FÜNF

Rechmann fiel ein Stein vom Herzen, als der erlösende Anruf von Jasten kam. Endlich hatte sich der Zug mit den beiden Waffencontainern in Bewegung gesetzt. Zufrieden verließ er das Haus, in dem er sein derzeitiges Hauptquartier eingerichtet hatte, und betrat die Halle, in der seine Leute auf ihn warteten. Sedersen hatte das Gelände samt dem daneben liegenden kleinen Flugplatz vor zwei Jahren gekauft und zu einem wichtigen Stützpunkt für die nationalen Kräfte Flanderns ausgebaut.

»Na, Jef, alles in Ordnung?«, fragte Rechmann den jungen Flamen, dem er eine besondere Rolle in seinem Plan zugedacht hatte. Jef van der Bovenkant war der einzige Flame im Team, der Französisch wie seine Muttersprache beherrschte. Daher sollte er als Anführer des Trupps auftreten und Befehle auf Französisch rufen. Auf diese Weise sollte die Schuld an dem Überfall auf jene radikalen Gruppen in der Wallonie gelenkt werden, die ihrerseits bereits gegen Flamen in den von ihnen beanspruchten Gebieten vorgegangen waren.

Van der Bovenkant nickte verkrampft. Er hatte in den letzten beiden Jahren an verschiedenen Krawallen teilgenommen, gehörte aber erst seit kurzem zu Zwengels Truppe. Sofort bei einer solch bedeutenden Aktion dabei sein zu dürfen erfüllte ihn mit Stolz. Gleichzeitig aber kämpfte er mit der Angst zu versagen.

Rechmann achtete nicht weiter auf ihn, sondern wandte sich an Lutz Dunker, den er zu seinem Unteranführer ernannt hatte. »Wie sieht es aus?«

»Bestens! Wir können jederzeit aufbrechen.«

»Dann nichts wie rein in die Fahrzeuge. Wenn unsere Späher melden, dass die Straßen frei sind, fahren wir los. Jeder nimmt seine eigene Route. Wir treffen uns wieder bei Gingelom. Aber das muss wie zufällig aussehen, verstanden?«

»Klar, Chef! Jeder von uns ist die Strecke, die er nehmen muss, schon mit dem Auto abgefahren. Wir kennen jedes Schlagloch.« Lutz grinste, denn für ihn war das, was sie vorhatten, ein Heidenspaß und gleichzeitig der Beginn der großen nationalen Revolution, die nach einem Sieg in diesem Land bald darauf auch seine Heimat erfassen würde.

»Noch etwas: Die Funkgeräte werden nur im äußersten Notfall benutzt. Außerdem will ich jeden von euch rechtzeitig am Treffpunkt sehen. Nehmt euch das zu Herzen und vergesst nicht, was mit Verrätern passiert!« Rechmann bemühte sich, drohend auszusehen, was ihm jedoch wegen seines rundlichen Säuglingsgesichtes nicht recht gelang.

Trotzdem nahm keiner der Männer seine Drohung auf die leichte Schulter. Ein paar waren Zeuge gewesen, als Kameraden hingerichtet worden waren, die für Vlaams Macht als Verräter gegolten hatten, und auch der Rest fürchtete die Bärenkräfte des so harmlos aussehenden Mannes.

Rechmann zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. »Hier Willem! Habt ihr gute Sicht?«, fragte er, als sich sein Gesprächspartner meldete.

»Klarer Himmel, weiter Horizont!«, meldete sein Späher.

Dann brach die Verbindung ab.

Rechmann zeigt Dunker den erhobenen rechten Daumen. »Eure Strecke ist frei. Wartet aber mit dem Losfahren, bis ich die anderen Meldungen habe. Ihr macht mir sonst zu viel Lärm!«

Mit einem Lachen schwang Lutz Dunker sich auf den Beifahrersitz eines großen Lasters, auf dessen Ladebühne sich ein mit einer grauen Plane verhüllter Container befand. Gesteuert wurde das Fahrzeug von einem Flamen, der genug Deutsch verstand, um sich mit ihm und den vier Kameraden, die sich in der winzigen Schlafkabine zusammendrängten, verständigen zu können.

Unterdessen rief Rechmann seine übrigen Gewährsleute an. Die Auskunft war in jedem Fall positiv, und so gab er seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch.

Ein Mann, der zurückbleiben musste, öffnete das Tor und winkte den Abfahrenden zu, während ein Fahrzeug nach dem anderen die Halle verließ. Zuerst rollten die beiden mit je einem Container beladenen Lkws an, dann Rechmann mit dem großen Autokran und ein weiterer, leerer Lkw. Diesem folgten vier Kleinbusse, die mit unterschiedlichen Aufschriften versehen waren. Aber sie waren nicht mit Fleisch und Würsten oder Tabakwaren beladen, wie die Werbung darauf suggerierte. Stattdessen hockte je ein gutes halbes Dutzend bewaffneter Kerle mit Pudelmützen und dunklen Pullovern in ihnen. Auf uniformähnliche Kleidung hatte Rechmann verzichtet, da die wallonischen Radikalen so etwas nicht verwendeten. Das letzte Auto war ein alter Toyota, dem in diesem Spiel eine besondere Rolle zugedacht war. Wer sich den Wagen hätte genauer ansehen können, dem wäre unter dem Lenkrad ein ungewöhnliches Gestänge aufgefallen. Zwischen den Füßen des Fahrers stand ein kleiner Elektromotor mit einem daran befestigten Kasten, von dem aus ein Draht zur Antenne des Autos führte, und auf dem Beifahrersitz lag eine Fernsteuerung, mit der normalerweise Modellflugzeuge dirigiert wurden.

Rechmann fuhr seinen Lkw selbst. Während er das Werksgelände verließ, sah er, wie die anderen Lastwagen in verschiedene Richtungen abbogen. Er würde einen Kilometer lang Dunkers Gefährt folgen und dann ebenfalls eine eigene Strecke nehmen.

Selbstzufrieden wandte er sich an Jef van der Bovenkant, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Jetzt sind wir mittendrin! Junge, mach deine Sache gut!«

Der Flame nickte, brachte aber kein Wort heraus. In Gedanken wiederholte er noch einmal die französischen Kommandos, die er rufen sollte, und hatte dabei das Gefühl, als würde er diese Sprache bei jedem Wort mehr verlernen.

Die geheime Waffe
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