ZWEI
Sedersen musste nicht lange auf Kaffenberger warten. Dieser stürmte durch die Eingangstür, sah sich kurz um und kam winkend auf ihn zu. »Grüß dich, Geerd. Schön, dass du Zeit für mich hast.«
»Das ist doch selbstverständlich, Caj. Setz dich erst einmal und bestell dir was zu trinken.«
Kaffenberger drehte sich um und winkte die Serviererin heran. »Einen doppelten Espresso, bitte. Außerdem können Sie mir einen Cognac bringen. Den brauche ich zur Beruhigung«, setzte er an Sedersen gewandt hinzu.
»Wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, so ist es die Tatsache, dass Alkohol kein Problem beseitigt, sondern eher neue schafft«, antwortete Sedersen, während er den mittelgroßen, aber wuchtig wirkenden Mann musterte.
»Ein Cognac fällt doch nicht ins Gewicht. Du kommst wohl wieder von deinem Altherrentreff, was? Diese Männer sind doch längst jenseits von Gut und Böse.«
»Von Straelen und seine Freunde haben mir sehr geholfen. Ohne sie wäre ich nicht dort, wo ich jetzt stehe.«
»Du bist unverschämt reich und kannst dir alles leisten, was du willst. Vor allem aber hast du keine gierige Harpyie am Hals, die dich aussaugen will.« Kaffenberger verzog das Gesicht und schüttete den Cognac, den die Bedienung vor ihn gestellt hatte, in einem Zug hinunter.
»Nicole besteht also weiterhin auf einer Scheidung?«
»Wenn es nur die Scheidung wäre, könnte sie die wegen mir mit Kusshand haben. Aber das Miststück will mich fertigmachen. Sie hat sich von einem Staranwalt ausrechnen lassen, wie viel Geld sie von mir verlangen kann. Über drei oder vier Millionen hätte ich noch mit mir reden lassen. Aber sie will mehr als siebzig Millionen – stell dir das mal vor! –, und das geht an meine Substanz. Wenn sie recht bekommt, und das wird sie wohl wegen unseres idiotischen Ehevertrags, bin ich ruiniert. Ich müsste den größten Teil meiner Firma verkaufen, um das Geld aufzubringen, und angesichts der wirtschaftlichen Lage kann ich das meiste nur mit hohem Verlust abstoßen.«
Kaffenberger schnaufte und bestellte sich einen zweiten Cognac. Nachdem er diesen getrunken hatte, packte er Sedersen am Ärmel und dämpfte die Stimme. »Du hast bei unserem letzten Treffen erklärt, du würdest eine solche Frau eher niederschießen, als ihr Geld zu geben.«
»Mein Gott, du kannst doch nicht jedes Wort von mir ernst nehmen!« Sedersen wehrte heftig ab, spürte aber gleichwohl den Reiz, nach mehreren Männern das SG21 auch einmal auf eine Frau anzulegen und abzudrücken.
»Du musst mir helfen, sonst bricht meine Firma zusammen. Vergiss nicht, du hast fast zehn Millionen bei mir investiert. Die wären dann ebenfalls weg!«
»Das kann ich verkraften.«
»Kannst du auch verkraften, wenn das da an die Öffentlichkeit gelangt?« Kaffenberger zog ein Foto aus seiner Brieftasche und schob es Sedersen hin.
Dieser blickte kurz darauf und legte es mit der Bildseite nach unten auf den Tisch. »Woher hast du das?«
»Ich habe es damals bei der Sonnwendfeier unserer Burschenschaft aufgenommen. Du siehst gut darauf aus, mit ausgestrecktem Arm, aufgemaltem Bärtchen und Hakenkreuzbinde. Gewiss würde es manch einen außerdem interessieren, wer einige der vaterländischen Gruppen alimentiert. Wie du siehst, weiß ich Bescheid.«
Sedersen ärgerte sich weniger über die Forderung, Kaffenbergers Ehefrau aus dem Weg zu räumen, als über die Art, in der sein früherer Kommilitone und langjähriger Geschäftsfreund ihn erpresste. Zwar hatte er gewusst, dass auch Kaffenberger der rechten Szene Sympathien entgegenbrachte, ihn aber nie in seine Pläne einbezogen. Dennoch war es dem Mann gelungen, ihn als Unterstützer gewisser Gruppen auszumachen. Sedersen drehte in Gedanken mehreren Anführern der freien Kameradschaften den Hals um. Warum hatten die Kerle das Maul nicht halten können? Nun wurde es wirklich Zeit, dieses Land zu verlassen und an jener Stelle aktiv zu werden, an der es sich für ihn lohnte. Dafür aber musste er reinen Tisch machen, und dazu gehörte auch, dass er das Negativ dieses Fotos in die Hand bekam und jedes Speichermedium, auf dem es sich befinden konnte.
»Du weißt also Bescheid«, setzte er das Gespräch fort. »Wenn du allerdings zu laut plärrst, finden gewisse Leute heraus, dass auch du zu den Freunden der Szene gehörst. Nicole würde sich freuen, dies vor Gericht gegen dich verwenden zu können.«
»Wenn es ihr gelingt, mich zu ruinieren, kommt es darauf auch nicht mehr an«, antwortete Kaffenberger achselzuckend.
Sedersen schüttelte langsam den Kopf. Kaffenberger hatte schon immer zu emotional gehandelt, obwohl er mit kühlem Verstand weiter gekommen wäre. Diesen Umstand wollte er sich zunutze machen. Daher beugte er sich lächelnd vor. »Also gut, ich werde dir helfen. Es wundert mich nur, dass du unter deinen … äh, Freunden vom rechten Rand keinen gefunden hast, der diese Sache für dich regelt.«
»Wenn die Kerle zuverlässig wären, hätte ich es getan. Aber ich wollte nicht erpressbar werden.«
»Und du meinst, über mich wärst du es nicht?«, fragte Sedersen amüsiert.
»Du wirst mich nicht hinhängen. Denn danach wärst du ebenfalls fällig.«
»Bitte keine Drohungen. Die verfangen bei mir nicht. Wenn ich diese Sache für dich regeln soll, will ich etwas mehr dafür als das Foto eines alten Studentenulks.«
»Was willst du? Geld? Mir ist die Sache schon einiges wert.«
»Geld? Nein, nicht direkt! Aber wir könnten gemeinsam in Flandern investieren.«
Kaffenberger sah ihn verblüfft an. »Ausgerechnet in diesen Kochtopf, der jeden Augenblick hochgehen kann?«
»Wer jetzt dort zugreift, kann ein Vermögen machen. Du wollest deiner Frau doch fünf Millionen schenken. Stecke diese Summe in unser gemeinsames Geschäft und gib mir die Bilder von mir und alle gespeicherten Kopien, die du davon hast. Dann werden wir handelseinig.«
Kaffenberger nickte zögernd. »Also gut, ich mache es. Aber erst dann, wenn meine Frau keine Ansprüche mehr an mich stellen kann.« Deutlicher hatte er nicht werden wollen, da die Serviererin gerade an ihrem Tisch vorbeiging.
»Ich stelle mir die Sache ein wenig anders vor«, antwortete Sedersen spöttisch. »Wir beide fahren jetzt zu mir nach Hause und schließen einen Vertrag, der alles regelt. Wie du weißt, verlasse ich mich ungern auf Versprechungen.«
Ohne Kaffenberger noch einmal zu Wort kommen zu lassen, rief er der Bedienung zu, dass sie zahlen wollten. Innerlich grinste er, denn es war ihm mühelos gelungen, den Spieß umzudrehen. Statt erpresst zu werden, war er in der Lage, nun selbst Forderungen zu stellen, und mit Kaffenberger als Juniorpartner konnte er in Flandern noch stärker einsteigen als geplant. Wenn alles so lief, wie er und seine Verbündeten es sich vorstellten, würde er sein Vermögen in Kürze verzehn-oder gar verzwanzigfachen können. Er stand auf und blickte auf Kaffenberger herab. »Was ist jetzt? Kommst du mit, oder überlässt du dein gutes Geld deiner Frau?«
»Die soll der Teufel holen«, zischte Kaffenberger und sprang auf.
»Worauf du dich verlassen kannst!« Sedersen ging voraus und streichelte in Gedanken bereits sein Gewehr, das ihm schon bald den nächsten, noch intensiveren Nervenkitzel bescheren würde.