ZEHN
Geerd Sedersen blickte zufrieden in die Runde. An diesem Ort ging es zwar nicht so feudal zu wie im Turmzimmer der alten Villa, doch die hier versammelten Männer waren für seine weitere Zukunft wichtiger als der Verein der Tattergreise, den er nun hinter sich gelassen hatte. Direkt neben ihm saß Igor Rechmann wie ein großer Bär mit einem viel zu freundlichen, säuglingshaft wirkenden Gesicht. Der Nächste war Caj Kaffenberger, der den trauernden Witwer mimte, insgeheim aber die Millionen zählte, die ihm jener Meisterschuss erspart hatte.
Wichtiger als Kaffenberger war für Sedersen der schlanke Mann mit dem schmalen Gesicht und den weißblonden Haaren zu seiner Linken. Frans Zwengel bedeutete für ihn die Zukunft. Dieser war nicht nur sein Geschäftspartner in Flandern und Mitglied des flämischen Abgeordnetenhauses, sondern auch der Anführer der Geheimorganisation Vlaams Macht, die die Unruhen in Belgien mit allen Mitteln schürte. Der letzte Mann in ihrer Runde war Karl Jasten, den Sedersen nun ebenfalls in seinen inneren Kreis aufgenommen hatte.
Zu Beginn redeten die Männer über die letzten Spiele der Bundesliga, kamen dann aber rasch auf die Unruhen in Suhl zu sprechen.
Zwengel lachte anerkennend. »Ich hätte nie geglaubt, dass ihr Deutschen solch eine durchschlagende Aktion zustande bringt!«
»Die Aktion hat das gewünschte Aufsehen erregt, doch inzwischen ist die Polizei hinter vielen unserer Freunde her und hat auch schon einige gefasst. Wenn einer von denen erwähnt, dass ich bei mehreren Treffen dabei gewesen bin …« Kaffenberger ließ den Rest ungesagt. Sein Unbehagen bei dem Gedanken an die Folgen sah man ihm jedoch an.
»Ich glaube kaum, dass jemand Sie denunzieren wird«, versuchte Rechmann Kaffenberger zu beruhigen.
»Aber wenn doch?«, jammerte dieser.
»… ist es eine verdammte Lüge, gegen die du dich mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen wirst!«, gab Sedersen leicht amüsiert zurück. »Solange du nicht verrückt genug warst, dich mit der Hakenkreuzfahne in der Hand fotografieren zu lassen, kann dir keiner an den Karren fahren.«
Er warf Kaffenberger einen warnenden Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit auf Zwengel. »In Belgien ist es jetzt fast schon zwei Wochen ruhig gewesen. Geht deinen Leuten etwa die Puste aus?«
Der Flame winkte lachend ab. »Ganz im Gegenteil! Wir bereiten uns auf den nächsten Schlag vor. Die flämischen Fäuste werden bald wieder tanzen, und zwar diesmal in Sint-Pieters-Leeuw. «
Auch Sedersen schmunzelte bei der Anspielung auf die Gruppierung Vlaams Vuist, in der sich rechtsradikale Schläger, Fußballhooligans und übermütige junge Burschen zusammengefunden hatten, die einfach nur Radau machen wollten.
Zwengel grinste. »Wir bringen die Wallonen schon dazu, in die Trennung einzuwilligen, und zwar zu unseren Bedingungen. Brüssel und Brabant waren früher flämisch und sollen es wieder sein.«
»Das wird nicht leicht werden.« Sedersen waren die national-ideologischen Vorstellungen des Flamen fremd, und es interessierte ihn nicht, ob diese oder jene Gemeinde zu Flandern zählen sollte, nur weil dort vor zweihundert Jahren Flämisch gesprochen worden war.
»Wir können bereits Erfolge verzeichnen«, erklärte der Flame stolz. »Etliche der Fremden, die sich in den südlichen Gemeinden von Vlaams-Brabant eingenistet hatten, sind inzwischen weggezogen. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass in keiner staatlichen Schule in ganz Flandern Unterricht in Französisch abgehalten werden darf.«
Kaffenberger und Jasten starrten Zwengel irritiert an, denn sie begriffen den Sinn dieser Aktion nicht. Sedersen hingegen schüttelte den Kopf. An Zwengels Stelle hätte er auf die paar Gemeinden von Vlaams-Brabant verzichtet, welche mittlerweile überwiegend von Menschen mit französischer Muttersprache bewohnt wurden. Er selbst würde aus dem rein flämischsprachigen Gebiet einen neuen, modernen Staat formen, in dem er nicht nur zum größten Wirtschaftsmagnaten aufsteigen, sondern auch bestimmenden Einfluss auf die Regierung ausüben konnte. Doch solange Belgien nicht auseinandergebrochen war, musste er sich mit Männern wie Zwengel abgeben, wenn er seine Pläne verwirklichen wollte. Während der Flame von weiteren Erfolgen seiner Schlägertrupps berichtete, dachte Sedersen an seine Wunderwaffe und an die gut fünfzig Patronen, die er noch besaß. Eine davon reservierte er im Geiste für seinen belgischen Gast. Fanatiker dieser Art waren zu gefährlich, um sie auf Dauer unter Kontrolle halten zu können.
Allerdings würde er noch mehr achtgeben müssen als bisher. Obwohl er einige Gruppen am rechten Rand mit Geld unterstützte, hatte er sich, von ganz frühen Tagen abgesehen, strikt von diesen Leuten ferngehalten. Das war nun von Vorteil, denn so war es ihm möglich, in Zukunft eine wichtige Rolle in der neuen Republik Flandern einzunehmen. Vorher aber musste er alles beseitigen, das ihn belasten konnte. Dazu zählten auch die drei Greise, die von den Hütern der Gerechtigkeit noch übrig waren.
»Sie hören mir ja gar nicht zu, Herr Sedersen«, beschwerte sich der Flame, dessen Phantasie sich inzwischen zu einem großflämischen Reich einschließlich des Südens der Niederlande verstiegen hatte.
Sedersen hob den Kopf und blickte Zwengel lächelnd an. »Ich höre Ihnen sehr genau zu! Allerdings bin ich ein Mann, der einen Schritt nach dem anderen macht. In meinen Augen ist es nicht gut, zu viel auf einmal zu wollen.«
»Wenn wir zu zaghaft vorgehen, vergeben wir unsere Chancen. Nur wenn wir rasch und fest zugreifen, haben wir auch Erfolg!«
Der Flame machte keinen Hehl daraus, dass er Sedersen für einen Zauderer hielt. Sich selbst sah er bereits als Staatschef eines starken Flanderns, das, wenn es sich des wallonischen Ballasts entledigt hatte, endlich eine gewichtige Stellung in der europäischen Politik einnehmen würde. Für ihn war Sedersen nur ein Juniorpartner, der ihm half, seinen Einfluss in der flämischen Wirtschaft auszubauen, und ihm überdies Waffen für seine Geheimarmee verschaffte, die er als Kern des neu zu bildenden flämischen Heeres ansah. Dieser Waffen wegen hatte er die Fahrt nach Köln unternommen.
»Wie sieht es mit der nächsten Lieferung aus? Nachdem Rechmann uns letztens einen Haufen Söldner aus den Reihen seiner deutschen Gesinnungsfreunde verschafft hat, brauchen wir neue Gewehre und genügend Munition. Auch wären Waffen wie Granatwerfer, Panzer- und Flugabwehrraketen nicht schlecht. Noch sind wir den Wallonen unterlegen, denn die stellen den größten Teil des belgischen Heeres.«
Sedersen spottete innerlich über den Mann, der nicht begriff, dass gerade der wirtschaftliche Aufschwung Flanderns dazu geführt hatte, dass kaum noch junge Flamen in die Armee eintraten. Es gab genug Möglichkeiten, mehr Geld zu verdienen als den Sold, den der belgische Staat noch zu zahlen in der Lage war. Für viele Männer aus den von Arbeitslosigkeit heimgesuchten Gegenden der Wallonie aber war der Dienst an der Waffe oft die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Einkommen zu beziehen. Gerade aus diesem Grund war es notwendig, eine funktionierende flämische Armee aufzubauen.
»Die nächste Lieferung wird bald kommen«, erklärte Sedersen und warf einen kurzen Seitenblick auf Rechmann. »Wie weit sind die Vorbereitungen gediehen?«
»Es soll noch in dieser Woche losgehen. Allerdings werden wir die Sachen nicht so leicht umleiten können wie beim letzten Mal. Ich habe läuten hören, dass die jetzigen Besitzer die Ladung selbst lückenlos bewachen wollen. Also werden wir ein gutes Dutzend Leute brauchen. Die sollten allerdings gut Deutsch sprechen, damit ich mich mit ihnen verständigen kann.«
»Das ist kein Problem. Ich habe genug Männer in meinen Reihen, die Deutsch können«, erklärte Zwengel.
»Das erste Etappenziel der Ladung ist Antwerpen, aber wir werden sie vorher kassieren müssen. Dazu benötigen wir unter anderem ein paar Männer, die fließend Französisch sprechen können. Haben Sie auch solche in Ihrer Mannschaft?« Rechmann lehnte sich grinsend zurück.
Der Flame wirkte zunächst verwirrt, begriff dann aber, was der andere wollte, und rieb sich feixend die Hände. »Sie wollen die Sache den Wallonen in die Schuhe schieben. Das wäre ein Spaß!«
»Also sind wir uns einig. Wenn der Chef nichts dagegen hat, wird Karl den Zug begleiten und überwachen. Wir schlagen, wenn es möglich ist, mitten in Belgien zu, nämlich dort, wo es uns und unseren flämischen Verbündeten optimal in die Hände spielt. Wie sieht es mit Sprengstoff aus? Ich bräuchte einige Kilo.«
»Wollen Sie den Zug in die Luft sprengen?«, fragte Sedersen verblüfft.
Rechmann nickte lächelnd. »Sie haben es erfasst. Da es sich diesmal nicht auf die heimliche Art machen lässt, müssen wir auf andere Weise vorgehen. Das dürfte Ihnen doch recht sein. Oder gibt es Einwände?«
»Tun Sie, was notwendig ist. Hauptsache, wir kommen an den Inhalt der Container. Inzwischen werde ich alles für unsere Umsiedlung nach Flandern vorbereiten. Ich will vor Ort sein, um meine Beziehungen weiter auszubauen und rasch handeln zu können.« … außerdem muss ich mit dem Supergewehr aus Deutschland verschwinden, bevor irgendjemand Verdacht schöpft, setzte Sedersen in Gedanken hinzu. Die bisherigen Morde hatten die Behörden mittlerweile aufgescheucht.