ELF
Petra Waitl fühlte sich unbehaglich, und das lag einzig und allein an Torsten. Ihr Kollege hockte mit einer Leichenbittermiene neben ihr, als würde sie ihn ins hinterste Sibirien verschleppen und nicht auf die beliebteste Ferieninsel der Deutschen.
»Wenn es dir so zuwider ist, mit mir zu fliegen, hättest du es vorher sagen können. Mir wäre schon etwas eingefallen, um Wagner davon abzubringen.«
Torsten rieb sich mit einer unbewussten Geste über die Stirn und schüttelte den Kopf. »Warum sollte es mir zuwider sein, mit dir in Urlaub zu fliegen? Ich glaube, mir tut es genauso gut wie dir, unserem Verein ein paar Wochen lang den Rücken zu kehren.«
»Meinst du das ernst?« Petras Nachfrage bezog sich allerdings weniger darauf, ob er gerne mit ihr verreiste, sondern ob er sich damit abgefunden hatte, seinen letzten Auftrag an Kollegen abgeben zu müssen. Er tat ihr leid, denn er hätte in Niedersachsen genauso gut Glück haben und den geheimnisvollen Mörder erwischen können. Doch der vermaledeite Autounfall war ihm dazwischengekommen.
»Ich brauche Abstand«, erklärte Torsten und winkte der Stewardess. »Entschuldigen Sie, würden Sie mir bitte ein Bier besorgen?«
»Gerne.« Die junge Dame in ihrem orangefarbenen Kostüm, das nichts mehr mit den steifen Uniformen früherer Luftfahrtjahre gemein hatte, lächelte und verschwand. Schon nach kurzer Zeit kehrte sie mit einer Büchse Bier und einem Plastikbecher zurück.
Torsten stöhnte. »Warum können die hier kein richtiges Bier bringen? Diese Brühe kann doch kein Mensch trinken.«
»Um bayrisches Bier zu bekommen, sitzen wir im falschen Bus«, erklärte Petra trocken. Ernst fügte sie hinzu: »Ich hoffe, du willst in diesem Urlaub nicht zu trinken anfangen. So was hast du doch nie angerührt?«
»Gelegentlich trinke ich schon mal ein Bier. Aber keine Angst, ich werde nicht besoffen auf Mallorca herumlaufen.« Torsten lachte leise, denn im Grunde hatte er genau das vorgehabt. Petra aber hatte ihn rechtzeitig daran erinnert, dass Alkohol kein Heilmittel für das war, was ihn bedrückte. Daher goss er das Bier in den Plastikbecher und trank es in kleinen Schlucken. Es war eiskalt, und schon bald kämpfte er mit einem Schluckauf.
Petra bestellte sich bei der Stewardess Kaffee und blickte zum Fenster hinaus auf die Wolken, die wie eine Landschaft aus Watte unter ihnen hingen. Für München war Regen vorhergesagt worden, und sie freute sich darauf, in den nächsten zwei Wochen Sonnenschein genießen und sich so manches Eis auf der Zunge zergehen lassen zu können. Dabei musste sie jedoch auf Torsten aufpassen, damit der Junge keinen Unsinn machte. Den Unfall bei Lingen hatte Wagner so hinbiegen können, dass ihr alter Freund halbwegs ungeschoren davongekommen war. Vielleicht würde Torsten nun langsam zu sich selbst zurückfinden und begreifen, dass sein Chef es wahrlich gut mit ihm meinte. Vor allem aber musste er lernen, Andrea in Frieden ruhen zu lassen.
»Es wird gewiss nett werden«, sagte sie, um das eingeschlafene Gespräch wiederzubeleben.
»Ganz bestimmt«, antwortete Torsten geistesabwesend. Tatsächlich kränkte es ihn zutiefst, dass nun andere Jagd auf den infamen Mörder machten und er selbst kaltgestellt worden war, auch wenn ihm klar war, dass er Abstand zu der Sache brauchte. Zwar war Mallorca nicht gerade sein Traumziel, doch es war ein Ort, an dem er in Ruhe über alles nachdenken konnte. Petra würde ihn nicht stören. Zum einen war sie selbst eine Einzelgängerin, die wenig für Rummel und Festivitäten übrig hatte, und zum anderen schleppte sie auch jetzt ihren Laptop mit. Anscheinend konnte sie sich in keiner Lebenslage von dem Ding trennen. Er würde wohl dafür sorgen müssen, dass sie oft genug ins Freie ging, um Sonne zu tanken. Am besten war es, wenn er sie zu ein paar ausgiebigen Spaziergängen ermuntern konnte. Die würden seinem Seelenfrieden und ihrer Figur guttun.