ACHT
Gerade als Henriette und Torsten den Keller gefunden hatten, in dem ein großer Safe so geschickt eingemauert war, dass man ihn nur bei genauerem Hinsehen erkennen konnte, erschollen Alarmrufe im gesamten Gebäude. Daraufhin wurden Befehle gebrüllt, und sie hörten, wie Leute eilig die Treppen hinabliefen.
»Das klingt gar nicht gut!«, sagte Torsten zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Henriette spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden, so dass sie die Pistole nicht mehr richtig festhalten konnte. Rasch klemmte sie sich die Waffe unter die Achsel und rieb sich die Hände an ihrer Hose trocken. »Was machen wir jetzt?«
»Wir schauen zu, dass wir an das SG21 kommen, und verschwinden dann durch das Schachtfenster. Öffnen Sie es schon mal!«
Torsten eilte zur Rückwand und steckte den Safeschlüssel ins Schloss. Als er ihn drehte, ging jedoch nur eine dünne Metalltür auf und gab die gepanzerte Front des eigentlichen Safes mit einem Zahlenschloss frei. Um die Kombination herauszufinden, hätte er absolute Stille gebraucht, doch bei dem Lärm, den Sedersens Männer machten, brauchte er es gar nicht erst zu versuchen. Mit einer resignierenden Geste schob er die Klappe zu und zog den Schlüssel ab, damit man zumindest nicht auf den ersten Blick erkennen konnte, dass sie an den Inhalt des Safes hatten gelangen wollen. Er steckte den Schlüssel ein und trat zu Henriette, die mit dem Gitter kämpfte, welches vor dem Schachtfenster angebracht war.
»Ohne Werkzeug kommen wir hier nicht durch!«, sagte sie nervös.
»Lassen Sie mich sehen!« Torsten schob sie hinter sich, damit er in der Enge genug Platz hatte, und streckte die Hand aus, um das Gitter zu untersuchen. Da vernahm er draußen ein metallisches Knacken und trat sofort zurück. Im nächsten Augenblick feuerte jemand eine Salve aus einer MP in den Fensterschacht. Ein paar Kugeln prallten ab und schwirrten als Querschläger durch den Raum.
»Den Fluchtweg können wir vergessen«, stieß er aus.
»Das war’s dann wohl! Über den Flur kommen wir auch nicht mehr raus.« Henriette war zur Tür getreten und öffnete sie vorsichtig. Sofort schlug eine Salve aus mindestens einem halben Dutzend Feuerwaffen in die Tür ein. Zum Glück bestand das Türblatt aus Metall und fing die Geschosse auf.
Sie entdeckte einen dünnen, innen angebrachten Riegel und schob ihn vor. Dann drehte sie sich zu Torsten um. »Gibt es einen Plan B?«
Er wies auf den Fensterschacht. »Das war mein Plan B.« Mit einem zischenden Laut nahm er den Beutel von seinem Rücken ab, öffnete ihn und holte eine MP5 heraus.
»Wir haben nur die eine Maschinenpistole, und es gibt hier auch keine Deckung. Am besten legen Sie sich flach auf den Boden, während ich mit unseren Freunden Agent und Terrorist spiele.« Er lud die Waffe durch und sah noch einmal bedauernd zum Schachtfenster. »Schade, dass wir keine Handgranaten dabeihaben. Damit hätten wir das Gitter heraussprengen und den Kerlen da draußen die Hölle heißmachen können!«
Henriette musterte ihn ungläubig. »Und Sie meinen wirklich, wir kämen weit? Dafür laufen hier zu viele Bewaffnete herum.«
»Da haben Sie auch wieder recht. Verdammt, wir sitzen wie die Ratten in der Falle, und die Banditen wissen das.«
»Kommt hierher! Der Kerl ist da drinnen«, hörten sie jemanden draußen schreien. Gleichzeitig wurde die Tür erneut unter Feuer genommen.
»Das Türblatt ist ziemlich dick. Vielleicht kommen die Kerle da nicht durch«, rief Henriette Torsten durch den Lärm der Schüsse zu.
Dieser warf einen Blick auf den Riegel, der sich unter den Einschlägen bog. »Könnten wir die Tür richtig zusperren, hätten wir vielleicht eine Chance. Ich schätze, die Burschen werden sie bald auframmen, und dann geht es uns an den Kragen. Ob sie es wohl zuerst mit Gasgranaten probieren oder gleich mit Handgranaten?«
»Mir wäre eine Handgranate lieber. Wenn wir schnell genug sind, könnten wir sie packen und damit das Fenstergitter absprengen! « Henriettes Grinsen wirkte wie ein Zähnefletschen.
In dem Moment versetzte Torsten ihr einen Stoß, der sie in eine Ecke trieb, und hechtete hinter ihr her. Henriette sah noch, wie der Riegel wegflog und die Stahltür aufschwang. Dann ratterten Maschinenpistolen los und überschütteten den Kellerraum mit einem Kugelhagel.
Torsten duckte sich noch tiefer, als Querschläger durch den Raum flogen. »Wir müssen Wagner Bescheid sagen!«
In dem Höllenlärm, der hier herrschte, verstand er sich selbst nicht mehr. Er zog sein Handy, sah aber sofort, dass er keine Verbindung zum Netz bekam.
Wütend drückte er Henriette die MP in die Hand. »Wenn einer der Kerle seine Nase hereinsteckt, schießen Sie!« Während seine Begleiterin noch nickte, kroch er bis zum Fensterschacht und streckte das Mobiltelefon aus dem Fenster.
Hoffentlich komme ich jetzt ins Netz, dachte er. Anhand der Geräusche würde Wagner sofort wissen, dass hier der Teufel los war.
Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, entdeckte einer der Kerle vor dem Fenster seinen Versuch, Kontakt aufzunehmen, und feuerte. Rasend schnell zog Torsten die Finger zurück, spürte aber dennoch einen harten Schlag gegen die Hand. Der Handschuh war zerrissen, und sein Mobiltelefon bestand nur noch aus Trümmern. Obwohl auch ein paar Tropfen Blut zu sehen waren, schien die Hand nicht sehr verletzt.
»Geben Sie mir Ihr Handy. Ich versuche es noch einmal«, rief er, als die Kerle draußen eine kurze Pause einlegten.
Henriette warf ihm das Ding zu, und diesmal gelang es ihm, Verbindung zum Netz zu bekommen. Für mehr als einen kurzen Notruf blieb ihm jedoch keine Zeit, denn vor dem Kellerraum klang eine harsche Stimme auf.
»Wir wissen, dass du da drin bist! Komm mit erhobenen Händen heraus, sonst bist du dran.«
»Sie wissen anscheinend nicht, dass wir zu zweit sind!« Torsten sah sich unwillkürlich um, ob Henriette sich nicht doch verstecken konnte. Doch es gab nur vier kahle Wände.
»Wir sind am Ende!« Torstens Wut auf sich selbst wuchs, weil er Henriette mitgenommen und damit in Gefahr gebracht hatte.
»Wollen Sie sich etwa ergeben?« Henriette war anzusehen, wie wenig ihr diese Wendung der Dinge passte.
»Wollen Sie sich zusammenschießen lassen? Solange wir leben, gibt es immer noch Aussicht zu entkommen! Vorher müssen wir aber noch etwas erledigen.«
Er kniete nieder, zog die Pläne, die er in Sedersens Zimmer gefunden hatte, aus dem Beutel und zündete sie mit seinem Feuerzeug an. Während die Blätter verbrannten, nickte er Henriette zu. »So, jetzt können wir denen sagen, dass wir aufgeben.«
In dem Moment begannen ihre Belagerer wieder zu schießen. Torsten drückte Henriette zu Boden und versuchte, sie mit seinem Körper vor herumfliegenden Querschlägern zu decken.
»Aufhören!«, schrie er, so laut er konnte. »Wir geben auf!«
Obwohl er es mehrmals wiederholte, stellten die Freischärler das Feuer erst ein, als ein Teil von ihnen die Magazine leergeschossen hatte. Dann hörten sie erneut jemanden rufen. »Werft eure Waffen heraus! Danach kommt ihr mit erhobenen Händen hinterher. Aber dalli! Eine weitere Chance bekommt ihr nicht!«