ZEHN

Geerd Sedersen war beeindruckt. Seine Leute hatten nicht nur die beiden Waffencontainer an sich gebracht, sondern sich auch unter Ausnutzung der innerbelgischen Zwistigkeiten problemlos in ihren Stützpunkt zurückziehen können. Selbst wenn die Polizei doch noch hier auftauchen würde, war nichts mehr zu finden. Die beiden Container waren inzwischen neu lackiert und anders beschriftet, ebenso die Lkws und die Kleinbusse, die an dem Unternehmen teilgenommen hatten. Der gesprengte Toyota befand sich längst in der Schrottpresse, und auch sonst waren alle Spuren so gut verwischt, wie Sedersen es sich nur wünschen konnte. Da niemand wusste, was in den ausgetauschten Containern gewesen war, würde auch eine Entdeckung der Waffen nichts bringen, denn er konnte nachweisen, dass in einer seiner Fabriken ältere Fabrikate auseinandergenommen und fachgerecht entsorgt wurden.

»Das habt ihr ausgezeichnet gemacht!«, lobte er Rechmann.

Der grinste über das ganze Babygesicht. »Nachdem wir die richtige Stelle ausgewählt hatten, war alles ganz einfach. Die Behörden von Lüttich und von Limburg stehen zueinander wie verfeindete Staaten. Da rührt keiner einen Finger für den anderen. Außerdem hält jeder die Fanatiker von der anderen Seite für die Schuldigen. Es war eine gute Idee, van der Bovenkant auf Französisch herumbrüllen zu lassen. Die flämischen Behörden sagen jetzt zu den Wallonen: Das ist eure Sache! Uns geht das nichts an. Außerdem heizt unser Freund Zwengel die Stimmung an, indem er einige alte Skandale aus der Wallonie wieder hochkochen lässt.«

»Gut so! Mit dem Zeug dort«, Sedersen wies mit dem Kinn auf die beiden Container, »können wir ein paar hundert Leute ausrüsten. Diese Männer kommen allerdings nicht unter Zwengels Kommando.«

»Das wird ihm nicht schmecken«, wandte Rechmann ein.

Sedersen zuckte mit den Achseln. »Das ist mir egal. Ich benötige eine gewisse militärische Macht als Faustpfand, denn es geht um sehr viel. Glauben Sie, ich würde die nationalen Kreise hier unterstützen, um hinterher mit einem warmen Händedruck abgespeist zu werden?«

»Das kann Zwengel nicht riskieren! Sie sind dafür zu tief in seine Pläne eingeweiht, Chef.«

»Und könnte deswegen schnell tot sein. Nein, Rechmann, das riskiere ich nicht. Sorgen Sie dafür, dass wir eine eigene Armee aufstellen können, und rekrutieren Sie vor allem Deutsche. Da die Behörden in der Heimat nach dem Theater in Suhl schärfer gegen die freien Kameradschaften vorgehen, müssten Sie genug Männer anwerben können.«

»Mannschaftsränge bekomme ich auf jeden Fall zusammen. Allerdings fehlen uns dann die militärischen Führungskräfte. Zwengel lässt die seinen in Breda ausbilden, da er aus der belgischen Armee nicht genug Nachwuchs rekrutieren kann.«

Sedersen tat diesen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Ein paar der Kerle werden sich doch wohl als Offiziere eignen. Ich verlasse mich ganz auf Sie. Und jetzt sehen wir uns erst einmal an, was uns die Deutsche Bundeswehr geschenkt hat.«

Er trat auf den ersten Container zu. Lutz Dunker, der mit seinen Kumpanen den Kern der Freischärlertruppe bildete, die Sedersen aufbauen wollte, zwickte die Verplombung ab und befahl seinen Männern, die Schrauben zu lösen, mit denen die Türe versperrt war.

Kurz darauf konnte Dunker den Container öffnen. Dieser war mit Holzkisten gefüllt, die eine neutrale Aufschrift trugen. Zusammen mit Rechmann holte Dunker eine der Kisten heraus, stellte sie auf den Boden und stemmte den Deckel mit einem Brecheisen auf.

Sedersen beugte sich gespannt vor, um zu sehen, was sich in der Kiste befand. Als Rechmann eine Abdeckung aus Pappe entfernt hatte, kamen acht Sturmgewehre zum Vorschein. Sie waren nicht gerade neu, aber gut gepflegt. Sedersen nahm eines davon heraus und musterte es mit einem Gefühl der Überlegenheit. Seinem SG21, das er in einem Tresor im Keller untergebracht hatte, konnten diese Waffen niemals das Wasser reichen. Hier in Belgien aber würden die Gewehre gute Dienste leisten.

Mit einem zufriedenen Nicken reichte er Rechmann die Waffe. »Ausgezeichnet! Damit sind wir eine ernst zu nehmende Macht im Kampf um Flandern.«

»Die paar Gewehre wären dafür zu wenig. Aber wenn die Ausbeute so bleibt, können wir mit dem Inhalt dieser beiden Container eine kleine Armee aufstellen. Doch was machen wir mit Zwengel? Er wird die Waffen für seine Vlaams Macht haben wollen.«

»Wenn er Zicken macht, schicke ihn zu mir. Ich werde ihm erklären, dass ich die Waffen für meine Leibwache brauche.« Sedersen streichelte die offene Kiste und schritt auf den Ausgang der Halle zu.

Vor dem Tor drehte er sich noch einmal um. »Sie haben erzählt, dass Sie die Container auch diesmal durch andere ersetzt haben. Aber wird das die Bundeswehr nicht merken? Immerhin habt ihr drei ihrer Leute erschossen.«

»Ich glaube nicht, dass die Bundeswehr da noch was machen kann. Die dortigen Drahtzieher müssten zugeben, dass sie heimlich Waffen verschieben, und das käme in der Öffentlichkeit sehr schlecht an. Die Opposition würde toben, und die Zeitungen würden die Nachricht ausschlachten. Da müssten einige Minister gehen.«

»Und wenn doch? Was habt ihr in den falschen Containern verpackt? Wieder Eisenschrott wie beim letzten Mal?«

»In dem einen steckt Müll, den eine Firma, die zu unserer Gruppe gehört, illegal entsorgen wollte, und in dem anderen Friedmund Themels Wagen samt ihm selbst im Kofferraum.«

»Sind Sie übergeschnappt?«, rief Sedersen erschrocken. »Wenn das herauskommt …«

»Weiß immer noch keiner, wer den alten Bock auf dem Gewissen hat. Selbst wenn Ihre DNA-Spuren in dem Auto zu finden sind, wäre das nicht von Bedeutung. Sie waren ein enger Freund von ihm und sind öfters in seinem Wagen mitgefahren. « Rechmann begann zu lachen, als hätte er einen lustigen Witz erzählt.

Auch Sedersen bog ein wenig die Lippen. Der Mann hatte recht. Niemand würde ihm etwas nachweisen können. Kurz stellte er sich den Trottel vor, der als Erster den Container öffnen und nachsehen würde, was drinnen war. Dabei atmete er tief durch und ging wieder auf Rechmann zu.

»Also gut, vergessen wir die Sache! Wir haben genug anderes zu tun. Ihr Französisch sprechender Flame bringt mich auf eine Idee. Wir könnten jetzt ein paar tote Flamen brauchen, natürlich mit einem überlebenden Zeugen, der aussagen kann, dass die bösen Wallonen hinter diesen Morden stecken.«

»Bis jetzt hat Zwengel die Anschläge organisiert. Er wird toben, wenn wir ihm in die Suppe spucken«, wandte Rechmann ein.

»Er wird es sich gefallen lassen müssen! Sie müssen nur auf diesen einen Flamen, diesen …«

»Van der Bovenkant«, half Rechmann seinem Anführer aus.

»Genau! Den müssen wir im Auge behalten. Am besten stecken Sie ihn zu unseren Jungs. Ich muss jetzt gehen, denn ich habe ein Gespräch mit wichtigen flämischen Wirtschaftsbossen. Einige davon wollen sich gegen Zwengel stellen, weil ihnen seine Pläne nicht passen, Teile der Wallonie zu kassieren, nur weil dort zu Adam und Evas Zeiten Flämisch gesprochen wurde.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er auf Waals-Brabant verzichten wird, zumal die meisten der dort lebenden Wallonen Nachnamen tragen, die auf eine flämische Herkunft schließen lassen.«

Sedersen legte Rechmann den Arm um die Schulter. »Der Kampf um die derzeit französischsprachigen Gebiete auf flandrischem Boden bringt uns rein gar nichts ein, außer neuen Feinden. Es besteht sogar die Gefahr, dass sich Frankreich zu Gunsten der Wallonen einmischt, und das will ich keinesfalls riskieren. Ich würde sogar auf Brüssel und den Landstreifen von Vlaams-Brabant verzichten, der die belgische Hauptstadt von der Wallonie trennt, wenn wir dafür den Rest von Flandern als Freistaat bekommen. Zwengel und seine Leute haben jedoch nur ihre idiotischen Träume im Sinn und vergessen darüber die jahrzehntelang geschaffenen Tatsachen. Meine Freunde und ich werden seinen Einfluss schon zu bremsen wissen. Aber vorerst brauchen wir ihn noch als nützlichen Idioten, der alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.«

Es gab Stunden, in denen Rechmann mit Sedersens kalter Logik haderte. Sein Anführer hatte Zwengel gegenüber so getan, als stünde er voll und ganz auf dessen Seite. Gleichzeitig arbeitete er bereits daran, den Flamenführer zu entmachten. Er hingegen nahm die Prinzipien ihrer Bewegung ernst. Die Wallonen hatten die Flamen viele Jahre lang unterdrückt und die Sprachgrenze weit nach Norden in deren Gebiet verschoben. Es war daher das Recht der Flamen, dieses Land für sich zu fordern. Rechmann wäre bereit gewesen, dabei mitzuhelfen, aber Sedersens Argumente brachten ihn davon ab. Es war unsinnig, das Erreichbare durch übertriebene Forderungen zu riskieren. Außerdem gehörte seine Treue Sedersen und nicht Zwengel.

Daher atmete er tief durch und nickte. »Ich verstehe, Chef. Wir werden die Sache schon so hinbiegen, wie wir es brauchen. «

»Dann ist es gut. Kümmern Sie sich um meinen Auftrag. Aber es darf kein Wort Deutsch oder Flämisch gesprochen werden, verstanden?«

»Aber wird es nicht auffallen, wenn nur einer Französisch brabbelt und die anderen den Mund halten?«, wagte Rechmann einzuwenden.

»Dann sorge dafür, dass zwei oder drei Männer ein paar französische Ausdrücke lernen, und zwar so, dass es halbwegs echt klingt. Da die Flamen selbst kaum Französisch sprechen, dürften sie nicht merken, dass die Unseren keine echten Wallonen sind.«

Sedersen klopfte Rechmann noch einmal auf die Schulter und verließ dann endgültig die Halle. Auf dem Weg zu seinem Auto dachte er daran, dass er diesen Topf, wie er Belgien nannte, noch einmal richtig anheizen musste, denn seine Ernte würde er erst dann einfahren können, wenn der Staat auseinandergebrochen war.

Die geheime Waffe
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