4

»Alle Mann bereithalten für null g!. Null Ge in einer Minute!«

Richard Drake hörte die Warnung mit Erregung und nicht geringer Erleichterung. Wie die aus der Gegensprechanlage des Schiffes dringenden Hochrufe bewiesen, stand er mit seiner Reaktion nicht allein da. Mit Ausnahme kurzer, zehnminütiger Ruhepausen in jeder Wache hatten er und der Rest der Besatzung mehr als fünfzig Stunden angeschnallt in ihren Sitzen verbracht, von dreieinhalbfacher Erdschwere in die Polsterung gepresst.

»Achtung! Null g in dreißig Sekunden. Letzte Warnung!«

Drake blickte zum großen Chronometer an der Wand auf. Blinkende rote Zahlen tickten langsam die verbleibenden Sekunden der Beschleunigung ab. Als sie 00:00:00 erreichten, hob sich der Druck plötzlich von seiner Brust. Sein Körper wurde vorwärts in die Gurte gestoßen und prallte in einer kurzen Serie von Oszillationen vor und zurück. Er streckte die Hand aus und drückte Tasten, die in die Armlehne seines Sitzes eingelassen waren. Die Bildschirmwiedergaben über seiner Befehlskonsole begannen sich zu verändern. Auf dem großen holografischen Bildschirm der Brücke verblasste ein Hologramm, das den Kurs des Schiffes als Diagramm aufgezeichnet hatte, und wurde ersetzt durch einen Ausschnitt des Sternenhimmels. In der Mitte des Bildausschnitts befand sich der helle, weißlich violette Stern, der ihr Ziel war. Drake wählte den Stabskanal, ging auf Konferenzschaltung und gab das Rufzeichen durch. Sekunden später erschienen acht Gesichter auf Bildschirmen vor ihm – die Mitglieder seines Stabes und Stan Barrett; alle waren gezeichnet von der Wirkung des eben beendeten Hochbeschleunigungsfluges. Tiefe Schatten umgaben die Augen, die Gesichter waren eingefallen und von Bartstoppeln eingerahmt. Doch verriet das Leuchten in ihren Augen die Erregung, dem Ziel nahe zu sein.

»Was melden die Sensoren, Mr. Marston?«, fragte Drake mit einem Blick zum Bildschirm links außen.

»Wir sind auf 100.000 Kilometer herangekommen und nähern uns rasch, Captain«, sagte der Dienst tuende Offizier in der Feuerleitzentrale. »Die Annäherungsrate verringert sich, während wir zwei g aufrechterhalten.«

»Wann werden wir die Geschwindigkeit angepasst haben?«

»Ungefähr drei Minuten, Sir. Ich empfehle, dass wir das Schiff wenden.«

»Richtig! Mr. Cristobal, beginnen Sie mit dem Wendemanöver.«

»Ja, Captain.«

Seit mehreren Stunden hatte die Discovery die überschüssige Geschwindigkeit abgebaut, die ihr gestattet hatte, das fremde Raumschiff einzuholen. Zu diesem Zweck hatte der Kreuzer eine Wendung um hundertachtzig Grad beschrieben und war während der Drosselungsphase sozusagen rückwärts gegen den Druck seiner Triebwerke durch den Raum geflogen. Da das fremde Raumschiff noch immer mit eingeschalteten Triebwerken flog, würde es erforderlich sein, den Kreuzer noch einmal zu wenden und wieder zu beschleunigen, um die Position gegenüber dem stetig beschleunigenden Raumschiff zu halten. Wie Drake vorausgesehen hatte, wurde die Treibstoffversorgung der Discovery kritisch. Wenn sie die Triebwerke des fremden Raumschiffes nicht innerhalb der nächsten paar Stunden abschalten konnten, würden sie die Verfolgungsjagd aufgeben und die Heimreise antreten müssen – wollten sie nicht riskieren, ihre Tanks vollends zu leeren.

»Können wir wieder beschleunigen, Ingenieur?«

»Jawohl, Captain.«

»Navigator?«

»Wendung eingeleitet, Sir. Wir werden die Beschleunigung in zwei Minuten wieder aufnehmen können. Ich bestätige Mr. Marstons Zahlen hinsichtlich des Zeitbedarfs für die Angleichung der Geschwindigkeit.«

»In Ordnung«, sagte Drake. »Geben Sie es ein. Beschleunigung in ...« – er blickte zum Chronometer – »zwei Minuten, sechzehn Sekunden.«

»Ja, Sir«, sagte Lieutenant Cristobal.

Drake streckte die Hand aus und drückte die Taste für allgemeine Durchsagen. »Achtung, hier spricht der Captain. Wir werden in zwei Minuten wieder beschleunigen. Alle Vorsichtsmaßnahmen sind sofort einzuleiten.«

Wieder gab es eine scheinbar endlose Wartezeit, während der Chronometer die Sekunden heruntertickte. Doch als die Schwere schließlich zurückkehrte, fehlte ihr die erdrückende Gewalt, an die sich alle während der Reise gewöhnt hatten. Schon nach wenigen Augenblicken meldete Argos Cristobal:

»Geschwindigkeiten angeglichen, Captain. Wir halten jetzt bei 100.000 Kilometern Distanz Position.«

»Sehr gut, Navigator.« Drake wandte sich den Gesichtern seines Stabs zu und sagte: »Nun, nachdem dies erledigt ist, bitte ich um Ihre Meldungen!«

Sobald die Discovery Altas innere Verkehrszone hinter sich gelassen hatte und auf maximale Beschleunigung gegangen war, hatte Drake seinen Stab wie jetzt über die Bordsprechanlage zusammengerufen und über ihre Mission unterrichtet. Die Konferenzschaltungen hatten sich seither wiederholt mit der geeigneten Strategie zur Herstellung eines Kontakts mit dem fremden Raumschiff befasst. Dabei hatte der anhaltende Beschleunigungsdruck auch den Nerven übel mitgespielt. Schließlich aber waren sie übereingekommen, dass es zunächst darauf ankommen würde, den Schiffstyp ihres Besuchers zu identifizieren und seine Herkunft festzustellen.

Mittels der Spektralanalyse des beobachteten Plasmaausstoßes war es möglich, Rückschlüsse auf die Triebwerksleistung des Außenseiters zu ziehen. Dies und seine beobachtete Beschleunigung ermöglichte wiederum eine Schätzung seiner Masse. Die Ergebnisse waren beeindruckend. Nach vierzigstündiger Beobachtung hatte der Computer der Discovery gemeldet, dass das Raumschiff aus der Fremde eine Gesamtmasse von etwas mehr als 200.000 Tonnen besitzen müsse. Nur die größten Kriegsschiffe der Großen Flotte vor dem Ausbruch der Supernova und die riesigen Kolonietransporter hatten derartige Außenmaße aufzuweisen gehabt.

»Fangen Sie an, Chefingenieur.«

»Ja, Sir«, antwortete Gavin Arnam. Mit fünfundvierzig war Arnam das älteste Besatzungsmitglied an Bord des Kreuzers. Sein rosiges Gesicht zeigte die Wirkung der anhaltenden Beschleunigung deutlicher als alle anderen mit Ausnahme von Stan Barrett, den Drake auf annähernd fünfzig schätzte. »Wir haben die Analyse abgeschlossen. Sein Photonenantrieb ist mindestens acht Prozent effizienter als der unsrige. Dies und die Größe seiner Treibstofftanks erklärt seine Fähigkeit, die Beschleunigung aufrechtzuerhalten.«

»Wie lange wird er dazu noch in der Lage sein?«

Arnam hob die Schultern. »Schwer zu sagen, Sir. Sicherlich länger als wir. Ein Schiff von dieser Größe hat zweifellos genug Beine unter sich.«

»Gut. Nachrichtenabteilung: Gibt es schon eine Reaktion von unserem Besucher?«

»Keine, Sir. Wir haben in jeder Sprache, die im Archiv gespeichert ist, Freundschaftsbotschaften ausgesandt und alle Kanäle und unseren Kommunikationslaser eingesetzt. Entweder ist seine Sende- und Empfangsanlage defekt, oder er will einfach nicht mit uns sprechen.«

»Besteht die Möglichkeit, dass er von unserer Anwesenheit nichts weiß?«

»Schwerlich, Captain. Neben all dem Radiogeräusch, das wir gemacht haben, zielte unser Plasmaausstoß in den vergangenen zwanzig Stunden direkt auf ihn. Um uns zu übersehen, müsste er nicht nur taubstumm, sondern auch blind sein.«

»Feuerleitzentrale.«

»Hier, Sir.«

»Haben Sie irgendeine Reaktion ausgemacht?«

»Negativ, Captain.«

Drake fuhr fort, seinen Stab über den derzeitigen Stand der Dinge zu befragen. Die Meldungen waren stets die gleichen. Als er die Umfrage beendet hatte, waren sich alle Offiziere an Bord des Kreuzers darin einig, dass ihr ursprünglicher Plan, mit dem Besucher Verbindung aufzunehmen, noch immer der beste sei. Zuletzt richtete Drake das Wort an den Sonderbeauftragten des Ministerpräsidenten.

»Ich bitte Sie um Ihre Meinung, Mr. Barrett.«

Barrett lächelte. »Gemäß Paragraph sieben, Captain?«

»Gemäß Paragraph sieben«, bestätigte Drake.

»Dann lassen Sie für das Protokoll festhalten, Sir, dass ich keine Meinung abzugeben hatte. Ich habe Ihre Pläne studiert und wüsste nicht, wie sie sich verbessern ließen.«

»Dann ist alles klar«, sagte Drake. »Wir gehen wie geplant vor.« Er dankte den Teilnehmern an der Konferenzschaltung, dann unterbrach er die Verbindung. Acht Bildschirme wurden gleichzeitig dunkel. Er starrte sie ein paar Augenblicke lang an, dann wählte er die Nummer der Hangarbucht, sechs Decks unter seinen Füßen.

»Lieutenant Hall«, meldete sich ein bärtiges Gesicht.

»Starten Sie Ihre Boote, Lieutenant. Wir werden die Annäherung wie geplant durchführen. Viel Glück.«

»Ja, Sir, danke. Wir starten jetzt.«

Lieutenant Phillip Hall, Kommandeur der kleinen Flotte von Landungsbooten und Hilfsfahrzeugen der Discovery, ließ den Blick ein letztes Mal über die Armaturen seines bewaffneten Aufklärers schweifen. Die Kontrollleuchten sämtlicher Instrumente zeigten grünes Licht, der Treibstofftank war voll. Die einzige Fehlanzeige kam von den Ablesungen, die der Gefechtsbereitschaft der Waffen dienten. Dies war ein Vorstoß, bei dem die bewaffneten Aufklärer ihren Namen Lügen strafen würden. Sie waren im Begriff, unbewaffnet ins Unbekannte vorzudringen.

»Wir gehen besser gleich auf vollen Druck«, sagte Hall zu seinem Copiloten, während er zum Helm griff. Er hob ihn über den Kopf, schob ihn in den Halsring seines Anzugs und drehte ihn im Uhrzeigersinn bis zum Anschlag. Copilot und Bordschütze Moss Krueger auf dem Nebensitz folgte seinem Beispiel. Hall überprüfte den Anzug, indem er mit dem Kinn die Luftdruckkontrolle einschaltete. Ein zufrieden stellendes Knacken in den Ohren belohnte ihn. Er signalisierte Krueger mit erhobenem Daumen, dann schaltete er das Funksprechgerät ein und ging auf die den Aufklärern und Landungsbooten vorbehaltene Frequenz.

»Hier Hall in Catherine. An alle Boote. Statusprüfung zum Start.«

»Swenson in Gossamer Gnat startbereit, Phil.«

»Marman in Drunkard startbereit, Lieutenant.«

»Garth in Flying-Fool hier. Fühle mich nackt ohne mein Spielzeuggewehr, bin aber ansonsten startbereit.«

»In Ordnung, ihr habt alle eure Flugpläne«, fuhr Hall fort.

»Der Captain hat uns soeben Startbefehl gegeben. Startfolge wie gewöhnlich. Und verpfuscht mir diese Sache nicht, in Gottes Namen!«

»Das Tor zur Hangarbucht wird geöffnet, Lieutenant. Achten Sie beim Start auf die Beschleunigungskurve«, sagte der Aufseher der Hangarbucht in Halls Kopfhörer.

»Wird gemacht«, erwiderte Hall. »Geben Sie uns eine Fünf-Sekunden-Startzählung.«

»In Bereitschaft. Fünf, vier, drei, zwei, eins, Start!«

»In Formation, folgt mir!«, befahl Hall. Er umfasste den Steuerknüppel und manövrierte den Aufklärer aus seiner Halterung. Da das Mutterschiff beschleunigte, würde das Verlassen der Hangarbucht den schwierigsten Teil der Reise darstellen. Catherine war wie alle Aufklärer und Landungsboote ein schnittiges, stromlinienförmiges Raumfahrzeug, das einer Rakete mit Stummelflügeln und Leitwerken glich. Die Bauweise dieser Boote erlaubte den Eintritt in eine planetarische Atmosphäre mit hoher Geschwindigkeit ebenso wie die Fernaufklärung im All. Im Falle einer Flottenaktion konnten sie darüber hinaus als Vorpostenboote für den Kreuzer und auch als Überschallbomber dienen.

Als das Boot vom Kreuzer freikam, schaltete Hall den Autopiloten ein, der den vorprogrammierten Flugplan im Speicher hatte. Sofort wurden er und sein Copilot von einem Stoß in ihre Liegesitze gepresst, der annähernd fünf g ausmachte. Der im Zentrum eines seiner Bildschirme sichtbare Kreuzer schrumpfte mit erstaunlicher Schnelligkeit bis zur Unsichtbarkeit. Dann kam eine den Magen umdrehende Kursänderung mit hoher Geschwindigkeit, und der Aufklärer war direkt auf den Plasmaausstoß des fremden Raumschiffes ausgerichtet.

Richard Drake beobachtete die Formation der Aufklärer und überlegte, ob er richtig handelte. Mehrere Angehörige seines Stabes hatten ihm geraten, eine unbemannte Sonde vorauszuschicken, um das Raumschiff aus der Nähe aufzunehmen, bevor bemannte Fahrzeuge riskiert wurden. Drake hatte die Idee ernsthaft erwogen, sich dann aber dagegen ausgesprochen, weil die Besatzung des fremden Schiffes eine Kamerasonde allzu leicht für eine Angriffswaffe halten konnte.

»Im Zweifelsfall wird geschossen« war lange Zeit die herrschende Lehre sowohl in der Großen Flotte wie auch in der altanischen Marine gewesen.

Nein, der einzig sichere Weg, der Besatzung des Raumschiffes die friedfertigen Absichten Altas nahe zu bringen, war die Entsendung von Männern statt Maschinen. Er hatte seinem Stab die Aufgabe gestellt, eine Aufklärungsmission zu planen, die bei minimalem Risiko ein Maximum an Information erbringen würde. Daraufhin hatte der Stab empfohlen, alle vier Aufklärer/Landungsboote des Kreuzers einzusetzen. Drei sollten sich auf divergierenden Bahnen von der Discovery entfernen und weit voneinander getrennte Punkte tausend Kilometer querab vom Raumschiff anfliegen. Einmal in Position, würden sie ihre Geschwindigkeiten angleichen und ihre Positionen halten. Ihre Aufgabe bestand zunächst in der Übermittlung von Fernaufnahmen des Raumschiffes zur Discovery.

Dem vierten Aufklärer würde die Aufgabe zufallen, den fremden Besucher aus der Nähe zu untersuchen. Sobald die drei Kameraboote in Position wären, würde das vierte sich langsam bis auf einen Kilometer dem Raumschiff nähern und die Geschwindigkeiten angleichen. Dann sollte dieses ›Kontaktboot‹ seine Position halten, bis das fremde Raumschiff reagierte. Drake hoffte, dass die Reaktion nicht in einem Versuch bestehen würde, das Kontaktboot zu vernichten.

»Kameraboote sind annähernd in Position, Captain«, meldete der Nachrichtenoffizier von seiner Station auf der anderen Seite der Brücke.

»Zeigen Sie uns, was Sie haben, Mr. Slater.«

Der Hauptbildschirm teilte sich in drei Abschnitte, in denen jeweils eine glühende Plasmawolke zu sehen war, an deren spitzem Ende sich ein undeutlich zylindrischer Körper befand. Bis auf gewisse Abweichungen in der unregelmäßig gesprenkelten Oberfläche des kaum erkennbaren Schiffsrumpfes hätten die Ansichten von einer einzigen Kamera aufgenommen sein können.

»Geben Sie den Aufklärern Anweisung, auf maximale Vergrößerung zu gehen.«

»Was wir sehen, ist maximal, Captain. Das ist das Beste, was wir ohne Computerverstärkung bekommen können.«

»Dann geben Sie mir die Ansicht von Catherine.«

»Ja, Sir.«

Wie seine Schwesterboote, so hatte auch das Kontaktboot seine Kamera auf den Besucher von den Sternen gerichtet. Seine Aufholjagd hatte es tief in die expandierende Wolke von Wasserstoffplasma und Hochenergie-Photonen geführt, die aus dem Antrieb des Raumschiffes strömte. Der ganze Bildschirm schien zu brennen. Drake ließ sich durch den Nachrichtenoffizier in die Sendefrequenz der Aufklärer einschalten.

»Wann werden Sie aus der Plasmawolke freikommen?«

»Die Flugprojektion gibt uns noch weitere zwei Minuten, Sir«, meldete Phillip Hall aus der Kanzel des Kontaktbootes.

»Ich könnte meine Annäherung manuell beschleunigen und in der Hälfte dieser Zeit freikommen.«

»Nein, lassen Sie den Autopiloten nach Plan weitermachen, Phil.«

»Ja, Sir.«

Drake sah den feurigen Nebel heller und dichter werden. Zweimal musste der Aufklärerpilot Dunkelfilter gebrauchen, um seine Sensoren zu schützen. Dann war der glühende Nebel auf einmal fort. Der Bildschirm wurde schwarz, hellte sich dann merklich auf, als die Filter sich wieder auf maximale Transparenz umstellten. Eine Ansicht des fremden Raumschiffes kam ins Bild. Der Blickwinkel der Aufzeichnung umfasste es von schräg achtern. Bevor jemand an Bord der Discovery reagieren konnte, drang Lieutenant Halls verblüffte Stimme aus den Deckenlautsprechern:

»Nicht zu glauben! Es ist ein fliegendes Wrack!«

Wenig später hatten sie das Raumschiff zentriert auf dem großen Projektionsschirm der Brücke. Der Besucher von draußen war von zylindrischer Form, aber mit einer Vielzahl von Vorsprüngen und gondelartigen Anhängseln, die dem Rumpf entragten und zu klein waren, um in den Aufnahmen der Teleobjektive sichtbar zu sein. Der Rumpf des Raumschiffes war so orientiert, dass die Achse des Zylinders sich von der unteren linken zur oberen rechten Seite des Projektionsschirms erstreckte, so dass die blendende Helligkeit der Plasmawolke außerhalb des Gesichtsfeldes blieb.

Der Teil des Schiffes, der Catherine am nächsten war, lag im Schatten Valerias, empfing aber genug geisterhaft silbriges Licht von der Supernova, dass Drakes geübtes Auge keine Mühe hatte, die kuppeiförmigen Gefechtsstände auszumachen, die über den Rumpf verteilt waren. Er sah die Mündungen von Laserkanonen und Antimaterieprojektoren ebenso wie mehrere Abschussrampen für Raketen und andere Dinge, die weniger leicht zu identifizieren waren, aber offenbar todbringende Funktion hatten. Es gab auch eine sehr große Luke, die möglicherweise ein Hangartor für bewaffnete Beiboote gewesen sein mochte. Die Öffnung sah groß genug aus, um einen ganzen Zerstörer aufzunehmen.

Aber die Waffen des Raumschiffes waren nicht sein auffallendstes Merkmal. Tatsächlich registrierte Drake die umfangreiche Bewaffnung nur flüchtig. Denn wie Phillip Hall bereits bemerkt hatte, trug das Raumschiff die Spuren eines Gefechts auf seinen Flanken. Die unregelmäßigen dunklen Flecken, die schon auf den Fernaufnahmen erkennbar gewesen waren, erwiesen sich aus der Nähe als Löcher in der Außenschale des Rumpfes, die ungefähr ein Fünftel der Oberfläche ausmachten, wo die Platten der Rumpfverkleidung anscheinend von einer Serie innerer Explosionen abgesprengt worden waren. Wo die Platten fehlten, drang das schimmernde Licht der Nova durch Schichten von nackten Trägern und verwüsteten Decks. An anderen Stellen war die Außenschale des Rumpfes von außen eingeschlagen, als hätte sie eine gigantische Faust getroffen. An anderen Stellen hatten die verbrannten Einschnitte schweren Laserfeuers tiefe gerade Furchen in die Schiffsflanken gegraben.

»Sehen Sie sich den Bug an, Captain!« Der Sprecher war Argos Cristobal. Drake folgte der Aufforderung und blickte hin zur oberen rechten Ecke des Projektionsschirms. Der Schiffsbug zeigte noch stärkere Beschädigungen als die Flanken. Er war so stark zerstört, dass es praktisch unmöglich war, die ursprüngliche Form der unterliegenden Struktur zu erkennen. Tatsächlich nahm der Grad der Zerstörung nach achtern zum Schiffsheck dramatisch ab – was erklärte, dass Masseumwandler, Photonenantrieb und die Faltraumgeneratoren noch funktionsfähig waren.

Drake runzelte die Stirn und fragte sich, wonach er Ausschau halten sollte. Dann sah er es. Inmitten von verbogenen Trägern und zerrissenen Verkleidungsteilen machte er den Teil eines Buchstabens aus. Er sah sich den Umkreis genauer an, bis er einen zweiten und dann einen dritten fand. Offensichtlich war der Schiffsname einmal in weißen Blockbuchstaben auf den Bug gemalt gewesen. Ein großer Teil des Namens war ausgelöscht, andere Buchstaben auf ausgeglühten Verkleidungsplatten kaum noch erkennbar, doch blieb bei genauer Prüfung genug übrig, um eine Struktur auszumachen:

TS • S C • N • UE • • R

SB • 3 •

»Ich lese daraus TSNS Conqueror, Captain.«

»Sie haben gute Augen, Mr. Cristobal, und ein gutes Kombinationsvermögen! Nachrichtenabteilung!«

»Ja, Captain.«

»Geben Sie die Nachricht an die Besatzung durch. Unser Besucher ist ein Schiff von der Erde. Nichts Geringeres als ein Schlachtschiff der Großen Flotte.«

»Ja, Sir!«

»Und verbinden Sie mich mit Lieutenant Hall an Bord der Catherine

»Verbindung steht, Captain.«

»Hall!«

»Ja, Sir?«

»Gibt es irgendeinen Hinweis, dass jemand an Bord dieses Schrotthaufens von Ihnen Notiz genommen hat?«

»Nichts, Captain. Wir haben unsere Ohren auf maximale Verstärkung eingestellt. Bisher haben wir keinen Flüsterton aus dem Wrack gehört.«

»In Ordnung. Schalten Sie die Zusatzkamera mit ein und beginnen Sie Ihre Suchspirale.«

»Wird gemacht, Sir.«

Das Bild auf dem Projektionsschirm veränderte sich, und der Rumpf des Raumschiffes dehnte sich aus und füllte das Bild. Neue Gefechtsnarben wurden mit der verstärkten Vergrößerung sichtbar. Hier und dort zeigten kleine runde Löcher im grauen Rumpf, wo ein Laser- oder Partikelstrahl lange genug im Ziel gehalten worden war, um die dicke Panzerung zu durchbohren. Kleine, schwarz gesäumte Risse verrieten Partien, wo Brände gewütet hatten, bis der Sauerstoff, der sie genährt hatte, in den Raum entwichen war. Elektrische Kabel hingen von zertrümmerten Decks und aus aufgerissenen Teilen der Außenschale ins Leere. An einigen Stellen waren die geborstenen Decks unter dem Gewicht der Beschleunigung eingestürzt.

Wie alle anderen auf der Brücke, so starrte auch Drake in sprachloser Verblüffung auf die Projektion. Unglaublich, dass ein Schiff mit so umfangreichen Schäden überhaupt operationsfähig sein konnte! Die Antwort lag natürlich in der Aufgliederung und maximalen Redundanz, auf die beim Bau von Kriegsschiffen geachtet wurde. Die alten Kriegsgeschichten sprachen von Schiffen, die entzweigeschnitten worden waren und dennoch bis zum Sieg weitergekämpft hatten.

Das Summen der Bordsprechanlage riss Drake aus seiner Betrachtung. Aus einem der Bildschirme starrte ihn das angespannte Gesicht seines Stellvertreters an.

»Werfen Sie einen Blick auf Kanal zwei, Captain.«

Die zweite Kamera an Bord der Catherine ging langsam über einen der achtern befindlichen Abschnitte des Rumpfes hin. Dabei kam eine Serie elliptischer Einkerbungen ins Bild, die in regelmäßigen Abständen den Umfang des Schiffes begleiteten. Am Boden einer jeden Einkerbung schien eine Öffnung zu sein, die wie eine kleine Luftschleuse von Mannshöhe aussah.

»Liegeplätze für Rettungsboote?«, fragte Drake.

»Ja, Sir. Alle leer. Anscheinend ist die Besatzung von Bord gegangen.«

»Wollen Sie damit sagen, dass unser Besucher ein Ausreißer ist?«

»Es ist sicherlich eine Möglichkeit, Captain. Das würde erklären, warum unsere Kommunikationsversuche erfolglos blieben.«

Drake erwog die Möglichkeit und nickte. »Es würde in der Tat vieles erklären, Mr. Marston. Es stellt uns aber auch vor ein Problem.«

»Was für ein Problem, Sir?«

»Wenn wir diesen Antrieb nicht ausschalten können, bleiben uns knapp acht Stunden bis zur Rückkehr. Wenn niemand dieses Ding steuert, wie sollen wir dann die Triebwerke ausschalten?«

»Wir könnten ein Prisenkommando an Bord schicken, Captain. Ich wäre bereit, es zu führen.«

»Um was zu tun? Um sich in dem verwüsteten Labyrinth des Wracks zu verirren, während wir über dem Versuch, Sie wieder herauszuholen, unseren Treibstoffvorrat verbrauchen?

Sie sehen selbst, wie es da drüben aussieht. Das verdammt Ding ist vierhundert Meter lang! Es würde Tage in Anspruch nehmen, den Maschinenraum zu finden. Vielleicht sogar länger, wenn man den Umfang der Zerstörungen in Betracht zieht.«

Marston schaute nachdenklich drein. »Wir könnten den Treibstoffvorrat über die Masseumwandler ablassen, Captain.«

Drake schüttelte den Kopf. »Der Einwand ist derselbe. Sie würden auch die Masseumwandler nicht rechtzeitig finden.«

»Wir brauchen sie nicht zu finden. Wir entziehen ihnen den Saft von außen. Schießen Löcher in die Treibstofftanks! Sobald das Cryogen entweicht, wird alles von selbst aufhören.«

Drake überlegte, dann nickte er. »Das würde gehen. Aber es widerstrebt mir, das Wrack noch mehr zu beschädigen.«

»Welche Wahl bleibt uns?«, fragte Marston.

»Keine, nehme ich an. Wir wurden hierher geschickt, um das Schiff abzufangen, und das werden wir tun. Außerdem lässt der Zustand der Conqueror unsere Mission in einem völlig neuen Licht erscheinen.«

»Wieso, Captain?«

»Offensichtlich wird jenseits des Faltpunktes Krieg geführt. Wer das angerichtet hat ...« – Drake zeigte mit dem Daumen zum Wrack auf dem Projektionsschirm – »ist nicht mit einem Pusterohr in der Hosentasche unterwegs. Ich glaube, wir sollten herausbringen, gegen wen die Erde kämpft – und warum. Und wir sollten uns damit beeilen!«