ZEHN
Als Rechmann wieder in die Fabrik trat, sah Jasten ihn fragend an. »Was machen wir jetzt?«
»Warten, bis der Feldwebel zurückkommt. Wir können es uns nicht leisten, dass er, ein oder zwei Minuten nachdem wir losgefahren sind, hier aufkreuzt und Alarm schlägt«, antwortete Rechmann gelassen.
»Das kann aber dauern!« Jasten war nervös und wollte fort. Dennoch begriff er, dass Rechmann recht hatte. »Wenn wir wenigstens einen Schluck zu trinken hätten«, setzte er stöhnend hinzu.
»Im Wagen ist eine Büchse Cola. Wirf sie aber ja nicht weg, sondern leg sie wieder auf ihren Platz!« Nach diesen Worten ging Rechmann zum Fenster und sah hinaus.
»Mir geht die Warterei auf den Sack. Ich werde mich ein wenig beschäftigen«, hörte er Jasten sagen. Gleich darauf ließ Gans’ empörter Ausruf Rechmann herumfahren.
»Lass die Finger von meiner Schwester!«
Jasten hatte der Frau den Rock hochgeschlagen und zerrte an ihrem Schlüpfer. Gleichzeitig versuchte er, sich Gans vom Hals zu halten. Angesichts der Gefahr für seine Schwester hatte der Ingenieur endlich seinen Mut wiedergefunden.
Mit einem Schritt war Rechmann bei ihnen und trennte sie. »Bist du jetzt vollkommen durchgeknallt? Dieser Bundeswehrfuzzi kann jeden Moment kommen, und du denkst nur ans Rammeln«, herrschte er Jasten an.
Dieser schüttelte sich und betastete sein Kinn, das der Ingenieur mit einem harten Schlag getroffen hatte.
»Brauchen wir den Kerl noch?«, fragte er Rechmann.
Der schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr!«
»Gut!« Jasten zielte auf Gans’ Kopf und drückte ab. Ein kleines, schwarzes Loch erschien auf der Stirn des Ingenieurs. Während der Schütze ungerührt zusah, wie sein Opfer zu Boden sank, bäumte sich dessen Schwester auf und wollte Jasten mit den gefesselten Beinen treten.
Dieser versetzte ihr eine schallende Ohrfeige und gesellte sich zu Rechmann, der ans Fenster zurückgekehrt war und wieder die Zufahrt zur Fabrik überwachte. Plötzlich spannte sich der Hüne an. »Da vorne kommt ein Auto. Los, zum Werkstor. Dort müssen wir den Kerl abfangen!« Im Rennen zog Rechmann seine Pistole.
Der Bundeswehrfeldwebel machte es ihm leicht, denn er fuhr direkt vor das Gittertor und hupte. Noch bevor er merkte, dass der Mann, der auf ihn zukam, weder vom Werkschutz noch einer seiner Kameraden war, erschoss Rechmann ihn durch die Frontscheibe.
»Der wäre auch erledigt«, sagte er zu Jasten und öffnete das Tor. »Wir fahren den Wagen in die Werkshalle und lassen das Benzin ab. Das gibt ein Feuerchen, sage ich dir!« Er öffnete die Fahrertür, schob den Toten beiseite und lenkte das Auto auf das Werksgelände, wo Jasten bereits das große Tor der Halle geöffnet hatte. Kurz darauf parkte Rechmann das Fahrzeug des Feldwebels neben den übrigen Toten.
Während Rechmann eine Pulverspur von den aufgestapelten Sprengstoffvorräten zur Tür zog, wollte sein Kumpan zum Kastenwagen zurückkehren.
»Hast du nicht etwas vergessen?«, fragte Rechmann.
»Was meinst du?«
»Die Frau! Oder willst du sie bei lebendigem Leib verbrennen lassen?« Rechmann zog seine Waffe, legte auf Gans’ Schwester an und schoss. »Jetzt sind wir fertig.«
Auch Jasten fühlte sich wie im Rausch. Sie hatten zu zweit sechs bewaffnete Männer ausgeschaltet und den Auftrag ihres Anführers erfüllt. Außerdem verdankte Rechmann ihm sein Leben, denn ohne den finalen Treffer auf den dritten Soldaten hätte der seinen Begleiter mit der MP erschossen. Das wusste Rechmann genauso wie er selbst, und irgendwann würde er den Preis dafür einfordern. Nun aber sah er zu, wie Rechmann mehrere Zeitungsblätter zusammenknüllte, mit einem Feuerzeug ansteckte und dorthin warf, wo das auslaufende Benzin auf die Schnur aus Sprengstoff traf.
Rechmann wartete noch, bis die ersten Flammen hochschossen, dann stieg er rasch in den Kastenwagen und fuhr an.