ACHTZEHN
Kaum war das Essen beendet, wies Torsten seine Begleiterin an, die Reste abzuräumen. Er holte seinen Laptop aus dem Schrank, stöpselte das Telefon ab und steckte das Modem, das zu seiner Ausrüstung gehörte, in die Buchse. Als Henriette zurückkam, gluckste sie vergnügt vor sich hin.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Torsten.
»Ich bin eben Frau Leclerc über den Weg gelaufen. Der sind schier die Augen übergegangen, als sie die vielen leeren Schachteln gesehen hat. Sie sagte, Männer könnten manchmal recht dumm sein und meine Beschwerden kämen gewiss nicht von Regelblutungen. Sie habe dabei nie einen Bissen über die Lippen gebracht, versicherte sie mir und ist nun überzeugt, dass es für meinen Hunger nur eine einzige Erklärung gäbe.«
»Und die wäre?«
»Sie meint, ich sei schwanger!«
»Äh?«
»Dasselbe habe ich auch gedacht. Aber Frau Leclerc wird dich für den Rest unseres Aufenthalts hier als werdenden Vater betrachten. Hoffentlich machst du dann auch ein glückliches Gesicht. Es würde unserer Tarnung auf jeden Fall den letzten Kick geben.«
»Verrat das aber nicht zu Hause, sonst fällt es Wagner noch ein, dich mit einem künstlichen Babybauch in den nächsten Auftrag zu schicken.«
Obwohl es von Torsten spöttisch gemeint war, hörte Henriette vor allem heraus, dass er ihr einen zweiten Auftrag zutraute. Das war für sie wertvoller als jedes Lob.
»Wenn es uns hilft, würde ich es machen«, sagte sie und kicherte, weil Torsten in dem Moment aussah, als hätte er Zahnschmerzen.
»Dann brauchen wir ein neues Heimatquartier. Was meinst du, wie unsere lieben Freunde in der Kaserne uns durch den Kakao ziehen würden.«
»Wenn Sie noch länger so dumm herumschwätzen, ziehe ich Sie durch den Kakao, Renk!«
Von Torsten unbemerkt hatte Petra die Verbindung durchgeschaltet, und Wagner, der hinter ihr stand, hatte die kurze Unterhaltung ebenfalls mitbekommen. Jetzt grinste der Major vom Bildschirm und zwinkerte Henriette zu. »Ich mag innovative Mitarbeiter, Leutnant, die für neue Ideen aufgeschlossen sind. Aber jetzt will ich wissen, was Sie beide herausgefunden haben.«
»Eine Menge Fotos, Herr Major. Bei dem altmodischen Telefonanschluss hier wird es aber ein wenig dauern, bis die bei Ihnen angekommen sind. In der Zwischenzeit erstatte ich Bericht.«
»Darauf bin ich gespannt. Schicken Sie Ihre Bilder und schießen Sie los!«
Nachdem Torsten die Übertragung gestartet hatte, begann er zu erzählen. Zuerst hörten Henriette und die beiden in Feldafing stumm zu, doch als er erzählte, er wäre als chinesischer Pizzabote verkleidet in das Hauptquartier der Freischärler eingedrungen, verschluckte Wagner sich fast vor unterdrücktem Lachen. »Das ist doch sicher einer Ihrer Witze, oder?«
»Das kein Witz, Hell Wagnel. Ich haben Essen in die Villa geblacht und mit den Hellschaften geledet.« Torsten imitierte sich dabei selbst in einer Weise, dass Petra und Henriette sich vor Lachen bogen.
Wagner bemühte sich, eine strenge Miene beizubehalten, doch die Mundwinkel zuckten verdächtig. »Auf so eine Idee können auch nur Sie kommen, Renk.«
»Diesen Scherz hätte ich nicht bei jedem gewagt. Aber diese Freischärler sind in ihrer Ideologie blind geworden für Selbstverständliches. «
»Auf alle Fälle hast du einige hochinteressante Fotos geschossen. Dieser Typ hier«, Petra gab einen Befehl ein, so dass Henriette und Torsten den hageren Deutschen auf dem Bild sehen konnten, »ist Lutz Dunker, der Anführer des Mobs, der für den Aufruhr in Suhl verantwortlich zeichnet.«
»Damit haben wir den Beweis, dass diese Sache von Sedersen gesteuert wurde. Er hat seine eigene Fabrik niederbrennen lassen, um alle Spuren zu verwischen.« Wagner ballte die Fäuste, wusste aber selbst, dass seine Vermutung nicht ausreichte, einen internationalen Haftbefehl gegen Sedersen zu erwirken.
Petra kicherte. »Der Kerl hat zwar alles getan, um seine Spuren zu verwischen, aber ein Fehler ist ihm doch unterlaufen. Er und seine Leute hätten Friedmund Themels Leiche niemals samt Auto in den Container stecken dürfen. Damit haben sie uns den entscheidenden Hinweis geliefert!«
»So leid es mir auch um den Mann und die anderen Toten tut, so bin ich doch froh um diese Spur. Ohne den Toten im Container wären wir weiterhin im Dunklen getappt, während Sedersen und seine Bande ungestört ihr Unwesen treiben könnten. Wenn Sie jetzt die Spur des SG21 bei ihm aufnehmen, dürften wir den Kerl endgültig am Wickel haben.« Das Letzte hatte Wagner eigentlich nur so vor sich hingesagt.
Torsten fasste es jedoch als Auftrag auf. »Wir werden sehen, was wir tun können, Herr Major. Ich bin jetzt mit meinem Bericht am Ende. Haben Sie noch etwas zu sagen, Leutnant?«
»Hier im Dienst heißt es du und Schatzi«, stichelte Henriette und zuckte dann bedauernd mit den Achseln.
»Für mich war dieser Tag eine Enttäuschung. Es sind nur drei Flugzeuge gelandet, eines ist gestartet. Ich habe mir ihre Kennnummern notiert und gebe sie Ihnen jetzt durch.« Sie nahm den Zettel und begann langsam und deutlich zu lesen.
Petra tippte die Bezeichnungen in ihren Computer ein und ließ mehrere Programme laufen. Danach meldete sie sich mit säuerlicher Miene. »Da ist kein Treffer dabei. All diese Maschinen sind ordnungsgemäß in ihren Heimatländern registriert und gehören Geschäftsleuten, die noch nicht in den Ruf gekommen sind, mit Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten. Ich werde aber weiter am Ball bleiben. Vielleicht hat der eine oder andere doch ein Skelett auf dem Speicher.«
»Suchen Sie danach, Frau Waitl, und wenn Sie sämtliche Datenschutzgesetze der Welt brechen müssten. Das Letzte habe ich nicht gesagt, verstanden?« Wagner wirkte nervös, denn er wusste, dass seine Leute sich bei ihrer Arbeit oft genug am Rande der Legalität entlanghangeln mussten.
»Können wir nicht die hiesige Polizei oder die belgische Armee dazu bringen einzugreifen?«, fragte Torsten. »Für mein Gefühl muss diese Eiterbeule so rasch wie möglich aufgeschnitten werden. Die haben Größeres vor. Dessen bin ich mir sicher!«
»Haben Sie einen Anhaltspunkt? Natürlich nicht! Und ich ebenso wenig.« Wagner sah für Augenblicke alt und erschöpft aus. Seit Wochen musste er seinen Vorgesetzten Rede und Antwort stehen und hatte ihnen bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt liefern können.
»Renk, von Tarow, das Schicksal unserer Truppe steht auf dem Spiel. Oben heißt es bereits, dass man uns besser wieder in den normalen Dienstbetrieb eingliedern sollte. Dann sind solche Aktionen wie jetzt für Sie passé. Stattdessen dürfen Sie ein halbes Jahr Kindermädchen bei Auslandseinsätzen spielen und haben dann sechs Wochen Urlaub, bevor Sie sich irgendwo auf einem Stützpunkt in Arizona oder Utah die Beine in den Leib stehen, weil Sie einem General oder Oberst als Leibwächter zugeteilt worden sind. Wollen Sie das?«
»Kein Bedarf!« Torsten verzog das Gesicht.
»Das habe ich mir gedacht. Doch wenn Sie das verhindern wollen, müssen Sie mir Sedersens Kopf bringen, und zwar so, dass der Rest von ihm noch dranhängt und wir ihn befragen können.«
»Keine Sorge, Herr Major. Den kriegen wir!«
»He, Torsten! Ich habe hier gerade die Fotos von den Leuten im Auto. Der Große, der aussieht wie ein Bär mit Babygesicht, ist Sedersens Handlanger Igor Rechmann, und der Dünne ist Karl Jasten. Die Bahnangestellten, die mit unserem Transport zu tun hatten, haben einen dürren Kerl mit einem Allerweltsgesicht erwähnt. Wir werden den Zeugen die Fotos vorlegen. Vielleicht haben wir jetzt die zweite und entscheidende Spur der vertauschten Container.«
»Schön wär’s!« Torsten stellte fest, dass der Datentransfer mittlerweile abgeschlossen war, und verabschiedete sich von Petra und Wagner. Danach baute er die Anlage ab und steckte das Telefon wieder ein. Er konnte gerade noch seinen Laptop verstauen, da klingelte es auch bereits.
Seufzend hob er ab. »Ja, bitte?«
»Ich bin es«, antwortete eine Stimme, die er als die von Frau Leclerc identifizierte. »Ihrer Braut geht es jetzt doch ein wenig besser, und da habe ich mir gedacht, wir könnten heute Abend vielleicht zusammen im Garten grillen!«
»Danke, das ist sehr nett von Ihnen!«, antwortete Torsten und hätte die kontaktfreudige Frau am liebsten erwürgt.