt Ihnen ein! Haben Sie keine Augen im Kopf? Oder haben Sie Ihr Hirn im Spind zurückgelassen?«

»Ich glaube, wir sollten weitergehen. Das sieht nicht so aus, als würde das so schnell aufhören.« Torsten schlug ein so strammes Tempo an, dass Henriette immer wieder einen Zwischenschritt einlegen musste, um mithalten zu können.

Kurz darauf erreichten sie die Halle, die für das Schusstraining mit leichten Handfeuerwaffen gebaut worden war. Torsten winkte dem Feldwebel, der das Ganze überwachte, kurz zu und fragte ihn nach einer freien Schussbahn.

»Sie können von mir aus die ganze Halle haben, Renk. Oder sehen Sie hier irgendjemanden außer Ihnen, der schießen will?«

»Auch gut. Haben Sie zufällig eine Pistole hier, mit der Leutnant von Tarow üben kann?«

»Die müssten Sie sich leider selbst bei der Waffenausgabe holen. Ich würde es ja gern tun, aber die sind in letzter Zeit arg pingelig geworden.«

Torsten drehte sich zu Henriette um und feixte. »Also das Ganze kehrt, Leutnant. Bevor Sie schießen können, brauchen Sie das Instrument dazu.«

»Sie haben doch Ihre Pistole dabei. Die könnte ich doch benützen«, wandte Henriette ein.

Der Feldwebel verdrehte die Augen. So wie er Renk einschätzte, würde dieser eher seine Freundin verleihen als diese Pistole, denn die war bekanntermaßen sein Heiligtum. Zu seiner Verwunderung blieb der MAD-Mann ruhig und lächelte sogar, als er dem jungen Ding antwortete, das besser in ein hübsches Sommerkleid als in eine Uniform gepasst hätte. »Mit meiner Pistole schießen zu dürfen müssen Sie sich erst einmal verdienen, Leutnant. Und jetzt kommen Sie! Die Leute in der Waffenausgabe sind Beamtenseelen. Die machen um Punkt neun Uhr Brotzeit, und nicht einmal der Ausbruch eines Weltkriegs könnte sie daran hindern.«

Zum ersten Mal musste Henriette über eine Bemerkung von Renk schmunzeln. Anscheinend hatte er doch eine Spur Humor. Da sie aber nicht wollte, dass die Laune sogleich wieder umschlug, folgte sie ihm stumm, als er mit langen Schritten das Kasernengelände durchquerte und vor einem grauen Gebäude stehen blieb.

Torsten trat erst ein, als er sah, dass seine Auszubildende mit ihm Schritt gehalten hatte. Zuerst ging es einen schier endlos langen Flur entlang, dann eine Steintreppe hoch in einen weiteren Korridor. Vor dem letzten Zimmer blieb er stehen und klopfte.

»Reinkommen!«, erscholl es von drinnen.

Torsten öffnete die Tür und hielt sie Henriette auf. Diese schüttelte den Kopf. »Wir sind hier nicht beim Flanieren, sondern bei der Bundeswehr. Hier heißt es Dienstgrad vor Schönheit!« Damit nahm sie ihm die Tür aus der Hand und zeigte nach drinnen.

Torsten war zuerst baff, sagte sich dann aber, dass seine Untergebene ihre Frechheiten bald bereuen würde, und betrat als Erster das Zimmer. Als Henriette ihm folgte, sah sie einen Mann an einem Schreibtisch sitzen und auf seinen Bildschirm starren, während ein anderer Soldat hinter einer Theke stand.

»Guten Morgen!«, grüßte Renk.

»Grüß Gott«, antwortete der Mann hinter der Theke, während der am Schreibtisch nicht einmal den Kopf hob.

»Was darf’s denn sein, Torsten?«, fragte der Soldat, der den Gruß erwidert hatte, und kam hinter seiner Theke hervor.

Zuerst wunderte Henriette sich, weil er Torsten die Linke entgegenstreckte. Erst als sie genauer hinsah, bemerkte sie die Prothese am rechten Arm. Sein leicht schwankender Gang brachte sie darauf, auf seine Beine zu schauen. Auch hier sah es so aus, als steckte ein künstlicher Fuß im Schuh.

Erschüttert blieb Henriette im Hintergrund, während Torsten dem Mann fröhlich auf die Schulter klopfte. »Na, wie geht’s zu Hause, alter Gauner?«

»Gut! Du solltest mal wieder bei uns vorbeikommen. Carina würde sich freuen.«

»Wenn ich Zeit habe, tu ich es auch, Hans. Aber jetzt bräuchte Leutnant von Tarow eine Pistole fürs Schießtraining. Hast du etwas Geeignetes für sie?« Torsten zwinkerte dem anderen verschwörerisch zu.

Der Mann nickte und verschwand im Nebenraum. Kurz darauf kehrte er mit einer Waffe mit abgewetzten Griffschalen und etlichen Schrammen am Lauf zurück.

»Das ist die Standardpistole für unsere Schießschüler. Damit müsste der Leutnant zurechtkommen.«

Torsten untersuchte kurz die Waffe und nickte. »Sehr gut. Jetzt brauche ich noch zwei Schachteln Munition.«

»Gleich zwei Schachteln? Willst du den Leutnant für einen Wettkampf trainieren?«

»Nein, aber ich will mitschießen, und du glaubst doch nicht, dass ich das auf eigene Kosten tue.«

»Also gut!« Der Mann ging noch einmal ins Nebenzimmer und brachte zwei Schachteln Munition.

»Wer unterschreibt mir das Formular?«, fragte er.

»Bei der Pistole der Leutnant, bei den Patronen ich«, erklärte Torsten.

»Auch gut!« Sein Freund füllte zwei Zettel aus und reichte sie den beiden.

»Wollen Sie die Waffe behalten?«, wollte er von Henriette wissen. »Dann müsste ich es vermerken. Wenn nicht, müssen Sie sie bis heute Abend, Punkt siebzehn Uhr, zurückbringen.«

»Ich sagte ja, hier sind Beamtenseelen am Werk«, spottete Torsten.

Da hob der Mann am Computer den Kopf. »Noch so einen Spruch, Renk, und Sie brauchen morgen die Unterschrift des Verteidigungsministers, wenn Sie bei uns etwas abholen wollen!«

Renk winkte verächtlich ab. »Blasen Sie sich nicht so auf, Mentz, sonst platzen Sie noch.«

Er reichte Henriette die Pistole und steckte die beiden Patronenschachteln ein. »Wir bringen die Waffe heute noch zurück. Bis dahin Servus, Hans. Ach ja – auf Wiedersehen, Hauptfeldwebel. Wenn ich das nächste Mal hier hereinkomme, nehmen Sie gefälligst Haltung an!«

»Sie können mich mal!«, biss Mentz zurück.

Torsten lachte nur und verließ mit Henriette zusammen das Zimmer. »Hans Borchart ist schwer in Ordnung, während Mentz ein ausgemachtes Arschloch ist«, erklärte er unterwegs und hatte die beiden im nächsten Moment vergessen. In der Trainingshalle angekommen, reichte er Henriette eine Handvoll Patronen und sah zu, wie sie die Waffe lud. Da inzwischen einige Soldaten hereingekommen waren und sie grinsend beobachteten, verstärkte sich Henriettes Ahnung, dass etwas im Schwange war.

Die geheime Waffe
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