SIEBZEHN
Die riesige Hafenanlage war zu groß, um flächendeckend überwacht werden zu können. Torsten wusste zwar von Petra, dass es Kameras gab, aber die Computerspezialistin hatte ihm versprochen, in deren Steuerung einzugreifen. Daher konnte er sicher sein, dass sie weder ihn noch Henriette aufzeichnen würden. Nun prüfte Torsten noch einmal den GPS-Kompass und stellte fest, dass er den gesuchten Containern sehr nahe gekommen war. Um zu ihnen zu gelangen, musste er jedoch in das grelle Licht zurückkehren, das die an turmhohen Masten befestigten Lampen verbreiteten.
Torsten zögerte einen Augenblick und wurde für seine Vorsicht belohnt, da just zu dem Zeitpunkt der Nachtwächter mit seinem Hund zurückkehrte. Das Tier schien etwas zu wittern, denn es hielt den Kopf in den Wind und zerrte an seiner Leine.
Verdammter Mist!, dachte Torsten und überlegte, wie er das Viehzeug und den Wächter ausschalten konnte. Da legte an der anderen Seite des Hafenbeckens ein Frachter ab und steuerte mit schäumender Heckwelle in das Kanalbecken des Hafens hinaus. Der Gestank nach Diesel und anderen Dingen, die durch den Kamin und die Lüftungsöffnungen hinausgepumpt wurden, überlagerte Torstens Witterung, und der Hund beruhigte sich wieder.
Kurz darauf verließ der Wächter erneut den Kai am Churchilldok. Torsten schlüpfte aus seinem Versteck und rannte an den Containern entlang. Nicht lange, da wies ihm die auffällige Aufschrift des ersten den Weg. Petra hatte es fertiggebracht, beide Container als unterste eines hoch aufgestapelten Blocks zu platzieren, so dass er sie ohne Mühe erkennen und erreichen konnte. Weitere Stapel aus Containern boten ihm genügend Deckung. Er kniete sich vor den ersten, zog seinen Schraubenschlüssel aus dem Beutel, entfernte die Plombe und begann die Sicherungsbolzen abzuschrauben. Schließlich konnte er einen Türflügel entriegeln und vorsichtig öffnen, damit ihn kein Geräusch verriet. Als er mit der Taschenlampe das Innere des Containers untersuchte, fand er seine Befürchtungen bestätigt. Es gab keine getarnten Waffenkisten darin, sondern Schutt.
Sein Fluchen drang zu Henriette. »Ist es so schlimm?«
»Der erste Container ist mit Abbruchmaterial gefüllt. Ich schaue mir jetzt den zweiten an.«
»Vorsicht, der Wächter kehrt gerade zurück. Außerdem kommt ein Schiff herein.«
Torstens Antwort war nicht druckreif. Er schloss die Klappe wieder und hielt nach dem Wächter Ausschau. Der aber starrte nur auf den riesigen Containerfrachter, der eben von mehreren Schleppern in das Churchillbecken gezogen wurde. Das gab Torsten Zeit, die Türen sorgfältig zu verschließen und eine neue Plombe anzubringen.
Auch den Verschluss des zweiten Containers konnte er ohne Mühe abschrauben und hineinschauen. Ungläubig starrte er auf die einzige Fracht, die diese Riesenblechbüchse enthielt. Es handelte sich um eine protzige Limousine, die mit Ketten festgebunden war. Als er sich dem Wagen näherte, stach ihm ein bestialischer Gestank in die Nase.
Im Fahrgastraum der Limousine entdeckte er jedoch nichts, was den Gestank hätte verursachen können. Dann stellte er fest, dass der Kofferraumdeckel nicht richtig geschlossen war. Vorsichtig öffnete er, und ihm quoll ein Schwarm Fliegen entgegen. Dann sah er den Toten. Dieser war bereits so verwest, dass er ihn nur anhand des dunklen Anzugs und der kurz geschnittenen Haare als Mann identifizieren konnte. Woran er gestorben war, war jedoch nicht zu erkennen.
»Scheiße, Scheiße und dreimal Scheiße«, fluchte Torsten, während er den Kofferraumdeckel zudrückte und den Container ebenfalls wieder verschloss. Zu seiner Verwunderung antwortete Henriette nicht, und als er um eine Ecke des Containers spähte, sah er genau an der Stelle, an der er vorhin an Land gegangen war, die Bordwand eines Containerriesen aufragen, dessen Leinen eben von einigen Arbeitern an den Pollern befestigt wurden.
Doch wo war Leutnant von Tarow? Torsten verfluchte sich, weil er die junge Frau mitgenommen hatte, ohne an die Gefahren zu denken, die ihr hier drohten. Wenn sie zwischen dem ankommenden Schiff und der Kaimauer zerquetscht worden war, würde Wagner ihm den Kopf abreißen.
»Leutnant, wo sind Sie?«, rief er, so laut er es vertreten konnte, in das Sprechgerät. Bei dem Gedanken, dass Henriette wirklich etwas passiert sein könnte, wurde ihm eiskalt, und er rannte auf das Schiff zu.