ACHT

Ein Geräusch an der Tür ließ die beiden Eindringlinge aufhorchen. Jemand steckte den Schlüssel ins Schloss und sperrte auf. Gleich darauf schwang die Tür auf, und ein mittelgroßer, hagerer Mann trat ein.

»Linda, ich bin wieder da!«, rief er. »Du kannst das Abendessen in einer halben Stunde auf den Tisch stellen. Ich gehe inzwischen in mein Büro.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete Mirko Gans die Bürotür und sah sich Jasten gegenüber, der ihn spöttisch angrinste. Bevor Gans etwas sagen konnte, trat Rechmann aus der Küche und packte ihn. Innerhalb kürzester Zeit lag Gans geknebelt und verschnürt am Boden und starrte ängstlich zu den beiden Männern hoch.

Rechmann kniete neben ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Brust. »Hören Sie, Gans! Ich hab nichts gegen Sie, sondern mache hier bloß meinen Job. Wenn Sie kooperieren, passiert Ihnen nichts. Es könnte sich sogar für Sie lohnen. Mein Auftraggeber ist nicht kleinlich.«

Zu Rechmanns Erleichterung schluckte Gans den Köder, denn er nickte und versuchte trotz des Klebebands auf dem Mund etwas zu sagen.

»Ich nehme Ihnen jetzt das Ding ab, damit wir uns wie anständige Menschen unterhalten können. Aber in dem Moment, in dem Sie Zicken machen, klebe ich Ihnen den Mund wieder zu.« Nach dieser Drohung zog Rechmann das Isolierband ab.

Mirko Gans schnappte nach Luft, bevor er zu sprechen begann. »Sie sind hinter dem SG21 her, stimmt’s?«

»So könnte man es sagen«, antwortete Rechmann freundlich.

»Ich habe die Pläne nachgezeichnet. Ihre Ingenieure müssten damit klarkommen und das Gewehr nachbauen können. Aber ohne mich kommen Sie nicht ran.« Trotz der bedrohlichen Lage, in der er sich befand, versuchte der Ingenieur, Geld herauszuschlagen. Zwar hatte er die Detailpläne des Spezialgewehrs nur sehen, aber nicht kopieren dürfen. Doch diejenigen, die diese Waffe in der kleinen Fabrik fertigen ließen, hatten nicht mit seinem photographischen Gedächtnis gerechnet. Er hatte jede Einzelheit im Kopf behalten und zu Hause nachzeichnen können. Diese Pläne waren sein Kapital, und aus diesem Grund betrachtete Mirko Gans die beiden Eindringlinge eher als mögliche Geschäftspartner denn als simple Verbrecher.

Rechmann verstärkte diesen Glauben mit einigen Bemerkungen und brachte den Ingenieur dazu, mehr zu erzählen, als dieser eigentlich wollte. »Auf die Idee hat mich der Besitzer der Waffenfabrik gebracht. Er heißt Sedersen und ist ein recht großes Tier in der Wirtschaft. Er wollte unbedingt eine Kopie des Spezialgewehrs 21 haben und hat mich mit Drohungen dazu gebracht, es für ihn zu kopieren!«

Gans verdrängte dabei die Tatsache, dass die Drohungen aus mehreren dicken Bündeln Geldscheinen bestanden hatten. Das Geld hatte es ihm ermöglicht, diese Wohnung zu kaufen und einzurichten. Aber die Summe, die er bekommen hatte, war in seinen Augen noch lange kein ausreichender Gegenwert für den Stress, den die Angelegenheit ihm eingebracht hatte. Irgendetwas musste die Bundeswehr auf den Nachbau aufmerksam gemacht haben, denn in den letzten Tagen waren immer wieder Spezialisten eines Sonderkommandos in der Fabrik aufgetaucht und hatten alles auseinandergenommen und durchsucht. Er selbst hatte die Verhöre nur mit Mühe überstanden. Dabei hatte er verdammt viel Glück, den die Schnüffler hielten die Vorsichtsmaßnahmen, die bei der Fertigung des Prototyps der Waffe getroffen worden waren, für ausreichend und hatten ihn daher ohne direkten Verdacht befragt. Doch ein weiteres Mal, das ahnte Gans, würde er so ein Verhör nicht durchstehen.

»Vielleicht ist es ganz gut, dass wir miteinander sprechen können«, sagte er daher zu Rechmann. »Ihr könnt die Pläne für das Gewehr und die dazugehörige Munition haben. Aber das hat natürlich seinen Preis.«

»Ich glaube, wir dürften uns einig werden!«

Rechmanns beinahe freundschaftlicher Ton ließ Gans aufatmen. »Ich möchte von hier fort, versteht ihr? Allmählich wird mir der Boden zu heiß. Aber dafür brauche ich Geld.«

»Unser Auftraggeber ist nicht kleinlich. Du bekommst so viel, dass du dir den Rest deines Lebens keine Sorgen mehr zu machen brauchst. Dafür musst du nur mit uns zusammenarbeiten! « Das maliziöse Grinsen Rechmanns konnte Gans nicht sehen.

»Ich arbeite mit euch zusammen! Also macht endlich die Fesseln ab. Sie schneiden so ein. Außerdem – wo ist meine Schwester?« Gans schämte sich ein wenig, weil er erst jetzt an Linda dachte, rechtfertigte es aber in Gedanken sogleich mit dem Schock, den er nach seiner Ankunft erlitten hatte.

»Die haben wir in einem der Schlafzimmer auf einen Stuhl gefesselt. Es wäre doch nicht in deinem Sinn gewesen, wenn sie die Nachbarn zusammenschreit.«

Rechmann gab Jasten die Anweisung, die Kabelbinder, mit denen Gans gefesselt war, durchzuzwicken. »Pack sie ein und nimm sie später mit. Nichts darf in der Wohnung zurückbleiben. «

Jasten gingen diese ewigen Mahnungen mittlerweile gewaltig auf die Nerven. Außerdem begriff er nicht, worauf Rechmann hinauswollte. Spielte der Mann sein eigenes Spiel, um die Pläne des Gewehres selbst verkaufen zu können?

Unterdessen unterhielt Rechmann sich scheinbar angeregt mit dem Ingenieur. »Wie sieht es jetzt in der Fabrik aus? Wird noch gearbeitet?«

Der Ingenieur schüttelte den Kopf. »Nein, um siebzehn Uhr ist Feierabend. Derzeit fertigen wir in einer Halle Pistolen in Lizenz für irgendwelche ausländische Kunden und in der anderen die Munition für das SG21. Wir haben nicht so viel zu tun, dass wir Überstunden oder gar Schichtbetrieb machen müssten.«

»Was ist mit der Munition? Wird die bei euch gelagert, oder geht die sofort an die Bundesheinis?«

»Wir fertigen derzeit zehn Stück pro Tag. Die werden einmal pro Woche abgeholt. Wieso wollen Sie das eigentlich alles wissen? Ach so! Sie wollen Ihrem Auftraggeber ein paar Geschosse mitbringen. Aber das können Sie sich aus dem Kopf schlagen. Die Fabrik wird so scharf bewacht, dass selbst ich keine einzige Patrone hinausschmuggeln kann.«

»Wer bewacht die Fabrik?«, fragte Rechmann weiter.

»Zwei Mann von Sedersens Werkschutz und vier Männer von der Bundeswehr.«

»Sind die Leute die ganze Nacht dort?«, fragte Rechmann.

»Ja! Das heißt, nicht dieselben. Um Mitternacht werden sie abgelöst.«

»Um Mitternacht also!« Rechmann blickte auf die Uhr und grinste Jasten an. »Da werden wir noch ein wenig hierbleiben müssen.«

»Ich muss auch, und zwar zur Toilette.«

»Mach’s im Sitzen und spül zweimal nach.«

»Ich weiß, sonst bleiben Spuren übrig!«, fauchte Jasten und schluckte seine Wut hinunter.

Unterdessen sagte Rechmann sich, dass es auffallen würde, wenn es in der Wohnung absolut still war, und schaltete den Fernseher ein. Ein aufgeregter Reporter stand neben einem Übertragungswagen und sprach hastig in sein Mikrophon, während im Hintergrund junge Burschen mit Stangen und Baseballschlägern auf geparkte Autos und Schaufensterscheiben einschlugen.

»… weiß niemand, wie das passieren konnte. Nach einigen Verhaftungen im Frühjahr und Sommer hat es so ausgesehen, als wären die Rechtsradikalen in Deutschland im Untergrund verschwunden. Heute aber zeigt es sich, dass sie ihre Kräfte neu gesammelt haben, um heftiger denn je wieder losschlagen zu können. Die Organisation dieses Aufmarsches muss unter strengster Geheimhaltung geschehen sein, denn die Polizei wurde ihren eigenen Angaben zufolge vollkommen überrascht. Es müssen etliche hundert, wenn nicht gar tausend Randalierer sein, die die Innenstadt von Suhl förmlich zerlegen. Ein Kollege sagte vorhin, es würden bereits die ersten Autos angezündet. Die hiesigen Polizeikräfte versuchen nicht einmal mehr, der Horde Herr zu werden, sondern haben sich zurückgezogen und warten auf Verstärkung. Das hier sind Verhältnisse wie in Belgien, meine Damen und Herren. Viele Bewohner der Innenstadt flüchten in Panik, andere verschanzen sich in ihren Häusern. Es ist die Hölle! Wir werden diesen Standort gleich räumen müssen, da die Schlägertrupps in unsere Richtung unterwegs sind. Wir …«

Der Reporter brach ab, als ein Mann des Fernsehteams ihm auf die Schulter tippte. »Los, rein in den Wagen! Sonst kannst du zu Fuß gehen!«

Der Sender schaltete ins Nachrichtenstudio zurück, und eine junge Frau las den Text von einem Blatt ab, den ihr jemand reichte. »Der Innenminister von Thüringen hat vorhin am Telefon erklärt, dass …«

Rechmann schaltete den Ton ab und drehte sich zu Jasten um, der von der Toilette zurückkam. »Dunkers Jungs machen einen ganz schönen Wirbel. Das hätte ich ihnen gar nicht zugetraut. « Danach schaltete er auf einen anderen Sender um, auf dem irgendein Drittligafußballspiel übertragen wurde.

»Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?«, fragte Gans, den die Gelassenheit der beiden Männer nervös machte.

Rechmann schüttelte den Kopf. »Das ist sehr aufmerksam von dir, aber wir trinken nichts.«

»Darf ich mir ein Glas einschenken?« Gans wagte erst aufzustehen, nachdem Rechmann es ihm erlaubt hatte. Als er sich ein Wasserglas voll Wodka einschüttete, zitterten seine Finger, und er verschüttete etwas von der Flüssigkeit auf den Boden.

»Schade um den guten Schnaps«, spottete Rechmann und wandte sich dann wieder den drittklassigen Fußballspielern zu.

Die geheime Waffe
cover.html
e9783641072001_cov01.html
e9783641072001_toc01.html
e9783641072001_p01.html
e9783641072001_c01.html
e9783641072001_c02.html
e9783641072001_c03.html
e9783641072001_c04.html
e9783641072001_c05.html
e9783641072001_c06.html
e9783641072001_c07.html
e9783641072001_c08.html
e9783641072001_c09.html
e9783641072001_c10.html
e9783641072001_c11.html
e9783641072001_c12.html
e9783641072001_c13.html
e9783641072001_c14.html
e9783641072001_c15.html
e9783641072001_c16.html
e9783641072001_c17.html
e9783641072001_p02.html
e9783641072001_c18.html
e9783641072001_c19.html
e9783641072001_c20.html
e9783641072001_c21.html
e9783641072001_c22.html
e9783641072001_c23.html
e9783641072001_c24.html
e9783641072001_c25.html
e9783641072001_c26.html
e9783641072001_c27.html
e9783641072001_c28.html
e9783641072001_c29.html
e9783641072001_c30.html
e9783641072001_c31.html
e9783641072001_c32.html
e9783641072001_c33.html
e9783641072001_c34.html
e9783641072001_c35.html
e9783641072001_c36.html
e9783641072001_p03.html
e9783641072001_c37.html
e9783641072001_c38.html
e9783641072001_c39.html
e9783641072001_c40.html
e9783641072001_c41.html
e9783641072001_c42.html
e9783641072001_c43.html
e9783641072001_c44.html
e9783641072001_c45.html
e9783641072001_c46.html
e9783641072001_c47.html
e9783641072001_c48.html
e9783641072001_c49.html
e9783641072001_c50.html
e9783641072001_c51.html
e9783641072001_c52.html
e9783641072001_c53.html
e9783641072001_c54.html
e9783641072001_c55.html
e9783641072001_c56.html
e9783641072001_p04.html
e9783641072001_c57.html
e9783641072001_c58.html
e9783641072001_c59.html
e9783641072001_c60.html
e9783641072001_c61.html
e9783641072001_c62.html
e9783641072001_c63.html
e9783641072001_c64.html
e9783641072001_c65.html
e9783641072001_c66.html
e9783641072001_c67.html
e9783641072001_c68.html
e9783641072001_c69.html
e9783641072001_c70.html
e9783641072001_c71.html
e9783641072001_c72.html
e9783641072001_c73.html
e9783641072001_c74.html
e9783641072001_c75.html
e9783641072001_c76.html
e9783641072001_c77.html
e9783641072001_p05.html
e9783641072001_c78.html
e9783641072001_c79.html
e9783641072001_c80.html
e9783641072001_c81.html
e9783641072001_c82.html
e9783641072001_c83.html
e9783641072001_c84.html
e9783641072001_c85.html
e9783641072001_c86.html
e9783641072001_c87.html
e9783641072001_c88.html
e9783641072001_c89.html
e9783641072001_c90.html
e9783641072001_c91.html
e9783641072001_c92.html
e9783641072001_c93.html
e9783641072001_c94.html
e9783641072001_c95.html
e9783641072001_c96.html
e9783641072001_c97.html
e9783641072001_c98.html
e9783641072001_p06.html
e9783641072001_c99.html
e9783641072001_c100.html
e9783641072001_c101.html
e9783641072001_c102.html
e9783641072001_c103.html
e9783641072001_c104.html
e9783641072001_c105.html
e9783641072001_c106.html
e9783641072001_c107.html
e9783641072001_c108.html
e9783641072001_c109.html
e9783641072001_c110.html
e9783641072001_c111.html
e9783641072001_c112.html
e9783641072001_c113.html
e9783641072001_c114.html
e9783641072001_c115.html
e9783641072001_c116.html
e9783641072001_c117.html
e9783641072001_c118.html
e9783641072001_c119.html
e9783641072001_c120.html
e9783641072001_c121.html
e9783641072001_c122.html
e9783641072001_c123.html
e9783641072001_c124.html
e9783641072001_c125.html
e9783641072001_c126.html
e9783641072001_c127.html
e9783641072001_c128.html
e9783641072001_c129.html
e9783641072001_p07.html
e9783641072001_c130.html
e9783641072001_c131.html
e9783641072001_c132.html
e9783641072001_c133.html
e9783641072001_c134.html
e9783641072001_c135.html
e9783641072001_c136.html
e9783641072001_c137.html
e9783641072001_c138.html
e9783641072001_c139.html
e9783641072001_c140.html
e9783641072001_c141.html
e9783641072001_c142.html
e9783641072001_cop01.html