VIERZEHN
Major Wagner blickte auf seine Uhr und nickte zufrieden. »Pünktlich wie die Maurer beim Feierabendmachen. So mag ich’s. Also, macht es gut, Leute. Und Renk, Sie sollten den Teilnehmern an dem Symposion mit Ihrem griesgrämigen Gesicht nicht die gute Laune verderben.«
Wagner brachte es so trocken hervor, dass selbst Torsten lachen musste. »Ich werde mir Mühe gehen, Herr Major.«
»Übrigens, meine Gratulation zu Ihrem neuen Outfit. Ihre Phantasie haut mich völlig von den Socken!« Wagner musterte seinen Mitarbeiter und schüttelte den Kopf, denn Torsten trug eine neue, schwarze Jeans und eine bauschige, blaue Lederjacke. Das Ding war ein Designerstück und sicher nicht billig gewesen. Aber es hatte fast denselben Schnitt wie die schwarze Lederjacke, die der Oberleutnant sonst trug. Mit seinem wachsamen, ständig wandernden Blick würde Torsten nun eher wie der Bodyguard eines der Teilnehmer wirken. Aber so ist der Junge nun mal, dachte Wagner seufzend und wandte seine Aufmerksamkeit Henriette zu.
Die junge Frau hatte sich ebenfalls für eine Jeans entschieden, allerdings von schilfgrüner Farbe. Eine weiße Bluse, die an der linken Seite mit mehreren roten Rosen bestickt war, sowie eine ärmellose Weste in einem hellen Beige vervollständigten ihre Kleidung. Auf dem Rücksitz des Wagens lagen noch ein kurzer, türkisfarbener Mantel und ein Seidenschal. In dieser Kleidung wirkte Henriette tatsächlich wie ein Oberschichten-Töchterchen und nicht wie eine Soldatin.
Torsten öffnete die Beifahrertür, drehte sich dann aber noch einmal zu Wagner um. »Wie ich Sie kenne, erwarten Sie unseren Anruf aus Den Haag, sobald wir dort angekommen sind.«
Der Major begriff, dass sein Mitarbeiter es darauf anlegte, ihn um drei Uhr in der Nacht aus dem Bett zu holen. »Ich habe andere Mittel herauszubekommen, wann Sie eingecheckt haben«, antwortete er lächelnd und sagte sich, dass Petra dafür den Computer des Hotels anzapfen konnte.
»Gleich ist es acht. Sie können losfahren. Ach ja, Renk. Ich schicke Ihnen am Sonntag eine Mail mit neuen Befehlen.« Mit einem verzerrten Grinsen, das seine Anspannung verriet, trat Wagner zurück und hob die Hand, als wolle er das Startsignal geben.
Henriette ließ den Motor an und legte den Gang ein. Dabei sah sie den Major so durchdringend an, dass dieser unwillkürlich zusammenzuckte. Dann verstand er, worauf sie wartete, und senkt den Arm. »Und Start!«
Mit einem Lachen ließ Henriette die Bremse los und drückte das Gaspedal durch. Der Wagen raste röhrend los und schoss aus der Einfahrt zu den Parkplätzen auf die Straße, die zum Kasernentor führte. Im Rückspiegel sah sie, wie der Major sich an die Stirn tippte. Sie war sich jedoch sicher, dass er nun grinste. Wagner war ein Mann, der einen Scherz vertragen konnte.
Auf den restlichen Metern zum Tor hielt sie jedoch die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit ein. Der Posten am Tor kannte Torstens Auto und ließ sie passieren. Draußen auf der Straße beschleunigte Henriette und fuhr im forschen Tempo in Richtung Autobahn.
Nach einer Weile wandte sie sich an Torsten. »Wie sollen wir diese Sache angehen, Herr Oberleutnant? Wir können entweder gemütlich fahren und darauf vertrauen, rechtzeitig anzukommen, oder ich trete ein wenig aufs Gas. Dann müssen wir halt kurz vor dem Ziel eine Pause einlegen.«
»Ich hätte nichts gegen einen kurzen Aufenthalt in einem Rasthof. Durch Wagners Antreiberei bin ich nämlich nicht zum Abendessen gekommen.«
»Ich auch nicht«, erklärte Henriette und gab Gas.
Die ersten Kilometer legten sie schweigend und in ihre eigenen Gedanken verstrickt zurück. Dann ertappte Henriette sich dabei, dass sie die Hand zum Einschaltknopf des Autoradios ausstreckte. Sie zuckte zurück und wandte sich an ihren Beifahrer.
»Herr Oberleutnant, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Musik höre? Im Augenblick geht es ja noch, aber später in der Nacht könnte ich das Radio brauchen, um wach zu bleiben.«
»Schalten Sie das Ding ruhig an.« Torsten antwortete einsilbig, denn sie hatte ihn gerade in seinen Überlegungen gestört. Warum tut Wagner so geheimnisvoll?, fragte er sich. Weshalb schickte er sie auf eine Veranstaltung in den Niederlanden, zu der sonst nur Hochkaräter Zutritt hatten? War es Leutnant von Tarows wegen? Deren Vater war immerhin General gewesen, und für ihre weitere Karriere war ein Eintrag über die Teilnahme an diesem Symposion sicher von Vorteil.
Aber es war nicht Wagners Art, sich bei Freunden des alten Generals einzuschmeicheln, indem er dessen Tochter protegierte. Da steckte mehr dahinter. Aber was? Sosehr er auch grübelte, ihm fiel nichts ein. Gleichzeitig vibrierten seine Nerven vor Anspannung, wie er es sonst nur vor entscheidenden Situationen kannte. Da Torsten gelernt hatte, auf dieses Gefühl zu hören, strich er mit einer beinahe zärtlichen Geste über die Stelle seiner Jacke, unter der seine Sphinx 2000 AT im Schulterhalfter steckte. Auch wenn er die Pistole in Den Haag in den Hotelsafe sperren musste, sagte ihm sein Instinkt, dass er sie schon bald brauchen würde.