SECHS
Die Freischärler hatten sich auf Entlastungsversuche vorbereitet und gingen weiter nach Plan vor. Während ein Teil Torsten und die Fallschirmjäger in einen Winkel des königlichen Parks zurückdrängte, rückte der Haupttrupp weiter auf den Palast zu. Dessen Verteidigern schien langsam die Munition auszugehen, denn ihr Gegenfeuer wurde schwächer.
Torsten hatte den bewusstlosen Sedersen verbunden und schleppte ihn mit zu einem Gebüsch nahe der Umfassungsmauer.
»Sie sollten den Kerl liegen lassen. Sonst erwischen die anderen Sie noch«, mahnte ihn der belgische Hauptmann.
»Der Kerl hier ist mein ganz spezieller Gefangener. Ich bin seit Wochen hinter ihm her und lasse nicht zu, dass seine Freunde ihn finden und wegbringen.«
Der Belgier sah Sedersen an und winkte ab. »Schießen Sie ihm eine Kugel in den Kopf, dann sind Sie ihn los!«
»Ich brauche ihn lebend«, erklärte Torsten und fragte den Belgier, ob er ihm sein Handy leihen könne.
»Wollen Sie von Ihrer Freundin Abschied nehmen?«, spottete dieser, reichte ihm aber ein Mobiltelefon.
Während Torsten mit einer Hand auf die Freischärler schoss, tippte er mit der anderen Wagners Nummer ein. Sein Vorgesetzter meldete sich sofort. »Ja, wer ist am Apparat?«
»Renk.«
Wagner hörte das Knattern der Schüsse und begriff, dass Torsten wieder einmal tief im Schlamassel steckte. »Das dachte ich mir! Eine solche Diskomusik legen nur Sie auf. Wo sind Sie?«
»Im Schlosspark von Laeken, nahe der Mauer an der Avenue Jules van Praet gegenüber der Rue de la Balsamine!«
»Es hört sich auch so an, als würde man Sie bald einbalsamieren. Ist es schlimm?«
»Bei mir sind etwa vierzig Leute! Wie viele sich noch im Schloss aufhalten, kann ich nicht sagen. Uns stehen mindestens dreihundert Rebellen gegenüber, wahrscheinlich mehr. Ich habe Sedersen geschnappt und mir auch das Gewehr gesichert! « Er hörte Wagner scharf einatmen. Dann wurde sein Vorgesetzter direkt hektisch.
»Frau Waitl und ich kommen, so schnell wir können. Wir sind in der König-Albert-Kaserne und bringen ein paar Freunde mit.«
»Sind die Kasernen denn nicht blockiert?«, fragte Torsten verwundert.
»Die Leute sind abgehauen, als die Nachricht von dem Massaker in Berendrecht und dem Angriff auf den königlichen Palast die Runde machte. Damit haben unsere Gegner den Bogen überspannt. Bis gleich, Renk! Halten Sie die Stellung!«
Torsten gab dem Belgier das Handy zurück. »Die Kavallerie ist unterwegs! Wir müssen zusehen, dass wir uns noch ein paar Minuten halten.«
Als wolle er ihn verspotten, bog in dem Moment einer der Panhard-Schützenpanzer um die Ecke und richtete seine Neunzig-Millimeter-Kanone auf sie aus. Der erste Schuss krachte und zerhieb das Geäst eines Baums, der keine zwanzig Meter von Torsten entfernt war. Noch während dieser wütend auf seine MP starrte, die gegen den gepanzerten Koloss ebenso wirkungslos war wie ein gespuckter Kirschkern, setzte einer der belgischen Soldaten in seiner Nähe eine Gewehrgranate auf den Lauf seines Sturmgewehrs, zielte und feuerte.
Torsten sah, wie die Flanke des Panhard durchschlagen wurde. Dann platzte der Panzer unter der Wucht seiner explodierenden Munition auseinander.
Die Belgier jubelten, während Eegendonk einige hundert Meter entfernt fassungslos auf das Panzerwrack starrte. Im nächsten Moment packte ihn die Wut. »Die erste Kompanie soll diese Kerle zum Schweigen bringen. Die Übrigen folgen mir zum Palast.« Während sich etwa hundert seiner Männer der Ecke zuwandten, in der sich Torsten und seine Belgier verschanzt hielten, stürmte der Rest auf die königliche Residenz zu, ohne dass ihnen ein einziger Schuss entgegenschlug.