ZEHN
Beim Anblick der Panzer und der anstürmenden Infanterie wusste Piet Eegendonk, dass seine Aktion auf Messers Schneide stand. Wenn es seinen Männern nicht gelang, unverzüglich Geiseln in ihre Hand zu bekommen, waren sie verloren.
Wütend schrie er nach unten, endlich den Zugang zu den Kellern aufzusprengen. Doch bevor das geschah, schlugen die ersten 120-Millimeter-Geschosse der Leopard-Panzer in jene Teile des Palastes ein, in denen der Feind seine Leute ausgemacht hatte. Der Lärm der Explosionen hallte durch das Gebäude, Männer schrien vor Angst oder Schmerz, und etliche verstummten für immer.
»Wie weit seid ihr mit dem Keller?«, brüllte Eegendonk vom ersten Stock aus hinunter. Als Antwort hörte er das scharfe Knattern von Maschinenpistolen. Wie es aussah, unternahmen die Verteidiger des Palasts einen erneuten Ausfall.
Besorgt stieg er ein paar Stufen hinab. »Verdammt, was ist los?«
Ein paar seiner Männer rannten die Treppe hoch. Die Gesichter waren grau. »Plötzlich wurden die Türen aufgerissen, und die Kerle haben aus allen Rohren gefeuert. Unten sind alle tot!«, meldete einer.
»Es ist vorbei!« Ein bitterer Geschmack machte sich im Mund des Niederländers breit. Die Aktion war ausgezeichnet geplant gewesen, und seine Männer hatten tapfer gekämpft. Aber die, die ihnen hätten zuarbeiten sollen, hatten versagt. Allen voran Zwengel, der behauptet hatte, notfalls Hunderttausende auf die Straßen bringen zu können, aber auch Sedersen, Rechmann und wie sie alle hießen.
»Wir hätten uns niemals mit diesen Zivilisten einlassen sollen«, sagte er. Doch da waren keine Männer mehr, die ihm zuhörten. Wer von seinem Trupp noch auf den Beinen war, suchte sein Heil in der Flucht. Schüsse fielen, und dann waren scharfe Kommandos zu hören, die darauf hindeuteten, dass sich etliche seiner Männer ergaben.
Mich kriegen sie nicht, fuhr es Eegendonk durch den Kopf. Dabei wusste er nur zu gut, dass er mehr Glück als Verstand brauchte, um heil hier herauszukommen. Da er im Erdgeschoss bereits die belgischen Soldaten hörte, zog er sich nach oben zurück und versteckte sich hinter einem bodenlangen Vorhang.
Er hatte Glück, denn die Soldaten sahen sich nur kurz in dem fast unmöblierten Saal um, entdeckten auf Anhieb nichts und eilten weiter, als von vorne der Ruf kam, dort seien noch Freischärler.
Eegendonk atmete kurz durch, wechselte sein fast leeres MP-Magazin gegen ein volles aus und schlich aus dem Raum. Abgesprengter Putz und Glasscherben knirschten unter seinen Sohlen. Wegen dieser Scherben konnte er die Schuhe nicht ausziehen und auf Strümpfen weiterschleichen, was er gerne getan hätte, da der Kampflärm bereits abflaute und das Geräusch seiner Schritte nicht mehr übertönen konnte. Vorsichtig stieg er die Treppe hinab und prallte im nächsten Moment wieder zurück, als er unten Soldaten sah.
Er hörte, wie unten jemand begrüßt wurde und Witze machte. Wie es aussah, fühlten sich die Feinde sicher. Ein Blick durch ein Flurfenster zeigte Eegendonk, dass der Palast vollständig umstellt war. Hier kam nicht einmal mehr eine Maus durch, geschweige denn ein Mann.
Für einen Augenblick schwankte er, ob er sich verstecken sollte oder noch einmal selbst angreifen, um so viele der Kerle wie möglich mit sich in die Hölle zu nehmen. Er hatte noch keinen Entschluss gefasst, als von unten eine ehrfurchtsvolle Stimme aufklang.
»Eure Majestät, ich melde, dass wir Schloss Laeken von den Banditen gesäubert und diese gefangen oder getötet haben!«
Da wusste Eegendonk, was zu tun war. Er nestelte seine Schnürsenkel auf, zog die Schuhe aus und stieg trotz der Scherben, die ihm in die Fußsohlen schnitten, vorsichtig die Treppe hinab. Jetzt kam es nur noch darauf an, nicht zu früh entdeckt zu werden.