ACHT

An der Essensausgabe trafen sie auf Petra, die sich bereits einen doppelten Schlag Spaghetti Bolognese auf den Teller hatte laden lassen und nun beim Nachtisch zwischen einem Stück Schokoladenkuchen und einer Schale mit drei Kugeln Eis schwankte. Schließlich stellte sie beides auf ihr Tablett. Als sie Torstens mahnendes Räuspern hörte, drehte sie sich seufzend zu ihm um. »Mein Gehirn braucht heute die Kalorien. Ich habe hunderttausend Fragen und keine einzige Antwort darauf. Es ist, als wäre ich ein vollkommener Idiot geworden.«

»Das glaube ich nicht. Du kriegst die Sache schon hin«, tröstete Torsten sie und stellte ebenfalls ein Eis auf sein Tablett.

Henriette wählte den Schokoladenkuchen und sagte sich, dass sie bald wieder joggen musste, wenn ihr die Uniform noch länger passen sollte. Unterdessen winkte Hans Borchart, der mit seinem Vorgesetzten Mentz an einem Tisch saß, Torsten zu.

»Welche Ehre, dorthin eingeladen zu werden«, spottete Petra.

»Wieso?«, fragte Henriette.

Anstelle von Petra übernahm Torsten die Antwort. »Hauptfeldwebel Mentz und Hans sehen diesen Tisch als ihren Stammplatz an. Dort setzt sich höchstens ein frisch eingezogener Rekrut unaufgefordert hin. Die Soldaten, die sich bereits auskennen, quetschen sich lieber zusammen, als die Männer von der Materialausgabe zu verärgern.«

»Das kann ich mir denken!« Henriette dachte, dass Menschen ohne Rituale nicht glücklich wurden.

»Setzt euch!«, rief Hans Borchart und zeigte einladend auf die freien Plätze.

»Danke, wir wissen es zu schätzen.« Torsten stellte sein Tablett hin und half Petra, das ihre ebenfalls unfallfrei abzustellen.

Auch Henriette fand, dass Petra eher Essen für drei als für eine Person aufgeladen hatte, und konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. »Sie müssen heute aber großen Hunger haben!«

Petra sah sie unglücklich an. »Ich wäre gerne so schlank wie Sie. Aber immer, wenn ich fasten will, streikt mein Kopf. Ich kann dann einfach nicht mehr denken.«

»Darum ist Petra auch lieber ein pummeliges Genie als ein dürres Dummchen«, sagte Hans Borchart lachend.

»Glauben Sie, dass ich ein dürres Dummchen bin?«, fragte Henriette mit einem Lächeln, das ihr Gegenüber nicht einzuschätzen wusste.

Hans zog den Kopf ein und hob die Prothesenhand. »Gott bewahre! Ich habe schon gehört, wie Sie beim Schießen den Burschen eingeheizt haben. Besser als Sie hat mit dieser speziellen Pistole noch keiner geschossen.«

»Doch, ich!«, korrigierte Torsten ihn.

»Du läufst außer Konkurrenz.« Hans winkte lachend ab und widmete sich wieder seinem Essen. Dabei hantierte er so geschickt mit Messer und Gabel, dass Henriette erstaunt die Augen aufriss. Jemand, der ihn nicht kannte, würde nicht erkennen, dass seine rechte Hand künstlich war.

Auch so war Hans Borchart ein erstaunlicher Mensch. Er lachte viel, erzählte Witze und schien das Leben zu genießen. Henriette dachte daran, wie ihre Brüder in seiner Lage handeln würden. Dietrich, dem älteren, würde es vielleicht gelingen, die Sache ähnlich zu sehen, doch für Michael wäre es eine Katastrophe. Man würde keine Waffe in seiner Nähe liegen lassen dürfen, denn er würde sich sofort erschießen oder die Pulsadern aufschneiden.

Bei dem Gedanken schüttelte es sie.

Petra sah sie überrascht an. »Schmecken Ihnen die Spaghetti nicht? Ich finde, dass die Küche sie heute gut hingebracht hat.«

»Die Nudeln sind gut. Ich habe nur an etwas anderes gedacht. «

»An nichts Erfreuliches, was?«, fragte Torsten und hoffte, dass es die Angst vor der weiteren Ausbildung war. Am Vormittag hatte sie sich wider Erwarten gut geschlagen, doch noch war der Tag nicht zu Ende. Er lächelte in sich hinein bei der Vorstellung, wie seine Schülerin heute Abend aussehen würde. »Wie heißt es so schön? Nach dem Essen sollst du ruhn oder tausend Schritte tun. Ich glaube, wir einigen uns auf die tausend Schritte. Leutnant, ich erwarte Sie in einer halben Stunde am Hintereingang. Ziehen Sie was Sportliches an. Es geht über Stock und Stein.«

Henriette spürte seine unterdrückte Heiterkeit und konterte lächelnd. »Sehr schön, Herr Oberleutnant. Ich hatte eben beschlossen, dass es Zeit ist, wieder etwas für meine Figur zu tun.«

»Und was ist mit dir, Petra, machst du auch mit?«, fragte Hans Borchart grinsend.

Petra schluckte und sah ihn funkelnd an. »Mach nur so weiter, Hans, und du wirst am Quartalsende zu erklären haben, wo die Sachen geblieben sind, die du angeblich geordert hast.«

»Das wirst du mir doch nicht antun!« Hans wirkte völlig zerknirscht, doch seine Augen lachten. Er mochte diese kleinen Wortgefechte mit Petra und Torsten.

Das verstand nun auch Henriette, die bei Petras Worten zuerst erschrocken die Luft eingesogen hatte. Sie entspannte sich und aß genüsslich ihren Schokoladenkuchen auf.

Torsten war mit dem Essen bereits fertig und sah demonstrativ auf seine Uhr. »Jetzt sind es noch fünfundzwanzig Minuten, Leutnant. Nicht, dass Sie zu spät kommen.«

»Das fällt mir gar nicht ein«, antwortete Henriette und steckte sich das nächste Stück Kuchen in den Mund.

»Dann bis nachher! Mahlzeit alle zusammen!« Torsten stand auf, sah auf sein Tablett herab und grinste dann Henriette an. »Bringen Sie mein Geschirr weg. Ich habe noch was zu erledigen.«

»Ein Kavalier wirst du bestimmt nicht mehr!«, spottete Hans Borchart.

Torsten kommentierte es mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Wir sind hier beim Bund, mein Guter. Da hat ein Leutnant strammzustehen, wenn ein höherrangiger Offizier sich räuspert.«

»Der Herr Oberleutnant hat wie immer recht!« Um Henriettes Lippen zuckte es verdächtig. Renks Versuch, sie daran zu hindern, rechtzeitig am hinteren Tor zu erscheinen, war zu offensichtlich.

Auch Petra begriff, was sich abspielte, und wartete gerade so lange, bis Torsten den Raum verlassen hatte. Dann tippte sie Henriette an. »Sie können ebenfalls gehen. Ich bringe die Tabletts weg, das Ihre ebenso wie das von Torsten.«

»Das meine ja, aber nicht das seine. Das wäre gegen seinen Befehl!« Henriette zwinkerte Petra zu und freute sich, dass sie in der pummeligen Frau eine Verbündete gefunden zu haben schien.

Die geheime Waffe
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