ZWÖLF
Als sie in ihrem Hotel in Arenal eincheckten, wunderte sich nicht nur das Hotelpersonal über das ungleiche Paar. Was mochte der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem leicht knochigen, aber sympathisch wirkenden Gesicht und den durchdringenden blauen Augen an der um mehr als einen Kopf kleineren, molligen Frau mit den kurzen, am Kopf klebenden Haaren finden?
»Sieh dir die zwei an!«, sagte eine Urlauberin zu ihrer Freundin. »Er ist ja ein cooler Typ, aber das Pummelchen neben ihm ist zum Weinen. Ich schätze, die hat sich ihn mit einem Haufen Geld geangelt.«
Die Angesprochene nickte. »Den Kerl werde ich mir auf alle Fälle näher ansehen. Er scheint mir gerade der Richtige für einen aufregenden Flirt zu sein.«
»Da hast du aber Konkurrenz …«, antwortete ihre Freundin, erhob sich und ging so nahe an Torsten vorbei, dass sie ihn fast streifte. Sie lächelte: »Willkommen auf Mallorca und in unserem Hotel!«
»Danke!« Torsten begriff sofort, worauf die Frau aus war. Aber an einer Affäre hatte er nun wahrlich kein Interesse. Genau genommen war er für keine Beziehung offen, denn er hatte weder Andreas Tod noch die Trennung von Graziella verwunden.
Petra musterte die aufdringliche Urlauberin nicht ohne Neid. Die Frau war in ihrem Alter, hatte eine perfekte Bikinifigur, ein hübsches, sonnengebräuntes Gesicht und schulterlange blonde Haare. Auch ihre nicht minder attraktive Begleiterin starrte Torsten an, als würde sie ihn am liebsten sofort auf ihr Zimmer schleppen. Mit solchen Frauen konnte sie niemals konkurrieren. Andererseits wollte sie das auch nicht. Sie mochte Torsten, war aber mit der langen, vertrauensvollen Freundschaft, die sie verband, absolut zufrieden. Für eine richtige Beziehung mit allem, was dazugehörte, war sie bei all ihren Interessen und ihrer Lebensweise nicht geeignet.
Unterdessen sprach Torsten den Mann an der Rezeption an. »Guten Tag. Petra Waitl und Torsten Renk. Für uns sind zwei Einzelzimmer bestellt worden.«
Der Hotelangestellte, der trotz der Hitze Anzug und Krawatte trug, blickte kurz auf seinen Bildschirm und hob dann abwehrend die Hände. »Ich bedaure sehr, aber diese Buchung ist nicht im Computer zu finden. Da wir völlig ausgebucht sind, ist es uns auch nicht möglich, Ihnen zwei Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen. Aber Frau Waitl hatte bei ihrer ersten Buchung ein Einzelzimmer geordert, das auch als Doppelzimmer genutzt werden kann, und das Hotelmanagement wird sogleich alles Notwendige veranlassen.«
Petra war klar, dass die Betreiber des Hotels dieses komplett überbucht hatten und nun kämpfen mussten, um die zahlreichen Gäste unterzubringen. In diesem Fall half es nicht einmal mehr, wenn sie ihren Laptop auspackte und sich an den Buchungsdaten des Hotels zu schaffen machte. Daher sah sie Torsten fragend an.
Er dachte kurz nach und nickte seufzend. »Ich glaube, die zwei Wochen werden wir es zusammen aushalten. Oder meinst du nicht?«
»Vorausgesetzt, es ist kein französisches Bett. Ich habe was gegen Trampoline.«
Ohne dass sie es ahnte, hatte Petra damit ihren Spitznamen weg. Für die beiden weiblichen Hotelgäste, die sich für Torsten interessierten, war sie ab jetzt die Trampoline – und sie hatten vor, den Spottnamen schnell weiterzutragen.
Torsten diktierte dem Mann an der Rezeption die nötigen Daten und nahm die Codekarte für die Zimmertür entgegen. »Können wir zwei davon haben?«
Erneut schüttelte der Hotelangestellte den Kopf. »Es tut mir leid, aber wir haben pro Zimmer nur eine Karte zur Verfügung. «
»Nimm du sie! Ich kann ja klopfen, wenn ich ins Zimmer will.« Torsten reichte Petra die Karte. Die enttäuschten Mienen der beiden Bikinischönheiten ignorierend, hob er das Handgepäck auf und ging zum Lift.
Petra blieb stehen und blickte den Mann an der Rezeption fragend an. »Ist unser Gepäck bereits ins Zimmer gebracht worden?«
Der Hotelangestellte bedauerte ein drittes Mal. »Leider ist das Fahrzeug, welches Ihr Gepäck vom Flughafen holen soll, noch nicht zurückgekommen. Sie erhalten Ihre Sachen, sobald sie hier sind.«
»Es wäre mir angenehm, wenn das bald geschehen würde, denn ich würde mich gerne frischmachen.« Petra nickte dem Mann freundlich zu und folgte Torsten, der bereits den Lift betreten hatte und dessen Tür mit dem Fuß blockierte.
»Hoffentlich geht es hier nicht so zu wie damals in London-Heathrow bei der Eröffnung des neuen Terminals.«
»Warum? Was war da?«, fragte Torsten, während er die Taste für den vierten Stock drückte.
»Weißt du das nicht mehr, oder warst du damals auf Auslandsmission? Hunderttausende Koffer sind liegen geblieben, weil totales Chaos geherrscht hat.«
»Ich glaube, davon habe ich gehört«, antwortete Torsten in einem Ton, der keinen Hehl daraus machte, dass ihn die Sache nicht im Geringsten interessierte.
Unterdessen waren sie auf ihrem Stockwerk angekommen und verließen den Lift. Petra hatte bei ihrer Buchung auf einem Eckzimmer mit Blick auf das Meer bestanden und stellte erleichtert fest, dass sie wenigstens das bekommen hatte. Nachdem sie ihren Laptop auf eines der beiden Betten gelegt hatte, öffnete sie die Balkontür und sog die warme, leicht salzig schmeckende Luft in die Lungen ein.
»So lasse ich es mir gefallen! Wir sind weit genug von allen Sauftempeln entfernt und dürften unsere Ruhe haben. Wenn das Essen genauso gut ist wie das Zimmer, bin ich zufrieden.«
»Ich hoffe, dass du nicht nur ans Essen, sondern auch an Bewegung denkst.« Torsten lachte leise und wies auf die Betten. »Welches willst du haben?«
»Das am Fenster«, antwortete Petra schnell.
Torsten verfrachtete ihren Laptop von dem Bett, das nun ihm gehörte, auf das andere und setzte sich auf die Bettkante. »Ich hoffe, unsere Kameraden kriegen den Kerl mit der Geheimwaffe, während wir hier auf Mallorca sitzen«, sagte er ansatzlos.
»Das hoffe ich auch.« Petras zufriedener Gesichtsausdruck machte einer besorgten Miene Platz. »Du solltest nicht mehr daran denken, sondern dich entspannen.«
Zuerst ließ er nur ein Brummen hören, bequemte sich dann aber zu einer Antwort. »Als Erstes wäre ich froh, wenn wir endlich unsere Koffer bekämen. Die Klamotten, die ich jetzt anhabe, sind arg warm für diese Gegend.«
»Glaubst du, mir ginge es anders?«
In dem Augenblick klopfte es, und ein Hotelpage steckte den Kopf ins Zimmer. »Guten Tag. Ich bringe die Koffer!«