13

»Wir sollten wirklich umkehren, Miss Lindquist.«

Bethany Lindquist kniete in einem verlassenen Gang vor einer verschlossenen Tür. Neben ihr, einen großen Vorschlaghammer in den Händen, stand eine wuchtige Gestalt in der grün gefleckten Uniform des Marinekorps. Bethany stand auf und streifte hellen Staub von den Knien. »Gut, Corporal Vargas. Machen wir noch diese eine Tür auf, dann kehren wir um.«

»In Ordnung, Madam. Treten Sie bitte zurück.«

Bethany zog sich auf die andere Seite des Gangs zurück und sah zu, wie Vargas mit dem Vorschlaghammer ausholte. Er schlug den schweren Hammerkopf mit geübtem Schwung über dem Schloss in die Tür. Das Geräusch reißenden Metalls und eine Wolke hundertjährigen Staubes begleitete die Öffnung eines drei Zentimeter breiten Spalts zwischen Tür und Rahmen. Vargas spuckte aus, um den Geschmack von muffig riechendem Staub aus dem Mund zu bekommen, schob seine Hand in die Öffnung, stemmte sich in den Türrahmen, so gut er konnte, und stieß. Die schwergängige Tür öffnete sich mit weiteren Geräuschen gequälten Metalls.

»Gut gemacht, Vargas«, sagte Bethany. »Dieses Einbrechen ist nicht so schwierig, wie es aussieht.«

»Ich wünschte, der alte Richter Waring könnte uns jetzt sehen, Miss.«

»Wer?«

»Der Friedensrichter meiner Heimatstadt. Er brachte mich darauf, zum Marinekorps zu gehen. Stellte mich vor die Wahl, das zu tun oder eine Zeit im Jugendgefängnis abzureißen!«

Bethany lachte. »Ich werde ihm nicht über Ihren jüngsten Rückfall erzählen, wenn Sie es nicht tun.« Sie zeigte zur offenen Tür. »Gehen wir hinein?«

»Augenblick, Madam, bis ich den Rest meiner Sachen zusammengesucht habe.«

Sie sah zu, wie der hünenhafte Marinesoldat den Gurt seines Werkzeugkastens über die Schulter hängte. Als er seinen Rucksack über die andere Schulter schwang, musste sie lächeln. Ein seltsameres Kindermädchen war wohl schwerlich zu finden.

Wie Richard Drake ihr zugesagt hatte, war die Marineeskorte zur Stelle gewesen, als sie vor fünf Tagen Lokalzeit beim Basislager dem Landungsboot entsteigen konnte. Die Eskorte war Corporal Garrold Vargas gewesen, von diesem Augenblick an ihr ständiger Begleiter. Wie die Mitglieder der anderen Suchtrupps hatten auch sie sich rasch an einen Tagesablauf gewöhnt, der durch den Aufgang und Untergang der strahlenden Antares-Gaswolke beherrscht wurde. Jeden Morgen luden sie ihre Rucksäcke mit Proviant, Wasser und Einbruchswerkzeug in ein kleines Geländefahrzeug und brachen zu dem ihnen zugewiesenen Suchgebiet auf. Dort angekommen, wählte Bethany die Gebäude und Räume aus, die durchsucht werden sollten, und Vargas sorgte dafür, dass keine zugesperrten Türen ihr Vorankommen behinderten. Es war eine perfekte Arbeitsteilung, und zu ihrer beiderseitigen Verwunderung fanden sie, dass sie gut zusammenarbeiteten. Der ihnen für diesen Tag zugedachte Suchabschnitt war auf 150 Jahre alten Karten, die in altanischen Archiven geschlummert hatten, als die Universität von Hekate bezeichnet. Bethany hatte gehofft, dass sie in einer Institution höherer Gelehrsamkeit mehr Glück haben würden als bisher, zu ihrer Enttäuschung hatten sich die erhaltenen Räumlichkeiten jedoch als weniger ergiebig an Papierresten erwiesen als die Wohnviertel im Umkreis des Basislagers. Es war frustrierend, unter Hunderten von Datenanschlüssen umherzugehen, die über die Universität verteilt waren, und zu wissen, dass ein Jahrhundert harter Strahlung sie alle zu nutzlosen Klötzen aus Kunststoff, Silikon und Glas gemacht hatte.

Sie traten durch die Türöffnung, die sie gerade aufgebrochen hatten. Wie erwartet, befanden sie sich in einem Seminarraum. Er war identisch mit Dutzenden anderer, die sie während des Tages gesehen hatten. Fünfzig Plätze mit Arbeitsflächen und Ablagefächern standen in Reih und Glied einem Pult auf niedriger Plattform gegenüber, das mit Datenanschluss und Holoprojektor ausgestattet war. Rasch begannen sie mit ihrer Routinedurchsuchung, Bethany mit den vorderen Reihen nächst dem Eingang, Vargas mit den hintersten in der entferntesten Ecke des Raums. Schnell arbeiteten sie sich durch die Reihen, öffneten auf der Suche nach beschriebenem oder gedrucktem Papier Schubladen und spähten in Ablagefächer. Wie gewöhnlich, fanden sich mehrere Speichertafeln aus kristalliner Keramik – alle durch die Strahlung zu einem rauchigen Grau verfärbt –, aber kein Papier irgendwelcher Art.

Als sie die Studentenplätze durchsucht hatten, nahm Bethany sich das Dozentenpult vor. Vargas blickte im Raum umher, sah nichts, was noch zu durchsuchen war, und trat ans Fenster, um hinauszuschauen. Sie waren im zehnten Stockwerk, und das Fenster gewährte einen guten Ausblick auf die Universitätsgebäude und Teile der Stadt. Napier stand bereits tief am Himmel. Bethany beendete ihre Durchsuchung, fand nichts und trat zu dem Marinesoldaten ans Fenster.

»Erinnert einen irgendwie an zu Hause, nicht wahr, Miss Lindquist?«

»Das liegt daran, dass die meisten altanischen Architekturformen nach Vorbildern aus New Providence entstanden sind«, sagte Bethany. Die Universität von Hekate war vierflügelig in einem großen Rechteck angelegt, in dessen Mitte früher einmal Parkanlagen mit Bäumen und Blumenbeeten, Springbrunnen und Bänken gewesen waren. Die diesen weiten, jetzt verödeten Innenhof umgebenden Gebäude ähnelten dem, in dem sie sich gerade befanden, hatten aber nur vier oder fünf Geschosse. Außerhalb der vierflügeligen Anlage gab es noch eine Anzahl größerer und kleinerer Nebengebäude. »Gott, sehen Sie sich das an! Um das alles gründlich zu durchsuchen, werden wir einen Monat brauchen!«

»Sind die Universitäten der Erde wie diese?«, fragte Vargas.

»Nun, ich habe nur Bilder gesehen«, erwiderte Bethany. »Im Allgemeinen baut man auf der Erde hoch, mit weniger freien Flächen. Wegen der hohen Bevölkerungsdichte ist der Boden dort viel wertvoller. Das da unten ...« – Bethany zeigte hinab zum Innenhof, der eine Fläche von mehr als zehn Hektar umfassen musste – »würde auf der Erde als verschwenderischer Luxus gelten.«

»Sehen Sie die Statuen dort?«, fragte Vargas mit einer Kopfbewegung zu zwei steingrauen Gestalten in der Mitte des weiten Vierecks. »Was für Tiere mögen das sein?«

Bethany blickte in die gleiche Richtung. Die Gestalten flankierten einen kleinen pavillonartigen Bau, der Bethany an einen U-Bahneingang erinnerte.

»Das ist aus dieser Entfernung schwer zu sagen. Leihen Sie mir bitte mal Ihren Feldstecher, Corporal.«

Vargas reichte ihr sein Glas, und Bethany stellte es auf ihre Augen ein. Nach einer langen Pause sagte sie: »Wieso, das sind Löwen!«

»Was ist das? Eine Tierart von New Providence?«

Bethany gab ihm das Glas zurück und zog die Stirn in Falten.

»Sicherlich hat Ihre Mutter Ihnen von Löwen erzählt, Corporal, oder? Sie waren auf der Erde heimisch. Eine große Katzenart, wissen Sie.«

Vargas kratzte sich am Kinn. »Ja, verstehe. Löwen.«

»Man fragt sich, was eine Löwenstatue hier auf New Providence tut«, überlegte Bethany laut. »Sie kann den Einheimischen nicht viel bedeutet haben, es sei denn, als Wappentier und Symbol. Oder sie hatten einen besonders gut ausgestatteten Zoo.« Sie stand einen Moment unschlüssig, dann sagte sie: »Ich glaube, wir sollten das überprüfen.«

»Das geht nicht, Miss Lindquist«, entgegnete Vargas. »Die Sonne geht unter. Das heißt, dass Antares in weniger als neunzig Minuten aufgehen wird.«

»Es wird nicht lange dauern, Corporal. Keine Sorge, zur Sperrstunde werden wir längst im Lager sein.«

Während Archäologen und Sozialwissenschaftler den Schutt des toten Planeten durchsiebten, arbeiteten die Astronomen in der Umlaufbahn an der Kartierung der lokalen Faltraumstruktur. Seit Jahrhunderten hatten Lehrer der vieldimensionalen Physik nach einer geeigneten Analogie gesucht, mit der sie ihren Schülern den Faltraum erklären konnten. In den meisten Fällen nahmen sie Zuflucht zu einem Stück Papier, das zu einem Ball zusammengeknüllt und dann wieder ausgebreitet und geglättet worden ist. In der Umwandlung vom zweidimensionalen Blatt zum dreidimensionalen Sphäroid nimmt das Papier ein komplexes Muster von Falten und Knicken an. Durch das Studium dieses Musters ist es möglich, den Knitterprozess genau zu beschreiben. Faltlinien sind die ›Knitter und Falten‹, die übrig blieben, nachdem das Raumzeitkontinuum durch die Einwirkung eines massiven Schwarzen Loches ›zerknittert‹ worden war.

Die Wissenschaftler der Expedition hatten zwei Hinweise, die ihnen zum Verständnis der Struktur des Faltraums nach der Supernova verhelfen konnten. Den ersten Hinweis boten die detaillierten Karten der Faltraumstruktur vor dem Ausbruch der Nova; der zweite war das Wissen, wie weit der Faltpunkt Napier-Valeria sich von seiner früheren Position entfernt hatte. Von den alten Karten ausgehend, die sie topographisch so verzerrten, dass die beobachtete Positionsänderung des Faltpunktes berücksichtigt wurde, konnten die Astronomen ein Computermodell erarbeiten, das ihnen ermöglichte, die Positionen der anderen überlebenden Faltpunkte vorauszusagen.

In der Wissenschaft taugt eine Voraussage freilich nur, wenn sie sich experimentell bestätigen läßt. Die Bestätigung einer Faltpunktposition ist allerdings eine schwierige Sache, da viele tausend Feinmessungen der lokalen Gravitationskonstante erforderlich sind. Die Alexandria führte zu ebendiesem Zweck mehrere hundert frei fliegende Gravitationsdetektoren mit, die in genauen Flugbahnen ausgesandt wurden, welche sie in die Nähe der theoretischen Faltpunktpositionen des Systems brachten. Während des Fluges führten sie kontinuierliche Messungen der Gravitationskonstante in der Region durch und funkten sie zwecks Analyse zurück zur Alexandria. Das kontinuierliche Winseln der eingehenden Ströme telemetrischer Messdaten erfüllte den Kartenraum an Bord des Passagierschiffes länger als hundert Stunden. Als die Forscher eine vorläufige Lagekarte ausgearbeitet hatten, welche die Faltpunktpositionen bestätigte, die zum Herzen des Antares-Haufens und zu Altas Schwesterkolonie auf Sandarsons Welt führten, ersuchten Nathaniel Gordon und Mikhail Pianovich um ein Gespräch mit Richard Drake in dessen Kajüte an Bord der Discovery.

»Ich glaube, wir haben alle Faltpunkte in diesem System lokalisiert, Captain.« Gordon zeigte auf drei weit voneinander entfernte Punkte einschließlich des Napier-Valeria-Faltpunktes in einer dreidimensionalen kugelförmigen Raumdarstellung. Zusätzlich zu den Sternen, Planeten und Faltpunkten zeigte sie eine Anzahl Verbindungslinien gleicher Schwere.

»Sind Sie sicher, dass diese Zahl stimmt?«, fragte Drake. Professor Pianovich nickte. »Ganz sicher, Captain. Wir haben inzwischen ein viel besseres Verständnis dessen, was durch die Nova im Faltraum geschah. Es lässt sich sagen ...«

Das Summen der Gegensprechanlage auf Drakes Schreibtisch unterbrach Pianovich. Drake nahm den Anruf entgegen.

»Ja, Mr. Slater?«

»Anruf von Dr. Wharton im Basislager, Captain. Ich hätte Sie nicht gestört, aber er sagt, es sei dringend.«

»Stellen Sie ihn durch.«

Der Bildschirm wurde freigemacht, und im nächsten Augenblick erschien das fleischige, gerötete Gesicht Gregory Whartons. Der Mann war offensichtlich stark beunruhigt.

»Was kann ich für Sie tun, Professor?«, fragte Drake.

»Es ist hier Nacht geworden, Captain Drake, und die Antares-Gaswolke ist gerade am Himmel aufgestiegen.«

Drake blickte zum Wandchronometer. Außer der Bordzeit zeigte er Tag und Nacht und die Strahlungszyklen in Hekates Längengrad an. »Wir wissen hier oben, wie viel Uhr es bei Ihnen ist, Professor. Was ist los?«

»Bethany Lindquist und der Corporal, den Sie ihr als Leibwächter zugeteilt haben, machten sich heute Morgen wie gewöhnlich auf den Weg. Sie sind noch nicht zurückgekehrt.«

Drake fühlte, wie sich in seinem Magen etwas zusammenzog. »Haben Sie sich überzeugt? Haben Sie alle Teile des Basislagers absuchen lassen?«

»Haben wir, Sir. Ich habe alle zusammengerufen und befragt. Niemand hat sie gesehen, und ihr Fahrzeug steht nicht bei den übrigen.«

»Haben Sie tagsüber Funksprechverbindung mit ihnen gehabt?«

»Sie meldeten sich, als sie heute früh in ihrem Suchabschnitt eintrafen. Seitdem haben wir nichts gehört. Was soll ich tun?«

Drake überlegte einen Moment. In seiner Magengrube machte sich ein akuter, Übelkeit erregender Druck bemerkbar. Eine Stadt ist überall und zu jeder Zeit ein gefährlicher Ort. Eine tote Stadt auf einer toten Welt ist es umso mehr. Er stellte sich vor, dass Bethany verletzt irgendwo lag und die tödliche Glut der Antares-Gaswolke langsam über den Horizont steigen sah. Dann starrte er in das ratlose Gesicht auf dem Bildschirm, überlegte seine Optionen und sagte dann: »Ich komme hinunter! Unternehmen Sie nichts, bis ich dort bin.«

Bethany und Vargas lenkten ihr Geländefahrzeug in die Mitte des viereckigen Innenhofs, wo die Löwenstatuen den Pavillon flankierten. Als sie näher herankamen, wurden alle Zweifel, die Bethany im Hinblick auf ihre Natur hatte, rasch zerstreut. Es waren Löwen, und sie lagen in Ruhehaltung, aber mit erhobenen Köpfen, hatten die Pranken vor sich ausgestreckt und die Schwänze an den Seiten. Ihre Mähnen waren voll und buschig, und ihre steinernen Augen blickten aufmerksam in die Ferne. Zwischen den beiden Tieren führte eine Betonrampe abwärts und verschwand hinter einer großen Stahltür, die den Eingang des Pavillons verschloss.

»Schlagen Sie sie ein, Corporal!«, befahl Bethany mit einer Kopfbewegung zur Tür.

Vargas runzelte die Stirn, öffnete den Mund zu einem Einwand, besann sich jedoch dann. Er nahm einfach seinen Vorschlaghammer aus dem rückwärtigen Teil des Fahrzeugs und ging an die Arbeit. Zwei Minuten später hallten die wuchtigen Hammerschläge noch immer von den Gebäuden wider.

»Augenblick«, rief Bethany, als Vargas zum zwanzigsten Mal ausholte. »Lassen Sie mich sehen.«

Vargas stellte seine Bemühungen ein und wischte sich die Stirn. »Ich glaube nicht, dass wir hierfür die geeignete Ausrüstung haben, Miss.«

»Versuchen Sie's noch ein paarmal«, erwiderte Bethany und trat von ihrer Inspektion des Schlosses zurück. »Mir scheint, es beginnt nachzugeben.«

Vargas holte abermals aus und schlug den Hammer mit aller Kraft gegen die Tür, die daraufhin ein metallisches Kreischen von sich gab. Nach zwei weiteren Schlägen gaben die Scharniere nach, und die Stahltür krachte nach innen. Jenseits der am Boden liegenden schweren Stahltür führte eine Rolltreppe abwärts und verschwand in der Dunkelheit.

»Wir brauchen unsere Lampen.«

Sie kramten ihre Stablampen aus den Rucksäcken, Vargas mit einem nervösen Blick zu Napiers Position. Das Zentralgestirn war längst hinter der Gebäudefront im Westen versunken. »Unsere Zeit ist beinahe um, Miss Lindquist.«

»Vertrauen Sie mir, Corporal. Dies könnte wichtig sein. Wir werden nachsehen und dann umgehend nach Hause fahren. Ich verspreche es!«

Langsam stiegen sie die bewegungslosen Stufen der Rolltreppe hinunter. Nach etwa dreißig Metern erreichten sie einen Treppenabsatz, wo die Rolltreppe endete und zu beiden Seiten Türen zu sehen waren. Ein paar Meter vor ihnen führte eine weitere Rolltreppe hinunter. Bethany ging voraus und folgte ihr abwärts, bevor Vargas protestieren konnte. Hier waren sie in völliger Schwärze; nur die Lichtkegel ihrer Stablampen zeigten ihnen den Weg. Sie erreichten einen zweiten Absatz, und folgten einer dritten Rolltreppe hinunter, bevor sie einen geräumigen unterirdischen Korridor erreichten. Er verlor sich auf beiden Seiten in der Dunkelheit.

»Er muss unter dem ganzen Innenhof durchführen«, sagte Bethany. Ihre Stimme hallte hohl von den Wänden.

»Welchen Zweck kann dieser Korridor haben?«

»Er führt von einem Gebäudeflügel zum gegenüberliegenden«, antwortete sie. »Vielleicht diente er als eine Art Abkürzung.«

»Welche Richtung nehmen wir?«, fragte er.

Sie ließ ihren Lichtkegel erst über eine Wand gehen, dann in die andere Richtung. »Versuchen wir es rechts.«

Langsamer als zuvor bewegten sie sich den unterirdischen Korridor entlang, bis sie zu einer Tür mit der Silhouette eines liegenden Löwen kamen.

»Danach habe ich gesucht«, sagte Bethany. »Schlagen Sie die Tür ein!«

»Nicht nötig«, erwiderte Vargas. Mit einer Hand stieß er die Tür zurück. »Sie ist offen.«

Hinter der Tür fanden sie einen geräumigen unterirdischen Raum mit einer Reihe von Informationsterminals auf schalterähnlichen Tischen. Bethany ging weiter zu einer Tür am anderen Ende des Raums. Auch sie war leicht zu öffnen. Trotz des Gewöhnungseffekts, der sich nach fünf langen Tagen der Erforschung verlassener Gebäude und Ruinen eingestellt hatte, empfand sie stark die Verlassenheit des Ortes.

Der zweite Raum enthielt eine Maschine von Schreibtischgröße. Bethany hielt den Atem an, als sie im Licht ihrer Stablampe die Vorderseite des dick eingestaubten Geräts absuchte.

Vargas fügte seine eigene Beleuchtung hinzu. »Was für ein Ding ist das?«

»Ich bin nicht sicher«, erwiderte Bethany, »aber ich glaube, es ist ein Computer.«

»Könnte sein. Er sieht wie andere Computer aus, die wir gefunden haben. Aber nun kommen Sie. Nichts wie raus hier.«

»Raus hier?«, fragte Bethany überrascht.

»Klar, was sonst? Die Sonne geht unter. Wir haben bei unseren Durchsuchungen schon mehr Computer gefunden.«

»Aber noch keinen, der hundert Meter unter der Oberfläche war, oder?«, erwiderte Bethany.

Vargas schüttelte den Kopf. »Nein, die meisten waren in den Obergeschossen von Gebäuden. Warum?«

»Weil hundert Meter Erde und Beton mehr als genug sind, um die Strahlung der Nova abzuschirmen.«

Vargas starrte sie an. Im Widerschein der Stablampen sah sein Gesicht kantig und zerklüftet aus. Seine Augen waren weiße Ringe, die aus den dunklen Schatten ihrer Höhlen starrten. »Sie meinen, diese Maschine könnte betriebsbereit sein?«

»Möglich. Ich glaube, wir haben den Computer der Universitätsbibliothek gefunden.«

»Sie wussten, dass dies hier unten war?« Eine Andeutung von ehrfürchtigem Staunen war in seiner Stimme.

Bethany nickte. »Ich kam auf die Idee, als ich oben die beiden Löwen sah. Aus irgendeinem Grund sind Löwen immer mit Bibliotheken in Verbindung gebracht worden. Diese Statuen sind Kopien von zwei recht bekannten Löwenplastiken, die einst den Eingang der Öffentlichen Bibliothek von New York schmückten. Wenn die Universität von Hekate Kopien aufstellte, dachte ich mir, geschah es, um den Eingang zur Bibliothek zu kennzeichnen.«

»Wir müssen Meldung machen«, drängte Vargas. »Der Unteroffizier sagte uns, wenn wir einen intakten Computer finden, können wir all die Papierreste vergessen, die wir gesammelt haben.«

»Das werden wir, aber erst muss ich noch etwas überprüfen.« Bethany ging zu einer Tür an der Rückseite des Computerraums, die sich allerdings nicht öffnen ließ. Sie drehte sich zu Vargas um. »Wir brauchen Ihren Vorschlaghammer, Corporal.«

Die Tür gab nach einem einzigen Schlag nach. Bethany drängte sich durch, bevor die Öffnung ganz frei wurde. Sie ließ den Lichtkegel ihrer Lampe über eine Reihe von Ablageschränken gehen. Dutzende von kleinen Speichertafeln waren darin aufgereiht.

»Hier haben sie alles gespeichert, womit sie ihre Arbeitsspeicher nicht vollstopfen wollten«, sagte Bethany.

»Gut, Corporal, ich habe alles gesehen, was ich sehen musste. Fahren wir zurück zum Lager und machen Meldung.«

»Ja, Madam!«

Der Westhorizont leuchtete im Abendrot, als sie schließlich an die Oberfläche kamen. Rote und orangegelbe Lichtstrahlen des untergegangenen Zentralgestirns stießen weit in den Himmel hinauf, verblassten allmählich im Blau, das im Zenit bereits in Blauschwarz überging. Ein paar Sterne waren erschienen, während im Osten ein milchweißes Leuchten eine Lücke zwischen zwei Gebäuden erhellte. Beim Anblick dieses Leuchtens überlief es Bethany. Es bedeutete, dass die Antares-Gaswolke die Stadt Hekate bald wieder mit ihrem tödlichen Licht überschütten würde.

Die beiden eilten zu ihrem Fahrzeug und warfen Rucksäcke und anderes Gerät hinein. Bethany stieg auf den Beifahrersitz, während Vargas die Ausrüstung verstaute. Sie ließ sich schlaff in den Sitz fallen und konzentrierte sich darauf, nach dem langen Aufstieg über die stille Rolltreppe wieder zu Atem zu kommen. Mehrere Sekunden vergingen, bevor sie merkte, dass Vargas keine Anstalten machte, seinen Platz am Steuer einzunehmen. Stattdessen stand er neben dem Fahrzeug und spähte nach Osten, wo das milchige Licht stärker und stärker wurde.

Bethany rutschte über die Sitzbank zur Fahrerseite und ließ die Scheibe herunter. »Steigen Sie ein, Corporal! Wir haben gerade noch Zeit, die Rückfahrt zu schaffen.«

Vargas wandte den Kopf; er hatte Sorgenfalten auf der Stirn.

»Ich fürchte, es ist schon zu spät, Miss Lindquist.«

»Wovon reden Sie! Die Strahlung wird erst in weiteren zwanzig Minuten gefährlich. Und heute früh brauchten wir bloß fünfzehn Minuten, um vom Lager hierher zu kommen.«

»Das war heute Morgen, bei Tageslicht. Aber in zehn Minuten wird es dunkel sein.« Er schüttelte den Kopf. »Die Gefahr ist zu groß, dass wir irgendwo falsch abbiegen, über Trümmerstücke fahren oder in der Dunkelheit in ein Loch stoßen. Jeder unvorhergesehene Aufenthalt würde uns der Strahlung aussetzen. Selbst wenn nichts geschehen sollte und wir es schaffen, wird Unteroffizier Crocker mich erschießen lassen, weil ich Sie einem derartigen Risiko ausgesetzt habe.«

Bethany öffnete den Mund zu einer Erwiderung, sah den Blick in Vargas' Augen und nickte bloß. Er hatte natürlich Recht. Die Erforschung der Bibliothek hatte mehr Zeit beansprucht, als sie geplant hatte. Und obwohl ihre Rucksäcke mit Speichertafeln vollgestopft waren, würde es keinem etwas nützen, wenn sie bei Antares' Aufgang im Freien wären. Bethany fand sich damit ab, die Nacht in den Untergrundräumen zu verbringen, die sie gerade verlassen hatten.

»Wenn wir uns hier verkriechen, sollten wir Meldung davon machen.«

»Geht nicht«, erwiderte Vargas. »Die Reichweite des Funksprechgeräts ist eingeschränkt, weil zu viele Gebäude zwischen uns und dem Basislager stehen.« Er zeigte zu einer Reihe leuchtender Zahlen auf einem Display am Armaturenbrett des Geländefahrzeugs. »Und die Schiffe in der Umlaufbahn können wir auch nicht anfunken und als Relais verwenden, weil sie unter dem Horizont stehen.«

»Verdammt!«

Eine der ersten Entdeckungen der Marinesoldaten, die das Basislager aufgebaut hatten, war der Umstand gewesen, dass Funkgeräte auf New Providence nicht gut arbeiteten. Wie für die meisten anderen Probleme des Planeten war die Antares-Gaswolke dafür verantwortlich. Der beständige Regen aufgeladener Partikel in die Ionosphäre führte zu einem unaufhörlichen Rauschen und Knistern atmosphärischer Störungen auf den Frequenzen. Verständigung war nur über verhältnismäßig kurze Strecken möglich, wo die Sendeimpulse stark hereinkamen. Um über weitere Distanzen Kontakt zu halten, verließ man sich im Basislager auf Kommunikationslaserverbindungen zu den beiden Cryogentankern in ihren Umlaufbahnen. Da diese aber hinter dem Horizont waren, blieben Bethany und Vargas praktisch isoliert.

Bethany blickte zu den Gebäuden auf. »Könnte die Zeit reichen, um auf das Dach zu steigen und das Lager direkt anzufunken?«

»Auf keinen Fall!«, erwiderte Vargas. »Wir haben nur noch Zeit, in Deckung zu gehen.«

»Gut, dann lassen wir das mit der Meldung. Wie lange brauchen wir, um den Generator abzuladen?«

»Wozu?«

»Er könnte uns unten nützlich sein. Außerdem wird die Strahlung ihn ruinieren, wenn wir ihn nicht in den Untergrund schaffen. Das Gleiche gilt für den Laser und die anderen Festkörpergeräte und Schaltungen des Geländewagens.«

Er nickte. »Ich werde die Sachen herausnehmen. Fangen Sie doch schon mal an, die Rucksäcke hineinzutragen. Und noch etwas, Miss Lindquist ...«

»Ja, Corporal?«

»Egal, wie viel wir zu tun haben, wir lassen es fünf Minuten vor Antares' Aufgang liegen und bringen uns in Sicherheit. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

Sie unterboten ihre selbstgesetzte Frist um zwei Minuten. Bethany ging ein letztes Mal hinaus, um Vargas beim Einsammeln der Werkzeuge zu helfen, die er zum Ausbau der strahlungsgefährdeten Teile des Geländefahrzeugs gebraucht hatte. Als sie ins Freie kam, warf sie einen besorgten Blick zum Osthimmel.

Das Leuchten dort war beträchtlich stärker geworden, und der Rand der Gaswolke war jetzt als ein unregelmäßiger weißer Bogen sichtbar, der sich scharf vom dunklen Himmel abhob. Atmosphärische Verzerrung erweckte den Eindruck, dass der weiße Bogen ein paar Grad über der dunklen Linie des Horizonts hing. Darunter brannte eine sternähnliche Erscheinung mit dem Licht einer fluoreszierenden Lampe. Das Licht war das des Antares-Pulsars, von der Brechung des atmosphärischen Linseneffekts über den Horizont gespiegelt. Bethany, die das Phänomen an früheren Abenden beobachtet hatte, wußte, dass der wirkliche Stern niemals weit hinter seinem Phantombild zurückblieb.

»Höchste Zeit«, grunzte Vargas, als er die gebündelten Instrumente auf die Schulter hob. »Nehmen Sie das übrige Zeug und kommen Sie mit.«

Im Laufschritt folgte sie ihm. Sie eilten durch den Pavillon, über die am Boden liegende Stahltür und die Rolltreppe hinunter. Auf dem Treppenabsatz hob Vargas seine Last vorsichtig von der Schulter und setzte sie neben die Rucksäcke und Ausrüstungsteile, die Bethany zuvor schon heruntergetragen hatte. Am Eingang über ihnen begann ein Strahlungsdetektor wie wild zu schnattern.