DREIZEHN

Nach einem ausgezeichneten Frühstück kehrten Henriette und Torsten erleichtert, aber doch ein wenig ermüdet in ihr Zimmer zurück. Frau Leclerc war ebenso redselig wie anstrengend.

»Irgendwie muss die Frau einen Narren an uns gefressen haben«, stöhnte Henriette.

»Ich glaube, sie hält uns eher für Mastgänse, die sie stopfen will. So viel wie gestern und heute habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Wenn das so weitergeht, brauche ich in ein paar Tagen neue Jeans, weil ich in meine alten nicht mehr hineinpasse.«

»Dagegen hilft Bewegung. Sollten wir nicht ein wenig nach draußen gehen?« Henriette sehnte sich nach einem ausgiebigen Dauerlauf, doch Torsten schüttelte den Kopf.

»Sie werden im Zimmer bleiben und das Flugfeld, die Hallen und die Villa mit dem Feldstecher beobachten. Und passen Sie auf, dass Sie niemandem auffallen!«

»Wie war das mit dem Du im Dienst? Wenn Frau Leclerc mitbekommt, dass wir uns siezen, wird sie sich wundern«, fragte Henriette, die sich ärgerte, weil sie hier eingesperrt bleiben sollte.

»Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass sie nichts mitbekommt. Das gilt vor allem für mich. Ich duze ungern eine Frau gegen ihren Willen. Aber im Augenblick muss es sein.« Torsten nickte Henriette kurz zu und kontrollierte dann den Sitz seines Schulterhalfters.

»Also Schatz, halte wacker die Äuglein offen. Ich gehe ein wenig an die frische Luft.«

»Wann kommst du wieder?«, fragte Henriette und erntete ein Schulterzucken.

»Keine Ahnung! Ich will mir die Umgebung ansehen und überlegen, wie wir weiter vorgehen können. Das kann bis zum Nachmittag dauern. Also nicht enttäuscht sein, wenn ich nicht zum Mittagessen auftauche.«

»Du hast doch nur Angst, dass Frau Leclerc dich noch mehr mästet!« Henriette war zwar nicht nach Scherzen zumute, doch sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass sie gekränkt war. Oberleutnant Renk hatte den Eindruck erweckt, als könne er sie nur zum Chauffieren und Aus-dem-Fenster-Schauen brauchen.

Und doch machte sie sich Sorgen um ihn. »Pass gut auf dich auf. Die Kerle da drüben sind keine harmlosen Trinkkumpane. «

»Ich lasse mich von denen schon nicht zu einem Drink einladen. « Torsten grinste, schlüpfte in seine Jacke und ging zur Tür. »Bis bald. Schreiben Sie alle Flugbewegungen auf, die Sie sehen.«

Henriette stöhnte innerlich auf, weil Torsten schon wieder in die höfliche Anrede verfallen war, holte sich aber ihren Notizblock, setzte sich so ans Fenster, dass der Vorhang sie verdeckte, und richtete den Feldstecher auf das Flugfeld.

Torsten überlegte, ob er ihr noch ein paar Verhaltensmaßregeln geben sollte, unterließ es dann aber. Wenn ihm wirklich etwas zustoßen sollte, würde seine Begleiterin es früh genug merken. Er winkte ihr noch kurz zu und verließ das Zimmer. Auf dem Weg nach draußen lief ihm ihre Pensionswirtin über den Weg. »Sie wollen sicher eine Weile ins Freie gehen.«

Torsten nickte. »Ich brauche einen kleinen Spaziergang!«

»Aber warum nehmen Sie Ihre Braut denn nicht mit?«

»Sie fühlt sich nicht wohl und hat sich ein wenig hingelegt! « Torsten lächelte bei dieser Lüge und hoffte, dass Frau Leclerc sich mit dieser Erklärung zufriedengeben würde.

Diese aber starrte ihn erschrocken an. »Oh Gott, wirklich? Vielleicht kann ich helfen. Wenn Sie Kopfschmerztabletten brauchen …«

Torsten hob abwehrend die Hände. »Es ist nichts Schlimmes. Wissen Sie, es ist wegen … Sie wissen schon.«

Zuerst sah Frau Leclerc ihn verwundert an, doch dann huschte ein Ausdruck des Verstehens über ihr Gesicht. »Sie meinen das Monatliche. Das kann manchmal schlimm sein. Braucht Ihre Braut wirklich nichts?«

»Nein, nur ihre Ruhe. Sie schläft jetzt, und wenn sie am Nachmittag aufwacht, wird sie sich wie neugeboren fühlen.« Während er es sagte, durchfuhr es Torsten, dass er Leutnant von Tarow unbedingt wegen der angeblichen Beschwerden aufklären musste, bevor diese mit Frau Leclerc zusammentraf. »Ich werde Ihrer Frau eine Tasse Tee zubereiten und nach oben bringen«, bot die Belgierin an.

Torsten schüttelte den Kopf. »Lassen Sie sie bitte schlafen. Sie wacht sehr leicht auf, wissen Sie, und das wollen wir doch nicht.«

»Selbstverständlich nicht!« Frau Leclerc wirkte ein wenig enttäuscht, doch darauf konnte Torsten keine Rücksicht nehmen. Er verabschiedete sich freundlich von der Pensionswirtin und verschwand nach draußen.

Auf der Straße steuerte er sein Ziel nicht sofort an, sondern schlug einen Bogen in Richtung Ortskern und näherte sich dem Flughafen von der anderen Seite. Schnell stellte er fest, dass er an dieser Stelle nicht weiterkam. Ein gut zwei Meter hoher Maschendrahtzaun, der von einem Stacheldraht gekrönt wurde, umgab das Flugfeld und die dazugehörenden Gebäude.

Torsten hätte darüberklettern oder den Draht unten lösen können, um sich ein Loch darin zu schaffen. Doch damit hätte er seine Tarnung als harmloser Urlauber aufgegeben, und das schien ihm zu riskant. Daher schlenderte er am Zaun entlang, bis er auf die Zufahrt des Flughafens traf. Diese konnte mit einem Tor versperrt werden, das im Augenblick offen stand. Torsten trat hindurch, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und steuerte auf die neben der Landebahn abgestellten Flugzeuge zu.

Er kam etwa hundert Meter weit, da stürmte ein uniformierter Wächter herbei und schnauzte ihn an. »He, Sie da! Das hier ist Privatgrund! Da haben Sie nichts verloren!«

»Jetzt regen Sie sich nicht auf. Ich will ja nichts stehlen, sondern nur die Flugzeuge ansehen. Der Doppeldecker dort ist wirklich scharf.« Torsten ging noch ein, zwei Meter weiter.

Da verstellte der Mann ihm den Weg. »Verschwinden Sie!«

»Lassen Sie mich doch wenigstens das Oldtimerflugzeug anschauen«, bat Torsten, der auf dem Weg zu dieser Maschine das gesamte Gelände hätte überblicken können.

Der Uniformierte blieb stur. »Raus, sage ich! Sonst werde ich ungemütlich.« Dabei griff er mit seiner Rechten zum Pistolenkoppel und öffnete es.

Torsten begriff, dass er hier nichts mehr ausrichten konnte. Trotzdem ging er noch nicht, sondern deutete zu dem Doppeldecker hinüber. »Können Sie mir wenigstens sagen, um was für eine Maschine es sich handelt, wenn ich sie schon nicht anschauen darf?«

Jeder an Flugzeugen Interessierte hätte ihm diese Frage beantworten können, doch der Kerl hier zuckte nur mit den Achseln. »Keine Ahnung! Und jetzt zieh Leine.«

»Na dann, auf Wiedersehen!«, sagte Torsten und wandte sich ab.

»Aber nicht mehr hier auf dem Flugplatz«, rief ihm der Uniformierte nach.

Als Torsten sich umdrehte, sah er, dass der Mann ihm folgte und ihn nicht aus den Augen ließ. Kaum hatte er das Tor des Flugplatzes passiert, schloss der Wächter es hinter ihm und versperrte es. Seiner Miene nach zu urteilen ärgerte er sich, weil er nun von seinem Wachhäuschen ein ganzes Stück laufen musste, wenn einer der Flugzeugbesitzer zu seiner Maschine gelangen wollte und er ihm das Tor öffnen musste.

Während Torsten einen weiteren Bogen schlug, um in die Nähe der Villa zu kommen, fragte er sich, wieso sich die Kerle ein so unverschämtes Verhalten leisten konnten. Selbst wenn hier alle für einen Abfall von Belgien waren, so hätten zumindest die Flamen ein Interesse daran haben müssen, dass sich kein solches Gesindel in ihrer Nähe einnistete.

Die geheime Waffe
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