DREI

Als Torsten Renk an diesem Morgen in sein Büro kam, saß Henriette bereits an ihrem Platz und studierte die Nachrichten im Internet. Sie war so vertieft, dass sie ihn zunächst nicht bemerkte. Als sein Schatten über sie fiel, sprang sie erschrocken auf und salutierte. »Guten Morgen, Herr Oberleutnant! «

»Guten Morgen, Leutnant. Was gibt es Neues auf der Welt?«

»Bürgerkrieg im Irak, Kämpfe in Afghanistan, Überfälle im Kongo, eben alles, das einem das Leben verbittern kann.«

»Das sagen Sie als Soldatin? Ohne Kriege und Bedrohungen wären wir doch überflüssig«, spottete Torsten.

»Wie Sie wissen, ist die Bundeswehr nicht dafür da, andere Länder zu bedrohen, sondern das eigene Land zu schützen. Wenn alle so dächten wie wir, wäre das Leben leichter.«

»Sie sind ja eine wahre Philosophin, Leutnant. Aber diese Welt zu verbessern hat nicht einmal Jesus Christus geschafft.« Torsten setzte sich und schaltete ebenfalls seinen Laptop ein.

Henriette fragte sich wieder einmal, was sie von ihm halten sollte. Hier in der Kaserne wirkte er mürrischer als während der Fahrt nach Suhl in der vergangenen Woche, und sie hatte den Verdacht, dass die Schreibtischarbeit ihn langweilte. Sie hingegen studierte mit Begeisterung jede Akte, die er, Major Wagner oder Petra Waitl ihr hinlegten. Es war ein neues Leben für sie, und sie hatte noch keine Sekunde bedauert, ihre Karriere bei der Luftwaffe aufgegeben zu haben, weil die Vorschriften ihr als Frau den letzten Schritt verwehrten, nämlich die Ausbildung zur Kampfpilotin.

»Manchmal ist die Polizei doch zu was gut. Man hat noch ein paar Kerle erwischt, die in Suhl dabei waren! Vielleicht finden wir jetzt heraus, wer dahintersteckt«, erklärte Torsten, der einen Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen glaubte.

Henriette blickte seufzend auf. »Das wäre schön! Es ist keine angenehme Vorstellung, dass diese Gruppen jederzeit erneut zuschlagen könnten.«

»Das, was die Kerle in Suhl veranstaltet haben, machen die kein zweites Mal! Das können sich weder Polizei noch Justiz leisten. Aber mich interessieren weniger diese prügelnden Idioten als die Hintermänner, die sie dorthin geschickt haben. Selbst Petra hat nichts herausgefunden.« Torsten hasste es, im Büro herumsitzen zu müssen, während draußen ein Schurke mit einem nachgebauten SG21 herumlief und schon bald weitere Menschen töten konnte. Obwohl Wagner ihm den Fall entzogen hatte, griff er zum Telefonhörer und tippte die Nummer von Petras Büroapparat ein.

»Hallo Petra, hast du schon herausgefunden, wer als nächster Haftentlassener mit einer Kugel unseres speziellen Freundes rechnen kann?«, sagte er, nachdem sie sich gemeldet hatte.

»Gestern ist ein heißer Kandidat entlassen worden. Aber da ist nichts passiert. Jetzt dauert es einige Wochen, bis der Nächste freikommt. Ich habe ein paar Berechnungen gemacht. Mein Computer sagt zu sechsundvierzig Prozent, dass der Typ es nicht noch einmal versuchen wird. Glaubst du, er hat gemerkt, dass du ihm gefolgt bist?«

»Wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen.« Torsten versuchte sich zu erinnern, wie nahe er dem Wagen des Mörders vor diesem idiotischen Unfall gekommen war, und schüttelte den Kopf, obwohl Petra das nicht sehen konnte. »Ich glaube nicht, dass der Mörder Verdacht geschöpft hat.«

»Dann frage ich mich, warum er gestern nicht in Aktion getreten ist. Der Entlassene ist ein Sexualmörder übelster Sorte. Normalerweise kommt so einer in Sicherheitsverwahrung, aber sein Verteidiger hat alle Register gezogen und ihm nicht nur dieses Urteil, sondern auch etliche Jahre Gefängnis erspart. Damit wäre er ein ideales Opfer für unseren Mörder gewesen.«

Petra klang enttäuscht. Obwohl sie niemandem den Tod wünschte, hoffte sie doch, der unheimliche Rächer würde es erneut versuchen und dabei erwischt werden. Allerdings gab es da noch ein Problem. »Du kannst den Kerl ohnehin nicht jagen, da Wagner dir den Fall entzogen hat«, erinnerte sie ihren Freund, um zu verhindern, dass er Dummheiten machte.

»Das habe ich nicht vergessen. Aber wenn ich schon in dieser Bude herumhocken muss, will ich wenigstens etwas Sinnvolles tun. Es liegt mir nicht, nur alte Akten zu wälzen.«

»Lass dich nach Afghanistan versetzen. Dort geht es derzeit so zu, dass du dich bald wieder an deinen Schreibtisch zurücksehnen wirst. Und jetzt … Entschuldige, der Boss ruft!« Petra legte auf und schaltete die Verbindung zu Wagners Zimmer durch. »Hier Waitl, was gibt es?«

»Kommen Sie sofort in mein Büro und bringen Sie Renk mit. Der Kerl telefoniert gerade.«

»Dann sollten Sie ihm vielleicht auch ein so modernes Telefon hinstellen lassen wie mir«, riet Petra ihm.

»Für die paar Mal, die er hier vor Ort ist, lohnt sich das nicht. Und jetzt setzen Sie Ihren Hintern in Bewegung, verstanden? «

Wagners Ausbruch überraschte Petra. Rasch verließ sie ihr Büro, lief die paar Schritte zu Torstens Zimmer und platzte hinein. »Los, mitkommen! Wagner will uns auf der Stelle sehen.«

»Hast du etwas ausgefressen? Ich bin mir nämlich diesmal keiner Schuld bewusst.« Torstens Scherz verpuffte angesichts des hektischen Ausdrucks auf ihrem Gesicht, und er sprang auf.

»Soll ich mitkommen?«, fragte Henriette, als Torsten zur Tür hinausstürmen wollte.

»Sie kommen mit. Immerhin hat Wagner uns wie Ochs und Esel zu einem Team zusammengespannt.«

»Fragt sich nur, wer von uns der Ochse ist«, murmelte Henriette leise genug, dass Torsten es nicht hörte. Petras feinem Gehör jedoch war es nicht entgangen, und sie kicherte leise vor sich hin.

Die geheime Waffe
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