VIERUNDZWANZIG

Sedersen hatte es sich im Sessel bequem gemacht, kommandierte Jef herum und ließ den Fernseher nicht aus den Augen. Um ihn herum saßen Dunker, Eegendonk, Jasten und ein halbes Dutzend weiterer Freischärler, die zum engeren Kreis gehörten.

»Die Beerdigung eines so bedeutenden Pinkels macht schon was her«, spottete Dunker, als die Kamera einen ihnen bekannten Kleinbus kurz ins Bild brachte.

»Rechmann steht genau an dem Punkt, an dem er stehen wollte. Respekt! Der Mann hat es verdient, einen hohen Posten in unserer neuen flämischen Armee einzunehmen!«, rief Eegendonk beeindruckt. Eben hatten die Reporter noch einmal auf die scharfen Sicherheitsmaßnahmen hingewiesen, und doch war es Rechmann gelungen, sein präpariertes Fahrzeug genau an dem Ort abzustellen, an dem es seinem Plan nach stehen musste.

»Wann kommt eigentlich der König mit seinem Anhang?«, fragte Sedersen, obwohl er es während der bisherigen Übertragung bereits mehrmals gehört hatte.

»Um halb zwölf. Bis dorthin dauert es noch fast eine Stunde«, erklärte Dunker eilfertig.

»Noch eine Stunde also!« Sedersen trank einen Schluck Cognac und hob das Glas grüßend hoch, als er sah, wie Giselle Vanderburg vor dem Friedhof aus ihrem Wagen stieg und sich von einem Chauffeur die Tür aufhalten ließ. Sie trug ein dezentes schwarzes Kostüm und trocknete mit einem ebenfalls schwarzen Taschentuch ein paar Tränen, die ihr aus den Augenwinkeln perlten. Auf jeden unbeteiligten Zuseher wirkte sie erschüttert, doch Sedersen wusste, dass sie nur eine Rolle spielte. Gerade erst hatte er mit Giselle auf van Houdebrincks Tod angestoßen und sich dann mit ihr in sein Schlafzimmer zurückgezogen. Sein Körper reagierte auf den Gedanken, und er beschloss, sie heute noch anzurufen, damit sie erneut nach Balen kam. Sie war die aufregendste Frau, die er je kennengelernt hatte, und das beste Aushängeschild, das er sich vorstellen konnte. Gemeinsam würden sie Flandern beherrschen.

Erleichtert stellte er fest, dass sie sich in den hinteren Teil des Friedhofs begab, als wolle sie der Familie und den Vertretern des politischen Establishments den Vorrang lassen. Er hatte sie eindringlich davor gewarnt, zu nahe bei der Königsfamilie zu bleiben, ohne ihr genau zu sagen, was er oder, besser gesagt, Rechmann dort geplant hatte.

Eigentlich hätte auch er an der Trauerfeier teilnehmen sollen, doch er hatte Caj Kaffenberger geschickt und sich selbst mit einem Auslandstermin entschuldigt. Sedersen betrachtete seinen Kompagnon belustigt. Kaffenberger wirkte völlig ungerührt. Bei einem Mann, der kalt lächelnd den Tod seiner Ehefrau in Auftrag gegeben hatte, wunderte ihn das nicht. Sedersen hatte Kaffenberger nicht vorgewarnt und hegte sogar die leise Hoffnung, dass der Mann umkam, denn der war mittlerweile zu unverschämt in seinen Forderungen geworden.

Auch Zwengel war anwesend. Der flämische Nationalistenführer sah verstört aus, als könne er nicht begreifen, dass sein Widersacher auf einmal nicht mehr sein sollte. Dazu trafen ihn etliche böse Blicke, und die anderen Trauergäste rückten von ihm ab. Sedersen entdeckte darunter die Vorstände einiger Konzerne, mit denen er Geschäfte machte, und fragte sich auf einmal, ob es ein Fehler gewesen war, nicht zur Trauerfeier zu fahren. Da er wusste, wo die Bombe versteckt war, hätte er sich ebenfalls an einer Stelle aufhalten können, die Deckung bot.

Er wandte sich an Dunker. »Haben wir noch eine Chance, rechtzeitig zur Beerdigung zu gelangen?«

Dunker blickte auf seine Armbanduhr. »Für eine normale Fahrt würde es reichen, aber bei den vielen Kontrollen schaffen wir es nie.«

»Wir müssen aber.« Sedersen wollte aufstehen, da klingelte das Telefon. Verärgert über die Störung hob er ab und meldete sich nicht gerade freundlich.

»Einer von Zwengels Leuten ist hier. Er will unbedingt mit Ihnen reden«, gab der Posten am Eingangstor durch.

Sedersen überlegte kurz. Wenn er wartete, würde er wertvolle Zeit verlieren und zu spät zur Trauerfeier kommen. Andererseits war er neugierig auf das, was der Mann zu sagen hatte.

»Schicken Sie ihn herein«, befahl er dem Posten.

»Er ist schon unterwegs. Ich wollte ihn nur anmelden.«

Sedersen hörte ein Knacken in der Leitung, als der Wachmann auflegte, und starrte für einige Augenblicke seinen Hörer an. Dann warf er ihn auf die Gabel und gab Jef einen Wink.

»Zwei Cognacs! Und ihr schaltet den Fernseher leiser.«

Während Jef die Gläser füllte, sah Sedersen mehr zur Tür hin als auf den Fernsehschirm. Als kurz darauf Schritte aufklangen und Zwengels Vertrauter Wim Reinaert hereinstürmte, trat er ihm mit beiden Gläsern in der Hand entgegen.

»Sie haben Glück. Ich wollte eben zu van Houdebrincks Beerdigung fahren, um den trauernden Geschäftsfreund zu spielen.«

Der Mann lachte hart auf. »Sie wollten doch die gesamte Königsfamilie dort auslöschen! Aber das können Sie sich abschminken. Der Palast hat eine anonyme Warnung erhalten. Daher wird niemand von dieser hochnäsigen Sippschaft an der Trauerfeier teilnehmen.«

Sedersen starrte Reinaert ungläubig an. »Was sagen Sie da?«

»Der Palast ist gewarnt worden. Die Polizei wird Ihre Bombe entdecken und herausfinden, wer dahintersteckt! Damit können wir alle einpacken. Selbst wenn Belgien geteilt wird, werden die sogenannten gemäßigten Parteien die Kontrolle über das Land übernehmen und Sie, Zwengel und mich verhaften. «

»Nicht, wenn wir schnell genug das Land verlassen!« Sedersen wollte schon den Befehl geben, alles zur Flucht vorzubereiten.

Da mischte sich Dunker ein. »Ganz kann das nicht stimmen. Der Reporter sagte eben, dass Prinz Philippe Brüssel bereits verlassen habe und in weniger als einer Stunde am Friedhof sein werde.«

»Einen wird es also erwischen. Wo hält sich denn der Rest der königlichen Familie auf?«, fragte Sedersen.

»Derzeit noch auf Schloss Laeken. Es ist allerdings geplant, die Frau des Kronprinzen und deren Kinder im Ausland in Sicherheit zu bringen«, berichtete Reinaert.

»Mich würde interessieren, wer den Leuten dort gesteckt hat, dass Sie einen Anschlag planen«, mischte sich Eegendonk ein.

»Sicher keiner von uns«, erklärte Dunker. »Sonst wäre Rechmann schon längst aufgeflogen. Wahrscheinlich hat irgend so ein hirnloser Heini von der Flämischen Macht das Maul nicht halten können. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass Zwengel seinen Sauhaufen nicht im Griff hat.«

»Es muss Verrat gewesen sein!«, erklärte Sedersen und musterte Reinaert misstrauisch. Dieser hatte immer versucht, seinen Einfluss auf Zwengel und die Gruppierung einzuschränken. Verfolgte der Flame vielleicht eigene Pläne, in denen er selbst keine Rolle spielen sollte? Doch Sedersen war nicht bereit, sich so einfach abspeisen zu lassen. Wenn er jetzt Flandern fluchtartig verließ, hatte er sein Geld vergebens in dieses Projekt gesteckt. Er dachte an die hohen Kredite, mit denen er flämische Firmen aufgekauft hatte und die nun auf seinen übrigen Firmen lasteten. Gingen seine Pläne nicht auf, war er ruiniert. Er starrte auf den Fernsehbildschirm und sah, dass Rechmanns Bombenfahrzeug noch immer dort stand. Also wusste die hiesige Polizei nicht, aus welcher Richtung der Anschlag erfolgen sollte. Doch wenn er Erfolg haben wollte, brauchte er die Unterstützung von Zwengels Bewegung.

Schwer atmend wandte er sich an Reinaert. »Wie schnell können Sie die Kämpfer der Vlaams Macht zusammenrufen?«

Der starrte ihn erschrocken an. »Wollen Sie das Land in einen Bürgerkrieg stürzen?«

»Nein! Wenn wir schnell genug losschlagen, wird es keinen Bürgerkrieg geben. Belgien ist derzeit wie gelähmt, und das müssen wir ausnützen. Aktivieren Sie jeden Mann und auch Frauen und Kinder. Sie müssen die Zufahrten zu den Kasernen blockieren, damit die Armee nicht eingreifen kann. Glauben Sie, dass Sie das schaffen?«

Reinaert wollte zunächst ablehnen, doch als Dunker mit einem infamen Grinsen die Pistole hob, nickte er. »Ich glaube, ich kann genug Leute zusammenbringen. Die meisten werden aber nicht kämpfen.«

»Den Kampf übernehmen wir. Dunker, Sie bleiben mit fünf Ihrer Leute und zehn Niederländern hier und halten die Stellung. Alle anderen setzen sich in Marsch.«

»Wohin?«, fragte Eegendonk verdattert.

»Nach Brüssel! Ich werde mit meiner deutschen Truppe und Ihren Leuten Schloss Laeken stürmen und die königliche Familie gefangen setzen. Zwanzig Männer, denen Sie Führungsqualitäten zubilligen, sollen das Kommando über die Aktivisten der Flämischen Macht übernehmen und alle wichtigen Straßen- und Eisenbahnknotenpunkte besetzen, ebenso die Fernseh- und Radiosender.«

Alle starrten ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Aber das ist ein Putsch!«, rief Reinaert aus.

»Glauben Sie, Sie würden durch eine ehrliche Wahl an die Macht kommen?«, fragte Sedersen höhnisch.

»Haben wir denn eine Chance?«, fragte Eegendonk besorgt.

Sedersen nickte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die flämischen Behörden gegen Leute vorgehen, die für die Freiheit Flanderns demonstrieren. Erinnert euch doch: Belgien ist durch eine Revolution entstanden! Jetzt wird es durch eine weitere Revolution untergehen.«

»Und was ist mit den EU-Behörden in Brüssel?«

»Alle Zufahrtswege blockieren. Dasselbe gilt auch für das Nato-Hauptquartier. Vorwärts, Männer! Wir stehen kurz davor, Geschichte zu schreiben.«

Sedersens Stimme hatte etwas Hypnotisches, was nicht nur seine deutschen Söldner, sondern auch Eegendonks Niederländer und die Flamen mitriss. Die Männer klatschten begeistert Beifall, und ein paar schossen ihre Waffen ab.

»Ruhe jetzt!«, rief Sedersen. »Ich habe diesen Plan zusammen mit Rechmann für den Fall entworfen, dass wir überraschend handeln müssen. Jetzt zeigt es sich, dass es gut war vorauszudenken. Van der Bovenkant, gehen Sie in mein Zimmer und holen Sie meine Unterlagen. Sie liegen im obersten Schubfach.«

»Dafür brauche ich den Schlüssel«, sagte Jef.

Sedersen warf ihm das Mäppchen zu. »Machen Sie rasch! Ich will in einer Viertelstunde aufbrechen.«

»Wohin?«, fragte Dunker.

»Nach Brüssel«, hörte Jef Sedersen noch sagen, dann fiel die Tür hinter ihm zu.

Die geheime Waffe
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