7

Als Bethany Lindquist nach einem harten Arbeitstag nach Hause kam, entdeckte sie Carl Aster, der auf ihrer Wohnzimmercouch lümmelte. Er hatte sich etwas zu trinken gemacht und blätterte müßig in einer ihrer Zeitschriften für vergleichende Geschichte. Bethany hatte Aster auf einer der nicht enden wollenden Cocktailpartys kennen gelernt, die zum hauptstädtischen Leben gehörten – ein charmanter Mann, ein guter Tänzer und kenntnisreicher Geschichtenerzähler. Sie hatten einander öfter getroffen, und allmählich war ihr Verhältnis vom Beiläufigen zum Ernsten und schließlich zu einem Heiratsantrag gediehen. Allerdings hatte sie ihn, dem Rat ihres Onkels folgend, noch nicht beantwortet.

»Hallo!«, rief er, sprang von der Couch auf, nahm sie in die Arme und küsste sie. Danach fragte er sie erneut: »Wie wär's damit, mich zu heiraten, schöne Frau?«

»Frag mich nächste Woche«, seufzte sie. »Im Moment wünsche ich mir nur ein heißes Bad, ein schnelles Essen und einen langen Nachtschlaf.«

»Habe ich es dir denn nicht gesagt?«, fragte er. »Wir gehen heute Abend aus!«

»Nicht heute Abend, Carl. Ich hatte einen schweren Tag.«

»Wie kann eine Historikerin einen schweren Tage haben?«

Sie hob die Schultern. »Genauso wie jeder andere, denke ich. Die verdammten Idioten in der Bibliothek haben meine Anforderung von Daten über die alten Mesopotamier verlegt. Ich verbrachte den ganzen Tag damit, das Material selbst zusammenzusuchen.«

»Wozu die Mühe?«, meinte er. »Wen kümmert es, was vor tausend Jahren und fünfhundert Lichtjahre von hier geschah?«

»Es waren eher fünftausend Jahre, und deine Frage ist ihre eigene Antwort«, erwiderte sie. Asters spöttische Bemerkungen über ihren Beruf hatten als ein Spiel zwischen ihnen angefangen. Jetzt war es allerdings nicht mehr so lustig, wie es einmal gewesen war.

»Vergleichende Geschichte ist wichtig«, sagte sie, »weil der Mensch sich in fünfzigtausend Jahren nicht geändert hat. Wir mögen andere Sternsysteme besiedelt haben, aber tief in unserem Innern reagieren wir noch immer genauso wie unsere Vorfahren, die Höhlenmenschen. Leute wie ich studieren die Geschichte der Menschheit und suchen nach Parallelen zu unserer gegenwärtigen Situation. Wenn wir sie finden, sehen wir nach, wie andere Menschen in anderen Zeiten Probleme, die unseren eigenen ähnelten, zu lösen wussten oder nicht lösen konnten.

Alta, zum Beispiel, ist eine Grenzlandwelt, die in den letzten einhundertfünfundzwanzig Jahren eine isolierte, posturbane Gesellschaft entwickelt hat. Jedes Problem, mit dem deine Chefs im Parlament sich herumschlagen, hat irgendwo in der Vergangenheit eine Analogie. Es kommt nur darauf an, sie zu finden.«

»Gut, tut mir leid! Dein Job ist wichtig, und du hattest einen schweren Tag. Lass dich von mir dafür entschädigen, indem ich dich heute Abend ausführe.«

»Wohin?«

»Der Ministerpräsident veranstaltet einen Empfang für die Marine.«

»Wozu?«

»Einige der Leute, die die Conqueror zur Strecke brachten, werden anwesend sein. Mein Chef vermutet, dass die ganze Sache für die Sozialdemokraten nur als Vehikel für politische Propaganda dienen soll. Er möchte sichergehen, dass der wahre Glaube hinreichend vertreten ist. Außerdem werden alle dort sein, die in Homeport etwas sind. Übrigens wird auch dein Onkel kommen.«

»Mein Onkel? Bist du sicher?«

»Der Chef sagte es.«

»Aber weshalb?«

Aster zuckte die Achseln. »Das wollte er mir nicht sagen. Gerüchten zufolge weigerte sich dein Onkel, als sie ihn das erste Mal fragten, und der Ministerpräsident bekam einen Anfall. Sie mussten Reinhardt hinaus zu seinem Landhaus schicken, um ihn umzustimmen.«

»Um welche Zeit ist dieser Empfang?«, fragte Bethany.

»Einundzwanzig Uhr.«

Sie seufzte. »Ich gehe hin.«

»Gut für dich! Dann werde ich dich nicht später als halb neun abholen.« Er griff nach seinem Umhang, den er über die Lehne der Couch drapiert hatte, dann küsste er sie wieder.

»Muss jetzt gehen. Der Chef verlangt, dass ich etwas über die Gästeliste herausbringe. Bis heute Abend.«

»Ich werde bereit sein.«

Die Männer und Frauen, die Alta gegründet hatten, waren bei der Wahl des Platzes für die Hauptstadt ihrer Kolonie mit der Sorgfalt von Eltern vorgegangen, die das genetische Programm für ihren Erstgeborenen auswählen. Fachleute verschiedener Richtungen verbrachten Jahre mit dem Studium von Stereographien der Planetenoberfläche, der Auflistung von Stärken und Schwächen verschiedener Örtlichkeiten für potenzielle Siedlungen. Und sogar nach den umfangreichen Vermessungen wurde das erste Schiff, das Kolonisten nach Alta bringen sollte, wochenlang in einer Umlaufbahn aufgehalten, während Erkundungstrupps das halbe Dutzend der geeignetsten Örtlichkeiten in Augenschein nahmen. Schließlich wählten die Expeditionsleiter ein breites Flusstal im Nordwestquadranten der Landmasse, die sie willkürlich Hauptkontinent getauft hatten. Buchstäblich Tausende von Parametern wurden geprüft und in Erwägung gezogen, bevor die Wahl getroffen wurde. Zu den wichtigsten dieser Parameter zählte der Umstand, dass der Fluss – den die ursprünglichen Landvermesser Tigris getauft hatten, nachdem sie die Namen Amazonas, Nil und Euphrat bereits vergeben hatten – vom vorgesehenen Ort der Stadtgründung bis zum Meer über eine Entfernung von mehr als dreihundert Kilometern schiffbar war.

Im Westen des Tales schützte eine Gebirgskette von der Höhe der Sierra Nevada auf der Erde vor der Gewalt von Winterstürmen. Im Osten ließ eine sanfte Hügellandschaft die warmen Frühjahrsregen ungehindert das Tal erreichen. Jenseits des Hügellandes lag eine weite fruchtbare Ebene, der es bestimmt war, die Kornkammer der Kolonie zu sein – zumindest während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens. Geologische Untersuchungen hatten ergeben, dass es in Reichweite des vorgesehenen Standorts Bodenschätze gab, allerdings nicht so nahe, dass die künftige Hauptstadt Altas mit Problemen der Luftverschmutzung belastet würde. Der ursprüngliche Ort Homeport war auf einer dünn bewaldeten Uferterrasse über einer Flusskrümmung des Tigris erbaut worden. Die ersten Häuser waren ein Dutzend Blockhütten, deren Ritzen mit Lehm und Gras verschmiert waren und die sich um ein provisorisches kleines Laufwasserkraftwerk gruppierten. Dreihundert Jahre später war von den Blockhäusern nichts mehr zu sehen. An ihrer Stelle standen die weißen Herrenhäuser der Nachkommen ihrer einstigen Bewohner.

Richard Drake blickte aus dem Fenster der Limousine, die langsam die Serpentinenstraße zum Nob Hill hinauffuhr. Die Lichter der Stadt unten im Tal schienen matt, verglichen mit dem metallischen Glanz der Supernova, die den Abendhimmel beherrschte und sich im breiten Strom des Tigris spiegelte. Gleichwohl hatte ihre Helligkeit in dem Monat, seit Drake zuletzt auf Atta gewesen war, merklich nachgelassen. Aber noch immer war sie das bei weitem hellste Licht am dämmernden Himmel.

»Gut, wieder daheim zu sein, nicht wahr, Captain?«, fragte Admiral Dardan, der neben Drake im Fond der Limousine saß.

»Ja, Sir!«, erwiderte Drake. »Verdammt gut!«

Sechsundvierzig Stunden (zwei von Altas dreiundzwanzigstündigen Tagen) waren vergangen, seit Drake vom Parlamentsausschuss zur Anhörung gebeten worden war.

»Freuen Sie sich über die Einladung heute Abend?«

»Um die Wahrheit zu sagen, Admiral, ich sollte mich wirklich um die Treibstoffdaten der Expedition kümmern, statt an einer Cocktailparty teilzunehmen.« Drake sah sich nach den drei anderen Wagen um, die im Konvoi hinter ihnen fuhren. »Das gleiche gilt für meine Leute.«

Dardan schüttelte den Kopf. »Dies ist wichtiger. Sie und Ihre Offiziere sind die Ehrengäste.«

»Ja, Sir.«

»Vor allem aber, Captain«, sagte Dardan, und seine Stimme nahm ihren dienstlichen Ton an, »wird Clarence Whitlow anwesend sein. Der Ministerpräsident lud ihn persönlich ein, um uns Gelegenheit zu geben, mit ihm über das Problem der Codierungen zu sprechen.«

Drake nickte. Die Enthüllung, dass Altas drei Kreuzer seit langem ohne einsatzfähige Programme für die Computersteuerung der Springertriebwerke waren, war dem Parlamentsausschuss für die Raumstreitkräfte ein Schock gewesen. Die Konservativen hatten die regierenden Sozialdemokraten der Fahrlässigkeit und der versuchten Täuschung beschuldigt, die Sozialdemokraten hatten ihre Unschuld beteuert, und beide Seiten hatten die Schuld den Raumstreitkräften zugeschoben. Der Admiral, offensichtlich unglücklich, hatte das Verlangen des Ausschussvorsitzenden nach einer Erklärung mit den Worten beantwortet: »Ich dachte, Sie wüssten Bescheid, Mr. Prost! Der alte Granville Whitlow wollte sichergehen, dass Alta niemals eine Bedrohung für die Erde sein würde; also nahm er die Springerprogramme und Autorisationscodes aus den Computern, bevor er die Kreuzer den Streitkräften übergab.«

»Wo sind diese Codes jetzt?«, hatte Prost gefragt.

»Im alten Botschaftscomputer im Keller der Admiralität gespeichert. Soviel ich weiß, hat nur Clarence Whitlow Zugang zu den Codes. Sollte jemand anders versuchen, ohne die richtigen Zugangscodes an die Programme heranzukommen, könnte es zur Löschung der Datenspeicher führen.«

Kurz darauf war die Anhörung inmitten hitziger gegenseitiger Beschuldigungen zu Ende gegangen. Danach taten alle so, als sei nichts geschehen. Drake hatte den Auftrag bekommen, den vorläufigen Einsatzplan der interstellaren Expedition zu prüfen. Als er darauf hingewiesen hatte, dass der Plan die Teilnahme der Discovery oder eines ihrer Schwesterschiffe umfasste, hatte Commodore Wilson gemeint, er solle sich darüber nicht den Kopf zerbrechen.

»Das Problem wird an höherer Stelle diskutiert, Captain«, hatte er zuversichtlich erklärt. »Kümmern Sie sich um Ihren Teil, und überlassen Sie den Rest uns.«

»Ja, Sir.«

Die Limousine der Admiralität erreichte den Gipfel des Nob Hill; zur Rechten kam ein großes schmiedeeisernes Tor in Sicht, und der Fahrer bog in eine lange, baumbestandene Zufahrt ein. Die übrigen Wagen folgten. Die Allee führte zu einer makellos gepflegten Rasenfläche, die ein großes weißes Herrenhaus umgab. Das Gebäude lag geisterhaft blass im Licht der Nova da; verstärkt wurde dieser Effekt durch im Gebüsch versteckte getönte Scheinwerfer, die das Haus anstrahlten.

Die Limousine hielt am Fuß einer breiten Freitreppe. Kaum stand der Wagen, wurden die Türen von livrierten Dienern geöffnet. Drake und der Admiral stiegen aus, rückten ihre Uniformmützen zurecht und erstiegen die Stufen zum Säulenvorbau des Eingangs. Dort erwartete sie eine füllige Frau mittleren Alters in einem Abendkleid, das für eine um zwanzig Jahre Jüngere geschnitten war und nun aus den Nähten zu platzen drohte.

»Luis, es ist entschieden zu lange her, dass Sie eine Einladung zu einer meiner Soireen angenommen haben. Ich hatte Sie schon aufgegeben.«

»Guten Abend, Mrs. Mortridge«, sagte Dardan und beugte sich über die Hand ihrer Gastgeberin.

»Mrs. Mortridge, also wirklich! Ich heiße Evelyn.«

»Verzeihung, Evelyn.« Dardan wandte sich zu Drake. »Darf ich Ihnen den Ehrengast vorstellen, Captain-Lieutenant Richard Drake, vom Schlachtkreuzer Discovery

Mrs. Mortridge hielt Drake die Hand zum Kuss hin. »Ich danke Ihnen sehr, dass Sie gekommen sind, Captain. Meine Gäste können es kaum erwarten, von Ihren Heldentaten draußen in der Tiefe des Raums zu hören.«

»Ich weiß nicht, wie viel ich erzählen kann, Mrs. Mortridge. Das Parlament muss entscheiden, welche Teile meines Berichts für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Soviel ich weiß, macht man sich Sorgen, wie der Aktienmarkt reagieren wird.«

»Ach was! Wenn das Parlament etwas weiß, weiß es jedermann. Das kluge Geld auf den Finanzmärkten hat die Ergebnisse Ihrer Reise eine Woche vor Ihrer Rückkehr als unerheblich eingestuft. Kümmern Sie sich nicht um diese albernen Sicherheitsbestimmungen. Niemand sonst tut es.«

»Ich fürchte, dass ich dazu verpflichtet bin, Mrs. Mortridge.«

Sie betrachtete ihn mit einem seltsamen Blick. Bis zu diesem Augenblick hatte Drake angenommen, dass sie ein Paradiesvogel der besseren Gesellschaft sei und sonst nichts. Der Blick, mit dem die Witwe ihn musterte, war abschätzend und durchdringend und veranlasste ihn, seinen ersten Eindruck zu revidieren. »Halten Sie es, wie Sie es für richtig befinden.«

Als sie geendet hatte, waren die Adjutanten des Admirals und Drakes Offiziere die Stufen heraufgekommen. Dardan stellte jeden von ihnen der Gastgeberin vor, die sofort wieder in ihre Rolle zurückfand.

Anschließend ging die Gruppe hinein. Das Innere des Herrenhauses war erfüllt von Licht und Stimmengewirr. Ein Streichquartett, das in der Eingangshalle spielte, hatte Mühe, sich gegen die vielen schwatzenden und lachenden Menschen durchzusetzen, die mit Sektgläsern in den Händen gruppenweise beisammenstanden. Irgendwo in der Tiefe des Hauses ertönten die Klänge eines großen Orchesters. Mrs. Mortridge wandte sich an Bela Marston, Argos Cristobal und Jonas Symes. »Ich werde Ihnen Ihren Captain für eine Weile entführen, meine Herren. Sie finden die Bar dort den Korridor entlang, zweite Tür links. Bewegen Sie sich ganz zwanglos; wir haben hier viele alleinstehende Frauen heute Abend, also unterhalten Sie sich gut.«

»Danke sehr, Madam.« Marston verbeugte sich.

Während seine Offiziere sich zur Bar aufmachten, sah Drake ihnen nicht ohne Neid nach. Als er sich dann umwandte, entdeckte er, dass er mit seiner Gastgeberin allein war. Dardan und Wilson hatten es irgendwie fertig gebracht, in der Menge unterzutauchen. Er seufzte, machte sich auf einen schwierigen Abend gefaßt und verbeugte sich. »Ich stehe Ihnen zu Diensten, Mrs. Mortridge.«

In den nächsten zwanzig Minuten führte sie ihn herum und stellte ihn jeder Gruppe von Gästen vor. Nach den ersten fünfzig Gemeinplätzen verlor Drake den Überblick. Gerade als er zu der Überzeugung kam, dass ein Entkommen unmöglich sei, wurde Mrs. Mortridge abberufen, um sich irgendeines Problems anzunehmen. – »Wirklich, Captain, man bekommt heutzutage einfach kein gutes Dienstpersonal mehr. Wollen Sie mich bitte entschuldigen?«

Drake murmelte, dass er allein zurechtkommen werde, dann zog er sich eilig zurück. Zwei Minuten später ließ er sich an der Bar einen Cocktail geben. Er nippte von dem herben Getränk, schmeckte es anerkennend ab und schluckte. Angenehme Wärme begann sich vom Magen ausgehend in ihm auszubreiten. Auf einmal erschien neben ihm ein gut gekleideter Mann.

»Captain Drake?«

»Ja.«

»Mein Name ist Converse. Greg Converse. Ich bin Fabrikant aus Southridge. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Geschichte Ihres Abenteuers mit diesem Raumschiff noch einmal zu erzählen?«

»Ich fürchte, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann als das, was in den Nachrichten gebracht wurde.«

»Glauben Sie mir, Captain, ich will Sie nicht verleiten, mir irgendwelche geheimen Einzelheiten mitzuteilen. Ich möchte nur wissen, wie es war.«

Drake nahm sein Glas und ging zu einer Couch in der Nähe, der Fabrikant folgte ihm. Rasch versammelte sich eine kleine Gruppe von Zuhörern um sie. Drake ließ seinen Blick über die erwartungsvollen Gesichter schweifen und begann seine Geschichte ein weiteres Mal zu erzählen.

»Ist es wahr, dass Sie Tote an Bord fanden?«, fragte Converse, nachdem Drake eine Weile gesprochen hatte.

»Das ist richtig.«

»Und dass eine Frau darunter war?«

»Ja.«

»Was kann eine Frau an Bord eines Kriegsschiffes getan haben?«

»Sie trug die Uniform eines Waffentechnikers«, erwiderte Drake. »Ich nehme an, dass sie ein Besatzungsmitglied war.«

»Man stelle sich vor: Frauen in der Kriegsflotte!«, sagte jemand.

»Dazu bedarf es keiner Phantasie!«, erwiderte eine Altstimme vom Rand der Gruppe. Drake wandte den Kopf und blickte zu der neuen Gesprächsteilnehmerin auf. Die Frau war brünett, mit auffallend großen Augen, einem herzförmigen Gesicht und üppiger Figur. Sie trug ein anliegendes, rückenfreies Abendkleid. Die anderen machten ihr Platz, und sie ließ sich auf der Armlehne eines Sessels nieder, der der Couch gegenüberstand.

»Tatsache ist«, fuhr sie fort, »dass es im Laufe der Geschichte viele Raumfahrerinnen gegeben hat. Die erste war eine Russin namens Valentina Tereschkowa. Als Antares explodierte, bestanden die Besatzungen der Großen Flotte der Erde zu annähernd zwanzig Prozent aus Frauen. In der Handelsschifffahrt war der Anteil der Frauen noch größer. Lesen Sie in den Geschichtsbüchern nach, wenn Sie mir nicht glauben.«

»Das war mir nicht bekannt«, sagte der Mann, der die Bemerkung gemacht hatte. Er blickte nervös auf das leere Glas in seiner Hand, dann zog er sich aus dem inneren Ring der Zuhörer zurück.

»Es ist wahr, wissen Sie«, fuhr die Frau im gleichen lehrhaften Ton fort. »Die altanische Ethik, die Frauen von den so genannten Risikoberufen fern hält, ist das Ergebnis der Notwendigkeit unserer Vorfahren, diese Welt zu bevölkern. Während der Pionierzeit war es nicht ungewöhnlich, dass die Frauen sechs, acht oder sogar zehn Kinder hatten. Die Aufzucht solch einer Brut läßt sehr wenig Zeit für irgendetwas anderes, das versichere ich ihnen.«

»Wir ergeben uns!«, sagte Converse und hielt die Hände hoch.

Die junge Frau machte ein verlegenes Gesicht und wandte sich an Drake. »Vergeben Sie mir, Captain. Ich bin Historikerin von Beruf, und manchmal lasse ich mich hinreißen, wenn ich über mein Lieblingsthema spreche.«

»Da gibt es nichts zu vergeben«, sagte er. »Ich stimme Ihnen zu. Auf den langen Reisen hätte ich manchmal ein Jahresgehalt gegeben, nur um den Klang einer weiblichen Stimme zu hören. Übrigens ist mein Name Richard Drake.«

»Ich bin Bethany Lindquist«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. Er stand hastig auf, sie zu ergreifen. »Bitte, ich wollte nicht unterbrechen. Fahren Sie fort mit Ihrer Geschichte.«

Drake nahm den Faden wieder auf und schilderte seinen kurzen Besuch an Bord des Wracks. Als er den Punkt erreichte, wo er den Rückruf erhalten hatte, schloss er mit den Worten: »Das ist ungefähr alles, was ich Ihnen sagen kann. Nun sollte ich mich vielleicht ein wenig unter die Gäste mischen, bevor unsere Gastgeberin bemerkt, dass ich mich in der Bar verstecke.«

Höfliches Gelächter beantwortete seine Äußerung. Die Zuhörer gingen auseinander, und auch Bethany Lindquist wandte sich zum Gehen. Drake holte sie ein, als sie durch die Tür zwischen dem kleinen Nebenraum, wo die Bar untergebracht war, und dem Ballsaal ging.

»Darf ich Sie zu einem Glas einladen?«

Sie lächelte und zeigte dabei ihre vollkommenen weißen Zähne. »Oh, danke, Captain. Ich war ohnehin im Begriff, mir ein Getränk zu holen, als ich zu Ihrer Gruppe kam und zuhörte.«

Er stellte sein eigenes leeres Glas auf das Tablett eines vorbeikommenden Bediensteten, nahm zwei volle herunter und gab eines davon Bethany.

»Man sieht, dass Sie ein Raumfahrer sind!«, sagte sie lachend.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ich sehe es daran, wie Sie die Gläser balancieren. Niemand, der sein Leben lang unter der Schwerkraft dieser Welt herumgestolpert ist, hätte dieses Manöver eben ausführen können, ohne einen Tropfen zu verschütten.«

»Würde es Sie kränken, wenn ich fragte, ob Sie allein hier sind?«

»Warum sollte ich gekränkt sein, Captain? Ich betrachte es als Kompliment, dass Sie interessiert sind. Tut mir leid, nein. Ich bin mit einem Freund hier. Er ist irgendwo mit seinem Chef in Klausur.«

»Wenn ich Ihr Begleiter wäre, würde ich nicht von Ihrer Seite weichen.«

»Das würden Sie nicht tun?«, fragte sie mit einem Anflug von Belustigung.

»Niemals!«

»Freut mich, das zu hören, weil ich glaube, dass Admiral Dardan Sie sucht.«

Drake wandte sich um und folgte ihrem Blick. Tatsächlich arbeitete sich der Admiral in ihre Richtung durch die Menge. Er seufzte. »Ich nehme an, man sollte nicht ganz so absolut sein, wenn man die Zukunft voraussagt.«

»Nein, das sollte man wohl nicht«, versicherte sie.

»Drake!«, legte Dardan los, sobald er bei ihnen war. »Zeit, an die Arbeit zu gehen.«

Drake wandte sich an Bethany Lindquist und verbeugte sich.

»Tut mir leid. Darf ich Sie später um einen Tanz bitten?«

»Selbstverständlich, Captain. Nun gehen Sie nur mit dem Admiral. »›Ein Mann muss tun, was er zu tun hat‹, wissen Sie.«

»Wie bitte?«

»Es hat nichts zu bedeuten; bloß ein altes Zitat. Machen Sie sich keine Gedanken um mich. Ich bin durchaus imstande, mich allein durchzuschlagen, bis mein Freund seine Geschäfte erledigt hat.«

Dardan führte Drake in einen Flügel des Herrenhauses, der noch nicht von den Festgästen erobert worden war. Sie ließen die Musik und die Tanzenden hinter sich und gingen über weiche Teppiche durch getäfelte Räume. Endlich hielt der Admiral vor einer reich geschnitzten Tür, klopfte und wurde von einer gedämpften Stimme zum Eintreten aufgefordert. Drei Männer befanden sich in dem Raum. Drake kannte zwei von ihnen: einer war Stan Barrett, der andere der Ministerpräsident.

Gareth Reynolds war ein Politiker alten Schlages, der sich in der Organisation der Sozialdemokratischen Partei hochgearbeitet hatte. Dem Vernehmen nach hatte er als Plakatkleber und Wahlbeobachter angefangen und war dann in rascher Folge zum Organisator von Parteiveranstaltungen und Vorsitzenden einer Bezirksgruppe befördert worden. Nachdem er sich in der Kommunalpolitik bewährt hatte, hatte die Partei ihm die Gelegenheit gegeben, sich um einen Parlamentssitz zu bewerben. Bei seiner ersten Wahl war er in einem sicheren Wahlbezirk der Sozialdemokraten als Strohmann aufgestellt worden – jemand, der bereit war, seinen Sitz für ein Kabinettsmitglied freizumachen, sollte einer dieser Honoratioren in seinem eigenen Wahlbezirk durchfallen. Reynolds erwies sich als tüchtiger Parlamentsabgeordneter. Bei den nächsten allgemeinen Wahlen erhielt er einen eigenen Sitz, und so begann ein gleichmäßiger, zwanzigjähriger Aufstieg durch die Ränge der Legislative. Vor sechs Jahren, beim letzten Machtwechsel zwischen den beiden großen Parteien, war Reynolds zum Ministerpräsidenten gewählt worden.

»Ah, Captain Drake!

Willkommen«, sagte der Ministerpräsident und stand auf, die beiden Marineoffiziere zu begrüßen. »Erstklassige Arbeit haben Sie mit dieser Conqueror-Sache geleistet. Erstklassig!«

»Danke für die freundlichen Worte, Herr Ministerpräsident.«

»Keineswegs. Ihr Marineleute bekommt viel zu wenig Anerkennung. Nun, ich glaube nicht, dass Sie Clarence Whitlow kennen, den Botschafter der Erde.«

»Captain«, sagte der Botschafter und nickte aus einem hochlehnigen Stuhl in Drakes Richtung.

»Ich habe um diese Begegnung gebeten«, sagte der Ministerpräsident, als er Drake zu einem anderen Stuhl steuerte, »weil ich wollte, dass Botschafter Whitlow Ihren Bericht aus erster Hand hört. Sie werden feststellen, dass Ihre Aufzeichnung bereits im Projektor ist.« Reynolds wies zu einem Lesegerät und Projektor auf dem Kaffeetisch vor ihm. Stan Barrett fingerte an den Knöpfen, und aus einer Klappe in der Decke sank das kleine Modell eines würfelförmigen holographischen Bildschirms herab.

»Möchten Sie etwas trinken, Captain?«, fragte Admiral Dardan.

»Ja, gerne, Sir.«

Als alle Platz genommen hatten, begann Drake die Geschichte der Mission in größerer Ausführlichkeit als vorher zu erzählen. Er illustrierte seine Geschichte mit denselben Ansichten von der Conqueror, die er vor dem Parlamentsausschuss gezeigt hatte. Er hatte nicht länger als eine halbe Stunde sprechen wollen, doch bis er alle Fragen beantwortet hatte, die ihm gestellt wurden, war das Doppelte dieser Zeitspanne verstrichen.

»Höchst interessant«, sagte Clarence Whitlow, als die Holographie am Ende von Drakes Vortrag erlosch. Er richtete den Blick auf Gareth Reynolds. »Ich weiß zu würdigen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mir dies zu zeigen, Herr Ministerpräsident. Ich muss allerdings gestehen, dass ich etwas verwirrt bin.«

»Inwiefern, Herr Botschafter?«

»Diese fürsorgliche Einstellung Ihrer Verwaltung ist so willkommen, wie sie ... ungewöhnlich ist. Ich bin jetzt seit einer ganzen Anzahl von Jahren Botschafter der Erde, und dies ist das erste Mal, dass die Regierung Altas mich zu irgendetwas konsultiert hat.«

»Eine kurzsichtige Politik von unserer Seite«, gestand der Ministerpräsident. »Und eine, die zu berichtigen ich entschlossen bin. Da die Conqueror ein Schiff der Erde ist, hielten wir es für richtig und zweckmäßig, Sie über unsere Untersuchungen zu unterrichten.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie beabsichtigen, die Kontrolle über die Conqueror mir als Vertreter der Erde hier auf Alta zu übergeben?«, fragte Whitlow.

Der Admiral räusperte sich leise. »Ah ... wir haben die Absicht, das Schlachtschiff im Namen der Regierung zu bergen, Herr Botschafter. Dagger und ein Tanker sind bereits unterwegs, um den langwierigen Prozess der Rückführung zum inneren System einzuleiten.«

Whitlow breitete die Arme aus. »Dann verstehe ich nicht, warum ich zu dieser Veranstaltung geladen wurde.«

»Sicherlich«, erwiderte der Ministerpräsident, »ist Ihnen klar, dass das Erscheinen dieses Schlachtschiffs kein alltägliches Ereignis ist.«

»Offensichtlich nicht.«

»Um das Offensichtliche festzustellen, Herr Botschafter, signalisiert das Erscheinen der Conqueror in diesem System das Ende unserer langen Isolation. Ein Ereignis, das nicht nur ein Segen sein wird, wie wir befürchten müssen. Viele Fragen sind zu beantworten. Zum Beispiel, was wird die Wiederaufnahme des interstellaren Handels für unsere Wirtschaft bedeuten?

Wer wird profitieren, und wer wird leiden? Was wird aus dem Wert der Währung? Werden wir in der Lage sein, mit anderen Systemen zu konkurrieren, oder wird unsere Technologie sich als so rückständig erweisen, dass niemand unsere Erzeugnisse wird kaufen wollen?«

»Alles wichtige Fragen, da gebe ich Ihnen Recht, Herr Ministerpräsident. Aber was haben sie mit mir zu tun?«

»Es gibt vieles, was wir über diese gegenwärtige Situation nicht wissen. Eines aber wissen wir: Der Zustand der Conqueror läßt mit Sicherheit den Schluss zu, dass irgendwo jenseits des Faltpunktes ein Krieg tobt. Und wenn ein Kriegsschiff von außerhalb des Systems uns finden kann, dann können andere es auch. Mir und den führenden Persönlichkeiten des Parlaments scheint es, dass es besser für Alta wäre, wenn wir sie zuerst finden würden. Es geht darum, dass wir uns ein Bild von der Lage und dem Ausmaß einer möglichen Bedrohung machen müssen. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, eine Aufklärungsexpedition über den Faltpunkt hinaus zu entsenden, vielleicht sogar bis zur Erde.«

»Eine Expedition zur Erde?«, fragte Whitlow. »Wie wundervoll! Werde ich Zeit haben, Botschaften vorzubereiten, die ich der Expedition mitgeben kann?«

»Reichlich Zeit, Herr Botschafter«, sagte Admiral Dardan.

»Es wird mindestens einen Monat dauern, bis die Schiffe reisefertig sind.«

»Ausgezeichnet. Ich muss noch heute Abend anfangen, über meinen Bericht nachzudenken.«

»Ah«, fing der Admiral an, »es gibt noch einen Punkt, Herr Botschafter.«

»Ja?«

»Die Expedition wird aus einem umgebauten Passagierschiff und zwei Tankern bestehen. Das Passagierschiff wird die Wissenschaftler und das diplomatische Personal aufnehmen, die Tanker zusätzlichen Treibstoff. Keines dieser Schiffe ist bewaffnet, noch können sie innerhalb vertretbarer Zeit mit Waffen ausgerüstet werden. Da sie in ein potenzielles Kriegsgebiet reisen werden, halten wir es für ratsam, zu ihrem Schutz einen Kreuzer mitzuschicken. Deshalb ist Captain Drakes Discovery als Flaggschiff der Expedition gewählt worden.«

»Offensichtlich«, übernahm der Ministerpräsident den Ball von Dardan, »muss der Computer der Springertriebwerke operationsfähig gemacht werden, bevor die Discovery solch eine Reise antreten kann.«

»Offensichtlich«, pflichtete ihm Whitlow bei.

»Es freut mich, dass Sie unsere Überlegung verstehen, Sir. Darf ich Ihre Antwort so auffassen, dass Sie bereit sind, uns die Computerprogramme und Codes zur Verfügung zu stellen, die Sie in den Datenspeichern der alten Botschaft unter Verschluss halten?«

Whitlow blickte dem Ministerpräsidenten ins Auge. »Ich verstehe Ihr Problem sehr gut, Ministerpräsident, und habe Verständnis für Sie. Sie müssen jedoch verstehen, dass ich einen Eid geleistet habe, die Interessen der Erde zu wahren und zu schützen, nicht diejenigen Altas.«

»Ich versichere Ihnen, Sir, dass in der gegenwärtigen Situation beide zusammenfallen.«

»Das können Sie nicht wissen, solange die Expedition nicht mit ihren Beobachtungen zurückkehrt. Dann aber würde es viel zu spät sein, meine Zustimmung für ungültig zu erklären, nicht wahr? Es ist gerade die irreversible Natur der Entscheidung, den Kreuzern die Programme und Springercodes zurückzugeben, die meine Vorgänger immer gefürchtet haben. Um eine alte Allegorie zu gebrauchen, die meine Nichte besonders schätzt: ›Der Geist würde ein für alle Mal aus der Flasche sein.‹«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Herausgabe ablehnen?«

Whitlow zeigte ein vages Lächeln, stellte sein Glas weg und erhob sich mit steifen Gliedmaßen. »Ich sage, dass ich darüber werde nachdenken müssen. Nun, meine Herren, wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich habe ernsthafte Gewissenserforschung zu treiben.«

Der Ministerpräsident nickte. »Noch eins, bevor Sie gehen, Herr Botschafter.«

»Ja?«

»Bitte denken Sie sorgfältig über unser Anliegen nach. Das Schicksal dieser Welt mag von Ihrer Entscheidung abhängen.«

Clarence Whitlow seufzte. »Das, Sir, ist eben, was ich fürchte.«