SIEBEN

Igor Rechmann zeigte zufrieden auf eine Gruppe junger Männer in gefleckten Kampfanzügen und Springerstiefeln, die in Richtung des Suhler Stadtzentrums unterwegs war. »Na, habe ich zu viel versprochen? Die Kerle sorgen für genug Aufmerksamkeit, so dass wir unseren Job in aller Ruhe erledigen können.«

Jasten starrte die Neonazis angewidert an. »Ich mag keine Leute, die wegen irgendeiner blödsinnigen Idee zu prügeln beginnen. Wenn ich einen Job übernehme, hat der Hand und Fuß und bringt vor allem etwas ein.«

»Keine Sorge! Das Ding hier wird sich für uns lohnen. Der Chef hat eine große Sache vor, und unser Job ist nur ein kleiner Teil davon. Aber er ist wichtig.« Rechmann startete den Motor und fuhr aus der Parklücke heraus. Er hatte das Auto, das er am Vortag benutzt hatte, durch jenen Kastenwagen ersetzt, der nach dem Mord an Hermann Körver umgespritzt worden war und nun ein Berliner Kennzeichen trug.

Er lenkte den Wagen durch enge Altstadtstraßen und fuhr dann Richtung Stadtrand. Unterwegs sahen sie immer wieder Gruppen mit schwarz-weiß-roten Fahnen und provokanten Schriftbändern in Richtung Steinweg und Marktplatz marschieren. Etliche der Kerle hielten Stangen oder Baseballschläger in den Händen, als könnten sie es nicht erwarten, auf Polizisten und Bürger einzuschlagen. Die Fernsehberichte aus Belgien, in denen flämische und wallonische Extremisten in wüster Weise aufeinander und auf die überforderte Polizei eingeknüppelt hatten, feuerten sie offensichtlich zusätzlich an.

Eine dieser Gruppen kam Rechmann mitten auf der Straße entgegen. Er hupte, doch die Kerle feixten nur. Schließlich musste er bremsen, um keinen von ihnen zu überfahren. Während sie an seinem Kastenwagen vorbeigingen, skandierten sie rechte Parolen, und einer hieb mit seinem Baseballschläger gegen die Fahrertür.

»Idioten!«, schimpfte Rechmann und ließ den Motor aufheulen. Eine stinkende Qualmwolke hüllte die Neonazis ein. Dann legte er den Gang ein und ließ den Wagen durchstarten. Im Rückspiegel sah er, wie einige der Kerle wütend hinter ihm herliefen und erst aufgaben, als sie begriffen, dass sie den Wagen nicht mehr einholen konnten.

»Der Schlag dürfte eine ordentliche Beule gemacht haben«, sagte Jasten.

»Das macht nichts. Ärgerlicher wäre es gewesen, wenn uns dieser Kerl eine Seitenscheibe oder gar die Frontscheibe eingeschlagen hätte. Dann hätte ich ihn mir gekrallt, das sage ich dir!«

Jasten traute es seinem hünenhaften Begleiter zu, den Schläger mitten aus der Schar seiner Freunde herauszuholen und zu verprügeln. Rechmann war stark wie ein Bär und fürchtete sich vor nichts und niemandem.

»Hoffentlich laufen uns diese Kerle nicht noch einmal über den Weg!« Jasten blickte besorgt nach hinten, doch von den Neonazis war nichts mehr zu sehen. Mittlerweile hatten sie ihr Ziel fast erreicht. Nicht weit vom Stadtrand waren vor einigen Jahren mehrere Plattenbauten aufwendig renoviert worden, und wer es sich leisten konnte, hier zu wohnen, zählte zu der kleinen Schicht in dieser Gegend, die weit besser verdiente als der überwiegende Rest. Das verrieten schon die neben der Straße geparkten Autos, die größtenteils zur gehobenen Mittelklasse gehörten.

Rechmann stellte den Kastenwagen ab und sah auf seine Armbanduhr. »Ich glaube, wir können.« Mit diesen Worten stieg er aus, öffnete die hintere Tür und holte einen Werkzeugkasten heraus. Ebenso wie Jasten hatte er einen blauen Monteuranzug über seine normale Kleidung gezogen. Er zog zwei Paar Arbeitshandschuhe aus dem Werkzeugkasten und warf ein Paar seinem Kumpan zu.

»Hier, zieh die Dinger an! Oder willst du Fingerabdrücke hinterlassen?« Danach reichte er Jasten eine Pudelmütze und setzte selbst ebenfalls eine auf. »Das ist für die Haare. Wenn die Wohnung durchsucht wird, dürfen sie nichts finden, das auf uns hindeutet. Wenn du also in der Nase popelst, lass es nicht auf den Teppich fallen.« Rechmann packte grinsend seinen Werkzeugkasten, ging auf das mehrstöckige Wohnhaus zu und suchte auf dem Klingelbrett nach dem Namensschild. Das war nicht schwer, denn das entsprechende Schild war erst vor kurzem angebracht worden und stach unter den anderen hervor. Grinsend drückte er auf den Klingelknopf und zählte dabei in Gedanken bis fünf.

»Damit kriegst du sogar einen Toten wieder wach«, spottete Jasten, hielt aber sofort den Mund, als sich eine Frauenstimme meldete. »Wer ist da?«

»Wir sind vom Gaswerk. Irgendwo ist eine Leitung undicht, und wir müssen nachsehen, ob das bei Ihnen ist!«

Die Frau entriegelte die Tür. Ohne den Lift zu beachten, stiegen Rechmann und Jasten die Treppe hoch und standen kurz darauf vor einer Wohnungstür, auf der der Name Gans stand. Auf Rechmanns Wink läutete Jasten.

Die Tür wurde so schnell geöffnet, als hätte die Frau bereits dahinter gewartet. Sie war etwa vierzig Jahre alt, klein und zierlich gebaut und hatte ein spitzes Gesicht, das jede Farbe verloren zu haben schien.

»Was ist mit dem Gas?«, fragte sie ängstlich und schnupperte. »Also, ich rieche nichts!«

»Das können Sie auch nicht. Das Zeug ist leider völlig geruchlos. Lassen Sie mich mal sehen.« Rechmann schob die Frau beiseite und trat ein. Sein Kumpan folgte ihm und zog die Tür hinter sich zu.

»Wo ist die Küche?«, fragte Rechmann.

Die Frau zeigte auf eine Tür und drehte ihm dabei den Rücken zu. In dem Augenblick packte Rechmann sie von hinten und hielt ihr den Mund zu.

»Im Werkzeugkoffer ist Klebeband!«, wies er Jasten an. Dieser holte es samt einer Schere heraus, und bevor die Frau es sich versah, hatten ihr die beiden Männer einen breiten Streifen Isolierband über den Mund geklebt. Trotzdem versuchte sie noch zu schreien, doch sie brachte nur noch ein dumpfes Lallen hervor.

»Wenn du nicht aufhörst, kleben wir dir auch noch die Nase zu!« Die Frau war nun so eingeschüchtert, dass sie sich widerstandslos die Arme fesseln ließ. Dann setzten die Männer sie auf einen Stuhl und banden ihre Fußknöchel daran fest.

»Das ging ja wie geschmiert!« Rechmann klopfte seinem Kumpan zufrieden auf die Schulter und blickte dann auf seine Uhr. »Jetzt müssen wir nur noch warten, bis der richtige Fisch ins Netz schwimmt.«

»Wird das lange dauern?«

»Ein, zwei Stunden.«

»Und so lange sollen wir uns die Beine in den Leib stehen? Ich wüsste Besseres mit der Zeit anzufangen.«

»Was denn?«

Der Blick, mit dem Jasten die gefesselte Frau betrachtete, sagte Rechmann genug. »Du willst die Alte pimpern? Hier in der Wohnung geht das nicht, wir dürfen keine Spuren hinterlassen. Wenn die Bullen auf die Idee kommen, hier könnte so etwas passiert sein, suchen sie doppelt genau.«

Jasten fluchte leise, nickte aber. Sein Kumpan kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern sah sich in der Wohnung um. Zwei der fünf Zimmer waren zum Schlafen eingerichtet, ein weiteres als Wohnzimmer und das vierte als Büro. Im letzten Raum standen nur ein paar Umzugskartons.

Rechmann interessierte sich vor allem für das Büro. Er schloss den Schreibtisch auf, holte alle Papiere heraus und verstaute sie in einer Plastiktüte. Ganz unten hinter einem Stapel leeren Papiers versteckt stieß er auf eine eiserne Kassette mit einem Zahlenschloss.

Er stellte sie auf den Tisch und rief nach Jasten. »He, Karl, dein Typ wird verlangt!«

Jasten kam herein und sah die Kassette. »Na, Großer? Bei dem Ding ist doch eher Verstand gefragt als Muskelmasse!«

Einem anderen als Jasten hätte Rechmann die Nase gebrochen oder ihm wenigstens ein blaues Auge verpasst. Stattdessen aber grinste er nur erwartungsvoll und sah zu, wie sein Kumpan mit flinken Fingern an dem Zahlenschloss hantierte. Jasten brauchte keine drei Minuten, dann war die Kassette offen.

Innen lag ein dickes Bündel Papiere. Jasten warf einen kurzen Blick darauf. »Sieh dir das an! Dieser Ingenieur hat doch tatsächlich heimlich die Pläne des Supergewehrs kopiert. Fragt sich nur, was der Dreckskerl damit vorhatte.«

Rechmann schnaubte. »Wahrscheinlich wollte er sie an denjenigen verkaufen, der ihm am meisten dafür zahlt. Der Chef wird froh sein, dass wir früh genug gekommen sind. Pack das Zeug ein! Die leere Kassette nehmen wir ebenfalls mit, sonst fällt das auf.«

Ihm war klar, dass die Pläne seines Anführers durch unvorhergesehene Ereignisse dieser Art höchst gefährdet waren. In Zukunft musste er noch besser aufpassen, um rechtzeitig eingreifen zu können. Er dachte an den alten Mann, den sie vor mehreren Tagen samt seinem Wagen in einem kleinen See versenkt hatten. Bis jetzt hatte noch niemand sein Verschwinden bemerkt.

»Auch hier wird ihnen nichts auffallen«, sagte Rechmann zu sich selbst und setzte die Durchsuchung der Wohnung fort.

Die geheime Waffe
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