ZWEI

Es war ein sonniger Morgen, noch ein wenig kühl nach der sternenklaren Nacht, doch auf der Terrasse der hübschen, am Fuße eines langgestreckten, bewaldeten Hügels stehenden Backsteinvilla ließ es sich aushalten. Heinrich von Tarow, Brigadegeneral a. D., setzte sich zufrieden an den Frühstückstisch, den seine Gattin liebevoll gedeckt hatte, und dankte Gott nicht zum ersten Mal für diese wunderbare Frau. Ohne sie hätte er wohl keinen Tag wie diesen mehr erlebt.

Er blickte Concepción lächelnd an und bewunderte die Geschicklichkeit, mit der sie die Frühstücksbrötchen aufschnitt und auf die Teller verteilte. Wenn sie beide aufrecht standen, reichte Concepción ihm gerade mal bis zur Brust. Zwar war sie in den letzten Jahren ein wenig in die Breite gegangen, aber das tat ihrer Attraktivität keinen Abbruch. Ihr rundliches Gesicht wirkte fröhlich, und sie war stets bereit, seine kleinen Launen hinzunehmen und ihm das Leben so behaglich wie möglich einzurichten.

An diesem Morgen hatte sie sich selbst übertroffen. Auf dem Tisch standen Platten mit so vielen Sorten Schinken, Wurst und Käse, dass es für eine halbe Kompanie gereicht hätte. Dazu gab es Rührei mit Speck, warme Würstchen sowie Honig und Marmelade aus eigener Produktion.

Es war aber auch ein ganz besonderer Tag. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr hatte sich die Familie wieder vollzählig am Tisch versammelt. Von Tarows Blick wanderte von seiner Frau weiter zu seinem Ältesten. Dietrich war noch ein paar Zentimeter größer als er und wirkte mit den kurzen, blonden Haaren, dem muskulösen Körper und dem kantigen Gesicht wie das Urbild eines Soldaten. Der alte General wusste zwar, dass Dietrichs Untergebene ihn einen Leuteschinder nannten, aber die Jungs würden trotzdem für ihn durchs Feuer gehen.

Sein jüngerer Sohn war noch nicht so weit. Obwohl Michael wie eine etwas schmalere Kopie seines Bruders wirkte, hielt der General ihn für unausgegoren. Außerdem war Michael vom Ehrgeiz getrieben und wurde fuchsteufelswild, wenn er eine Beförderung oder Auszeichnung nicht im gleichen Alter erhielt wie sein Bruder.

Der General beschloss, mit Michael ein ernstes Wort zu reden. Der Junge musste lernen, dass sein eigener Wert für ihn zu gelten hatte und nicht der von Dietrich. Schließlich wandte von Tarow sich dem Jüngsten seiner Kinder zu.

»Kannst du mir die Butter reichen, Henriette?«

»Gerne, Papa.« Eine sonnengebräunte Hand ergriff die Butterdose und streckte sie dem alten Herrn hin.

»Danke!« Auch am Frühstückstisch legte General von Tarow Wert auf Höflichkeit. Daher traf sein strafender Blick Michael, der sich auf seinem Stuhl lümmelte. »Kannst du nicht gerade sitzen, mein Sohn?«

Während Michael sich sofort aufrichtete und den Rücken straffte, musste sein Bruder grinsen. »Michael ist nicht oft genug hier, da verlieren sich die guten Manieren …«

»Idiot!«, raunte ihm der Bruder zu, aber nicht leise genug, so dass das Wort auch an das Ohr des Vaters drang.

Der General räusperte sich, strich die Butter auf das Brötchen und wählte bedächtig ein Stück Schinken aus, bevor er sich wieder seinen Söhnen zuwandte. »Michaels Manieren lassen manchmal zu wünschen übrig. Die deinen übrigens auch, Dietrich.«

»Soldaten sind nun einmal ein raues Volk. Das müsstest du doch am besten wissen, Papa. Immerhin warst du General«, wandte seine Tochter lächelnd ein.

»Trotzdem war ich immer höflich, solange es keinen Grund gab, die Stimme zu heben.« Von Tarow betrachtete das Mädchen schmunzelnd. Gegen ihre beiden Halbbrüder wirkte sie sehr klein, überragte aber ihre Mutter um ganze fünfzehn Zentimeter. Henriette Corazon war schlank wie eine Gerte, konnte aber mit den runden Hüften und dem zwar kleinen, aber wohlgeformten Busen ihr Geschlecht nicht verbergen. Sie trug eine dunkelblaue, wenig kleidsame Hose und eine gleichfarbige Uniformjacke mit den Rangabzeichen eines Leutnants der Luftwaffe. Anders als ihre Brüder hatte sie ihr Barett neben sich auf den Tisch gelegt. Von Tarow bedachte beide mit einem mahnenden Blick und wies auf ihre Köpfe. Michael riss sich sogleich das Barett vom Kopf, während Dietrich dem stummen Befehl bedächtiger folgte und sich dann an seine Stiefmutter wandte. »Entschuldige bitte, Concepción, aber im Dienst scheinen unsere Manieren wirklich zu leiden.«

»Aber das macht doch nichts.« Von Tarows Frau lächelte, so wie sie es fast immer tat, wenn sie mit einem der Söhne ihres Mannes sprach. Sie mochte beide, auch wenn der Umgang mit Michael etwas komplizierter war als mit seinem älteren Bruder. So wie Dietrich musste ihr Mann einmal ausgesehen haben, bevor ihm jener schreckliche Unfall zugestoßen war, dachte sie, ein großer, starker Mann, der sich seiner sicher war und keine Zweifel kannte.

Dietrich und Michael hatten ohne zu zögern den Beruf ihres Vaters ergriffen, weil es bei den von Tarows Sitte war, im Militär zu dienen. Concepcións Blick wanderte weiter zu ihrer Tochter. Henriette Corazon war ein hübsches Mädchen, und sie hätte sie gerne in einem schmucken Kleid gesehen. Doch zu ihrem Leidwesen hatte ihre Tochter darauf bestanden, ebenfalls der Familientradition zu folgen und in die Bundeswehr einzutreten.

Vergeblich hatte Concepción versucht, sie von diesem Schritt abzuhalten. Mit einer Hartnäckigkeit, die für sie erschreckend war, hatte das Mädchen den einmal eingeschlagenen Weg verfolgt und sich weder von ihren Vorhaltungen noch von den spöttischen Bemerkungen ihrer Halbbrüder davon abhalten lassen. Nicht zufrieden damit, Transportflugzeuge und Rettungshubschrauber zu fliegen, hatte sie nun die Einheit gewechselt, und dieser Schritt gefiel ihrer Mutter noch viel weniger.

»Du hättest Cory diese verrückte Idee mit dem Geheimdienst ausreden sollen«, sagte Concepción klagend zu ihrem Mann.

Ihr Gatte lächelte. »Noch ist sie nicht aufgenommen. Die Ausbildung ist hart, und es kann durchaus sein, dass Henriette bald zu ihrer alten Einheit zurückkehrt.«

Er wechselte einen verständnisinnigen Blick mit seiner Tochter. Im Gegensatz zu seiner Frau war er stolz auf sie. Wäre es nach Concepción gegangen, würde seine Tochter mit irgendeinem aufreizenden Fummel bekleidet hier sitzen und sich die Fingernägel lackieren. Zu seinem Leidwesen hatten auch seine Söhne solche Vorstellungen und behandelten die kleine Schwester eher wie ein liebenswertes, exotisches Haustierchen, dem man mit einer gewissen Nachsicht begegnen musste. Aber seine Tochter hatte allen gezeigt, dass sie trotz ihres Aussehens eine echte von Tarow war.

»Am Mittwoch muss ich mich in München bei meinem neuen Vorgesetzten melden. Dann werde ich einem Kollegen zugeteilt, mit dem ich zusammenarbeiten soll«, erklärte Henriette stolz.

»Weiß man schon, wer der arme Kerl ist, der dich dann am Hals hat?«, wollte Michael wissen.

»Ich habe vor ein paar Tagen eine Mail bekommen. Es ist ein Oberleutnant namens Torsten Renk.«

»Renk? Dieses Schwein?« Michael sprang auf und stieß seinen Stuhl zurück, so dass er umfiel.

»Wenn dieser Mann so schlimm ist, ist es vielleicht besser, Cory geht nicht nach München«, rief Concepción erschrocken aus. Im Gegensatz zu ihrem Mann, der die Tochter immer bei ihrem ersten Vornamen Henriette nannte, kürzte die Mutter ihren zweiten Vornamen Corazon zu Cory ab.

»Renk ist in Michaels Augen nur deshalb ein Schwein, weil der Mann es gewagt hat, bei einem Lehrgang besser abzuschneiden als mein Bruderherz.« Dietrich von Tarow grinste, denn er konnte sich noch gut an den Rekruten Torsten Renk erinnern, den er vor Jahren ausgebildet hatte. Später hatte er dessen Spur verloren und erst vor kurzem erfahren, dass er noch immer beim gleichen Verein war, wenn auch jetzt unter dem Flammensymbol des MAD.

Michael blieb ihm die Antwort schuldig, doch der General hob den rechten Zeigefinger. »Was auch immer man von einem Menschen halten mag: Ich dulde es nicht, dass jemand am Frühstückstisch mit einem Schwein oder einem ähnlichen Tier verglichen wird. Und nun zu Renk: Ich habe mich gestern kundig gemacht, was von ihm zu halten ist. Das Ergebnis ist erstaunlich.«

General von Tarow machte eine kurze Pause, um die Spannung zu erhöhen. »Torsten Renk hat an mehreren Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilgenommen und wurde jedes Mal mit der Einsatzmedaille in Gold ausgezeichnet. Für Afghanistan und den Kosovo hat er zusätzlich die vergleichbaren Medaillen der Nato erhalten. Dazu trägt er das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze, den Verdienstorden der Italienischen Republik, den Orden des Marienland-Kreuzes von Estland und ist zudem Ritter der französischen Ehrenlegion.«

Henriette schnappte nach Luft.

Auch Dietrich war beeindruckt. Michael aber kaute auf seinen Lippen herum. »Der Kerl ist ein übler Streber.«

»Dein Ehrgeiz ist auch nicht gerade klein, Brüderchen. Wenn es nach dir ginge, wärst du jetzt bereits Generalinspekteur der Bundeswehr oder wenigstens Generalleutnant«, warf Dietrich ein.

Henriettes Mutter griff einen anderen Aspekt auf. »Wenn dieser Renk so viele Orden erhalten hat, lebt er auch sehr gefährlich. Ich glaube nicht, dass ich mir das für Cory wünsche.«

Der alte General nahm ihre Hand und streichelte sie. »Ein Soldat muss damit rechnen, in Erfüllung seines Dienstes in Gefahr zu geraten, meine Liebe. Mir ist es lieber, Henriette erhält einen Ausbilder, der bereits gezeigt hat, was er kann, als einen Schreibtischhengst, dem sie zeigen muss, wie man eine MP5 nachlädt, während ihnen bereits die Kugeln um die Ohren fliegen.«

Michael tat den Einwand seines Vaters mit einer verächtlichen Handbewegung ab. »Die Schnüffler vom MAD gehen doch nirgends hin, wo es für einen richtigen Soldaten brenzlig werden kann!«

»Renk war im letzten Jahr sowohl in Afghanistan wie auch im Kosovo und ist mindestens ein Mal verwundet worden. Sonst hätte er nicht die Einsatzmedaille in Gold erhalten.« Der alte General zeigte seinem jüngeren Sohn deutlich, was er von seinen hämischen Bemerkungen hielt. Daher hielt Michael verärgert den Mund und widmete sich seinem Brötchen, während Henriette sich besorgt fragte, was ein so erfahrener Offizier wie Torsten Renk von ihr halten würde.

Die geheime Waffe
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