VIERZEHN

Zunächst hatte Henriette versucht, ihre Fesseln abzustreifen. Doch obwohl ihre Hände nur mit einem einzigen Kabelbinder hinter dem Rücken zusammengebunden waren, gelang es ihr nicht. Durch die Anstrengung lief ihr der Schweiß über die Stirn und brannte in ihrem verletzten Auge.

»Verdammt! Ich muss das Zeug loswerden!« Sie fluchte und zerrte erneut an dem Kabelbinder.

»Seien Sie nicht so hektisch«, wies Torsten sie zurecht.

»Sie wären auch hektisch, wenn Sie dringend aufs Klo müssten.«

»Das ist unschön für Sie!«

»Für Sie auch, weil Sie sich nicht einmal die Nase zuhalten können«, gab Henriette zurück.

»Vielleicht sind ein paar von den Schurken in der Nähe! Ich versuche, ob ich so laut rufen kann, dass man uns hört. He, ihr da! Kommt her, sonst braucht ihr bald Gasmasken!«

Es dauerte einige Augenblicke, dann wurde die Eingangstür geöffnet. Dunker, der mit zweien seiner Kumpane draußen Wache hielt, schaute herein. »Was ist denn los?«

»Meine Kollegin muss mal aufs Töpfchen!«

»Auf den Trick falle ich nicht herein!« Dunker wollte sich schon wieder abwenden, doch Torsten schnauzte ihn an. »Du Vollidiot! Wir sind beide gefesselt. Hast du Angst, wir würden dir und deinen Kumpanen nachkriechen und euch ins Bein beißen?«

Dunker fuhr herum und lief rot an. »Wenn du willst, kann ich da weitermachen, wo Rechmann aufgehört hat.«

»Ihr seid ja alle solche Helden! Kein Wunder, dass ihr euch nach dem Krawall in Suhl schnell in Belgien verkrochen habt.«

Torsten war nur noch wütend. Er hatte von seiner früheren Freundin Graziella Monteleone gehört, wie diese in einem Camp italienischer Faschisten behandelt worden war. Möglicherweise würde man auch Henriette nicht zur Toilette lassen, sondern sie dann, wenn sie in die Hose gemacht hatte, vor allen Leuten nackt ausziehen und mit einem Wasserschlauch abspritzen.

Auf die Idee kam Dunker jedoch nicht, sondern drehte sich zu seinen beiden Spießgesellen um. »Ihr bleibt hier und passt auf, dass nichts passiert. Ich rede mal mit Rechmann …«

»Mit Igor«, unterbrach ihn einer seiner Freunde grinsend.

»Wenn du ihn in seiner Gegenwart so nennst, macht er Schaschlik aus dir.« Dunker ärgerte sich zunehmend über die ständigen Disziplinlosigkeiten seiner Männer, ohne daran zu denken, dass sein eigenes Verhalten nicht gerade vorbildlich war. Mit schnellen Schritten verließ er den Keller und stieg die Treppe hoch, bis er Rechmanns Zimmer erreicht hatte, und klopfte an.

»Herein!«, scholl es von drinnen heraus.

Dunker öffnete die Tür und trat ein. »Entschuldige, Kamerad Walter. Aber es geht um unsere Gefangenen. Die Kleine muss aufs Töpfchen.«

»Stell ihr irgendeinen Eimer hinein. Das muss reichen«, sagte Rechmann unwirsch, der sich in seinen Überlegungen gestört fühlte.

»Wenn wir die Frau jetzt losbinden, wird sie den Kerl befreien. «

»Befreien? Ach was! Unsere Leute sorgen schon dafür, dass die Gefangenen nicht aus dem Raum kommen. Schneide die Frau los, aber pass auf, dass sie dir nicht in die Eier tritt. Von den Käsköpfen habe ich gehört, dass das eine ihrer Spezialitäten ist.«

Damit war nach Rechmanns Meinung alles gesagt, und er widmete sich wieder der Karte auf seinem Tisch. Dunker sah ihm neugierig über die Schulter und erkannte, dass es sich um den Plan eines kleineren Ortes nahe der Schelde handeln musste. Den Namen konnte er nicht lesen, da Rechmann sein Bierglas darauf gestellt hatte.

Als Dunker den Raum verlassen wollte, rief Rechmann ihn noch einmal zurück. »Du kannst Bovenkant hochschicken! Er soll mir noch ein Bier bringen. Haben wir noch Kartoffelchips? «

»Ich werde Jef fragen. Aber jetzt muss ich los, sonst müssen wir die Zelle unserer Freunde saubermachen.«

»Halt, Dunker, nicht so schnell! Schick Bovenkant zu den Gefangenen. Ihr anderen haltet Abstand und vor allem eure Kanonen bereit.«

»Hältst du diesen Renk für so gefährlich?«, fragte Dunker verblüfft.

Rechmann stieß ein kurzes Lachen aus. »Nicht nur Renk, sondern auch das Weibsstück. Du hast doch gehört, wie die beiden Eegendonks Leute in Breda vermöbelt haben. Wenn die eine Gelegenheit dazu bekommen, machen die auch aus dir und deinen Männern Hackfleisch!«

An dieser Bemerkung hatte Dunker zu schlucken. Er hielt sich selbst und seine Männer für harte Burschen, denen so leicht niemand gewachsen war. Die Behauptung, ein Weibsstück, und dazu eine halbe Schwarze, könne besser sein als er, ließ ihn vor Wut kochen. Aber gegen Rechmann kam er vorerst noch nicht an.

»Jetzt verschwinde endlich! Sonst macht sich die Kleine wirklich noch in die Hose.« Rechmann wedelte mit der Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen.

»Ich bin schon weg!« Mit diesen Worten stapfte Dunker hinaus und brüllte bereits auf der Treppe nach Jef van der Bovenkant. Er fand ihn in der Küche auf einem Stuhl sitzen.

»He, aufstehen, es gibt etwas zu tun!«, schrie Dunker ihn an und versetzte ihm einen Tritt vors Schienbein.

»Was ist denn los?«, fragte Jef, während er sich die getroffene Stelle rieb. Dabei wünschte er sich, Dunker einmal allein in der Nacht und mit einem Knüppel in der Hand zu begegnen. Der Kerl hatte noch einiges bei ihm gut.

»Hol einen Eimer und bring ihn zu den Gefangenen. Dann bindest du das Weibsstück los, damit es in den Eimer scheißen und pinkeln kann.«

Jef nickte verkniffen. Das war wieder eine der unangenehmen Arbeiten, die Dunker und dessen Leute auf ihn abschoben. Noch während er zu der Kammer ging, in der die Reinigungskräfte früher ihre Sachen abgestellt hatten, fiel ihm eine bessere Lösung ein. Aus unerfindlichen Gründen befand sich in einem Abstellraum eine kleine Campingtoilette, und die war sicher besser geeignet als ein schlichter Eimer. Da es zu pressieren schien, beeilte Jef sich und kam schon bald mit dem sperrigen Ding zu Dunker zurück.

Dieser starrte das Mobilklo an und tippte sich an die Stirn. »Was soll denn der Unsinn?«

»Das ist eine Campingtoilette. So ein Ding ist hygienischer als ein offener Eimer.«

»Von mir aus. Komm mit!« Dunker winkte dem Flamen, ihm zu folgen, und ging zum Aufzug. Kurz darauf betraten sie den Teil des Kellers, in dem sich die Zelle mit den Gefangenen befand. Während Jef mit der Campingtoilette hineinging, standen Dunker und dessen Kumpane mit angeschlagenen Waffen an der Tür und gaben spöttische Kommentare von sich.

Die geheime Waffe
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