ELF

Entgegen seiner Ankündigung fuhr Igor Rechmann doch nach Oostende. Allerdings wollte er nicht selbst in Aktion treten, sondern die Ausführung Jasten überlassen. Während er den Wagen nach Westen lenkte, bastelte sein Kumpan auf dem Beifahrersitz ungeniert an seiner Bombe herum.

Schließlich wurde es Rechmann zu bunt. »Kannst du nicht damit aufhören? Du jagst uns sonst noch in die Luft!«

»Flattern dir die Nerven, Igor?«, fragte Jasten spöttisch.

Rechmann schnaubte. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich Walter nennen!«

»Ich zähle schon gar nicht mehr mit!« Jasten grinste und arbeitete weiter an seiner Höllenmaschine.

»Dann solltest du es ab sofort tun! Beim nächsten Mal setzt es eine Ohrfeige, danach breche ich dir die Nase, und bei einem dritten Mal schlage ich dir sämtliche Zähne aus!«

»Also gut, wenn du es so willst, sage ich eben Walter zu dir. Aber du brauchst keine Angst vor meinem Schätzchen zu haben. Noch ist die Bombe nicht scharf. Ich mache nur einen kleinen Umbau, damit ich sie besser verstecken kann. Ich habe mir die Pläne von Houdebrincks Segelboot angesehen. Ein ziemlich großer Kasten, wenn du mich fragst. So ein Ding hätte ich auch gerne, mit einer weiblichen Besatzung, bei der man segeln auch mit v und ö schreiben kann.«

»Wie viele Leute passen auf das Boot?«, fragte Rechmann, während er einen Lkw überholte.

»Mindestbesatzung sind drei. Da ich aber keinen Finger rühren würde, wären das drei tolle Mäuse für ebenso tolle Nächte.«

»Angeber!« Rechmann konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Neben ihm bastelte Jasten fröhlich weiter. Einige Zeit später drehte er sich um und legte das Paket auf den Rücksitz.

»Pass auf, dass es beim Bremsen nicht nach vorne rutscht und hochgeht«, warnte Rechmann ihn.

»Also doch Muffensausen! Ich habe dir doch schon gesagt, dass das Ding nicht scharf ist. Dafür muss ich noch das Zündkabel befestigen und den Funkempfänger einschalten. Anschließend brauche ich nur noch auf diesen Knopf zu drücken – und puff!« Jasten holte ein winziges Handy aus der Tasche und drückte spielerisch auf die bewusste Taste.

Rechmann zuckte zusammen. »Idiot!«, schimpfte er und nahm sich im Stillen vor, seinem Begleiter irgendwann, wenn er nicht mehr gebraucht wurde, das Genick zu brechen.

Jasten achtete nicht auf die schlechte Laune seines Kumpans, sondern drehte das Autoradio auf und sang misstönend einen englischen Schlager mit. Dabei fühlte er sich so zufrieden wie lange nicht mehr. Seit er in Sedersens Truppe eingetreten war, hatte er alles getan, um sich unentbehrlich zu machen. Wenn das Attentat auf van Houdebrinck gelang, würde er früher oder später sogar Igor Rechmann übertreffen. Dieser war zwar intelligent und skrupellos, aber sein Aussehen würde immer ein Hemmschuh für eine größere Karriere bleiben. Er hingegen … Karl Jasten gab sich ganz seinen Träumen hin und sah sich bereits als Geschäftsführer eines der Konzerne, die Sedersen in Flandern aufbauen wollte. Erst kurz vor ihrem Ziel holte Rechmanns Stimme ihn in die Gegenwart zurück.

»Nächster Halt Oostende, Endstation, alles aussteigen!«

Sie hatten die Autobahn verlassen und rollten nun durch die Außenbezirke der Stadt in Richtung Zentrum. Rechmann hatte Sedersen schon mehrmals zu Konferenzen in der Stadt chauffiert und kannte daher den Weg. Diesmal aber bog er nicht kurz vor der Innenstadt zu dem feudalen Hotel ab, in dem sein Chef abzusteigen pflegte, sondern suchte einen Parkplatz auf, der nur wenige hundert Meter vom Yachthafen entfernt lag.

»Bleibt es bei dem, was wir ausgemacht haben?«, wollte Rechmann wissen.

»Von meiner Seite steht nichts entgegen!« Jasten stieg aus, öffnete die hintere Seitentür und holte seinen Rucksack heraus, der so vollgepackt schien, als müsse er jeden Augenblick platzen. In einem außen angebrachten Netz steckte eine Trinkflasche, in einem anderen eine aufgerollte Gummimatte.

»Glaubst du nicht, dass du damit auffällst?«, fragte Rechmann.

Jasten drehte sich lächelnd zu ihm um. »Ich hab’s nicht vor. So sehe ich aus wie jeder x-beliebige Tourist, der von einer Attraktion zur anderen eilt und sich dabei von mitgebrachten Wurstsemmeln und Mineralwasser ernährt. Sollte jemand tatsächlich etwas bemerken, so wird er sich zwar an meinen Rucksack erinnern, aber kaum an mein Gesicht.«

Ohne sich weiter um seinen Begleiter zu kümmern, nahm er die Bombe, die wie eine größere Getränkedose aussah, öffnete sie und befestigte ein kurzes Stück Draht in zwei Anschlussbuchsen.

»So, jetzt ist das Ding scharf!« Er grinste, als Rechmann unwillkürlich einen Schritt zurückwich, und zog die Gummimatte heraus. Darin wickelte er die Bombe ein und steckte beides wieder in das Rucksacknetz.

»Was machst du, wenn dir ein Taschendieb die Bombe stibitzt? « »Ich glaube nicht, dass es seiner Gesundheit guttäte. Das Ding explodiert nämlich, wenn sich jemand daran zu schaffen macht.« Jasten grinste, winkte dann aber ab. »Keine Angst, das wird nicht passieren. Kein Dieb interessiert sich für eine alte Gummimatte. Und jetzt au revoir, wie der Franzmann zu sagen pflegt.«

Keine drei Sekunden später schlängelte Jasten sich zwischen den geparkten Autos hindurch. Rechmann sah ihm nach und fragte sich, ob sein Kumpan übermütig geworden war. Hoffentlich bringt er die Sache zu einem guten Ende, dachte er und bedauerte es, dass er van Houdebrinck nicht auf seine Weise aus der Welt schaffen konnte. Doch den Überfall eines wallonischen Todeskommandos auf einen bekannten Flamen, der für die Einheit Belgiens eintrat, würde ihnen niemand abnehmen.

Die geheime Waffe
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