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Admiral Sergej Fallon Gower, Siebter Viscount von Hallen Hall, Befehlshaber der königlich sandarischen Marine und durch Ernennung Seiner Majestät John-Phillip Walkirk VI. Oberkommandierender der Streitkräfte Seiner Majestät mit dem Auftrag, den Antares-Ringnebel zu durchstoßen, saß in seiner Kajüte an Bord des Flaggschiffes und blickte mit finsterer Miene auf den Bildschirm vor sich. Dieser zeigte eine Ansicht von New Providence, übertragen von den automatischen Kameras eines unbemannten Aufklärers, der in dreihundert Metern Höhe die Ruinen der einstigen Hauptstadt dieses Planeten überflog. Der Anblick war deprimierend: Hier zeigte ein verbogenes, rostiges Stahlskelett, wo einmal ein Hochhaus aus Glas und Stahl gestanden hatte, dort waren Schutthaufen, aus denen Mauerstümpfe ragten, alles, was von einem Regierungsgebäude geblieben war; anderswo reckten die geschwärzten Baumskelette einer verschwundenen Parkanlage anklagend ihre Äste. Es fehlte das Grün lebendigen Chlorophylls oder irgendeine andere Farbe, die von Leben kündete.
Mehr als ein Jahrhundert nach dem letzten katastrophalen Angriff der Ryall auf New Providence war die Oberfläche des Planeten noch immer eine öde Wüstenei. Soweit das Auge der Kamera reichte, wuchs auf den Landmassen der Welt nicht ein einziger Grashalm, noch gab es Hinweise auf Leben in den Ozeanen des Planeten, obwohl die sandarischen Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen keine Möglichkeit gehabt hatten, die Tiefseeregionen zu erforschen, wo verschiedene spezialisierte Lebensformen überdauert haben mochten.
Für die umfassenden Zerstörungen waren die Angriffe der Ryall auf New Providence verantwortlich. Sie hatten vierzig Millionen Menschen getötet und mehr als tausend Großstädte in allen Teilen der Welt vernichtet. Aber nicht einmal diese Art kriegerischer Zentauroiden konnte Zerstörungen eines Umfangs angerichtet haben, die jedes Leben auslöschten. Als die schwarzen Schiffe der Ryall die Verteidigung von New Providence durchbrochen hatten, hatten sie Feuer und Verderben auf eine bereits zum Untergang verurteilte Welt regnen lassen.
Denn der wahre Mörder von New Providence und allem übrigen Leben im Napiersystem war die Antares-Supernova gewesen. Die Bewohner von New Providence hatten erkannt, dass etwas nicht in Ordnung war, als sie im August des Jahres 2512 die Verbindung mit ihrer Kolonie im Valeriasystem verloren hatten. Ihre Sorge verstärkte sich, als mehrere Schiffe, die im Transit das Antaressystem berühren sollten, nicht planmäßig eintrafen, und sie wandelte sich zu beklommener Furcht, als die zur Suche nach den Schiffen ausgesandten Raumfahrzeuge ihrerseits nicht zur festgesetzten Zeit zurückkehrten.
Die wahren Ausmaße der Katastrophe waren jedoch erst deutlich geworden, als die Astronomen auf New Providence berechneten, dass nur eine nahe Supernova von beispielloser Energie erklären konnte, was aus ihrer Region des Universums geworden war. Und mit der Erkenntnis, dass es der Überriese Antares war, den die Sternexplosion zerrissen hatte, kam das Wissen, dass New Providence eine dem Untergang geweihte Welt war. Während der gesamten Geschichte der Kolonie war Antares der bei weitem hellste Stern am Himmel gewesen. In den Nächten, wo der Riesenstern am Himmel stand, war sein gelblicher Schein beinahe hell genug, dass man in seinem Licht lesen konnte. Der Umstand, dass ihr System dem Riesenstern relativ nahe war, hatte die Bewohner von New Providence immer mit einem gewissen Stolz erfüllt. Nun aber, als die Astrophysiker die Strahlungsmenge berechneten, die bald wie eine Flutwelle durch das Napiersystem fegen würde, wurde die Nähe des Überriesen zu einer Quelle der Verzweiflung. Da die menschliche Natur ist, wie sie ist, hatten die Bewohner sich anfangs geweigert, zu glauben, dass sie bald zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen sein würden. Erst nach einiger Zeit begann ihnen die unabwendbare Realität ihrer Zwangslage bewusst zu werden. Ein Evakuierungsprogramm wurde ausgearbeitet. Am Ende des ersten Jahres war der gesamte industrielle Sektor auf die Aufgabe konzentriert, drei Milliarden Menschen in ein anderes Sternsystem zu verpflanzen. Die Werften arbeiteten rund um die Uhr am Bau der Evakuierungsflotte, während die Bauindustrie und Pioniereinheiten auf Sandarsons Welt an der Errichtung neuer Siedlungen für New Providences Volksmassen arbeiteten.
Unterdessen hatten Wissenschaftler die Veränderungen untersucht, welche die Supernova in der Struktur des Faltraumes bewirkt hatte. Die Untersuchung begann mit einer Vermessung der Gravitationsgradienten im gesamten Napiersystem. Die Analyse ergab zur allgemeinen Überraschung, dass ein Faltpunkt vorhanden war, wo bis dahin keiner bestanden hatte. Weitere Untersuchungen ergaben, dass der Faltpunkt ein vorübergehendes Phänomen sein musste, das Ergebnis der weit wirkenden Bündelung einer Faltlinie durch die expandierende Druckwelle der Supernova. Sobald die Wellenfront Napier erreichte, würde der neue Faltpunkt verschwinden.
Einflussreiche Wissenschaftler sprachen sich für die sofortige Erforschung des neuen Faltpunktes aus. Andere, deren Aufgabe die Verpflanzung der Bevölkerung in ein anderes Sternsystem war, erhoben Einwände gegen alles, was wertvolle Hilfsmittel von den Evakuierungsanstrengungen abziehen würde. Die Wissenschaftler ließen nicht locker und erhielten schließlich Erlaubnis, den Faltpunkt mit drei Schiffen zu erforschen.
Zwei dieser Schiffe machten unverzüglich den Sprung zu dem System jenseits des Faltpunktes, während das dritte zurückblieb, um genaue Messungen des Gravitationsgradienten vorzunehmen. Zwölf Tage später meldete das zurückgebliebene Vermessungsschiff, dass ein Dutzend Raumschiffe unbekannten Typs im nahen Faltpunkt aufgetaucht seien. Die Meldung brach ab, als die Eindringlinge das Vermessungsschiff zerstörten und sich dann gegen New Providence wandten.
In New Providence lag eine Flottille von Kriegs- und Versorgungsschiffen des Interstellaren Rates. Diese Schiffe waren entsandt worden, um bei Evakuierung der Bevölkerung zu helfen. Die Flottille startete aus ihrer Umlaufbahn, um die Eindringlinge abzufangen, und es kam zu einem Kampf, in welchem die Streitkräfte des interstellaren Rates weitgehend erfolgreich waren. Dennoch gelang es einem der angreifenden Schiffe, vor seiner Vernichtung eine Salve von sechs Raketen auf New Providence abzufeuern. Sechs Geschosse, sechs Städte, und zehn Millionen Tote in den Ruinen.
Achtzehn Monate später erfolgte ein zweiter Angriff. Diesmal waren die Verteidiger vorbereitet, und die eindringenden Schiffe der Ryall wurden zerstört, bevor sie sich diesseits des Faltpunktes versammeln konnten.
Darauf folgte eine längere Periode des Friedens im Napiersystem. Die Jahre, in denen kein Ryallschiff im neuen Faltpunkt erschien, ließ in den Regierungskreisen von New Providence ein falsches Sicherheitsgefühl entstehen, während sie mit den Problemen der Evakuierung rangen. Zwölf Jahre nach dem Ausbruch der Supernova war es gelungen, achtzig Prozent der Bevölkerung zu verpflanzen.
Umso überraschender kam das Ende des De-facto-Waffenstillstands mit den Ryall, als drei Dutzend Schiffe im Faltpunkt erschienen. Sie vernichteten die wenigen Bewachungseinheiten und griffen New Providence an. Die Verteidiger reagierten schwerfällig. Trotzdem gelang es ihnen, den Angreifern eine ansehnliche Zahl von Schiffen entgegenzuwerfen. Das Gefecht war kurz und erbittert, und an seinem Ende waren zehn der angreifenden Ryall noch in der Lage, ihre tödliche Fracht auf New Providence abzuladen. Was folgte, wurde als ›Der Große Weltbrand‹ bekannt.
Sergej Gower überblickte die Ruinenfelder und erinnerte sich der furchtbaren Geschichten, die sein Urgroßvater ihm von diesem letzten verzweifelten Kampf um eine zum Untergang verurteilte Welt erzählt hatte. Die Katastrophe hatte nicht das Ende der Kämpfe bedeutet. In dem Jahrhundert, seit die Menschheit New Providence aufgegeben hatte, waren Millionen gewaltsam umgekommen. Gower dachte an seinen Vater, der während des ersten Unternehmens mit dem Ziel, den Zentauroiden das Aezersystem zu entreißen, an Bord seines Schiffes gefallen war, an seinen jüngeren Bruder, der vor einem Jahrzehnt mit der zweiten Aezer-Armada umgekommen war, und an seinen Sohn, der erst vor zwei Jahren in der Schlacht bei Sandar gefallen war. Er dachte an alle, die er an die Ryall verloren hatte, und legte beim Anblick der Ruinen einer einst blühenden Welt ein stilles Gelübde ab. Diesmal würde es anders ausgehen!
Das aus sechzehn Schiffen bestehende sandarische Kontingent der Helldiver-Flotte hatte vor mehr als einem Monat die Parkumlaufbahn verlassen. Angeführt wurde es vom Schlachtschiff Royal Avenger, einem Veteran von hundert langen Patrouillen und zwei großen Schlachten. Mit einer Besatzung von sechshundert Mann zählte die Royal Avenger zu den stärksten Kampfschiffen; in ihren Hangars führte sie verschiedene bewaffnete Hilfsfahrzeuge mit.
Neben dem Flaggschiff bestand die sandarische Flotte aus den schweren Schlachtkreuzern Terra und Victory und den Zerstörern Arrow, Mace und Scimitar. Der bewaffnete Truppentransporter Saskatoon vervollständigte die Streitmacht. An Bord befand sich das voll ausgerüstete zweite Bataillon des 33. Regiments des königlich sandarischen Marinekorps. Hinzu kamen neun Versorgungsschiffe der Flotte – drei Frachter, fünf Cryogentanker und ein Mutterschiff für Relaismaschinen. Dies waren kleine Schiffe mit besonders geräumigen Treibstofftanks, die in jedem Faltpunkt entlang der Expeditionsroute zurückblieben. Sie hatten die Aufgabe, Radiobotschaften zwischen der Helldiver-Flotte und Sandar weiterzuleiten. Zu diesem Zweck wechselten sie in einem festgelegten Rhythmus zwischen den beiden Eingängen jedes aktiven Faltpunktes hin und her. Die gesammelten Botschaften gaben sie dann dem jeweils nächsten Relaisschiff weiter. Alle Schiffe und Hilfsfahrzeuge waren mit dem neuen Strahlenschutzfeld ausgerüstet und für eine lange Reise verproviantiert.
Die Ausreise von Sandar zum Hellsgate-Napier-Faltpunkt hatte zehn Tage gedauert. Die Flotte traf am Faltpunkt ein und vollzog den Faltraumübergang ohne Zwischenfälle. In den kommenden zwei Wochen überwanden die sandarischen Schiffe die sechs Milliarden Kilometer Vakuum zwischen dem Faltpunkt und New Providence. Nach ihrer Ankunft beim früheren Hauptplaneten des Napiersystems erwarteten sie in einer Parkumlaufbahn die Ankunft des altanischen Kontingents.
Am sechsten Tag nach Ankunft der Flotte über New Providence saß Admiral Gower in seinem Allerheiligsten hinter der Feuerleitzentrale der Royal Avenger. Sein Büro und Gefechtsstand war eine verglaste Kabine mit Panoramablick in die Feuerleitzentrale mit ihren zwei Dutzend Steuerungskonsolen und ihrem Bedienungspersonal. Am Schott gegenüber waren mehrere übergroße Bildschirme angebracht, auf denen sämtliche Aspekte der Flottenoperationen dargestellt werden konnten. Sergej Gower saß an seinem Schreibtisch und betrachtete nachdenklich die Aktivitäten in der Abteilung vor sich.
Einer der großen Bildschirme zeigte eine Ansicht von New Providence, wie der Planet sich vor einer der Außenkameras des Schlachtschiffes ausnahm. Weiße Wolkenwirbel reflektierten das Licht Napiers und verliehen der Welt das blauweiß marmorierte Aussehen einer terrestrischen Welt. Ein benachbarter Bildschirm zeigte die entsprechende elektronische Karte des Planeten. Eine Serie grüner Funken zog über die Oberfläche des Planeten. Sie kennzeichneten den Bereich, wo die Marinesoldaten der Saskatoon ein Landungsmanöver gegen einen simulierten Ryallstützpunkt durchführten. Sekundenlang betrachtete er die Darstellung, bevor er die Nachrichtenzentrale der Avenger anrief.
»Verbinden Sie mich mit Colonel Valdis an Bord der Saskatoon.«
»Das wird ein paar Augenblicke dauern, Admiral. Colonel Valdis gibt gegenwärtig Operationsbefehle an eine seiner Luftlandeeinheiten aus.«
»Verbinden Sie mich, sobald er frei ist.«
»Jawohl, Sir.«
Nichts in den Befehlen des sandarischen Oberkommandos verlangte den Einsatz von Bodentruppen vor oder nach dem Durchdringen des Antaresnebels, aber Gower hatte sein Leben lang gegen die Zentauroiden gekämpft, und die Erfahrung hatte ihn Vorsicht gelehrt, und so hatte er darauf bestanden, dass die Expedition Bodentruppen erhalten sollte. Nachdem man ihm ein Bataillon zugestanden hatte, war er entschlossen, jede Gelegenheit zur Erhöhung ihrer Einsatzbereitschaft zu nutzen.
»Sie wollten mich sprechen, Admiral?«, fragte ein robust aussehender Mann auf Gowers Bildschirm.
»Wie läuft Ihre Übung, Colonel?«
»Alle Transporter sind ohne Zwischenfall gelandet. Die beiden Stoßtrupps nähern sich aus zwei Richtungen dem Ziel. Sie werden sich ...« – die Augen des Obersten blickten zu etwas außerhalb des Aufnahmebereichs der Kamera – »in genau siebzehn Minuten vereinigen.«
»Halten Sie Ihren Einsatzplan ein?«
»Ja, Sir. Wir sind dem geplanten Zeitrahmen sogar ein wenig voraus. Das Manöver sollte mindestens eine Stunde vor dem örtlichen Nebelaufgang beendet und die Männer wieder unter Strahlungsschutz sein.«
Gower nickte. »Sorgen Sie dafür. Ich möchte den Namen, die Dienstnummer und die Dosimeterablesung des Mannes mit der höchsten Strahlenbelastung direkt an mich, sobald Sie die Werte bekommen.«
»Wird gemacht, Admiral.«
Gower unterbrach die Verbindung und wandte sich anderen Problemen zu. Er überflog seinen Arbeitsschirm und ließ sich eine Verbindung mit dem Captain eines der Cryogentanker herstellen. Der Anruf des Admirals schien den guten Mann zu überraschen.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Ihre Morgenmeldung zeigt, dass Sie ein Leck im ersten Treibstofftank ausgemacht haben, Captain. Was haben Sie in der Sache unternommen?«
»Ah ... wir haben Männer in Schutzanzügen draußen, die den Rumpf überprüfen, Sir.«
»Wie ist Ihre Schätzung der Reparaturzeit?«
»Höchstens zwei Stunden, Admiral.«
»Sehr gut. Ich möchte in nicht mehr als drei Stunden hören, dass Sie das Leck gefunden und versiegelt haben. Wenn Sie mir nicht zusichern können, dass Ihr Schiff bis dahin druckdicht ist, werde ich eine Reparaturmannschaft hinüberschicken, um Ihnen zu helfen. Ist das klar?«
»Ja, Sir.«
Der Bildschirm wurde frei, und Gower war im Begriff, zum nächsten Problempunkt auf seiner Liste überzugehen, als der Bildschirm wieder aufleuchtete und einen ernst blickenden jungen Fähnrich im Korridor vor Gowers Büro zeigte. Die verdrießliche Miene des Admirals hellte sich auf, als er das angenehme junge Gesicht betrachtete. Die hohen Backenknochen, die aristokratische Nase und das kantige Kinn waren eine jüngere Version der Züge Seiner Majestät, John-Phillip Walkirk VI, dessen Porträt das Schott über Gowers Schreibtisch und Datenanschluss schmückte.
»Fähnrich Phillip Walkirk meldet sich zur planmäßigen Instruktion, Sir!«, sagte der junge Mann, als Gower sich einschaltete.
»Gut, Fähnrich«, antwortete er förmlich. »Sie haben meine Erlaubnis, einzutreten.«
Die Stahltür wurde geöffnet, der Kronprinz von Sandar kam herein und nahm vor dem Schreibtisch des Admirals Haltung an.
»Bitte nehmen Sie Platz, Hoheit.«
»Danke, Sir«, sagte der Prinz.
»Soll ich Erfrischungen bringen lassen?«
»Nein danke, Sir. Ich komme gerade aus der Offiziersmesse.«
»Sehr gut. Was haben Sie seit unserem letzten Gespräch gelernt, Hoheit?«
»Unter anderem, Sir, dass mir nicht danach ist, herumzusitzen und zu warten, wann wir etwas Nützliches tun könnten.«
»So?«, fragte Gower und zog die rechte Braue in einer Geste hoch, die jedem anderen Untergebenen zu kaltem Schweiß verholfen hätte. »Haben Sie Kritik an der Art und Weise vorzubringen, wie ich diese Flotte befehlige?«
»Solche Kritik wollte ich nicht andeuten, Admiral.«
»Was wollten Sie dann damit sagen, Fähnrich?«
Der Kronprinz zögerte und schien nach der höflichsten Form zu suchen, wie er sein Anliegen erklären könnte. Gower gab ihm keine Gelegenheit.
»Kommen Sie, Hoheit. Ein Offizier muss schnell auf den Füßen und in jeder Lage geistesgegenwärtig sein, und ein zukünftiger König noch mehr. Sie haben erklärt, dass Sie mit der Art und Weise, wie diese Expedition geführt wird, unglücklich sind. Verteidigen Sie Ihre Position, und zwar schnell!«
»Ja, Sir. In der Offiziersmesse wird viel darüber geredet, wie wir Zeit verlieren. Wir könnten draußen am Napier-Antares-Faltpunkt sein und den Ringnebel kartieren, statt hier in einer Umlaufbahn zu parken und auf die Ankunft der Altaner zu warten.«
»Ja, das könnten wir«, stimmte Gower hinzu.
»Warum umkreisen wir dann diese tote Welt?«
»Sagen Sie es mir«, erwiderte der Admiral.
»Weil unsere Befehle so lauten«, antwortete der Prinz.
»Richtig! Und jeder Soldat gehorcht immer seinen Befehlen, Hoheit.«
Gower bemerkte den gewollten Ausdruck von Irritation, der sich rasch wieder aus den Zügen des jungen Mannes verlor. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete den Kronprinzen mit etwas wie onkelhaftem Stolz. Die meiste Zeit war Phillip Walkirk einer der Fähnriche an Bord der Avenger und wurde nicht anders behandelt als die übrigen Offiziersanwärter seines Ranges, außer dass er stets mit seinem königlichen Ehrentitel angeredet wurde. Und in der sandarischen Marine wurde der größte Teil des Tageslaufs von Aufgaben in Anspruch genommen, die in einer Marineakademie nicht gelehrt werden können. Solche Aufgaben wurden am besten von den unmittelbaren Vorgesetzten nahe gebracht. Einmal in der Woche aber nahm der Admiral es auf sich, den Thronerben mit Überlegungen und Fakten vertraut zu machen, die ihm in seiner späteren Regierungszeit von Nutzen sein würden.
»Außerdem«, fuhr er in weniger militärischem Ton fort, »verstehen Sie genug von den politischen Realitäten, dass Sie selbst in der Lage sein sollten, den Grund unserer Befehle zu verstehen.«
»Nun«, begann der Prinz, »ich nehme an, dass unsere altanischen Partner es übel nehmen könnten, wenn sie von dieser Erkundung ausgeschlossen bleiben würden.«
Gower nickte. »Es würde schwerlich zur Vertrauensbildung zwischen unseren Systemen beitragen, wenn wir ihnen zu verstehen gäben, dass wir sie nicht brauchen.«
»Aber Tatsache ist, dass wir sie nicht brauchen!«, erwiderte Phillip Walkirk.
»In diesem Punkt irren Sie sich, Hoheit. Wir brauchen sie dringend.«
»Aber warum? Nach mehr als einem Jahrhundert in Isolation haben sie kaum genug Schiffe, um ihr eigenes System zu bewachen, geschweige denn einen Angriff gegen die Ryall zu führen.«
»Richtig«, räumte der Admiral ein. »Und aus dem gleichen Grund sind sie nicht so schwer zur Ader gelassen worden wie wir. Sie haben ihre Reserven an Menschen und Material nicht in vergeblichen Anstrengungen erschöpfen müssen, die Ryall-Blockade von Aezer zu durchbrechen. Sie haben ihre Heimatwelt nicht gegen Angriffe verteidigen müssen. Ihre Bevölkerung ist nicht erschöpft und kriegsmüde.
Die Wahrheit ist, Hoheit, dass wir von Sandar uns mit knapper Not gegen die Ryall behaupten und dass wir den Tag unseres Untergangs voraussehen können, wenn wir nicht Hilfe von außen erhalten. Schlimmer noch ist, dass unsere Feinde diesen Tag ebenfalls voraussehen können. Warum sonst, meinen Sie, führten die Ryall den Angriff, der zu der Schlacht um Sandar führte?«
Vor zwei Jahren, als Altas Interstellare Expedition Eins das Hellsgate-System erreicht hatte, war Sandar von einer großen und schwer bewaffneten Flotte von Ryall-Kriegsschiffen angegriffen worden. Die sandarische Marine, dezimiert durch drei Versuche, die Blockade von Aezer zu durchbrechen, war außerstande gewesen, den Durchbruch des Gegners aus dem befestigten Hellsgate-Aezer-Faltpunkt zu verhindern. Es war zu einer Schlacht gekommen, an welcher der altanische Schlachtkreuzer Discovery teilgenommen hatte. Die Menschheit hatte den Kampf an diesem Tag für sich entschieden, aber nur knapp. Es überlief Gower noch immer kalt, wenn er darüber nachdachte, wie gefährlich nahe sie einer Niederlage gewesen waren.
»Es ist offensichtlich, Sir«, erwiderte der Prinz, »dass wir Verbündete brauchen. Aber sobald wir den Ringnebel durchstoßen, werden wir Zugang zur Erde und allen anderen Welten der menschlichen Hegemonie haben. Wir werden die Altaner nicht benötigen.«
»Wir werden jeden Verbündeten benötigen, den wir bekommen können, Hoheit. Schließlich ist die Erde weit entfernt und wird auch von den Außerirdischen bedrängt. Wir werden eine große Produktionskapazität brauchen, um die Waffen und Ausrüstungen zu beschaffen, die wir brauchen. Alta hat diese Kapazität. Unseren Vettern die kalte Schulter zu zeigen würde kriminell fahrlässig und unverzeihlich einfältig sein. Wie Sie wohl wissen, ist Ihr Vater weder das eine noch das andere. Darum warten wir, bis die Altaner eintreffen. Erst nachdem wir ihre Streitkräfte integriert haben, werden wir unsere Mission in Angriff nehmen.«
»Aber wo sind sie?«
Der Admiral hob die Schultern. »Nach unseren letzten Informationen bereiteten sie den Start vor. Es ist nicht unvorstellbar, dass sie aufgehalten worden sind. Wir werden auf sie warten.«
»Wie lange warten wir, Sir?«
»Bis sie eintreffen oder bis ich zu der Überzeugung gelange, dass sie nicht kommen«, antwortete Gower.
Beide schraken momentan zusammen, als eine Alarmsirene aufheulte. Gower blickte auf und sah, dass in der Feuerleitzentrale hektische Aktivität ausgebrochen war. Er wählte die Nummer des diensthabenden Offiziers. »Was hat der Alarm zu bedeuten, Commander Massey?«
» Terra hat eine große Zahl von Schiffen geortet, Sir.«
»Wo?«
»Im Napier-Valeria-Faltpunkt, Sir.«
»Wie viele?«
»Insgesamt acht.«
»Identifikation?«
»Bleiben Sie einen Moment an der Leitung, Admiral. Unser Computer verarbeitet die Daten gerade ... Ja, Sir. Wir haben positive Identifikation von zwei der Fahrzeuge. Es sind Discovery und City of Alexandria. Neutrino- und Infrarotsignaturen entsprechen den Ablesungen, die wir machten, als die beiden Schiffe Sandar besuchten. Ein drittes Schiff scheint ein schwerer Kreuzer der Discovery- Klasse zu sein.«
Gower nickte. »Das wird Dagger sein. Was ist mit den anderen fünf?«
»Noch keine Identifikation möglich, Sir. Sie sind jedoch eindeutig von menschlicher Konstruktion.«
»Dann ist weitere Identifikation überflüssig«, entschied Gower. »Bitte setzten Sie eine Botschaft ab, Commander. Begrüßen Sie unsere Verbündeten im Napiersystem und drücken Sie die Hoffnung aus, dass sie bald zu uns stoßen werden.« Gower blickte zum Kronprinzen, der den Wortwechsel mit wachem Interesse verfolgt hatte. »Sagen Sie ihnen, dass wir junge Offiziere an Bord haben, die gern mit der Erforschung des Ringnebels beginnen würden.«