ELF

Am ersten Tag zeigte Torsten Renk seiner neuen Kollegin mit mürrischer Miene alles, was sie auf dem Kasernengelände kennen musste, auf ihre Fragen aber antwortete er nur einsilbig. Punkt siebzehn Uhr machte er Feierabend und fuhr mit dem Bus in den Ort, um in einem Biergarten gegen seinen Frust anzukämpfen. Den Rest des Tages blieb Henriette sich selbst überlassen.

Nun zeigte sich, dass sie als Frau und angehende Geheimdienstlerin gewisse Vorteile genoss. Ein nicht unwesentlicher war ein Zimmer für sich allein, auch wenn es winzig war. Die spärliche Ausrüstung bestand aus einem schmalen Bett, einem Spind, einem Klapptisch und zwei Stühlen, es gab weder einen Fernseher noch ein Radiogerät. Henriette war jedoch zufrieden. In diesem Raum konnte sie ungestört ihren Gedanken nachhängen und telefonieren, ohne dass jemand mithörte.

Da sie versprochen hatte, sich so rasch wie möglich zu Hause zu melden, setzte sie sich auf die Bettkante und rief ihre Mutter an. Es kostete sie eine Viertelstunde, ihr zu erklären, dass es ihr gut gehe, das Essen im Casino erträglich sei und auch noch kein fremder Agent auf sie geschossen habe. Während des Gesprächs bedauerte Henriette nicht zum ersten Mal, dass sie ihren Wechsel zum MAD daheim nicht verschwiegen hatte.

Nachdem sie ihre Mutter mit dem Hinweis, das Ganze sei eher ein Schreibtischjob, so weit beruhigt hatte, dass diese den Hörer dem Vater überließ, atmete Henriette auf. Als ihr Vater sie jedoch nach ihrem Ausbilder fragte, geriet sie in die Bredouille. Was sollte sie über einen Mann sagen, der Orden sammelte wie andere Briefmarken, sich ihr gegenüber aber wie der größte Stoffel benahm?

Kurzentschlossen berichtete sie ihrem Vater, wie Renk sie durch die Dienststelle geführt und ihr alles gezeigt hatte, und wunderte sich selbst über das positive Bild, das sie von ihrem neuen Kollegen gezeichnet hatte.

Ihr Vater lachte. »Du brauchst mir nichts vorzumachen, Kleines. Ich kann mir vorstellen, dass ein Mann mit einer solchen Erfahrung wie Renk nicht gerade begeistert ist, einen Frischling anlernen zu müssen. Schätze, der hat dich behandelt wie einen Rekruten am ersten Tag. Aber mach dir nichts draus. Er wird schon noch merken, was in dir steckt!«

»Nein, ganz so schlimm war es wirklich nicht«, verteidigte Henriette Renk, musste vor sich selbst aber zugeben, dass es noch viel schlimmer gewesen war. Ein Rekrut würde einmal zu einem richtigen Soldaten werden. Doch in Renks Augen war sie nicht einmal das, sondern nur das Generalstöchterlein, das seine neugierige Nase in seine Abteilung steckte, um hinterher mit genauso leerem Kopf zu verschwinden, wie es gekommen war.

»Kein Sorge, Papa. Ich werde mir Renk schon zurechtbiegen! « Bis jetzt war Henriette noch mit allen Schwierigkeiten fertiggeworden, und das sollte sich auch nicht ändern. Mit diesem Vorsatz beendete sie das Telefongespräch und begann, sich in dem kleinen Zimmer so häuslich einzurichten, wie es ihr möglich war.

Die geheime Waffe
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