37
Varlan aus der Sippe der Duftenden Wasser lag auf einer gegerbten Herboshaut vor ihrem Datenanschluss und beobachtete die Punkte, welche von rechts nach links über den Bildschirm zogen und die Produktion des laufenden Zeitabschnitts darstellten. Gelegentlich ließ sie ihre fingerähnlichen Greiforgane über die zehn Zentimeter breite Steuerkugel wandern, worauf dann andere Punktmuster auf dem Bildschirm erschienen. Während der Ablesung hob und senkte sie abwechselnd ihre Schlappohren in ungeduldiger Reizbarkeit.
Das Bergwerk und die angeschlossene Erzverhüttung auf Corlis war seit einer ganzen Zwölferperiode in Betrieb, aber noch immer lag die Erzeugung weit unter den Computerprojektionen. In früheren Perioden, als es ihnen kaum gelungen war, die Erzfrachter zu füllen, die in unregelmäßigen Abständen die Grenzwelt aufsuchten, war es schlimm genug gewesen. Nun kreiste Raumschwimmer über ihnen um die Welt, und es lagerte gerade so viel Erz in den Behältern, dass sieben Zwölftel der geräumigen Laderäume des Erzfrachters gefüllt werden konnten. Die ständigen Fehlmengen in Abbau und Verhüttung ließen sich nicht länger verbergen. Varlan wusste, dass sie in ihrem Verantwortungsbereich versagt hatte, und das erbitterte sie. Was die Sache doppelt ärgerlich machte, war der Umstand, dass es nicht allein ihre Schuld war. Vielmehr hatte es unerwartete Stillstandszeiten durch den Ausfall von Abbaumaschinen und Förderanlagen gegeben, und zu allem Überfluss hatte ein schwerer Sturm eine Anzahl Strommasten umgeworfen. Die Rohrleitung, die Wasser vom Staudamm flussaufwärts herbeiführte, um die Bohrmaschinen zu kühlen und den Staub zu binden, war auch zu spät fertig geworden. Ohne eine ausreichende Versorgung mit Kühlwasser hatten die Bohrmaschinen nur mit halber Kraft eingesetzt werden können. Und als ob das noch nicht genug wäre, gab es hohe Arbeitsausfälle, weil die Arbeiter die ganze Zeit an Leiden erkrankten, die den Philosophen unbekannt waren. Bei alledem hing die Sicherheit des Volkes von einem gleich bleibenden Nachschub an Energiemetallen ab, und Varlan wusste, dass die Regierenden ihren Erklärungen und Entschuldigungen kaum Beachtung schenken würden.
»Mögen die Arbeiter mir zum Bösen Stern vorausgehen!«, fluchte Varlan, als sie den Produktionsbericht fertig hatte und überlegte, wie lange es noch dauern würde, bis die Betriebsleiterkaste jemand anders finden würde, um die Anlagen auf Corlis zu leiten.
Die sechseckigen Wände ihrer Zelle hallten vom leise heulenden Ruf eines Windschnüfflers wider. Varlan wandte ihren langen, biegsamen Hals zum verhängten Eingang und forderte die unbekannte Person, die das Signal ausgelöst hatte, zum Eintreten auf. Wie sie beinahe erwartet hatte, war der Besucher Salfador, der Oberphilosoph und Priester des Corlis-Komplexes. Varlan sah ihn anmutig über den Bodenbelag aus frisch gemähten Binsen näher schreiten und vor ihr stehen bleiben. Salfador war ein kräftiger Mann, dessen Schuppen von einem gesunden Graugrün waren, dessen sechs Beine von Muskeln strotzten und dessen Greiffinger die Geschicklichkeit eines erstklassigen Chirurgen besaßen. Varlan hatte lange daran gedacht, ihn zu fragen, ob er während der nächsten Paarungszeit ihr Partner sein wolle, das Thema aber noch nicht zur Sprache gebracht, weil sie befürchtete, dass es ihrer Autorität über ihn abträglich sein würde.
»Grüße, Salfador vom Ewigen Feuer!«, sagte sie und beugte den Hals, wie der Brauch es verlangte.
»Grüße auch dir, Varlan von den Duftenden Wassern«, antwortete er, bevor er im Gesprächston fortfuhr: »Ich sehe, dass du deine Buchhaltung machst. Bin ich zur Unzeit gekommen?«
»Es gibt keine guten Zeiten, wenn wir nicht einmal die Laderäume eines alten Erzfrachters füllen können«, erwiderte sie. »Ich fürchte, dass du bald einen neuen Betriebsleiter wirst beraten müssen, Salfador. Ich erwarte, dass man mich zurückrufen wird, bevor die nächste Periode um ist.«
»Du bist zu unnachgiebig gegen dich selbst, Varlan«, sagte er. Es gelang ihm mühelos, in seine Rolle als Seelsorger zu schlüpfen. »Du hast deine Sache so gut gemacht, wie jeder andere es an deiner Stelle hätte tun können, zieht man die Schwierigkeiten in Betracht, unter denen zu arbeiten du gezwungen bist. Woher solltest du wissen, dass die lokalen Mikroorganismen Ryallfleisch schmackhaft finden würden, so dass die Hälfte deiner Belegschaft ständig unter meiner Obhut sein muss?«
»Die Regierenden hören nicht auf Entschuldigungen«, erwiderte Varlan in Wiederholung der Warnung, die sie sich selbst erst vor einem paar Dutzend Herzschlägen gegeben hatte.
»Sie entfernen keine Betriebsleiter, die unter den gegebenen Bedingungen das bestmögliche Betriebsergebnis erreichen. Außerdem werden wir durch das Abteufen des Schachtes Nummer Sechs unsere künftige Produktion steigern. Alles wird vergeben und vergessen sein, wenn du in der nächsten Periode gute Ergebnisse vorweisen kannst.«
»Ich hoffe es«, sagte Varlan. »Was kann ich für dich tun, ehrwürdiges Gefäß des Geistes?«
Salfador öffnete den Mund, und zwischen zwei Reihen konischer Zähne kam seine Zunge zum Vorschein. »Ich hatte gehofft, deine Bürde der Verantwortung zu erleichtern, indem ich dich einlade, mit mir zu baden.«
Varlan sog mit pfeifendem Geräusch Luft zwischen ihre kaum geöffneten Zähne ein, was für die Ryall einem Seufzen gleichkam. »Das würde mir sehr gefallen. Unglücklicherweise habe ich mich um die Beladung der Raumschwimmer zu sorgen und Briefe abzusenden.«
»Lass es deine Untergebenen tun.«
Varlan zischte ärgerlich. »Niemand soll sagen können, dass ein Mitglied der Sippe der Duftenden Wasser andere tun ließ, was ihre Pflicht war!«
Salfador hob die Arme. »Wie du willst, Varlan. Ich gehe jetzt.«
Der Priester hatte sich eben zum Eingang umgewandt, als das Kommunikationsgerät am Datenanschluss der Betriebsleiterin zu quäken begann. Er wandte den Kopf und blickte zurück, während Varlan den Anruf beantwortete.
»Frachtführer Ossfil von Raumschwimmer, zischte es aus dem Lautsprecher. »Sei gegrüßt, Varlan von den Duftenden Wassern.«
»Sei gegrüßt, Ossfil von Raumschwimmer. Sprich.«
»Wir haben zwei Fahrzeuge unbekannten Typs ausgemacht, die im Tor vom Bösen Stern erschienen sind.«
Varlan ließ die Nickhäute über die Augen gleiten, öffnete sie dann wieder, um ihr Erstaunen anzudeuten. »Ist kein Irrtum möglich?«
Ossfil wedelte abwehrend mit dem Arm. »Keinerlei Zweifel. Ich habe die Aufzeichnungen wiederholt geprüft. Sie erschienen zusammen vor etwa zwölf Herzschlägen in der dritten Potenz. Sie waren sehr hell und lenkten sofort die Aufmerksamkeit unserer automatischen Wächter auf sich. Dann verblassten sie in einem Zeitraum mehrerer Herzschläge, bis sie nicht mehr sichtbar waren.«
»Aber wie könnte ein Fahrzeug im Bösen Stern überleben?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ossfil.
»Was kann ihr Ursprung sein? Könnten sie zu den unsrigen gehören?«
Ossfils Antwort war eine knappe verneinende Fingerbewegung. »Unwahrscheinlich. Wenn sie zu den unsrigen gehörten, wären sie durch das normale Tor gekommen, nicht so.«
»Richtig«, sagte Varlan. »Das bedeutet, dass es Schiffe der zweibeinigen Ungeheuer sein müssen!«
»Es scheint logisch«, erwiderte der Schiffsführer. »Ich erwarte deine Anweisungen, Varlan von den Duftenden Wassern.«
Ossfils letzte Bemerkung gab Varlan zu denken. Gewiss, sie war Betriebsleiterin des Bergwerks- und Verhüttungskomplexes auf Corlis, und als solche stand sie im Rang um einige Stufen höher als ein bloßer Schiffsmeister oder Frachtführer. Trotzdem, was wusste sie vom Kampf gegen die Ungeheuer? Das war etwas für die Kriegerkasten. Solche aber gab es auf Corlis nicht. Niemand hatte sie so tief im Innern der Hegemonie für notwendig gehalten. Was war zu tun?
Obschon in militärischen Dingen nicht bewandert, begriff Varlan, dass die Ankunft von Raumfahrzeugen der Ungeheuer durch das Tor vom Bösen Stern eine Frage von überragender Bedeutung war. Es bedeutete, dass die zweibeinigen Bestien eine neue Fähigkeit entwickelt hatten, die den Regierenden unbekannt sein mochte. Sie überdachte ihre Prioritäten und folgerte, dass die Unterrichtung der Hegemonie Vorrang vor den reibungslosen Arbeitsabläufen in Bergwerk und Verhüttung des Corlis-Komplexes genießen müsse. Es war eine Entscheidung, die für jedes Mitglied der Betriebsleiterkaste der Ryall schwierig gewesen wäre.
»Du musst die Nachricht der Hegemonie überbringen«, sagte Varlan zu Ossfil.
»Dein Befehl soll befolgt werden«, erwiderte der Frachtführer. »Was ist mit euch auf der Oberfläche?«
»Wir werden uns verteidigen, so gut wir können. Starte den Raumschwimmer, sobald du deine Ladung abgeworfen hast.«
»Die Energiemetalle werden aber dringend benötigt«, erwiderte Ossfil.
»Es ist wichtiger, dass dein Fahrzeug seine maximale Beschleunigung erreicht. Wenn dies wirklich Kriegsschiffe der Ungeheuer sind, werden sie zweifellos ein viel günstigeres Verhältnis zwischen Gewicht und Antriebskraft haben als dein Raumschwimmer. Die Fracht kann in der Umlaufbahn bleiben, bis du mit Kriegern zurückkehrst.«
Ossfil neigte den Kopf. »Deine Worte sollen befolgt werden.«
»Möge der Große Jäger dich beschützen ...«, sagte Varlan.
»... und die Schnellen Esser erschlagen werden«, beendete Ossfil die alte Formel.
Richard Drakes Gesichtszüge waren unter dem hohen Beschleunigungsdruck verzerrt. Seit mehr als achtzig Stunden stand die Discovery nun schon unter diesem Beschleunigungsdruck, und ihre Beute war beinahe in Reichweite. Als er das Symbol beobachtete, welches auf seinem Bildschirm das Ryall-Schiff darstellte, ließ er die Ereignisse der vergangenen drei Tage Revue passieren und überlegte, welche Fehler er gemacht hatte.
Während der ersten zwanzig Stunden der Verfolgungsjagd hatten die Sensoren der Discovery einige Eigentümlichkeiten im Verhalten des Ryall-Raumschiffes beobachtet. Die wichtigste war das gemächliche Tempo, mit dem es sich vom zweiten Planeten entfernt hatte. Ein misstrauischer Beobachter hätte geglaubt, dass das Ryall-Schiff eine List sei, ein Lockvogel. Aber ob List oder nicht, die Discovery und die Mace mussten den Köder annehmen. Wenn sie auf Verfolgung verzichteten, würden sie den Ryall entkommen und die Meldung von ihrer Anwesenheit in einem System der Ryall verbreiten.
Stunde um Stunde verging, und Richard begann die Möglichkeit, dass er Hals über Kopf in eine Falle jagte, außer Acht zu lassen. Unter anderen ermutigenden Zeichen hatten die Sensoren festgestellt, dass die Beschleunigungsrate des fremden Schiffes im Laufe von vierzig Stunden langsam von 0,75 auf 0,93 £ angestiegen war. Solch eine Zunahme war von einem Schiff zu erwarten, das alle Möglichkeiten ausschöpfte, um seinen Verfolgern zu entkommen. In dem Maße, wie es Treibstoff verbrauchte, nahm das Verhältnis von Antriebskraft zu Gewicht allmählich zu, und damit die Beschleunigungsrate. Andererseits würde ein Kriegsschiff, das sie absichtlich in eine Falle lockte, eher eine konstante Beschleunigungsrate beibehalten, bis es sich seinen Verfolgern stellte.
Nachdem er zu dem Schluss gelangt war, dass es sich um ein Handels-Raumfahrzeug handeln müsse, nahm Drake Verbindung mit Captain Quaid an Bord der Mace auf. »Unsere Beute verhält sich nicht wie ein Kriegsschiff.«
Quaids unter dem Beschleunigungsdruck an einen Totenschädel gemahnender Kopf nickte. »Das denke ich auch, Sir. Und ich habe manches interplanetarische Frachtschiff gesehen, das besser zu Fuß war.«
»Sie haben Erfahrung mit Ryall-Schiffen, Mr. Quaid. Welche Art von Bewaffnung würden sie einem Handelsschiff mitgeben?«
»Nur Kurzstreckenzeug, Sir. Sie haben keinen Grund, größere Waffensysteme einzubauen, die nur auf Kosten ihrer Ladefähigkeit gehen würden. Vergessen wir nicht, dass die Ryall den gleichen Gesetzen der Wirtschaftlichkeit unterworfen sind wie wir.«
Drake nickte. »Das dachte ich mir. Ich glaube, eine Änderung der Strategie ist angebracht.«
»Woran denken Sie, Sir?«
»Statt das Schiff in Fetzen zu schießen, Captain, werden wir versuchen, es zu kapern.«
Der sandarische Adlige sagte nichts, aber seine Miene erinnerte Drake an jemanden, der gerade in eine unreife saure Frucht gebissen hat.
»Sie halten nichts davon?«
»Sicherlich sind Sie sich der Schwierigkeiten bewusst, an Bord eines feindlichen Raumfahrzeugs zu gehen, Sir – besonders eines, das in der Beschleunigungsphase ist.«
»Mir ist auch bewusst, dass die Terra einen Angriff auf den zweiten Planeten vorbereitet, und dass wir keine Ahnung haben, was uns dort erwartet. Wir benötigen genauere Informationen über die planetarischen Verteidigungsanlagen. Zu diesem Zweck brauchen wir Gefangene.«
»Ja, Sir.«
»Verbinden Sie mich mit Fähnrich Walkirk an Bord der Barracuda«, befahl Drake. Während er wartete, beobachtete er den unscharfen Lichtpunkt in der Mitte des Bildschirms. Dieser Fleck war der Triebwerksausstoß des Ryall-Schiffes, einige 100.000 Kilometer vor der Discovery. Der Schlachtkreuzer hatte vor zwei Stunden die Geschwindigkeit angeglichen und beschattete das feindliche Schiff. 100.000 Kilometer jenseits des Zieles hatte auch die Mace die Geschwindigkeit angepasst, so dass der Ryall-Transporter von seinen Verfolgern praktisch eingeschlossen war.
»Fähnrich Walkirk auf Bildschirm vier, Captain.« Drake wandte den Kopf und sah den sandarischen Kronprinzen auf seinem Schirm.
»Sie wollten mich sprechen, Captain?«
»Sind Ihre Leute bereit, Mr. Walkirk?«
»Ja, Sir. Die erste Gruppe ist hier an Bord der Barracuda, die zweite an Bord der Malachi. Wir sind bereit und brennen darauf, in den Kampf zu ziehen.«
»Ich will kein Draufgängertum, Fähnrich. Sie haben unnötige Risiken zu vermeiden. Wenn Sie feststellen, dass dieses Schiff eine starke, bewaffnete Mannschaft hat, die zu allem entschlossen ist, ziehen Sie sich sofort zurück. Dann werden wir sie mit unseren Batterien erledigen.«
»Verstanden, Sir. Wir werden vorsichtig wie die Schneehühner sein.«
»Das rate ich Ihnen! Sollte Ihnen etwas zustoßen ...«
Der Prinz lächelte durch die Visierscheibe seines Helms.
»Seien Sie unbesorgt, Sir. Wir Walkirks haben immer Glück gehabt.«
Drake nickte ihm zu, schaltete aus und verbrachte die nächsten zehn oder fünfzehn Sekunden damit, den Tag zu verwünschen, an dem er versucht hatte, den sandarischen Kronprinzen aus der Schusslinie zu bringen, indem er ihn zum Zugführer in der Kompanie Marinesoldaten an Bord der Discovery ernannt hatte. Seinerzeit war es ihm vernünftig vorgekommen, doch hätte er vorausgesehen, dass er Marinesoldaten würde aussenden müssen, um ein Schiff mit feindlichen Außerirdischen zu entern, so würde er lieber jeden anderen Offizier an Bord beauftragt haben, um nicht Phillip Walkirks Leben in Gefahr zu bringen. Er hatte daran gedacht, einen anderen Offizier mit dem Enterkommando zu beauftragen, war aber schnell wieder davon abgekommen. Es wäre eine grobe Beleidigung des Prinzen, seines Vaters und jedes lebenden Sandarers gewesen. Also hatte nun der sandarische Kronprinz den Auftrag, das Feindschiff zu entern und die Besatzung gefangen zu nehmen, und Drake hoffte inständig, dass der junge Mann unversehrt bleiben würde. Mit finster gerunzelter Stirn starrte Drake vor sich hin, schob die Sorgen mit einer bewussten Anstrengung von sich und gab Befehl, die Landungsboote der Discovery zu starten. Sekunden später kamen vier geflügelte Maschinen vom Habitatring des Kreuzers frei und bildeten eine Kette für den Zielanflug. Einer von Drakes Bildschirmen übertrug die von einer Außenkamera der Mace aufgenommenen Bilder. Kurze Zeit waren darauf die beiden anderen Maschinen zu sehen, wie sie davonjagten und in der Schwärze des Raumes verschwanden.
»Er weicht aus, Sir!«, meldete einer der Beobachter an den Sensoren.
Drake blickte zum großen Bildschirm auf. Nachdem er bemerkt hatte, dass seine Verfolger Hilfsmaschinen gestartet hatten, begann der Ryall-Captain mit Ausweichmanövern.
»Starten Sie Kamerasonde!«
Ein gedrungenes zylindrisches Gerät verließ den Habitatring und sauste mit einer Beschleunigung, die kein bemanntes Fahrzeug erreichen konnte, auf das Ryall-Schiff zu.
Während der nächsten drei Stunden verfolgte Drake das Ballett der Lichtpunkte auf den taktischen Diagrammen. Das Ryall-Schiff war ein blutroter Rubin, dessen Daten verrieten, dass er rechtwinklig zu seinem Geschwindigkeitsvektor beschleunigte. Sechs bernsteingelbe Pfeile näherten sich gleichmäßig dem Ziel und passten sich mühelos seinen vergeblichen Ausweichmanövern an. Dem Ryall-Schiff viel näher war ein gelbgrüner Stern, der die Kamerasonde darstellte. Auch sie passte sich den Bewegungen des Zieles an, als sie zu einem schnellen Vorbeiflug ansetzte.
»Bringen Sie das Bild von der Kamerasonde auf den oberen Bildschirm«, befahl Drake dem Nachrichtenoffizier, als das gelbgrüne Symbol beinahe mit dem Rubin verschmolz.
»Einen Moment, Sir.«
Gleich daraufsah Drake einen Sternhimmel, in dessen Mitte sich ein kleiner, undeutlicher Fleck bläulich weißen Lichtes abzeichnete. Dieser schwoll rasch zu halber Bildschirmgröße an, als die Kamerasonde dem Ziel näher kam. Dann war das Ryall-Schiff als Silhouette im bläulich weißen Licht seines eigenen Triebwerksausstoßes zu erkennen. Drake sah auf den ersten Blick, dass es kein Kriegsschiff war, sondern eine Art Massengutfrachter mit breitem Rumpf, sehr großen Ladeluken und einem Antriebssystem, das für seine Größe recht unzulänglich schien. Die Sonde erreichte die vorgesehene Distanz, und das Schiff nahm die gesamte Fläche des Bildschirms ein. Es folgte ein Augenblick der Unschärfe, dann war die Sonde am Ziel vorbei und flog in die Schwärze des Raumes. Drake signalisierte seinem Ersten Offizier.
»Konnten Sie die Klasse identifizieren, Mr. Marchant?«
»Nein, Sir. Der Computer scheint sie nicht im Programm zu haben.«
»Wurde ein Versuch unternommen, die Sonde anzugreifen?«
»Keiner, den wir feststellen konnten, Captain. Vielleicht hat der Feind sich zurückgehalten, um die Landungsboote mit einem Feuerschlag zu empfangen, sobald sie in Reichweite kommen.«
Drake schüttelte den Kopf. »Die Sonde sieht einer Rakete so ähnlich, dass er versucht hätte, sie zu zerstören, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Dass er es nicht tat, bedeutet wahrscheinlich, dass er keine Bewaffnung an Bord hat.«
»Ja, Sir.«
»Senden Sie Kopien dieser Bilder zu den Landungsbooten und lassen Sie computerverstärkte Wiedergaben folgen, sobald sie welche haben.«
»Wird sofort erledigt, Captain.«
»Sehr gut, Mr. Haydn. Und senden Sie Fähnrich Walkirk an Bord von Barracuda die folgende Botschaft: ›Angriff freigegeben!‹«
Varlan von den Duftenden Wassern stand auf der Kuppe des Hügels und blickte wehmütig über das Tal hinaus, wo Bergwerk und Verhüttungsanlage des Corliskomplexes lagen. Sie stieg oft auf diesen Hügel, wenn sie mit einem Problem zu ringen hatte, oder um die Fortschritte eines Bauprojekts zu betrachten, oder nur um ungestört nachzudenken. In der Vergangenheit waren ihre Betrachtungen meistens mit ein wenig Stolz auf die Errungenschaften ihrer Spezies verbunden gewesen.
Als die ersten Schiffsladungen mit Arbeitskräften auf Corlis eingetroffen waren, hatten sie das mineralreiche Tal von bläulich grüner Vegetation überwachsen und von ein paar seltsam aussehenden vierbeinigen Tieren bevölkert angetroffen. Verschwunden waren die üppigen heimischen Gewächse, gerodet und verbrannt, als das Tal seines Bodens beraubt worden war, um den anstehenden Felsuntergrund freizulegen. Fort waren die einheimischen Tiere, vertrieben von den automatisierten Schwermaschinen. Verschwunden war der Bach, der das Tal eingeschnitten hatte, weiter aufwärts hinter einem Damm gestaut, um Kühlwasser für die Bohrmaschinen zu liefern.
Das Tal hatte nichts von seiner natürlichen Gestalt bewahrt. Riesige Abraumhalden, Förderanlagen, die Langhäuser der Bergarbeiter und die großen Schuppen der Schmelzen und Verhüttungsanlagen nahmen den größten Teil des Talbodens ein. Zehnmal war Corlis um sein Zentralgestirn gewandert, bevor dieses Tal zu einem funktionierenden Bergbau- und Verhüttungskomplex geworden war. Und nun wollten die zweibeinigen Ungeheuer alle Früchte langer und angestrengter Arbeit in weniger Zeit als man brauchte, um die Nickhäute über die Augen gleiten zu lassen, in radioaktiven Staub verwandeln.
Varlan erschauerte und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Grund, der sie zum Ersteigen des Hügels veranlasst hatte. Drunten im Tal schnitten gigantische Felsbrecher Gräben ins Gestein und warfen den Schutt nach außen. Varlan hatte in militärischen Angelegenheiten weder Erfahrung noch Ausbildung, doch schien es ihr, dass das Anlegen solcher Gräben Bodenangriffe der Ungeheuer abwehren oder verhindern könnte. Das Problem war, dass der Corlis-Komplex weitgehend automatisiert war und mit einer Gesamtzahl von zwölf Zwölfern, einem Zwölfer Technikern und Ingenieuren und einem weiteren Zwölfer Verwaltungspersonal auskommen musste. Außerdem gab es keine richtigen Waffen. Sie hatten nichts, womit sie kämpfen konnten, und ihr Personal verstand von militärischen Dingen so wenig wie sie.
Salfador hatte das Problem der fehlenden Waffen auf seine Art gelöst. Der Philosoph und Priester hatte vorgeschlagen, Bergbaumaschinen als Waffen einzusetzen, besonders die schweren Laserbohrer.
Zwar hatte Varlan wenig Hoffnung, dass so etwas möglich sei, war aber darauf eingegangen und hatte die Ingenieure und Techniker darauf angesetzt, um die Moral zu stärken. Zu ihrer Überraschung ergaben die beweglicher gemachten Bohrer ziemlich effiziente militärische Laser. Jetzt arbeiteten die Leute daran, Erztransporter zu Kampfmaschinen umzubauen. Auch dieses Projekt machte Fortschritte, war jedoch nicht geeignet, Varlan von ihren Sorgen zu befreien, als sie zu den Bauarbeiten an den Befestigungen hinabblickte. Man brauchte nicht aus der Brut der Kriegerkaste zu kommen, um zu sehen, dass der äußere Umfang der Anlagen zu groß war und nicht genug Arbeiter zu einer Erfolg versprechenden Verteidigung vorhanden waren.
Varlan grübelte über ihr Dilemma nach, als ihr Kommunikationsgerät zu blinken begann. Sie schaltete es ein und sah das Gesicht des Nachrichtentechnikers in dem winzigen Bildschirm.
Er machte eine respektvolle Gebärde und sagte: »Ich habe eine Botschaft von Ossfil vom Raumschwimmer.«
»Wie lautet die Botschaft?«
»›Die Ungeheuer haben mich umzingelt, und ich bin unfähig, das Tor zu erreichen. Ich ergreife Maßnahmen, werde aber nicht entkommen können. Erbitte Anweisungen. Ossfil, Frachtführer Raumschwimmer.‹«
Varlan murmelte ein paar tief empfundene und dem bösen Stern gewidmete Verwünschungen, bevor sie antwortete.
»Sende die folgende Botschaft: ›Von Varlan von den Duftenden Wassern an Ossfil vom Raumschwimmer. In jedem Fall wirst du den Navigationscomputer zerstören und die Amnesie deines Navigators auslösen. Wenn das getan ist, magst du nach deinem eigenen Dafürhalten handeln.‹«
Als der Nachrichtentechniker die Botschaft bestätigt hatte, kehrte Varlan zu ihren persönlichen Gedanken zurück, niedergeschlagener als je zuvor. Raumschwimmer war ihre einzige Hoffnung gewesen. Hätte der Transporter das Tor nach Carratyl erreicht, wären Schiffe der Kriegerkaste innerhalb weniger tausend Herzschläge zu Hilfe geeilt. Wie die Dinge jetzt lagen, würde niemand in der Hegemonie für mindestens ein weiteres halbes planetarisches Jahr von dem Schicksal erfahren, das den Corlis-Komplex betroffen hatte. Dann erst würde der nächste planmäßige Erztransporter eintreffen, um eine Ladung zu übernehmen. Nein, berichtigte sie sich, ganz so war es nicht. Man würde Raumschwimmer vermissen. Sicherlich würde die Hegemonie ein Fahrzeug aussenden, um nach dem Erztransporter zu suchen, wenn er das Verarbeitungszentrum auf Pasotil nicht erreichte. Die Hilfe konnte durchaus innerhalb der Spanne einer einzigen Produktionsperiode eintreffen.
Das verschaffte ihr neuen Auftrieb. Sie machte kehrt und schlenderte im gemütlichen Passgang den Hang hinab. Im Gehen begann sie die Töne eines lederflügeligen Sasbo nachzuahmen, um ihre neue Zuversicht kundzutun. Was machte es schon aus, wenn vier Schiffsladungen Ungeheuer unterwegs waren, um über sie herzufallen? Ihre Spezies hatte in der Vergangenheit immer gesiegt und würde es auch in Zukunft tun. Einstweilen musste sie bloß die Verteidigungsanlagen vorbereiten und Ungeheuer erschlagen!