VIER

Er führte Eegendonk ins Wohnzimmer der Villa und rief nach jemandem, der sie bedienen sollte. Als sei dies ein Zeichen gewesen, marschierten Rechmann, Lutz Dunker und dessen Spießgesellen aus Sachsen-Anhalt auf dem breiten Flur auf, der die Villa in zwei Hälften teilte. Mittlerweile waren die Männer in der Lage, sich mit den Einheimischen zu verständigen. Daher hatten sie ihre Reihen mit Freiwilligen aus Zwengels Vlaams Macht aufgefüllt und stellten in ihren Kampfanzügen, den umgeschnallten Pistolen und den MPs über dem rechten Arm eine martialisch wirkende Truppe dar.

»Sie haben wohl auch in Deutschland ein Ausbildungszentrum eingerichtet, in dem Sie Kämpfer für unsere Sache schulen«, sagte Eegendonk ebenso beeindruckt wie erschrocken.

Sedersen verkniff sich ein höhnisches Lachen. Von Dunkers Leuten hatte kaum jemand den Grundwehrdienst in der Bundeswehr durchlaufen, aber der Drill, dem Rechmann die Männer unterwarf, hatte sie zu Kampfmaschinen gemacht. Das war kein Wunder, denn während seiner aktiven Zeit beim Militär hatte Rechmann es bis zum Hauptfeldwebel gebracht. Weiter hatte er nicht aufsteigen können, denn einem Mann mit dem Körper eines Schwergewichtsboxers und dem Gesicht eines kleinen Jungen hatten die höheren Offiziere nicht viel zugetraut. Dabei war Rechmann in Sedersens Augen fähig, selbst den Posten eines Generals ausfüllen zu können.

Eegendonk, der die niederländischen Streitkräfte im Range eines Majors verlassen hatte, maß die in einer Reihe angetretenen Männer mit dem Blick des Kenners. Auf ihn wirkten sie weniger wie Soldaten als wie Kampfhunde, die nur darauf warteten, von der Leine gelassen zu werden. An den Augen der meisten glaubte er ablesen zu können, dass sie im Gegensatz zu seinen Soldaten bereits getötet hatten.

»Beeindruckend«, lobte er mit leicht säuerlicher Miene.

»Das sind Ihre Männer auch. Doch um die nationale Revolution in Flandern durchführen zu können, brauchen wir mindestens zehn- bis zwanzigtausend Mann unter Waffen.« Sedersen sprach damit das Problem an, das ihm auf der Seele brannte.

Eegendonk winkte ab. »Bis jetzt haben wir in Breda über fünfhundert Mann ausgebildet, und die meisten von ihnen sind als Offiziere geeignet. Die Hälfte davon tut noch im niederländischen Heer Dienst, und die anderen gehören zu den flämischen Freiwilligen, die wir jederzeit zusammenrufen können.«

Sedersen hob die Augenbrauen. »Das dürfte noch nicht notwendig sein. Die meisten Freiwilligen gehören zu Zwengels Flämischer Macht und werden an den Orten gebraucht, an denen sie sich im Augenblick befinden. Wir sollten eher die Aktivisten der Flämischen Faust eingliedern und militärisch ausbilden. Dann haben wir in einem Monat genug Soldaten, um uns gegen alle Gegner durchsetzen zu können. Allerdings dürfen wir uns keine weiteren Fehler erlauben. Es wird uns dem Ziel nicht näher bringen, auf beiden Seiten der niederländisch-belgischen Grenze Brände zu legen und zu hoffen, dass wir sie wieder löschen können.«

Für einen Augenblick sah es aus, als wollte Eegendonk ihm widersprechen. Der aus der niederländischen Provinz Limburg stammende Mann wusste, worauf der Deutsche anspielte. Eegendonk hatte zur gleichen Zeit, in der die Republik Flandern gegründet wurde, den Süden der Niederlande abspalten und mit dem neuen Staat vereinigen wollen. Doch hatte er derzeit weder die Mittel noch die Zeit, diese Sezession vorbereiten zu können.

Auch wenn Sedersen recht hatte, passte ihm die bestimmende Art des Deutschen nicht, und er nahm sich vor, so bald wie möglich mit Zwengel über ihn zu sprechen. Wenn sie den Mann nicht bald an die Kandare nähmen, würde er sie zu seinen Marionetten machen.

Unterdessen erklärte Sedersen seinen Männern, dass sie wieder an ihre Arbeit gehen sollten. Als sie eine Vierteldrehung machten, um abzumarschieren, rief er sie zurück: »Einer soll hierbleiben und mich und meinen Gast bedienen.«

Rechmann befahl seinen Leuten jedoch abzutreten. Während diese Richtung Eingangshalle marschierten, öffnete er eine Tür auf der Küchenseite. »He, Bovenkant, dein Typ ist gefragt!«, brüllte er, als stünde er auf dem Exerzierplatz.

Nur wenige Sekunden später stürmte Jef van der Bovenkant die Treppe zum Vorratskeller hoch und blieb vor Rechmann stehen. »Was soll ich tun?«

Anstelle von Rechmann sprach Sedersen ihn an. »Bringen Sie einen Cognac und ein Bier. Rechmann, ich hätte Sie gerne bei dem Gespräch dabei. Was trinken Sie?«

Sedersens Leibwächter trat ins Wohnzimmer. »Auch ein Bier! Schwing die Hufe, Junge! Wir haben Durst. Und schließ die Türflügel.«

Jef ärgerte sich, wie ein Dienstbote behandelt zu werden. Da er jedoch weder Dunkers deutschen Neonazis noch Zwengels Kerntruppe angehörte, schoben ihm die anderen all die Aufgaben zu, die sie selbst nicht erledigen wollten. Einen Vorteil hatte es jedoch, die Anführer zu bedienen. Die Männer nahmen in seiner Gegenwart kein Blatt vor den Mund, und so war er der wohl am besten informierte Mann im Lager. Allerdings wusste er nicht, was er mit diesem Wissen anfangen sollte, denn er hatte Angst vor den Kerlen, die gezeigt hatten, dass ihnen selbst das Leben eines Kindes nichts wert war.

Am liebsten hätte Jef sich in die Büsche geschlagen. Doch der Gedanke, gefangen und als Verräter hingerichtet zu werden, hielt ihn davon ab. Daher servierte er die bestellten Getränke, setzte sich dann neben der Tür auf einen Stuhl, um weitere Befehle abzuwarten, und spitzte die Ohren.

»Was war eigentlich in Breda los?«, wollte Sedersen wissen.

Eegendonk stärkte sich mit einem Schluck Bier. »Vor ein paar Tagen wurden uns zwei deutsche Offiziere als Teilnehmer für einen Lehrgang angekündigt. Wir dachten zunächst, es handele sich um Gesinnungsfreunde. Doch als sie ankamen, war nur einer davon ein Mann. Der andere Offizier war weiblich und zudem eine Halbasiatin. Die beiden fingen sofort Streit mit meinen Jungs an und verprügelten ein paar davon auf üble Weise. Danach haben sie unsere Schule angezündet und sind spurlos verschwunden. Wir konnten den Brand gerade noch rechtzeitig löschen, doch als der Leutnant der Wache die Namen, Dienstränge und Einheiten des Pärchens ausdrucken wollte, um sie der Polizei zu übergeben, waren deren Daten im Computer gelöscht. Nicht einmal mehr die Anmeldung zum Kurs war noch vorhanden, so als hätte es die zwei nie gegeben.

Dabei hatte ich die entsprechenden Einträge selbst gesehen. Irgendjemand muss in unseren Computern herumgefummelt haben. In meinen Augen ein abgekartetes Spiel. Einigen im Verteidigungsministerium ist unsere Schule schon länger ein Dorn um Auge, die müssen das eingefädelt haben. Aber das wird diesen Sesselfurzern nichts bringen. Wir haben die Computer sofort vom Netz genommen und mitgebracht. Da wir nicht wissen, wie sie manipuliert worden sind, sollten wir die Geräte vernichten.«

»Sie und Ihre Leute haben gut reagiert, Eegendonk. Rechmann soll sich der Computer annehmen. Er ist ein Spezialist für solche Fälle. Es wird keine Festplatte und kein USB-Stick übrig bleiben, auf dem der Feind noch etwas entziffern könnte.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, fange ich gleich damit an.« Rechmann trank sein Bier aus und trat auf Jef zu.

»Wenn du mir noch einmal diese mit Kirschsaft versetzte Brühe vorsetzt, die nur ein Belgier Bier nennen kann, reiße ich dir den Kopf ab«, drohte er ihm und verließ mit Eegendonk im Schlepptau den Raum.

Sedersen blickte den beiden nach und griff nach seinem Cognacschwenker. Während er genüsslich trank, begrüßte er insgeheim Eegendonks Pech mit seiner Militärschule. Nun stand der Niederländer ohne Rückhalt da und war auf ihn angewiesen. Wenn er es geschickt anfing, konnte er Eegendonk sogar als Verbündeten gegen die allzu forschen Flamen in Zwengels Gefolge gewinnen.

Die geheime Waffe
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