EINS
Auf dem Bildschirm sah Major Wagner so zufrieden aus, dass bei Torsten Renk sämtliche Alarmglocken anschlugen. Sein Vorgesetzter nahm ein Blatt Papier zur Hand, blickte kurz darauf und grinste noch breiter. »Gute Arbeit, Renk, und auch von Ihnen, Leutnant. Diese Leute nicht nur zu fotografieren, sondern auch zu belauschen, ohne dass sie es merken, ist die hohe Kunst unseres Metiers. Die Kerle haben nämlich einen sechsten Sinn dafür, wenn jemand sie überwachen will.«
Torsten wollte kein Gerede hören, sondern Fakten. »Und? Haben Sie herausgefunden, warum die drei sich ausgerechnet in einem Restaurant in Kijkduin getroffen haben?«
»Frau Waitl ist gerade dabei, die Stimmen zu verstärken und störende Nebengeräusche auszufiltern. Was wir bis jetzt gehört haben, ist schon recht aufschlussreich. Aber das ist derzeit nicht Ihr Job. Das Symposion ist nun beendet, und Sie können den nächsten Punkt Ihrer Reise anfahren. Ich habe mir gedacht, eine Schulung bei einer unserer verbündeten Armeen würde dem Leutnant neue Eindrücke vermitteln. Aus dem Grund begeben Sie beide sich jetzt nach Breda. Dort befindet sich ein noch recht neues Ausbildungszentrum der Niederländischen Streitkräfte. Passen Sie aber ein wenig auf sich auf. Das Institut ist durch einige Vorfälle in Verruf geraten.«
»Und was sollen wir dort suchen?« Torsten hatte sich einen Auftrag erhofft, der seinen Fähigkeiten entsprach. Leutnant von Tarow zu einer Schulung bei einer eher kleineren Armee zu begleiten gehörte mit Sicherheit nicht dazu.
»Ich könnte jetzt sagen: Sie gehen dorthin, weil ich es Ihnen befehle. Aber das mache ich nicht. Sehen Sie es als Bereitstellungsraum an, Renk. Es könnte nämlich sein, dass ich Sie dort in der Gegend brauche. Natürlich ist es möglich, dass Sie sich eine Woche lang Vorträge anhören und dann wieder nach München zurückfahren, weil nichts passiert ist. Um es ehrlich zu sagen: Das wäre mir lieber! Aber bis dahin will ich Sie vor Ort haben. Sind Sie damit zufrieden?«
»Das muss ich wohl.« Torsten lachte freudlos, stellte dann aber die Frage, die ihm seit Beginn des Videogesprächs auf der Zunge lag. »Mit wem haben sich Kaffenberger und Zwengel eigentlich getroffen?«
»Mit Piet Eegendonk, wenn Ihnen der Name etwas sagt. Und jetzt machen Sie’s gut. Sie auch, Leutnant. Ich muss wieder an die Arbeit.« Damit schaltete Wagner die Verbindung ab und ließ Henriette und Torsten verwirrt zurück.
Henriette sah ihren Vorgesetzten fragend an. »Haben Sie Informationen über diesen Eegendonk?«
»Im Augenblick weiß ich nicht, wer der Kerl ist, aber ich werde es gleich herausfinden.« Torsten schaltete eine Verbindung zu Petra, die überraschend schnell antwortete.
»Hi, wie geht es euch? Habe mir schon gedacht, dass du mich anrufst, weil Wagner eben mit euch gesprochen hat.«
»Kannst du mir sagen, was eigentlich gespielt wird? Wagner faselt davon, dass wir so eine Art Einsatzreserve darstellen sollen. Und wer zum Teufel ist dieser Eegendonk?«
Petra feixte. Es gefiel ihr jedes Mal wieder, wenn Torsten auf sie angewiesen war, um an Informationen zu kommen. »Piet Eegendonk ist der Chef einer niederländischen Splitterpartei, die antimonarchistisch ausgerichtet ist und die Wiedervereinigung der seit der belgischen Septemberrevolution von 1830 geteilten Provinzen Brabant, Limburg und Flandern fordert.«
»Dass es solche Idioten im einundzwanzigsten Jahrhundert noch gibt!« Torsten blies die Luft aus den Lungen und sah dann fragend in die Aufnahmelinse. »Und was ist mit unserem Auftrag?«
»Ich sage da nur: Container! Es ist wieder eine Lieferung nach Somaliland unterwegs. Sie soll diesmal über Antwerpen verschifft werden, und da sie von drei unserer Leute überwacht wird, dürfte eigentlich nichts passieren. Aber wenn doch, ist dein Typ gefragt.«
Torsten nickte mit angespannter Miene. »Ich verstehe! Wenn alle Stricke reißen, darf ich wieder ran.«
»So kann man es sehen. Allerdings sind die Stricke diesmal festgezurrt, und daher wirst du wahrscheinlich nicht zum Zug kommen. Kann ich sonst noch etwas tun?«, fragte Petra.
»Weißt du, was es mit dem Treffen dieser drei Kerle auf sich hat?«
»Wie es aussieht, wollen mehrere am rechten Rand angesiedelte Gruppen in Deutschland, Belgien und den Niederlanden enger zusammenarbeiten. Aber worum es geht, muss ich noch herausfinden.«
»Dann tu das, Petra. Danke für die Informationen. Bis bald!« Torsten schaltete ab und klappte den Laptop zusammen. »Wie es aussieht, haben wir eine stinklangweilige Woche in Breda vor uns«, brummte er.
Seine Begleiterin war bei weitem nicht so geknickt wie er. »Also ich finde es interessant, mal über den Tellerrand zu sehen und zu erfahren, wie es bei anderen Armeen zugeht.«
»Für Sie mag es ja neu sein. Aber ich habe in den letzten Jahren über verdammt viele Tellerränder geschaut. Meine einzige Erkenntnis war, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen.«
Torsten öffnete den Schrank und holte seine Reisetasche heraus, um zu packen. Dabei verrieten seine Bewegungen, wie enttäuscht er war. Er empfand es so, als habe Wagner ihm einen Bissen vor die Nase gehalten und diesen sofort wieder weggezogen. Dabei reizte es ihn, der Verbindung zwischen dem deutschen Industriellen Kaffenberger und den rechtsradikalen Gruppen in beiden Nachbarländern nachzuspüren. Ganz gewiss hatte das Treffen nichts Gutes zu bedeuten. In den Niederlanden war es abgesehen von gelegentlichen Fankrawallen bei Fußballspielen bislang ruhig geblieben, und auch in Deutschland hatte sich außer den Ereignissen vor einigen Monaten in München und letztens den an flandrische Ereignisse erinnernden Aufruhr in Suhl wenig getan. Dafür aber ging es in Belgien von Tag zu Tag schlimmer zu.
Wenn diejenigen, die für diese Unruhen verantwortlich waren, jetzt auch noch Unterstützung durch Deutsche und Niederländer erhielt, würde es zu chaotischen Zuständen kommen, die mit einem Bürgerkrieg vergleichbar waren. Er hoffte auf Petra und darauf, dass diese ihm bei ihrem nächsten Kontakt mehr über diese Sache erzählen konnte.