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Nach dem Frühstück traf eine kleine Flotte von Wasserfahrzeugen ein, wie Tarsanau versprochen hatte. Sie kam aus einem der Kanäle und fuhr über die Lagune zur Insel. Ihr Erscheinen brachte die Wachen in eine plötzliche allgemeine Bewegung. Ihr Kreis öffnete sich und bildete ein Hufeisen, das den Menschen Zugang zum Wasser erlaubte. Richard Drake studierte die Boote, als sie sich dem Ufer näherten und den Sumpfgürtel durchschnitten, und war überrascht, wie konventionell sie aussahen. Alle hatten einen spitzen Bug und ein gerade abgeschnittenes Heck. Der Rudergänger saß im Heck und hielt mit dem rechten Arm eine Ruderstange. Form folgt der Funktion, auch in der Ryall-Hegemonie, dachte er, als die kleine Flottille auf festen Grund stieß. Es gab ein großes und fünf kleinere Boote. Das Erstere war mit einem flachen Deck ausgestattet, das wie eine nachträgliche Ergänzung aussah und dem Boot Ähnlichkeit mit einem der alten Flugzeugträger der Erde verlieh. Geländer umgaben das Deck, und drei unbequem aussehende röhrenförmige, der menschlichen Gestalt angepasste Stühle beherrschten das Deck.

Tarsanau lag nahe dem Bug auf dem flachen Deck, hatte den Körper mit dem vorderen Beinpaar aufgestützt und umfasste mit beiden Händen das Geländer. Neben ihm war ein zweiter Ryall, den Richard wiedererkannte. Die fünf Menschen und Varlan kamen zum Ufer, als die beiden Ryall über das Geländer kletterten. Wie Richard schon am vergangenen Tag bemerkt hatte, waren sie bessere Schwimmer als Kletterer.

»Periskay!«, rief Bethany, als die beiden Ryall unbeholfen von Bord kletterten und festen Boden betraten.

»Bethany von den Drakes!«

»Ich war nicht sicher, ob wir uns wiedersehen würden.«

»Ich bin von Denen Die Herrschen auf Trab gehalten worden«, sagte der Ingenieur-Philosoph.

»Womit?«

»Wahrscheinlich hat er ihnen alles über uns erzählen müssen«, sagte Richard. »Richtig, Periskay?«

»Sie sind natürlich neugierig und möchten mehr über die Wesen wissen, die es gewagt haben, in unseren Bereich einzudringen und uns Bedingungen zu diktieren.«

»Was haben Sie ihnen über uns erzählt?«, fragte Bethany.

»Ich erzählte von meiner Gefangennahme und Haft, und wie Sie mich auf Corlis fanden und nach Spica brachten. Ich erzählte ihnen auch, wie ich die Menschensprache von Varlan lernte, und von Ihrer Idee, dass unsere zwei Arten in Frieden zusammenleben können.«

»Haben welche von ihnen anerkannt ...?« Bethany ließ die Frage unvollendet, als sie den warnenden Blick ihres Mannes auffing. In heiklen Fragen sollte man nicht neugierig sein. Sie fuhr fort mit: »Aber lassen wir das. Die alte Affenneugier schlägt wieder durch. Ich vergaß, wo ich bin.«

Das erforderte, dass Tarsanau von Varlan aufgeklärt werden musste, was es mit Affen auf sich hatte; was mehrere Minuten dauerte. Als sie geendet hatte, wandte sich Varlan an Richard Drake und sagte: »Ich werde Sie heute nicht bei Ihrer Fahrt durch die Stadt begleiten. Ich habe einen Ruf bekommen, den Ältesten meiner eigenen Sippe aufzusuchen. Er wünscht mich daheim willkommen zu heißen und über das bevorstehende Zusammentreffen mit Denen Die Herrschen zu sprechen.«

»Dann wird Periskay unser Fremdenführer sein?«

»Ich werde Ihr Dolmetscher sein«, erwiderte der Ingenieur-Philosoph. »Tarsanau wird führen. Dies ist nicht meine Stadt. Ich bin ebenso wie Sie ein ... Tourist hier.«

»Nun, dann wollen wir aufbrechen«, sagte Drake. »Jeder versorgt sich mit einem Getränk und ein paar Energieriegeln, sonst wird es ein trockener und hungriger Tag.«

Er nickte der Kopilotin des Raumtransporters zu und sagte:

»Tut mir leid, dass Sie den Dienst haben, Nina. Wenn Ryall Zugang zum Raumtransporter wünschen, stehen Sie ihnen nicht im Weg. Denken wir daran, dass hier auf jeden von uns ungefähr eine Milliarde Ryall kommen.«

»Ja, Sir«, sagte die stattliche Sandarerin. »Ich werde versuchen, dafür zu sorgen, dass sie sich nicht selbst verletzen. Ansonsten werde ich die perfekte Gastgeberin sein.«

»Tun Sie das. Behalten Sie sie im Auge und lassen Sie uns später wissen, was sie interessiert hat. Wenn sie noch keine Abhörwanzen gepflanzt haben, ist heute die beste Gelegenheit dazu.«

»Ich werde die Augen offen halten, Sir.«

»Ich weiß es. Wir sollten vor Dunkelwerden zurück sein.«

»Ich werde besser auch dableiben«, sagte Vincent Bartle, der Pilot. »Zu zweit können wir die Zelte und den Raumtransporter besser überwachen.«

»Und wenn Sie sich verspäten?«, fragte Nina Hensley. Ein leichtes Zittern in ihrer Stimme verriet die Sorge, dass sie und Lieutenant Bartle sich womöglich allein auf einer feindseligen fremden Welt wiederfinden könnten.

»Dann werden wir uns verspäten. Sie können nicht viel daran ändern, also sorgen Sie sich nicht.«

»Ja, Sir.«

Darauf wandte er sich an Tarsanau und sagte: »Wir sind bereit.«

Sie bestiegen das große Boot mit dem flachen Deck und nahmen ihre Plätze ein. Der Mann am Ruder stakte das Boot mit einer langen Stange durch den Sumpfgürtel am Ufer und das zähe Geflecht des schwimmenden Pflanzenteppichs, dann steuerte er es hinaus in die Lagune. Drake saß auf dem vordersten Sitz, Bethany zu seiner Rechten und ein wenig zurück, und Phillip in der gleichen Position zu seiner Linken. Tarsanau und Periskay hatten sich auf dem Deck vor den Menschen niedergelassen und blickten nach achtern, so dass sie die Menschen sehen konnten. Das Wasser der Lagune lag spiegelglatt vor ihnen, doch Drake fragte sich, ob Ryall unter Seekrankheit zu leiden hatten. Er wusste, dass er dafür anfällig war, wenn er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung in einem Boot sitzen musste.

In der Mitte der Lagune formierte sich die kleine Flottille. Ihr großes Boot wurde umringt von den fünf kleineren, die jeweils mit drei Kriegern ihrer Wache und einem Rudergänger besetzt waren. Drei der Boote fuhren voraus, zwei bildeten den Schluss. Sobald die Formation hergestellt war, gab Tarsanau dem Rudergänger ein Zeichen, und eine tiefe Vibration ging durch den Rumpf, als das Boot beschleunigte. Die Energiequelle, von welcher Art sie auch sein mochte, war vollkommen lautlos und ließ nur die Geräusche gurgelnden und rauschenden Wassers an den Bordwänden hören. Als sie auf einen breiten Kanal am anderen Ufer der Lagune zuhielten, hob sich das Boot aus dem Wasser und begann darüber hinzugleiten. Weiße Gischt sprühte nach beiden Seiten, und hinter dem Boot blieb ein v-förmiges Kielwasser im klaren Blau der Lagune zurück. Unter der Oberfläche waren die verzerrten Umrisse einzelner schwimmender Ryall zu erkennen, die der Flottille folgten. Die Wachboote behielten ihre Formation bei und beschleunigten gleichfalls, bis sie über die Wasseroberfläche dahinglitten. Der warme Fahrtwind pfiff an ihren Ohren vorbei, und mit zunehmender Geschwindigkeit ging das Rauschen und Gurgeln des Wassers in ein leises, gleichförmiges Zischen über.

Zwanzig Minuten später glitten sie mit hoher Geschwindigkeit durch einen breiten Kanal, an dessen Ufern sich runde Gebäude drängten. Einzelne Ryall hielten in ihren Beschäftigungen inne, um die zweibeinigen Wesen vorbeifahren zu sehen, bevor sie ihre Tätigkeiten wieder aufnahmen. Plötzlich endete der Kanal, und die kleine Flottille fuhr auf einen See hinaus. Dieses Gewässer war breiter und viel länger als die Lagune und eingefasst von niedrigen Hügeln, deren Hänge bis zum Ufer mit baumähnlicher Vegetation bewachsen waren. Am anderen Ende des Sees befand sich eine Struktur, die aus der Ferne als schwarze Linie erkennbar war, aus der in gleichmäßigen Abständen Säulen himmelwärts ragten. Die Flottille erhöhte ihre Geschwindigkeit auf etwa 40 km/h und hielt auf die Struktur zu. Nach fünfminütiger Fahrt identifizierte Richard das Bauwerk als einen Damm.

»Wohin fahren wir?«, rief Bethany.

»Zum Wasserregulierungsbauwerk«, antwortete Periskay und zeigte mit der Schnauze in die Richtung des Dammes. Seine Ohren waren unter dem Druck des pfeifenden Fahrtwindes angelegt und seine Worte kaum verständlich. Sie brauchten zehn weitere Minuten, um den Damm zu erreichen. Drake hatte erwartet, einen Fluss zu sehen, dessen Stau ein breites Flusstal füllte und den See bildete. Stattdessen erstreckte sich jenseits des Dammes eine weite Wasserfläche bis zum Horizont.

Der Bootsführer drehte parallel zum Damm und verringerte die Antriebsenergie, so dass das Boot verlangsamte und wieder ins Wasser sank. Auf der anderen Seite des Dammes war das Wasser aquamarinblau anstelle des klaren Türkis auf dieser Seite, und der Spiegel lag gute zwei Meter tiefer. Tarsanau erläuterte etwas, und Periskay dolmetschte:

»Jenseits des Dammes sehen Sie das Östliche Meer. Um diese Zeit ist der Wasserstand niedrig wegen ... ich weiß nicht das Standardwort für das Phänomen. Es hat mit der Anziehungskraft des größeren Mondes zu tun.«

»Es sind die Gezeiten«, sagte Bethany. »Das Ansteigen und Absinken des Wassers durch die Anziehungskraft des Satelliten. Was Tarsanau sagt, ist, dass Ebbe herrscht.«

»Ja, der Mond ist in einer Position, wo die innere See niedriger steht als die Stadtkanäle. Diese Schleusentore hindern das Wasser daran, allzu rasch auszulaufen. Später wird die innere See höheren Wasserstand haben als die Stadt. Um diese Zeit werden die Schleusentore aufgezogen, um sicherzugehen, dass das Wasser nicht zu schnell eindringt und eine Flut verursacht. Ließe man das Wasser auf natürliche Weise ansteigen und absinken, würde jetzt kein Wasser in den Kanälen sein, und später würde Ihr Schiff und die Zelte im Wasser stehen. Desgleichen zahlreiche Gebäude der Stadt.«

»Ist das der Grund, warum die Gebäude rund sind und in der unteren Ebene nur Eingänge, aber keine Fenster haben?«, fragte Bethany. »Damit im Falle einer Überflutung die Eingänge wasserdicht verschlossen und die Räume im Inneren trocken gehalten werden können?«

»Wenn ich Ihre Bedeutung verstehe, ja, das ist der Grund für die runden Formen der Gebäude. Aber nicht so sehr, um unsere Besitztümer trocken zu halten. Als Amphibien haben wir in unserem Leben nur wenige Orte, die völlig frei von Wasser sind. Doch wenn es Sturmfluten gibt, bringt das Wasser Schmutz und andere Verunreinigungen in unsere Behausungen, und es erfordert große Anstrengung, sie danach zu reinigen. Andere Sippen natürlich, die nicht das Problem von Gezeiten haben, bauen ihre Wohnungen in anderen Formen, die besser für ihr Habitat geeignet sind, sei es Sumpfland oder eine trockene Gegend. Manche Sippen bauen sogar oben in den Bergen, wo der Regen manchmal weiß wird.«

»Ryall leben im Schnee?«

»Wenn das der Name dafür ist. Leben die Menschen nicht in allen Klimazonen ihrer Heimatwelt?«

»Ja, aber ...«

»Warum sollte es dann bei uns anders sein? Das Leben breitet sich aus, um den vorhandenen Raum zu nutzen, nicht wahr?«

»Nichtintelligentes Leben sicherlich«, warf Drake ein, der ein potenzielles Problem in der Richtung sah, die das Gespräch nahm. »Intelligente Wesen haben eine Wahl, ob sie irgendwo leben werden oder nicht.«

Phillip Walkirk hatte das Gespräch verfolgt und war gleichfalls zu dem Schluss gekommen, dass ein Themenwechsel angezeigt sei. »Sie sprechen davon, dass andere Sippen andere Formen für ihre Wohnungen bevorzugen. Bedeutet das, dass diese ganze Stadt einer einzigen Sippe gehört?«

»Dies ist ein größeres Handelszentrum auf Darthan, und viele Sippen haben hier Interessen. Von den Einwohnern der Stadt gehören jedoch elf Zwölftel der Sippe der Windseitigen Küste an.«

»Diese Sippe muss eine Macht unter den Ryall sein, dass sie eine so große und schöne Stadt bauen konnte«, sagte Bethany.

»Es ist die mächtigste aller Sippen. Sie haben zwei Vertreter unter Denen Die Herrschen

»Zwei? Ist das ungewöhnlich?«

»Sehr ungewöhnlich für eine einzige Sippe. Der erhabenste von ihnen ist Sandok. Er ist der Erste unter Gleichen im Kreis Derer Die Herrschen

»Und der andere Vertreter?«

»Tarsanau.«

Bethany wandte sich an den anderen Ryall, der das Gespräch verfolgt hatte, ohne etwas zu verstehen. »Ist dies die Stadt deiner Sippe, Tarsanau?«

Nachdem Periskay die Frage verdolmetscht hatte, erhielt sie eine bestätigende Antwort.

»Hat diese Stadt einen Namen?«

Es gab einen schnellen Wortwechsel, worauf Periskay antwortete: »Der Name in unserer Sprache lässt sich nicht gut übertragen. Er bezieht sich auf den Ort, wo Die Rasse zum ersten Mal die Schnellen Esser besiegte. Tarsanau und ich sind übereinstimmend der Meinung, dass Sie die Stadt ›Hauptstadt‹ nennen können.«

»Dann ist es der Ort, von dem aus diese Welt regiert wird?«

»O nein«, erwiderte Periskay. »Nicht bloß Darthan. Dies ist die Stadt Jener Die Herrschen Über Die Rasse. Alle unsere Welten erhalten Anleitung von hier.«

»Dann scheint ›Hauptstadt‹ ein passender Name zu sein«, sagte sie.

Während Drake zuhörte, betrachtete er den Damm. Alle Schleusen waren so eingestellt, dass ihre Oberkante einen Zentimeter unter der Seeoberfläche waren. Überall entlang dem Damm rauschten kleine Wasserfälle zwei Meter herab in das aquamarinblaue Wasser darunter. So floss das Wasser aus den Stadtkanälen und Lagunen kontrolliert ab. Setzte der Gezeitenwechsel sein, konnte die Höhe der Schleusentore neu eingestellt werden, um den Zufluss von außen zu regulieren. Das tägliche Abfließen und wieder Auffüllen der Kanäle und Lagunen erneuerte die Wasserversorgung der Stadt, schwemmte Verschmutzung zur See hinaus und brachte täglich frisches Wasser herein. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass die Stadt Amsterdam auf dem Erdkontinent Europa ein ganz ähnliches System verwendete, um ihre Kanäle jahrhundertelang von Verschmutzung freizuhalten.

Die Besichtigungstour nahm ihren Fortgang. Nach dem Wasserregulierungsbauwerk führte Tarsanau sie durch die Wasserwege der Hauptstadt. Auf der Fahrt durch einen Kanal passierten sie einen kilometerlangen Abschnitt, wo verschiedene Arten von Kletterpflanzen an Spalieren und über Brücken wuchsen, bis sie einen langen Tunnel mit grünen Wänden bildeten. Das Laubwerk war so dicht, dass die Sonne kaum durchdrang, und die Vielfalt fremdartiger Gerüche war eine Herausforderung für menschliche Nasen. Einige der Gerüche waren recht angenehm, andere hingegen weit weniger, und mindestens zwei drohten Übelkeit auszulösen. Die Luft war erfüllt vom Summen kleiner fliegender Lebewesen, von denen eines hartnäckig versuchte, sich in Bethanys Haar niederzulassen. Die einheimischen Ryall hatten das seltene Vergnügen, eines der zweibeinigen Ungeheuer zu sehen, wie es plötzlich vom Stuhl aufsprang und auf dem flachen Deck des Bootes herumtanzte und dabei nach dem seltsamen moosartigen Gewächs schlug, das aus dem Schädel drang. Schließlich gelang es Bethany mit der Hilfe ihres Mannes, sich zu überzeugen, dass das lästige Ungeziefer davongeflogen war, und mit angeknackstem Stolz nahm sie ihren Platz wieder ein, während Tarsanau und Periskay sie aus ausdruckslosen Obsidianaugen anstarrten.

Als Nächstes fuhren sie durch einen Markt unter freiem Himmel. Hier feilschten die Ryall zu beiden Seiten des Kanals miteinander, und die Lebhaftigkeit der Käufer und Verkäufer erinnerte an einen alten orientalischen Basar. Die Verrechnungseinheit des Warenaustausches war nicht offensichtlich. Erkennbar aber war die bewusste Nichtbeachtung der Boote. Dass sie auf einen Besuch der zweibeinigen Ungeheuer vorbereitet worden waren, lag auf der Hand. Wie viel von ihrem anderen Verhalten inszeniert war, ließ sich schwer beurteilen. Die kleine Flotte fuhr in einen Seitenkanal, der an einem sumpfigen Park vorbeiführte. In diesem erhoben sich mehrere lebensgroße Statuen von verschiedenen Ryall.

»Wer sind diese Leute?«, fragte Drake und zeigte zu den Statuen.

Er erhielt eine ausführliche Erklärung, die ihn nicht viel klüger machte. Vielleicht hätte Varlan ihm die Bedeutung erklären können, aber Periskays beschränkte Sprachkenntnisse reichten dafür nicht aus.

Zwanzig Minuten nach dem Verlassen des Marktes signalisierte Tarsanau dem Rudergänger, an einem steinernen Kai anzulegen. Sobald die Bordwand des Bootes die Kaimauer berührte, stiegen die beiden Ryall und ihre drei zweibeinigen Gäste an Land. Vor und hinter ihnen wurde es lebhaft am Kai, als Krieger aus ihren Wachbooten kletterten, um sie in die Mitte zu nehmen.

Tarsanau führte sie zu einer Reihe großer runder Gebäude und durch einen breiten Eingang, wo er lange genug halt machte, um ihnen die mächtige wasserdichte Tür zu zeigen, die den Eingang im Falle einer Flut verschließen würde. Das Innere des Gebäudes war höhlenartig und als ein Wald dekoriert. Die Beleuchtung kam hauptsächlich durch eine einzige Öffnung im Mittelpunkt der Dachkuppel, ergänzt durch eine Anzahl von Kugellampen, die um die Peripherie angeordnet waren und die Beleuchtung vervollkommneten. Außer der runden Öffnung in der Dachkuppel war die Beleuchtung blau, als hätten die Ryall Nachtbeleuchtung eingeschaltet. Im Wald verstreut waren verschiedene holographische Darstellungen von Ryall bei verschiedenen Beschäftigungen, die vom Fischen bis zum Weben reichte. Im Hintergrund mehrerer Szenen waren Häuser zu sehen, deren Wände aus Schilfmatten geflochten waren und die auf Pfählen standen. Das Ambiente des Gebäudes war unverkennbar.

»Ein Museum?«, fragte Bethany.

»Ja, es ist ein Ort, wo wir unserer Vergangenheit gedenken. Wenn Sie uns zu verstehen wünschen, wie Sie sagen, ist dies ein guter Ort zur Besichtigung«, sagte Periskay.

»Wo sollten wir anfangen?«, fragte Phillip.

Tarsanau gab den Besuchern zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten, und ging voraus. Seine relativ kurzen Beine trugen ihn schnell über die offene Fläche und durch einen Seitenkorridor. Die drei Gäste folgten, und Periskay bildete den Schluss. Die Wachdienst leistenden Krieger gaben sich damit zufrieden, den Eingang zu sperren, um sicherzugehen, dass niemand ohne ihre Einwilligung eintreten oder fortgehen konnte.

Der Korridor erwies sich als eine Galerie mit Ausstellungsstücken zu beiden Seiten. Bethany wäre gern da und dort stehen geblieben, doch Tarsanau führte sie ohne Aufenthalt weiter. Viele der dargestellten Szenen waren unter Wasser. Am Ende der Galerie wechselte das Milieu abrupt. Verborgene holographische Projektoren erfüllten die Luft mit bewegten Schleiern aus Farbe und Licht und erzeugten die Illusion, dass sie durch metertiefes Wasser blickten. Was sie betrachteten, beherrschte die Mitte einer weiteren höhlenartigen, überkuppelten Fläche. Als sie diese freie Fläche betraten, schwebte über ihnen ein in der Luft aufgehängtes Wesen, dessen Flanken von weißem Licht angestrahlt wurden. Das Wesen war fischartig, mit einem kräftig ausgebildeten Schwanz, dessen Ende zwei horizontale Flossen bildeten. Der Körper war stromlinienförmig, mit einer großen Rückenflosse in der Mitte, die Nase zugespitzt und abgeflacht, und zwei bösartigen Augen, die auf Stielen über dem Maul saßen. Nase, Schwanz und Augen waren jedoch bloße Details, die man im Vorbeigehen bemerkte, während der Teil, der ihre Aufmerksamkeit fesselte – wie die Schöpfer des Museums beabsichtigt hatten –, das aufgerissene Maul war. Das Wesen posierte mit durchgedrücktem Rücken, den Schwanz hoch in der Luft, und das Maul voll rasiermesserscharfer Zähne, die dem Besucher, der diesen Teil der Galerie besuchte, entgegengereckt waren.

»Das ist ein Schneller Esser?«, fragte Richard Drake, als er zu der Erscheinung aufblickte. Wenn die Erbfeinde der Ryall so ausgesehen hatten, dann war es kein Wunder, dass die Ryall sie noch immer fürchteten.

»Ja«, antwortete Periskay. »Dies sind die Geschöpfe, gegen die wir so lange kämpften. Viele Millionen unserer Leute verschwanden durch diesen zähnestarrenden Schlund, bevor wir sie ausrotteten.«

Tarsanau sprach einige Worte, und Periskay fuhr fort:

»Verstehen Sie jetzt, warum wir nicht glauben, dass unsere zwei Arten in Frieden miteinander leben können?«

»Es ist vollkommen verständlich«, erwiderte Drake. »Wenn wir in unserer Vergangenheit solche gefräßigen Feinde und Nahrungskonkurrenten gehabt hätten, würden wir wahrscheinlich das Gleiche glauben. Wir denken aber, dass es gefährlich ist, aus Analogien Schlussfolgerungen zu ziehen.«

Periskay begann zu dolmetschen, stockte dann. »Ich verstehe nicht, was Sie sagen.«

»Wir glauben, dass nichts, was im Leben geschieht, genau das Gleiche ist, was früher geschah. Zwei Ereignisse mögen ähnlich erscheinen, aber sie sind nicht dasselbe. Deshalb muss man in der Anwendung der Lektionen aus der Vergangenheit vorsichtig sein. Man kann von unbedeutenden Ähnlichkeiten leicht irregeführt werden.«

»Und der Sinn dieser Bemerkung für unsere bevorstehenden Diskussionen?«

»Nur, dass wir nicht die Schnellen Esser sind. Lektionen, die damals zu eurem Überleben führten, können heute, wenn falsch angewendet, zu eurer Vernichtung führen.«

»Ein interessanter, wenn auch fremdartiger Gedanke«, erwiderte Tarsanau. »Ich werde über seine Bedeutung nachdenken. Wollt ihr mehr über die Geschichte meiner Art sehen?«

»Sehr gern, wenn es keine Umstände macht.«

Als Tarsanau sie aus der Galerie der Schnellen Esser führte, warfen alle drei Besucher unwillkürlich nervöse Blicke über die Schultern. Die Stielaugen des unheimlichen Wesens schienen sie mit ihrem Blick zu verfolgen.