SECHZEHN
Genau fünf Minuten vor drei Uhr lenkte Henriette das Auto auf den Parkplatz des Hotels und sah Torsten fröhlich an. »Na, was sagen Sie dazu, Herr Renk?«
»Wagner wird zufrieden sein. Kommen Sie, lassen Sie uns einchecken. Ich habe nichts gegen ein paar Stunden Schlaf.«
»Das sagt der harte Krieger«, spottete sie.
»Hier bin ich in Zivil und kann mir das leisten«, antwortete Torsten ungerührt, stieg aus und holte das Gepäck aus dem Kofferraum. Dabei fragte er sich, ob Leutnant von Tarow Ziegelsteine eingepackt hatte, da eine der Reisetaschen um etliches schwerer war als die andere. Erst als er in den Lichtkegel am Hoteleingang trat, merkte er, dass die schwerere Tasche seine eigene war. Anscheinend wog Damenunterwäsche um einiges weniger als die für Herren, und er durfte auch nicht das Gewicht der Ersatzmunition vergessen, die er eingesteckt hatte.
»Nehmen Sie die Laptops«, rief er Henriette zu, obwohl diese die beiden Taschen bereits geschultert hatte, und trat ein.
Der Nachtportier hatte bereits bemerkt, dass neue Gäste eingetroffen waren, und empfing sie mit einem freundlichen »Guten Abend!« auf Deutsch.
»Dasselbe!« Torsten stellte die Reisetaschen ab, klemmte die seine zwischen den Beinen fest und sah den Mann an. »Tarow und Renk. Es müsste für uns reserviert worden sein.«
»Ich habe schon alles vorbereitet. Wenn Sie das bitte ausfüllen wollen.«
Der Nachtportier schob Torsten ein Formular hin. Dieser begann zu schreiben und reichte es dann an Henriette weiter, da er deren Daten nicht kannte.
»Wie kommen wir von hier am besten zum Veranstaltungsort dieses Symposions?«, fragte er derweil den Portier.
»Am besten mit dem Fahrrad. Es wird dort weiträumig von der Polizei abgesperrt, und es gibt auch keine Parkplätze. In den umliegenden Straßen zu parken lohnt sich nicht, denn die Parkzeit ist zeitlich beschränkt.«
»Und was machen wir, wenn wir kein Fahrrad haben?« Torstens Ton wurde schärfer, denn um drei Uhr morgens hatte sich sein Sinn für Humor bereits schlafen gelegt.
Der Nachtportier behielt seine freundliche Miene bei. »Sie können ein Taxi nehmen oder sich ein Fahrrad leihen.«
»Nehmen wir das Fahrrad, dann tun wir wenigstens etwas für unsere Fitness«, meinte Torsten zu Henriette. Diese reichte den Anmeldebogen zurück und gähnte. Jetzt, da sie nicht mehr am Steuer saß, spürte sie die Müdigkeit. »Die paar Kilometer werden wir schon schaffen. Jetzt will ich nur noch ins Bett.«
»Hier ist der Schlüssel«, erklärte der Portier eilfertig.
Torsten sah ihn verwundert an. »Der Schlüssel! Waren denn nicht zwei Zimmer bestellt?«
»Das schon«, antwortete der Mann. »Aber wir sind von den Veranstaltern dieser Tagung gebeten worden, für einen verspätet angemeldeten Gast ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Da Sie ja gemeinsam anreisen, haben wir gedacht, Sie könnten auch zusammen in einem Zimmer …«
»Solche Anzüglichkeiten mag ich um die Zeit nicht mehr hören. Was ist, Leu …, äh Frau Tarow? Wollen wir auf zwei Zimmern bestehen?«
»Wenn Sie in der Besenkammer schlafen möchten, gerne. Aber wenn Sie sich brav benehmen, können wir das Zimmer teilen!« Henriette lächelte freundlich, auch wenn Renks Blick ihr Ausdauerläufe bis zur völligen Erschöpfung androhte. Es machte ihr einfach zu viel Spaß, ihn einmal in seine Schranken weisen zu können.
Torsten hingegen kämpfte mit der Duplizität zu seiner und Petras Ankunft in Mallorca. Auch damals waren zwei Zimmer bestellt gewesen, und man hatte sie zusammen in eines gepfercht. Da er aber um die Uhrzeit keinen Aufstand machen wollte, nickte er unwillig. »Keine Sorge, ich werde mich benehmen. « Er nahm die Reisetaschen wieder auf und wollte zum Aufzug.
»Entschuldigen Sie, doch der Lift ist zwischen ein Uhr und sechs Uhr morgens abgeschaltet. Sie müssen die Treppe nehmen«, rief ihm der Portier nach.
»Welches Zimmer haben wir?«, fragte Torsten Henriette, die den Schlüssel entgegengenommen hatte.
»406. Vierter Stock also. Ich kann meine Sachen aber auch selbst tragen.«
»Noch bin ich kein Tattergreis«, knurrte Torsten und machte sich an den Aufstieg.
Henriette überholte ihn auf der Treppe und öffnete die Tür des Zimmers. Als Torsten hineinschaute, fragte er verdattert: »Will das noch wachsen?«
Auch Henriette schluckte. Das Zimmer war winzig und das Bett höchstens für eine kleine Person bequem zu nennen. Zwischen Bett und Wand befand sich ein Spalt von vielleicht fünfzig Zentimetern. Auf der anderen Seite waren es noch weniger, denn dort stand der Schrank. Sonst gab es weder einen Tisch noch einen Stuhl oder sonst eine Ablagemöglichkeit. Es hätte auch kein weiteres Möbelstück hineingepasst.
»Ich bringe Wagner um!«, stöhnte Torsten fassungslos.
»Haben Sie schon das Badezimmer gesehen?« Henriette zeigte auf eine schmale Tür, die Torsten zuerst für einen Teil des Schranks gehalten hatte. Er ging hinein und fand sich in einer Kammer von etwa zwei mal anderthalb Metern wieder, in die die Toilette, die Dusche und das Waschbecken hineingestopft worden waren.
»Wie war das mit dem Budget, das wir nicht überschreiten dürfen?« Henriette wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der Raum zwischen Tür und Schrank war gerade so groß, dass sie die Taschen mit den Laptops abstellen konnte. Die Reisetaschen musste Torsten vorerst auf dem Bett platzieren.
»Ich fange schon mal an, meine Sachen in den Schrank zu räumen. Sie können inzwischen ins Bad gehen!«, erklärte er und zog den Reißverschluss auf.
»Manchmal sind Sie wahrhaftig ein Kavalier«, spöttelte Henriette und verschwand schnell im Bad, um Torsten keine Chance zu einer Replik zu geben.
Während sie sich die Zähne putzte und für die Nacht fertig machte, stopfte Torsten seine Wäsche und seine Kleidung auf eine Weise in zwei Fächer, dass ein Rekrutenausbilder einen Wutanfall bekommen hätte. Dann faltete er seine Reisetasche zusammen und legte sie oben auf den Schrank. Da er sich in dem Raum kaum bewegen konnte, setzte er sich auf die Kante des Bettes und wartete, bis seine Begleiterin fertig war.
Henriette brauchte weniger Zeit, als er angenommen hatte. Zumindest in dieser Beziehung hatte sich ihre Bundeswehrausbildung ausgezahlt, sagte er sich, während er aufstand, seine Lederjacke auszog und in den Schrank hängte. Mit einem kurzen Blick streifte er seine Untergebene, die jetzt einen langen Schlafanzug mit dunkelvioletten Hosen und einem lavendelfarbigen Oberteil trug. Zu seinem nicht geringen Ärger fand er sie attraktiv und wandte ihr daher den Rücken zu, während er seine Toilettensachen heraussuchte.
»Sie brauchen nicht auf mich zu warten. Wenn Sie bereits schlafen sollten, lege ich mich vorsichtig hin«, sagte er über die Schulter hinweg und trat in das Bad. Zu seinem Verdruss schien er darin länger zu brauchen als Leutnant von Tarow. Als er zuletzt in seinen Schlafanzug schlüpfte, genierte er sich direkt, denn er hatte nur kurze Shorts und ein Trägershirt dabei, beide in der olivgrünen Standardfarbe der Bundeswehr. Außerdem wies sein Shirt einen Riss auf, den er beim Einpacken übersehen hatte.
Torsten steckte vorsichtig den Kopf zur Tür hinaus, um zu sehen, ob seine Begleiterin bereits eingeschlafen war. Zu seiner Enttäuschung lag sie auf den linken Oberarm gestützt im Bett und las in einem Buch.
»Ich glaube nicht, dass jetzt die richtige Zeit zum Lesen ist«, knurrte er.
»Keine Sorge, ich höre schon auf. Es handelt sich um das Programmheft für diese Veranstaltung. Wussten Sie, dass das Symposion vor allem von Nichtregierungsorganisationen durchgeführt wird?«
Kopfschüttelnd trat Torsten aus dem Bad und bemühte sich, das Loch in seinem Hemd zu verbergen. »Nein, ich hatte keine Ahnung. Ich bin mir aber sicher, dass Wagner darüber Bescheid weiß. Wenn mir nur ansatzweise klar würde, warum er uns hierhergeschickt hat, wäre mir wohler.«
»Ich bin mir sicher, dass ein Sinn hinter dem Ganzen steckt. Major Wagner scheint mir kein Vorgesetzter zu sein, der seine Leute nur aus Jux und Tollerei in der Gegend herumschickt.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr! Aber darüber sollten wir uns lieber morgen unterhalten – oder besser gesagt heute, wenn wir ein paar Stunden geschlafen haben.« Torsten schlüpfte unter die Decke und stieß sofort gegen Henriette.
»Entschuldigung, ich …«, begann er.
Henriette lachte freudlos auf. »Das Bett ist verdammt schmal. Ich glaube, sogar das meine zu Hause ist breiter als das hier.«
»Wir werden es überleben«, sagte Torsten und dachte dabei an die Erdlöcher, in denen er bei einigen Einsätzen in Afghanistan hatte übernachten müssen. Bequemer war die Matratze hier auf jeden Fall. Er versuchte, Abstand zu seiner Begleiterin zu wahren, schaffte aber nur wenige Zentimeter, dann war das Bett auch schon zu Ende.
»Gute Nacht«, flüsterte Henriette und schaltete das Licht aus. Auch sie musste aufpassen, um nicht gegen Torsten zu stoßen. Während sie mühsam eine Stellung suchte, in der sie einschlafen konnte, dachte sie daran, was ihre Mutter sagen würde, wenn sie wüsste, dass sie ein Bett mit einem jungen Mann teilte. Henriette hielt sich nicht gerade für eine Frau, die auf sexuelle Abenteuer aus war, aber die Ansichten ihrer Mutter waren arg antiquiert. Diese hatte sich bereits aufgeregt, als sie während ihrer Grundausbildung bei einer Übung im Schlafsack zwischen männlichen Rekruten hatte liegen müssen.
Noch während sie darüber nachdachte, dämmerte sie weg. Torsten aber lag verkrampft neben ihr und versuchte, ihre Anwesenheit zu verdrängen. Das dauerte einige Zeit, und als er endlich in einen von wirren Träumen erfüllten Schlaf fiel, wurde es draußen bereits hell.