SIEBEN

Torsten Renk lud die Daten, die er von Petra erhalten hatte, auf eine SD-Card und wollte sie anschließend in seinen Laptop kopieren. Doch gerade, als er den Befehl dazu geben wollte, zog er die Hand zurück. »Das ist zu riskant. Wenn die Kerle uns ausräuchern und den Kasten erbeuten, bekommen sie zu viel Informationen.«

»Sind die Daten denn nicht mit einem Passwort gesichert?«, fragte Henriette.

»Das schon. Aber Petra würde keine zwei Minuten brauchen, um alle Passwörter auf dem Gerät zu knacken. Was sie kann, vermag ein anderer vielleicht auch.« Torsten klappte das Gerät wieder zu und begann, einige Seiten auszudrucken.

Henriette sah ihm erstaunt zu. »Ist es nicht gefährlicher, die Daten als Loseblattsammlung mitzunehmen?«

»Ich drucke nur ein paar Karten und allgemeine Informationen aus. Wenn es sein muss, kann ich das Zeug verbrennen. Beim Laptop geht das nicht so leicht.«

Henriette musste lachen. »Haben Sie überhaupt Zündhölzer bei sich?«

»Selbstverständlich! Ebenso zwei Feuerzeuge und eine Schachtel Zigaretten als Tarnung.« Torsten holte die genannten Gegenstände aus seinen Taschen und hielt sie Henriette hin. Die Zigarettenschachtel war angebrochen, und es fehlten bereits etliche Zigaretten.

»Rauchen Sie etwa heimlich auf dem Klo? Ich habe Sie noch nie mit einer Zigarette gesehen!«

Torsten lachte. »Ich bin Nichtraucher. Aber ich kaufe mir immer mal eine Schachtel, reiße sie auf und schmeiße ein paar Zigaretten weg. Deshalb wundert sich auch niemand, wenn ich ein Feuerzeug mit mir herumschleppe.«

»Das sollte ich wohl auch tun. Nur darf Mama die Zigaretten nicht sehen. Die würde mir gewaltig den Kopf waschen. Immerhin hat sie es geschafft, Papa vom Rauchen abzubringen, und auch dafür gesorgt, dass meine Brüder keine Glimmstängel mehr anrühren. Wenn jetzt ich damit anfange, würde sie ausrasten.« Henriette kicherte, wurde aber rasch wieder ernst. »Was, glauben Sie, werden wir in Balen finden?«

»Wenn ich das wüsste, müssten wir nicht hinfahren. Wie sieht es übrigens mit Ihnen aus? Haben Sie Ihre Verletzungen halbwegs auskuriert, oder sollen wir noch einen Tag warten?«

Henriette taten die geprellten Rippen noch immer weh, und sie musste die Zähne zusammenbeißen, um trotz des Pferdekusses auf dem Allerwertesten geradeaus gehen zu können. Dennoch winkte sie ab. »Ich bin so gut wie wiederhergestellt. Sie brauchen keine Rücksicht auf mich zu nehmen.«

»Auf Sie nehme ich auch keine Rücksicht, sondern auf mich. Es kann leicht etwas schiefgehen, wenn der Partner wegen einer Verletzung nicht durchhält.«

»Danke!« Henriette strahlte Torsten an.

Er wirkte verdattert. »Danke? Äh, wieso?«

»Weil Sie mich eben Partner genannt haben. Das tut gut!« Während sie es sagte, nahm Henriette sich vor, alles zu tun, um Renk nicht zu enttäuschen.

Torsten wollte schon darauf antworten, er habe es nur ganz allgemein gemeint, schluckte die Bemerkung aber hinunter, um Henriette nicht zu kränken. Außerdem war sie, solange Wagner ihn nicht von ihr erlöste, tatsächlich seine Partnerin.

Er murmelte etwas wie »gern geschehen« und kümmerte sich wieder um seine Ausdrucke. »Hier ist dieser Flugplatz, der angeblich vom Aeroclub Keiheuvel benützt wird. Östlich davon befinden sich mehrere große Hallen sowie eine alte Villa, die Sedersen gehören. Das ganze Gelände ist, wie es aussieht, von einer erst kürzlich errichteten Mauer umgeben, deren Krone mit Stacheldraht und Glasscherben unerwünschte Besucher abhält.«

Henriette folgte seinem Zeigefinger, der von einem Symbol zum anderen wanderte, und sah ihn dann fragend an. »Aber wie kommen wir auf das Gelände?«

»Das müssen wir erst in Erfahrung bringen. Packen Sie Ihre Siebensachen. Es kann sein, dass wir ein paar Tage ausbleiben. Wir werden uns in Balen, Lommel oder Wezel ein Zimmer mieten, damit wir nicht andauernd hierher zurückfahren müssen. Allerdings glaube ich nicht, dass wir viel zum Schlafen kommen. Wir werden die Villa, die Hallen und den Flughafen Tag und Nacht überwachen.«

»Ich dachte, wir sollen uns hineinschleichen und herausfinden, was dort gespielt wird?« Henriette klang enttäuscht, sie hatte von Renk ein entschlosseneres Vorgehen erwartet.

Torsten schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie müssen noch einiges lernen, Leutnant. Wilde Attacken waren vielleicht früher einmal etwas für die Kavallerie. Wir aber gehen mit Verstand vor. Es nützt uns nichts, wenn wir die Vögel aufscheuchen und dann ein leeres Nest vorfinden.«

»Wahrscheinlich haben Sie recht.« Henriette zog die Schultern ein, denn für ihr Gefühl hatte sie sich wieder einmal blamiert.

Torsten hatte nicht vor, sie zu schonen. »Wenn Sie Ihre Vorstellungen von unserem Beruf aus James-Bond-Filmen haben, sollten Sie sich von dieser Idee verabschieden. Wir haben weder die Lizenz zum Töten noch jenes sagenhafte Ermittlungsglück, das die Drehbuchschreiber ihrem Action-Helden in die Rolle schreiben. Unser Job ist es, zu beobachten, den richtigen Moment abzuwarten und dann zuzuschlagen.«

»Tut mir leid, das war eine dumme Bemerkung.«

Renk grinste in sich hinein. Er hatte seine Partnerin nicht ohne Absicht in ihrem Überschwang bremsen wollen. Es brachte nichts, wenn sie ungeduldig wurde und dadurch Fehler beging. Nun gab er sich wieder versöhnlich. »Sie haben nichts Dummes gesagt, Leutnant. Und vor allem, Sie haben nichts Dummes getan – so wie ich bei meinem ersten Einsatz. Mein Ausbilder ist damals ziemlich sauer gewesen, weil ich übereilt gehandelt hatte. Uns wäre damals beinahe ein Wissenschaftler entkommen, der Baupläne für ein spezielles Drohnenabwehrgerät ins Ausland hatte schmuggeln und an eines der von dem damaligen US-Präsidenten als Schurkenstaaten bezeichneten Länder verkaufen wollen.«

Torsten wunderte sich selbst, weil er den Bock, den er damals fast geschossen hätte, so einfach zugab. Aber wenn es half, Leutnant von Tarow vorsichtiger zu machen, war es ihm das wert.

»Ich freue mich, dass Major Wagner Sie zu meinem Ausbilder bestimmt hat!« Noch vor ein paar Tagen hätte Henriette sich eher die Zunge abgebissen, als das zu sagen. Jetzt merkte sie zu ihrer Überraschung, dass sie es ernst meinte. Sie war ihm dankbar für seine offenen Worte. Damit zeigte er ihr, dass auch er nicht von Anfang an vollkommen gewesen war und dies auch von ihr nicht verlangte.

»Wagner weiß, was er tut«, antwortete Torsten amüsiert. Bis jetzt hatte seine Begleiterin ihn nur positiv überrascht, und er hoffte, dass dieser Zustand noch länger anhalten würde. Trotzdem kehrte er noch einmal den knurrigen Vorgesetzten heraus. »Ich hatte Ihnen doch befohlen, Ihre Sachen zu packen. In einer Viertelstunde fahre ich los – und wenn ich mich selbst hinter das Steuer klemmen muss.«

Henriette salutierte übertrieben zackig. »Herr Oberleutnant, ich werde rechtzeitig fertig sein.«

»Sie wären die erste Frau, die ich kenne, der das gelingt«, brummte Torsten und vergaß dabei ganz, dass sie mit dem Packen schon einmal schneller gewesen war als er.

Die geheime Waffe
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