SECHZEHN
Die Fabrikhalle sah aus, als wäre in ihr eine Bombe explodiert. Das Dach war heruntergebrochen und die Mauern teilweise nach außen gedrückt. An der Stelle, an der sich das ausgeglühte Wrack eines Autos befand, stützten Handwerker die wacklige Wand mit Brettern ab, und ganz in der Nähe untersuchte ein Beamter den Boden.
»Da sind unzweifelhaft menschliche Überreste. Aber ohne eine gründliche Untersuchung kann ich nicht sagen, ob sie von einer Person stammen oder von mehreren!«, rief er einem Kollegen zu.
Torsten hatte einem Polizisten seinen MAD-Ausweis unter die Nase gehalten und trat nun mit Henriette im Schlepptau in die Überreste der Halle. Ein Polizist, der den Kriminalbeamten assistierte, sah sich zu ihm um und grinste schief.
Es dauerte einen Augenblick, bis Torsten ihn erkannte. »Ah, der Hühnertod! Was machen Sie hier in Thüringen? Ihr Verein ist doch in Ostfriesland beheimatet.«
»Wenn schon, dann Hünentod. Außerdem komme ich aus dem Emsland und habe mit Ostfriesen nur dann etwas zu tun, wenn sie wie gewisse Bayern unsere Ortschaften mit einer Formel-1-Strecke verwechseln«, antwortete der Polizist. »Aber zu Ihrer Frage: Wir sind im Assistenzdienst hier, um die hiesigen Einsatzkräfte zu unterstützen.«
»Haben Sie wenigstens ein paar von den Kerlen erwischt?«
Sven Hünermörder schüttelte bedauernd den Kopf. »Nur vier, die zu besoffen waren, um rechtzeitig abhauen zu können. Wir hätten vielleicht noch die eine oder andere Gruppe abfangen können, aber dann ist der Scheiß hier losgegangen.«
»Ich werde mir die Kerle später anschauen. Jetzt möchte ich erst einmal mit dem leitenden Beamten der Spurensicherung sprechen.«
»Der ist dort drüben«, erklärte Hünermörder überraschend zuvorkommend. Dann wies er auf Henriette. »Ihre Chauffeurin, was? Ist auch besser so bei Ihrem Fahrstil!«
»Das ist meine Kollegin«, knurrte Torsten und bedauerte es, dem Polizisten nach seinem Unfall nicht doch ein paar gescheuert zu haben.
Da Henriette die Vorgeschichte nicht kannte, freute sie sich, weil Renk sie als Kollegin vorgestellt hatte. Sie gab Hünermörder die Hand und folgte dann ihrem Ausbilder zum Leiter der Ermittlungen.
Torsten hielt dem Mann seinen Ausweis vor die Nase. »Grüß Gott! Was gibt es Neues?«
Der Kriminalbeamte zuckte mit den Achseln. »Unsere Untersuchungen sind noch nicht weit gediehen. Eines ist schon sicher: Das Feuer muss dort an der Stirnwand ausgebrochen sein. Was für ein Material da verbrannt ist, können wir noch nicht sagen. Die Hitze muss enorm gewesen sein, vierzehnhundert Grad oder höher. Sehen Sie sich das Auto an. Es ist total verformt worden. Da drinnen muss jemand verbrannt sein. Doch die Hoffnung, bei der Hitze, die hier geherrscht hat, genug organisches Material zu finden, um eine DNA-Bestimmung durchführen zu können, ist gering.«
»Wer auch immer hinter dieser Sauerei steckt, hat ganze Arbeit geleistet!«, mischte sich nun der Kripomann ein, der eben noch am Boden gekratzt hatte. »Meiner Meinung nach sind in dieser Halle mehrere Menschen verbrannt, aber ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie viele es waren. Vielleicht werde ich es auch nie herausfinden.«
»Tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht. Jeder Hinweis kann wichtig sein. Gibt es weitere Spuren?«
»Nichts. Es gibt weder Augenzeugen noch Aufzeichnungen von den Überwachungskameras. Die Geräte sind zerstört.«
»Haben Sie die Arbeiter befragt? Was ist mit dem Chefingenieur? «, bohrte Torsten weiter.
»Die Arbeiter haben gestern ganz normal um siebzehn Uhr Feierabend gemacht und sind heute um sieben wiedergekommen. Von Chefingenieur Gans wissen wir derzeit gar nichts.«
»Waren Sie in seiner Wohnung?« Torsten fragte ein wenig scharf, da er insgeheim fürchtete, die Kriminalbeamten nähmen den Fall nicht ernst genug.
Der Chefinspektor lachte unfroh auf. »Sie sind gut! Wir haben die ganze Innenstadt zu untersuchen, zusätzlich zu dieser Fabrik. Hier werden wir Tage brauchen, bis wir alle Spuren aufgenommen haben.«
»Wenn Sie etwas finden, sagen Sie uns Bescheid. Ich schaue mir inzwischen mal die Wohnung des Ingenieurs an und will dann die Festgenommenen sehen.« Torsten verabschiedete sich von dem Ermittlungsteam und kehrte zu seinem Wagen zurück. Sven Hünermörder wechselte ein paar Worte mit seinem Vorgesetzten und ging hinter Torsten und Henriette her. »Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich mit.«
Torsten wies mit dem Kinn auf den Rücksitz. »Steigen Sie ein. Vielleicht kann ich Sie ja brauchen.« Er nahm ebenfalls Platz und sah zu, wie Henriette den Wagen wendete und auf der Zufahrtsstraße zurückfuhr. Denselben Weg mussten auch die Leute genommen haben, die für den Brand in der Fabrikhalle verantwortlich waren. Die organischen Spuren deuteten darauf hin, dass diese skrupellos den Tod von Menschen in Kauf genommen oder diesen gar von eigener Hand herbeigeführt hatten.