DREIZEHN
Wagners Kopf war so rot wie eine reife Tomate. Die Lippen fest zusammengepresst saß er auf seinem Stuhl und starrte auf seinen Bildschirm.
Torsten blieb an der Tür stehen und räusperte sich. »Da bin ich, Herr Major.«
»Kommen Sie her und sehen sich diese Sauerei an.«
Gespannt trat Torsten näher. Auf dem Bildschirm war eine ausgebrannte Halle zu sehen, um die Polizisten und Zivilbeamte herumliefen. Einige der Männer sperrten das Gelände weiträumig mit weiß-roten Plastikbändern ab, andere machten Fotos von den Überresten eines Autos, das in der Halle verbrannt war.
»Was ist da los?«, fragte Torsten.
»Haben Sie von der gestrigen Zusammenrottung von Neonazis in Suhl gehört?«
Torsten schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe weder gestern noch heute Nachrichten gesehen.«
»Hätten Sie aber tun sollen! Die braune Pest ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Mehr als tausend dieser Kerle haben die Stadt überfallen und Schäden von etlichen hunderttausend Euro, vielleicht sogar von mehr als einer Million verursacht. Die Polizei war machtlos. Erst lange nach Mitternacht ist es den in Marsch gesetzten Einheiten der Bundespolizei gelungen, die Rechtsradikalen zu zerstreuen. Wie es aussieht, lassen sich unsere speziellen Freunde von ihren Gesinnungsgenossen in Flandern inspirieren, denn das Ganze ist beinahe exakt so abgelaufen wie die Unruhen in Beersel.«
Wagner starrte wieder auf den Monitor. »Ich vermute jedoch, dass die Randale ein Ablenkungsmanöver war. In der Nacht ist nämlich eine der dortigen Waffenfabriken überfallen worden. Das da«, Wagner tippte mit dem Finger auf den Bildschirm, »ist davon übrig geblieben.«
Torsten betrachtete die zerstörte Halle und zuckte mit den Achseln. »Ich finde, das ist eine seltsame Art, sich Waffen zu besorgen.«
»Sie verstehen anscheinend gar nichts! Das da war die Fabrik, in der der Prototyp des SG21 hergestellt worden ist.« Wagner sah Renk durchdringend an. »Und dabei haben wir bis jetzt noch nicht einmal die undichte Stelle gefunden, über die der Mörder, der Ihnen in Niedersachsen durch die Lappen gegangen ist, an die Pläne für die Waffe gekommen ist. Ich persönlich habe Mirko Gans, den leitenden Ingenieur der Fabrik, im Verdacht. Der hat wichtige Einzelteile des Prototyps höchstpersönlich angefertigt. Allerdings hat er die Pläne des SG21 nie im Ganzen zu Gesicht bekommen, sondern immer nur die der jeweiligen Komponenten, und die durfte er weder auf den Computer laden noch sonst wie kopieren. Unsere Kollegen vor Ort haben ihm scharf auf die Finger geschaut. Trotzdem muss er die Pläne kopiert und das Gewehr nachgebaut haben.«
»Wie hätte er das tun können?«, wandte Torsten ein.
»Mirko Gans wurde zwar überwacht, als er das Gewehr und die Spezialmunition hergestellt hat. Sonst aber konnte er tun, was er wollte, und er hatte genug Zeit, um das SG21 Stück für Stück nachzubauen.«
»Welchen Grund sollte Gans dafür gehabt haben?«
»Geld! Was sonst?«, mutmaßte Wagner. »Immerhin hat er sich vor ein paar Wochen eine neue Wohnung gekauft. Sie wissen ja, bei solchen Dingen kommt es ausländischen Geheimdiensten nicht auf ein paar Euro an.«
Torsten dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Das Ganze passt nicht zusammen!«
»Warum?«
»Kein ausländischer Geheimdienst würde hierzulande Menschen erschießen, die eigentlich ins Gefängnis gehörten, aber durch Verfahrenstricks davongekommen sind.«
»Und wenn man uns damit auf eine falsche Fährte locken will? Während wir hinter einem scheinbaren Irren her sind, lachen sie sich in Peking, Washington oder Moskau ins Fäustchen. Renk, das ist eine verdammt ernste Sache! Dieses Werk wurde von vier Bundeswehrkameraden und zwei Wachleuten gesichert, und diese sechs Männer sind spurlos verschwunden. Da ich nicht annehme, dass sie mit den Schurken, die das Gewehr an sich gebracht haben, zusammengearbeitet haben, müssen sie umgebracht worden sein. Unsere Leute können die niedergebrannte Halle noch nicht untersuchen, weil die Trümmer zu heiß sind. Aber es gibt bereits Hinweise auf menschliche Überreste.«
»Wenn das stimmt, haben wir es mit einem Gegner zu tun, der bedenkenlos über Leichen geht!« Renk beugte sich vor und betätigte ein paar Tasten.
»Was haben Sie vor?«, fragte Wagner.
»Ich will mir die Informationen über diesen Gans ansehen. Wenn er wirklich der Schurke ist, für den Sie ihn halten, hat er unsere Leute umgebracht und die Halle in Brand gesetzt, um alle Spuren zu beseitigen.«
»Tun Sie das in Ihrem Büro. Ich brauche meinen Computer selbst. Halt!«, rief Wagner, als Renk sich umdrehte und die Tür öffnen wollte. »Zuallererst setzen Sie sich in Ihr Auto und fahren nach Suhl. Sehen Sie sich alles an und suchen Sie nach Spuren. Ihr Wagen ist übrigens wieder repariert und daher wie neu.«
»Und was ist mit meinem Führerschein?« Torsten hoffte bereits, das begehrte Stück Plastik zurückzubekommen.
Sein Vorgesetzter schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen Leutnant von Tarow nicht ohne Grund zugeteilt. Sie werden sich in den nächsten sechs Monaten von ihr chauffieren lassen. «
Torstens Antwort war äußerst grob, doch Wagner ging nicht darauf ein, sondern starrte angespannt auf seinen Bildschirm.