ZWÖLF
Als Torsten Renk am nächsten Morgen das Büro betrat, das man ihm auf dem Bundeswehrgelände zur Verfügung gestellt hatte, saß Henriette bereits auf einem Stuhl und arbeitete an ihrem Laptop. Bei seinem Anblick schoss sie hoch und salutierte.
»Guten Morgen, Herr Oberleutnant!«
»Guten Morgen.« Torsten sah sie an und schüttelte den Kopf. »Ihre Stewardessenuniform können Sie hier ausziehen. Oder glauben Sie, ich will mit jemandem unterwegs sein, der kilometerweit nach Bundeswehr riecht?«
»Entschuldigen Sie, Herr Oberleutnant, aber ich bin neu und habe nicht gewusst, dass die vorschriftsgemäße Bekleidung der Kameraden vom MAD aus Turnschuhen, Jeans und Lederjacken besteht. Wenn Sie mir sagen, in welchem Shop Sie Ihre Dienstkleidung erworben haben, werde ich mich umgehend dort ausrüsten!« Henriette hatte nicht patzig sein wollen, aber die Bemerkung »Stewardessenuniform« war zu viel gewesen.
»Ich wollte damit sagen, dass wir außerhalb des Bundeswehrareals meistens in Zivil herumlaufen. Wenn Sie keine geeignete Kleidung mitgebracht haben, sollten Sie mit Petra reden.«
Torsten war so genervt, Henriette ausbilden zu müssen, dass er jede Höflichkeit über Bord geworfen hatte. Wenn man ihm schon einen Kameraden zur Ausbildung zuteilte, sollte es jemand sein, mit dem er etwas anfangen konnte. Diese Henriette von Tarow war viel zu klein und zu zerbrechlich für diesen harten Job.
»Danke, Herr Oberleutnant! Ich werde mich an Oberfähnrich Waitl wenden.«
Irritiert sah Torsten Henriette an. Doch bevor er fragen konnte, was sie von Petra wollte, fiel es ihm wieder ein, und er musste lachen. »Sie sollten vor Petra nicht salutieren und sie Oberfähnrich nennen. So militaristisch ist sie wahrlich nicht.«
»Als Ranghöhere salutiere ich selbstverständlich nicht vor einer unter mir stehenden Kameradin«, erklärte Henriette mit einer gewissen Schärfe.
»Sie sollten von Petra allerdings nicht verlangen, dass sie vor Ihnen salutiert. Bei so was kann sie grantig werden.« Kaum hatte Torsten die Warnung ausgesprochen, ärgerte er sich darüber. Petras Revanche für eine solche Zumutung hätte er zu gerne erlebt.
Unterdessen fragte Henriette sich, was es mit dieser Petra Waitl auf sich hatte. Frauen wie diese saßen sonst als Zivilangestellte in den Vorzimmern und hatten vor allem keinen militärischen Rang.
»Bitte um Erlaubnis, das Zimmer verlassen zu dürfen, um mit Frau Waitl sprechen zu können!«
»Erlaubnis erteilt!« Torsten stöhnte auf, als Henriette gegangen war. So zackig wie sie hatte er bei der Bundeswehr noch niemanden erlebt. Dann aber dachte er an Henriette von Tarows Brüder und sagte sich, dass auch dieser Apfel nicht weit vom Stamm gefallen war. Da sie mit ihrem exotischen Aussehen nicht so recht in die Reihe der männlichen Tarows passte, fragte er sich, ob sie ein Adoptivkind des Generals war. Neugierig geworden schaltete er seinen Laptop ein und rief die Stammakte seiner neuen Untergebenen auf.
Sie war tatsächlich Heinrich von Tarows leibliche Tochter. Die Mutter hingegen schien dem Namen nach von den Philippinen zu stammen. Solche Ehen gab es viele, aber in Offizierskreisen waren sie eher ungewöhnlich. Nun, was ging es ihn an. Er zuckte mit den Schultern und widmete sich seinen Mails.
Im nächsten Moment schrillte das Telefon. Im Reflex griff Renk nach dem Hörer. »Hier Renk!«
»Hier Wagner! Kommen Sie sofort in mein Büro und bringen Sie Ihren Lehrling mit.«
In der Stimme des Majors schwang schiere Panik. Daher sprang Torsten auf und raste zur Tür hinaus. Ein kurzer Gedanke galt Leutnant von Tarow, doch er hatte keinen Nerv, sie vorher noch zu suchen.