SECHS
Sedersen musterte seine Männer und nickte zufrieden. Jeder von ihnen war ein Garant für seinen Erfolg. Einige, vor allem Rechmann, zählten sogar doppelt und dreifach. Aber für seine Pläne waren drei weitere Personen mindestens ebenso wichtig, nämlich Giselle Vanderburg und die beiden Anführer der rechtsnationalen Gruppierungen in Flandern und dem Süden der Niederlande. Über diese wollte er ebenfalls mit seinen Anhängern sprechen.
»Piet Eegendonk ist gestern nach Limburg und Nord-Brabant gefahren, um weitere Kämpfer für unsere Sache zu rekrutieren. Daher werden wir diesen Stützpunkt zu einer Kaserne ausbauen und die Männer hier ausbilden. Außerdem will ich, dass Rechmann und Dunker Freiwillige bei ihren Gesinnungsfreunden in Deutschland anwerben und aus ihnen eine Leibgarde für mich bilden.«
»Wir werden Ihre Leibstandarte sein, mein Führer!«, rief Dunker, der bereits einige Flaschen Bier geköpft hatte.
Sedersen warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Ich sagte Leibgarde, Dunker! Anklänge an den Nationalsozialismus wird es bei uns nicht geben. Hier in Flandern haben die Menschen nicht vergessen, dass ihre Heimat mehrere Jahre lang von der deutschen Wehrmacht besetzt gehalten wurde.«
Lutz Dunker zog den Kopf ein und schmollte. Er und seine Kumpane hatten sich jahrelang Machtphantasien hingegeben, und es fiel ihm schwer, diesen Rüffel hinzunehmen.
Sedersen schenkte der enttäuschten Miene des Mannes keine Beachtung. »Wie Gewährsmänner mir berichtet haben, konnten wir unsere Spuren in Deutschland restlos verwischen. Also ist es für euch alle möglich, hier in Flandern ein neues Leben zu beginnen. Dafür aber müsst ihr weitaus unauffälliger auftreten als bisher. Um die Macht in diesem Land zu übernehmen, brauchen wir die Hilfe der hiesigen Patrioten. Eegendonk und Zwengel werden dafür sorgen, dass wir diese erhalten, denn die beiden sind inzwischen ganz auf unsere Unterstützung angewiesen. Die Ansprache des belgischen Königs hat etliche Flamen dazu gebracht, auf Abstand zu den Nationalisten zu gehen.«
Ein hinterhältiges Lächeln stand auf Sedersens Lippen. Im Grunde störten ihn weder die Aktionen Alberts II. noch die des verblichenen van Houdebrinck. Für die Männer und Frauen, die in der flämischen Wirtschaft das Sagen hatten, war er einer der Ihren. Keiner dieser Leute hielt ihn für einen Fanatiker vom Schlage Zwengels, und es brachte ihn auch niemand mit dem Überfall auf den Güterzug oder gar den Morden von Lauw in Verbindung. Bei Zwengel sah das anders aus. Der hatte in der Vergangenheit ein paarmal zu oft Drohungen gegen Wallonen und politische Gegner ausgestoßen, und die fielen nun auf ihn zurück. Damit war der Führer der Rechtsradikalen kein Konkurrent mehr um die Macht in Flandern.
Zufrieden mit der Entwicklung befahl Sedersen Jef van der Bovenkant, ihm einen Cognac einzuschenken. Er nahm das Glas entgegen, sog den Duft ein und trank einen Schluck. Als er den Schwenker auf den Tisch zurückstellte, blitzten seine Augen triumphierend auf. »Wir sind schon sehr weit gekommen, Männer. Aber wenn wir siegen wollen, müssen wir weiterhin entschlossen handeln. Aus diesem Grund will ich auch noch das letzte Glied zerschlagen, das dieses verdammte Belgien zusammenhält, und das ist die Königsfamilie. Rechmann, ich will bis morgen Ihre Vorschläge hören, wie wir Albert II. und seine Sippschaft ausschalten können, ohne dass der Verdacht auf uns fällt.«
»Mach ich, Chef!« Anders als Dunker hatte Rechmann den ideologischen Verirrungen früherer Tage inzwischen Adieu gesagt. Zwar empfand er ein gewisses Bedauern darüber, auf alte Symbole und Gewohnheiten verzichten zu müssen, doch der Lohn dafür waren Macht und Ansehen, die er auf anderem Wege niemals erhalten würde.
Sedersen wusste, dass er sich auf Rechmann hundertprozentig verlassen konnte. Der Mann war seine rechte Hand geworden und würde auch in Zukunft dafür sorgen, dass ihm niemand gefährlich wurde. Zwengel und Eegendonk aber mussten ausgeschaltet werden, sowie sie ihre Schuldigkeit getan hatten. Wenn die beiden für immer von der Bildfläche verschwanden, würden selbst stramm rechte flämische Patrioten aufatmen. Auch Lutz Dunker würde noch hart an sich arbeiten müssen, wenn er sich nicht entbehrlich machen wollte.
»Wir trinken jetzt noch einen Schluck auf unseren Sieg, und zwar alle bis auf Dunker. Der hat heute schon mehr als genug gehabt und sollte sich in Zukunft stark zurückhalten.«
Dunker sah so aus, als würde er sich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen, und einige seiner Untergebenen genierten sich sichtlich, die Getränke entgegenzunehmen, die Jef van der Bovenkant austeilte. Doch Rechmanns mahnendes Hüsteln brachte auch den Letzten dazu, sein Glas zu erheben und es auf Sedersens Erfolg zu leeren.
Dieser trank den Männern zu und blickte anschließend auf seine Armbanduhr. »Es ist spät geworden. Wir sollten zu Bett gehen. Jasten, Sie kontrollierten noch einmal die Wachen. Dunker ist nicht mehr nüchtern genug dafür.«
»Wissen Sie, was Sie mich können?«, fuhr der Betrunkene auf. Da packte Rechmann ihn und schob ihn zur Treppe.
»Marsch ins Bettchen! Ab morgen trinkst du weniger, sonst kriegst du es mit mir zu tun!«