8

Die Antares-Supernova stand tief am Osthimmel, als Carl Aster Bethany Lindquist zu ihrem Wohnblock im modernen Teil Homeports zurückbrachte. Das Gebäude war eines von mehreren, die in einer parkähnlichen Umgebung am Westufer des Tigris standen. Das Paar schlenderte Arm in Arm einen gewundenen Weg durch Baumgruppen und duftende Sträucher entlang. Nur das Gurgeln des nahen Flusses und die gelegentlichen klatschenden Geräusche froschähnlicher Reptilien, die nachtaktiven Insektovoiden nachstellten, unterbrachen die Nachtstille. Andere kleine Nachtflieger umtanzten die milchigen Kugeln der Straßenbeleuchtung, während silbrig reflektierende Wolken majestätisch über den Himmel zogen.

»Hast du mir vergeben, dass ich dich heute Abend dir selbst überließ?«, fragte Aster, als sie sich dem Hauseingang näherten.

»Ich denke darüber nach«, erwiderte Bethany mit einem unterdrückten Gähnen. Mitternacht war längst vorbei, und sie hatte sich die meiste Zeit gelangweilt. Zu dumm, dass Admiral Dardan Captain Drake entführt hatte, dachte sie. Das war ein interessanter Mann!

»Was hast du die ganze Zeit getrieben?«

»Nützliche Kontakte geknüpft«, sagte Aster. »Die Regierung plant diese interstellare Expedition, und wir müssen sichergehen, dass die Allianz diesmal angemessen vertreten ist.«

»Und wie ist es gegangen?«

»Ich denke, dass ich ein paar Stimmen für unsere Sache gewonnen habe.«

»Das ist fein«, sagte sie ohne Begeisterung. Bethany hatte längst entdeckt, dass sie eine niedrige Toleranzschwelle für das politische Alltagsgeschäft mit seinen Kungeleien hatte. Ihre Aversion war ein Grund, dass sie die Frage ihres Onkels, ob sie seine Nachfolgerin als Botschafter der Erde werden wolle, abschlägig beschieden hatte. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es nicht die Aussicht war, Frau eines Politikers zu sein, die sie daran gehindert hatte, Carls Heiratsantrag sofort anzunehmen.

Aster blieb ihre ernste Stimmung nicht verborgen. Er legte ihr eine Hand um die Taille und zog sie an sich. »Was hast du heute Abend alles angestellt?«

»Ich bin einem Mann begegnet.«

»So?«

»Einem recht stattlichen obendrein.«

»Wer war es?«

»Der Ehrengast.«

»Du meinst Captain Drake?«

Bethany nickte. »Er erzählte uns von der Conqueror

»Sagte er auch etwas über die bevorstehende Expedition?«

»Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«

»Wie gefiel er dir?«

»Er war nett, außerdem viel jünger, als ich erwartet hatte.«

Aster lachte. »Alle Leute im aktiven Dienst sind jung. Soviel ich weiß, hat es etwas mit der Widerstandsfähigkeit gegen Beschleunigungseffekte zu tun.«

Sie erreichten den beleuchteten Eingang des Hauses. Aster legte die Arme um sie und küsste sie. »Nun, was die Entschuldigung angeht...«

»Entschuldigung angenommen«, antwortete sie, als sie fertig waren.

»Würde es dir was ausmachen, wenn ich noch auf ein Gläschen mit hinaufkäme?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist spät, ich bin müde und muss in ein paar Stunden bereits wieder aufstehen.«

Aster zuckte die Achseln. »Nun gut, sag nicht, ich hätte es nicht versucht. Ich rufe dich im Lauf des Tages an.«

»Gut. Ich erwarte deinen Anruf.«

Sie sah ihm nach, dann betrat sie den Eingang. Ihre Absätze klangen hell auf den Marmorfliesen, als sie zum Aufzug ging. Eine halbe Minute später und zwanzig Stockwerke höher betrat sie ihre Wohnung. Als die Tür aufging, stellte sie überrascht fest, dass in der Wohnung die Beleuchtung eingeschaltet war.

In ihrem großen Lehnsessel saß Clarence Whitlow, hatte die Fußstütze herausgeklappt und die Füße daraufgelegt. Auf dem Tisch neben ihm stand ein volles Glas, und ein aufgeschlagenes Buch lag in seinem Schoß. Sie sah, dass es Granville Whitlows Autobiografie war.

»Was tust du hier, Onkel?«

»Ich hoffe, es wird dir nichts ausmachen. Eine Verwechslung bei den Hotelreservierungen.«

»Es macht mir nichts aus. Ich freue mich immer, dich hier zu haben. Du hättest aber nicht aufbleiben müssen, weißt du. Du hättest das Schlafzimmer benutzen und einen Zettel an die Tür heften können. Warum liest du zu dieser frühen Morgenstunde im Wohnzimmer ein Buch?«

»Apropos Morgenstunde«, fragte er mit hochgezogener Braue. »Ist es nicht ein bisschen spät, um nach Hause zu kommen, wenn du früh aufstehen musst?«

Sie lachte. »Man könnte meinen, ich sei wieder fünfzehn und käme von meiner ersten Verabredung zurück.«

»Zu den Freuden der Elternschaft gehört es, nie zugeben zu müssen, dass das Kind schließlich erwachsen werden muss, Bethany. Ist dein junger Mann nach Haus gegangen?«

»Ja, ist er, und sein Name ist Carl, nicht ›junger Mann‹.« Sie starrte ihn ein paar Augenblicke lang an. »Du magst Carl nicht, wie?«

Er wollte widersprechen, dann lächelte er. »Sieht man das so deutlich?«

»Nur, wenn man dich so gut kennt wie ich. Was hast du gegen ihn?«

»Nenne es einfach einen Unterschied im Stil«, erwiderte Whitlow. »Nichts, was dir Anlass zur Sorge geben sollte. Schließlich bin nicht ich derjenige, der daran denkt, ihn zu heiraten.«

»Richtig. Nun, du bist meiner Frage lange genug ausgewichen. Warum bist du zu dieser späten Stunde noch auf, und warum liest du Ururgroßvaters Biografie? Ich dachte, du hättest sie schon vor Jahren auswendig gelernt.«

»Habe ich. Ich hoffte Anleitung darin zu finden.«

»Anleitung wofür?«

»Ich kam heute Abend mit dem Ministerpräsidenten zusammen. Und ich erfuhr, warum er mich sprechen wollte.«

»Warum?«

Whitlow skizzierte die Einzelheiten seines Gesprächs mit Gareth Reynolds und den Marineoffizieren.

»Wirst du ihnen die Codes geben, Onkel?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du glaubst doch nicht, dass die Regierung die Discovery gegen die Erde einsetzen würde, oder?«

Er sah sie an, und zum ersten Mal fiel Bethany auf, wie alt ihr Onkel war. Es war, als wäre er in einer einzigen Nacht zwei Jahrzehnte gealtert. »Um die Wahrheit zu sagen, nein. Für alle von uns, die sie nie gesehen haben, ist die Erde ein Ort der Legende und des Zaubers. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Altaner wissentlich die Mutter der Menschheit schädigen würde.«

»Worin siehst du dann das Problem?«

»Es handelt sich um die geringfügige Angelegenheit des Eides, den ich leistete. ›Clarence, mein Sohn‹, sagte mein Vater zu mir, wir Kolonisten sind Eindringlinge auf dieser Welt. Wurzellose Fremde, die inmitten einer natürlichen Umwelt leben, die sie nicht verstehen und von der sie wenig wissen, vollkommen abgeschnitten von den anderen Menschen. Um zu überleben, benötigen wir ein Ideal, ein festes Fundament, auf dem wir bauen können. Die Erde liefert uns dieses Ideal. Sie ist unsere Vergangenheit. Sie hat uns geformt und zu dem gemacht, was wir sind. Noch über fünfhundert Lichtjahre unüberbrückbaren Raums ruft sie uns zu.

Du wirst der einzige Repräsentant der Erde auf dieser Welt sein, mein Junge. Es wird eine Zeit kommen, da jemand von dir verlangen wird, dass du deinen Idealen zuwiderhandelst und etwas tust, das nicht im besten Interesse jener fernen Heimat liegt, die du nie gesehen hast. Die Gründe dieser Leute werden gut, vernünftig und logisch sein. Du wirst versucht sein, ihnen nachzugeben. Mein Rat ist, Clarence, alle derartigen Appelle an die Logik zu ignorieren. Verlasse dich stattdessen darauf, was nach deinem besten Wissen und Gewissen recht ist, und vor allem, bleib deinem Erbe treu.‹«

Whitlow blickte zu seiner Nichte auf. Seine Augen waren nass und spiegelten das Licht. »Mein Vater lag auf dem Sterbebett, als er diese Worte sprach. Ich sagte ihm, dass er auf mich zählen könne.«

»Dann wirst du ihnen die Codes nicht geben?«, fragte Bethany.

»Ich weiß es nicht. Die Logik sagt mir, dass ich auf Nummer sicher gehen und ablehnen sollte. Schließlich trägt selbst einer unserer antiquierten Kreuzer genug Vernichtungswaffen, um eine Welt zu sterilisieren. Wie, wenn diese Welt die Erde sein sollte? Es ist nicht so, dass ich Alta an der Rückkehr in den interstellaren Raum hindern wollte. In diesem System gibt es Dutzende von Schiffen mit funktionsfähigen Springersystemen. Sie könnten den Raum jenseits des Faltpunktes erforschen und dann über die Verhältnisse dort berichten. Jedenfalls würde ich dann einige Daten haben, auf die ich meine Entscheidung gründen könnte.«

»Du scheinst unschlüssig, Onkel.«

»Meinst du?«, fragte Whitlow mit einem ironischen Lachen.

»Vielleicht scheint es so, weil ich es bin. Das Problem besteht darin, dass ich meinen Entschluss fassen muss, ohne harte Fakten als Entscheidungshilfe zu besitzen. Ich korrigiere mich!

Wie der Ministerpräsident mir heute Abend mehrmals sagte, haben wir eine unbestreitbare Tatsache – die Conqueror war praktisch zerstört, bevor sie in dieses System eintrat. Anscheinend hat die Pax Terra aufgehört zu existieren und die Erde liegt wieder im Krieg. Wie, wenn meine Weigerung bedeutete, dass der Erde in der Stunde der Not unsere Hilfe versagt bleiben würde?«

Ein unerfreulicher Gedanke ging Bethany durch den Sinn. Sie überlegte kurz, dann entschied sie, dass es gesagt werden musste. »Vielleicht hat die Erde sich verändert, Onkel. Mehr als ein Jahrhundert ist vergangen. Vielleicht ist sie nicht mehr derselbe Ort, dem unsere Vorfahren Treue geschworen haben. Angenommen, die Zentralregierung wurde gestürzt, und irgendein nachgeborener Dschingis Khan hat die Macht an sich gerissen.«

»Meinst du, ich hätte diese Möglichkeit nicht erwogen? Aber der Gedanke scheint unserer Regierung noch nicht gekommen zu sein. Oder wenn doch, sagt sie es aus politischen Gründen nicht. Was mich zu meinem Problem zurückbringt. Es gibt einfach nicht genug Daten, auf deren Basis eine intelligente Entscheidung getroffen werden könnte.«

»Du könntest ihnen die Codes leihen«, sagte Bethany. »Nach beendeter Expedition könntest du sie zurücknehmen, wenn du es für zweckmäßig halten würdest.«

»Glaubst du, der Admiral würde einer solchen Regelung zustimmen?«

»Warum nicht?«

Whitlows Antwort war ein verächtliches Schnauben. »Sind die Springertriebwerke dieses Kreuzers einmal einsatzbereit, wird die Marine mich nie mehr in ihre Nähe lassen. Ich denke, ich könnte an der Reise teilnehmen und die Codes manuell eingeben, wenn das Schiff einen Übergang machen muss. Auf diese Weise könnte ich die Kontrolle aufrechterhalten und der Discovery trotzdem die Durchführung der Expedition erlauben.«

»Das kannst du nicht machen!«, rief Bethany entsetzt.

»Warum nicht?«

»Dein Herz würde die starke Beschleunigung niemals aushalten.«

»Hast du eine bessere Idee?«

»Schick jemand anderen.«

Whitlow verzog das Gesicht, als hätte er in eine saure Frucht gebissen. »Das ist ein Problem. Es gibt nur eine Person, der ich solch eine Verantwortung anvertrauen würde.«

»Schick ...« Bethany verstummte, als sie den Ausdruck im Gesicht ihres Onkels sah. Der gütige alte Mann, der sie aufgezogen hatte, war von ihm abgefallen; aus einem Gesicht, das wie aus Granit geschnitten war, blickten hellwache Augen von eiserner Willenskraft.

»Captain Drake, da sind ein Herr und eine Dame, die Sie sprechen wollen«, sagte der Marineunteroffizier, der am Empfangsschalter der Admiralität Dienst tat, aus Drakes Bildschirm.

»Wer ist es, Kraeler?«

Der Unteroffizier blickte über die Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass niemand mithören konnte, dann beugte er sich näher zum Mikrofon der Gegensprechanlage und sagte:

»Kennen Sie diesen verrückten Alten, der nun schon seit Tagen seine ganze Zeit unten in unserem Keller verbringt?«

»Beziehen Sie sich auf Seine Exzellenz, den Botschafter der Erde, Unteroffizier?«, fragte Drake barsch.

»Ah, ja, Sir. Botschafter Whitlow und seine Nichte, Sir.«

»Kraeler, es mag Sie interessieren, dass der Botschafter den Schlüssel zur bevorstehenden Expedition in den Faltraum in Händen hält. Wenn Sie ihn durch Ihre Respektlosigkeit in irgendeiner Weise beleidigt haben, wird der Admiral dafür sorgen, dass Sie als Inventarist zur Tiefkühlabteilung des Marineproviantamtes abkommandiert werden, wo Sie sich den Arsch abfrieren können. Und das ist noch nichts, verglichen damit, was ich vorher mit Ihnen machen werde.«

Kraeler errötete sichtlich. »Äh ... tut mir leid, Captain, ich dachte nicht ...«

»Das ist es, Sie dachten nicht! Ich werde gleich unten sein. Einstweilen versuchen Sie höflich mit unseren Gästen umzugehen.« Drake wartete nicht auf eine Antwort, bevor er die Verbindung unterbrach. Er wählte augenblicklich den Admiral an.

»Was gibt es, Drake?«

»Botschafter Whitlow ist hier, Sir.«

Dardan hob überrascht die Brauen. »Ist er allein?«

»Nein, Sir. Der diensthabende Unteroffizier sagt, er habe seine Nichte bei sich.«

»Na, dann lassen Sie sie heraufschicken ... Nein, besser, Sie gehen hinunter und bringen sie zu mir.«

»Das wollte ich gerade tun, Sir.«

»Bringen Sie sie in mein Büro.«

»Soll ich das Büro des Ministerpräsidenten verständigen lassen, Sir?«

»Noch nicht, Captain. Sehen wir zunächst, was sie wollen.«

»Ja, Sir.«

Drake informierte den Offizier vom Dienst, wo er sein würde, dann eilte er hinunter, Clarence Whitlow zu begrüßen. Er fand den Botschafter in der Eingangshalle; bei ihm war eine Frau. Obwohl sie Drake den Rücken zugekehrt hatte, als er aus dem Aufzug kam, war etwas Vertrautes an ihr.

»Willkommen, Exzellenz. Es freut mich, dass Sie kommen konnten ... Oh, hallo!«

Die Frau hatte sich beim Klang seiner Stimme umgewandt und zeigte ihm das bezaubernde Gesicht, das er am vergangenen Abend bei Mrs. Mortridges Party bewundert hatte.

»Hallo, Captain Drake«, sagte Bethany Lindquist.

»Sie kennen meine Nichte?«, fragte Whitlow.

»Wir lernten uns gestern Abend kennen, Sir«, sagte Drake.

»Ich wusste allerdings nicht, dass Bethany Ihre Nichte ist.«

»Sie haben mich nicht gefragt«, sagte Bethany lächelnd.

»So ist es.« Drake wandte sich wieder Whitlow zu. »Der Admiral hat mich gebeten, Sie zu ihm zu geleiten, Exzellenz.«

»Das ist der Grund unseres Besuches.«

»Ja, Sir. Bitte folgen Sie mir.«

Drake führte sie zum Aufzug. Während der Fahrt bewunderte er Bethany Lindquists Spiegelbild im polierten Edelstahl der geschlossenen Aufzugtür.

Der Admiral schüttelte Whitlow die Hand und küsste die seiner Nichte, bevor er sie zu dem Teil seines Büros geleitete, wo mehrere lederbezogene Sessel einander gegenüberstanden.

»Kaffee, Exzellenz?«

»Bitte, Admiral. Ich nehme meinen ohne Milch und Zucker.«

»Und Sie, Miss Lindquist?«

»Nur mit Milch«, sagte Bethany.

Der Admiral wiederholte einfach mit lauter Stimme, und eine Minute später trat ein Steward in weißem Jackett mit einem Tablett und vier Tassen Kaffee ein. Der Kaffee war ein altanisches Ersatzprodukt, das viele der Gründer, die noch den irdischen Kaffee gekannt hatten, ungenießbar gefunden hatten. Der Admiral nippte an seiner Tasse und stellte sie wieder vor sich auf den Tisch.

»Wie kann ich Ihnen heute Morgen helfen, Exzellenz?«, fragte er.

»Ich verbrachte den größten Teil des gestrigen Abends mit Nachdenken über die Forderung des Ministerpräsidenten, dass ich die Springercodes der Discovery abgebe, Admiral. Offen gesagt, ich bin geneigt, auf seinen Wunsch einzugehen, aber nur zu meinen eigenen Bedingungen.«

»Und die sind?«

»Ich schlage vor, Ihren Leuten die Springerprogramme der Discovery zu übergeben, aber die Kontrolle über die Sicherheitscodes zu behalten, die zur Bestätigung von Befehlen benötigt werden, welche dem Computer des Springersystems erteilt werden.«

»Ich kann keinen Sinn darin erkennen, Exzellenz. Was nützen Springerprogramme, wenn der Computer sich weigert, Befehle auszuführen?«

»Die Codes werden im Besitz meiner persönlichen Vertretung bleiben, die sie vor jedem Faltraumübergang manuell in den Computer eingeben wird. Nach dem vollzogenen Übergang werden die Codes bis zum nächsten Gebrauch entfernt.«

»Das würde Ihrer Vertretung ein absolutes Veto in allem geben, was diese Expedition tut und wohin sie geht«, sagte Dardan.

»Genau!«, stimmte Whitlow zu. »Als ich meinen Posten als Botschafter der Erde antrat, leistete ich einen Eid, die Interessen der Erde zu wahren. Das erwähnte Arrangement ist die einzige Möglichkeit, mich meiner Verpflichtungen ehrenhaft zu entledigen.«

»Werden wir über die Identität dieses Musterbeispiels von Redlichkeit unterrichtet, auf dessen Schultern das Schicksal dieses Planeten ruhen wird?«, fragte der Admiral.

»Kaum ein Musterbeispiel, Admiral«, platzte Bethany Lindquist heraus.

Dardan warf ihr einen fragenden Blick zu.

Bethany räusperte sich verlegen und senkte den Blick auf ihre Hände nieder, die nervös in ihrem Schoß zuckten.

»Verzeihen Sie die Unterbrechung«, murmelte sie.

»Ich fasse Ihre Bemerkung so auf, dass Sie diese Person kennen, Miss Lindquist?«

»Das könnte man so sagen, Admiral«, sagte sie mit einem Anflug von Trotz in der Stimme. »Mein Onkel hat mich gebeten, ihn auf dieser Expedition zu vertreten. Ich habe mich dazu bereit erklärt.«

»Unmöglich!«, knurrte Drake.

»Warum, Captain?«, fragte Clarence Whitlow.

»Weil die Anwesenheit Ihrer Nichte an Bord störend sein und die Disziplin gefährden würde, Sir. Seien Sie vernünftig!

Der größte Teil meiner Besatzung ist seit mehr als einem Jahr im Raum! Außerdem haben wir keine Einrichtungen für Frauen an Bord, und wenn wir ins Gefecht gehen müssen, kann es an Bord der Discovery rasch ungesund werden. Glauben Sie mir, diese Expedition ist nichts für eine Frau.«

»Captain Drake. Es wird keine Expedition geben, es sei denn, meine Nichte begleitet Sie.«

»Gestern Abend äußerten Sie eine andere Meinung, Captain Drake«, sagte Bethany.

»Ein Partygespräch mit einer hübschen Frau ist eine Sache, Miss Lindquist. Das Hüten von zweihundert Mann Besatzung mit überaktiver Libido eine ganz andere.« Er wandte sich an Admiral Dardan. »Sir, wir können das nicht zulassen!«

Dardan kratzte sich das Kinn und seufzte. »Nun, ich sehe nicht, wie wir es verhindern können. Wir brauchen die Codes, und dies scheint die einzige Möglichkeit zu sein, sie zu bekommen.«

»Aber ...«

Dardan starrte seinen Untergebenen an und grollte: »Das ist ein Befehl, Captain!«

»Ja, Sir. Ich nehme an, wir können sie in Mr. Marstons Kabine unterbringen.«

»Darf ich Sie so verstehen, Admiral, dass Sie meinem Vorschlag zustimmen?«, fragte Clarence Whitlow.

»Bleibt mir eine andere Wahl?«

»Nein, Sir.«

»Dann stimme ich zu. Natürlich werde ich die Genehmigung des Ministerpräsidenten einholen müssen.«

»Selbstverständlich.«

»Sobald das getan ist, können wir die Vereinbarung vertraglich regeln.«

Admiral Dardan suchte persönlich den Ministerpräsidenten auf, um mit ihm über seine Begegnung mit Clarence Whitlow zu sprechen. Gareth Reynolds hörte schweigend zu, als Dardan die Forderung des Botschafters erläuterte und seine vorläufige Zustimmung erwähnte. Als der Admiral geendet hatte, lehnte sich der Ministerpräsident in seinem Sessel zurück und betrachtete ihn mit müdem Blick.

»War es wirklich klug, so rasch auf eine derartige Regelung einzugehen, Admiral?«

»Ich hielt es für das Beste, Sir. Wenn jenseits des Faltpunktes ein Krieg tobt, werden wir ausnahmslos die Springerantriebe unserer Kreuzer reaktivieren müssen. Dies schien ein gangbarer erster Schritt zu diesem Ziel zu sein.«

»Ich sehe nicht, wie.«

»Clarence Whitlow leidet unter der gleichen Krankheit wie wir, Sir. Es fehlt ihm an Informationen, die vernünftige Entscheidungen erst möglich machen. Indem wir auf seine Bedingungen eingehen, liefern wir ihm in der Person seiner Nichte eine Informationsquelle. Sobald er – und wir – besser informiert sind, werden wir alle hoffentlich zu der Schlussfolgerung gelangen, dass unsere Interessen vergleichbar sind. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass er die Springerprogramme und Codes für die übrigen Kreuzer freiwillig herausgeben wird.«

»Und wenn er entscheidet, dass unsere Interessen gegensätzlicher Natur sind?«

»Dann werden wir Bethany Lindquist auf unserer Seite haben, wenn es darum geht, ihn zu überzeugen.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Nachdem Whitlow und seine Nichte mein Büro verlassen hatten, sprach ich mit Captain Drake. Er hat Anweisung, der Frau Zugang zu allen Daten zu geben, die während der Expedition gewonnen werden.«

»Allen Daten, Admiral? Ist das weise?«

»Ich denke schon, Sir. Wir können uns nicht leisten, dass in ihr der Argwohn wächst, wir würden etwas vor ihr verbergen. Wenn wir sie richtig behandeln, wird sie nicht umhin können, unsere Bemühungen positiv zu sehen und sich mit ihnen zu identifizieren.«

»Was wissen wir über diese Bethany Lindquist?«, fragte Reynolds.

Dardan zog mehrere Ausdrucke aus seinem Aktenkoffer.

»Sie hat einen Lehrauftrag als Historikerin an der Universität von Alta. Gesundheitlich sollte es mit ihr keine Probleme geben. Ich habe mit ihrem Professor gesprochen, der von ihrer Sachkenntnis beeindruckt scheint.«

»Wie ist ihre politische Einstellung?«

»Sie scheint keine starken Überzeugungen in dieser oder jener Richtung zu haben. Wir wissen, dass sie dem Wunsch ihres Onkels, als Botschafterin der Erde seine Nachfolge anzutreten, widerstanden hat. Die Wählerlisten zeigen, dass sie regelmäßig an den Wahlen teilnimmt, aber das ist ungefähr alles ... wenigstens bis in die jüngste Vergangenheit.«

»Was geschah in jüngster Vergangenheit?«

»Sie ging ein Verhältnis mit Carl Aster ein.«

Der Ministerpräsident richtete sich ruckartig auf. »Aster?

Jonathan Carstairs' rechte Hand?«

»Ja, Sir.«

»Höchst seltsam. Erst heute Morgen reichte Carstairs eine Personalliste für die Expedition ein. Die Wissenschaftler sind alle entschiedene Anhänger der Konservativen Allianz, versteht sich – es hätte mich gewundert, wenn es andere gewesen wären. Von den Nichtwissenschaftlern waren zwei von besonderem Interesse. Carstairs nominiert Alicia Delevan als Gesandte und Carl Aster als ihren Mitarbeiter. Damit nicht genug, deutete der ehrenwerte Carstairs an, dass es Ärger geben werde, wenn Delevan und Aster nicht in die Teilnehmerliste der Expedition aufgenommen würden. Nun erzählen Sie mir, dass Clarence Whitlows Repräsentant Asters Freundin ist? Wenn ich ein misstrauischer Mensch wäre, würde ich denken, dass die Allianz versucht, diese Expedition unter ihre Kontrolle zu bringen.«

»Als Angehöriger der Streitkräfte ist es mir nicht gestattet, in der Politik Partei zu ergreifen, Sir. Wenn Sie mich aber nach meiner professionellen Meinung im Hinblick auf die Expedition fragen ...«

»Das tue ich, Admiral.«

»Dann bleibt meine Empfehlung die gleiche, Sir. Wie man auch das politische Risiko von Bethany Lindquists Verhältnis mit Aster einschätzen mag, es ändert nichts an unserer Situation gegenüber ihrem Onkel. Wir sollten sein Angebot annehmen, bevor er den Einsatz erhöht.«

Der Ministerpräsident dachte kurz darüber nach, dann nickte er. »Einverstanden. Es mag Sie überraschen, Admiral, aber unter uns Stimmenfängern gibt es noch immer einige, die die Interessen des Ganzen über die der Partei stellen. Ich habe bereits entschieden, eine Anzahl von Carstairs' Wissenschaftlern in diese Expedition aufzunehmen. Eine Verweigerungshaltung würde zu einer unnötigen Konfrontation im Parlament führen, die leicht zu unseren Ungunsten ausgehen könnte.

Beginnen Sie mit Ihren Vorbereitungen. Ich werde einen förmlichen Vertrag aufsetzen lassen, der die Bedingungen unserer Übereinkunft mit dem Botschafter der Erde umreißt. Sagen Sie Clarence Whitlow, dass der Vertrag bis zum Wochenende unterschriftsreif sein wird.«

»Ja, Sir.«

Alicia Delevan war eine kleine Frau mit kohlschwarzem Haar und einem Gesicht, das verkniffen aussah, wenn sie nicht aufpaßte, welche Miene sie aufsetzte. Sie war vom Fach her Soziologin und Sozioökonomin von Beruf. Lange war sie der Meinung gewesen, dass der Industriellenverband die öffentliche Politik absichtlich manipuliere, um kleinere und mittlere Unternehmen in den Steuerbankrott zu treiben. Da es ihr nicht gelang, die sozialdemokratischen Parlamentsabgeordneten für ihre Thesen zu interessieren, begann sie für die Konservative Allianz zu arbeiten und für ein Gesetz zu werben, das die Steuerquote für Klein- und Mittelbetriebe, die von Einzelunternehmern geführt wurden, spürbar senken sollte. Schließlich bewarb sie sich selbst um einen Parlamentssitz.

Das war inzwischen sechs altanische Jahre her. Vor einem Jahr war sie als Belohnung für die erfolgreiche Vorbereitung zum parlamentarischen Schiffbruch eines von den Sozialdemokraten eingebrachten kostspieligen Projekts öffentlicher Arbeiten von ihrer Partei in den prestigeträchtigen parlamentarischen Raumfahrtausschuss geschickt worden. Die Ernennung war ein Zeichen dafür gewesen, dass die Partei sie für ein höheres Amt aufbaute. Sie hatte die Arbeit interessant gefunden und Jonathan Carstairs mit ihrem politischen Verstand beeindruckt. Und sie fühlte sich ihrerseits geschmeichelt, als er ihr vorschlug, die Allianz bei der interstellaren Expedition zu vertreten.

Geschmeichelt, aber alles andere als glücklich.

Alicia Delevan hatte niemals das geringste Verlangen gehabt, in den Raum zu gehen. Ihrer Überzeugung nach gab es auf Alta mehr als genug zu tun, und Weltraumunternehmen wie die Jagd nach der Conqueror betrachtete sie als hinausgeworfenes Geld zur Befriedigung der Abenteuerlust des Kindes im Manne. Wie Carstairs selbst, so sah auch sie die Antares-Supernova als ein lästiges Phänomen, und die Nachricht, dass der Faltpunkt wieder offen war, hatte sie keineswegs mit Begeisterung erfüllt. Eine Expedition zum System Napier hielt Alicia für nichts weiter als einen Versuch, vergangene Herrlichkeit wiederzubeleben.

»Warum ich?«, hatte sie Carstairs gefragt, als er ihr vorgeschlagen hatte, bei der interstellaren Expedition die Konservative Allianz zu repräsentieren.

»Weil Sie klug sind und intelligent genug, zu wissen, wann man mit der Opposition zusammenarbeiten und wann man kämpfen muss. Und weil ich Ihnen vertraue.«

»Aber ich habe hier Arbeit zu tun. Wir versuchen vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen, nicht wahr?«

»Diese Conqueror-Geschichte wird unsere Pläne verzögern, Alicia. Viele Wähler sind ganz aufgeregt wegen der Aussicht auf eine Rückkehr zu interstellaren Reisen und versprechen sich davon alles Mögliche. Wenn wir heute Neuwahlen verlangen, wird die allgemeine Stimmung großer Erwartungen, so unrealistisch sie auch sein mag, Reynolds und seine Kumpane für weitere fünf Jahre ins Amt zurückschwemmen. Das können wir schwerlich riskieren, nicht?

Und aus diesem Grund brauchen wir Sie bei dieser Expedition. Die Sozialdemokraten werden dieses Ding ausschlachten und bis zum letzten Tropfen ausmelken. Wir brauchen Sie dort draußen, um den Leuten vor Augen zu führen, dass das Ende unserer Isolation kein alleiniges Verdienst der Sozialdemokraten ist.«

»Aber was wird von mir erwartet?«

»Sie sollen meine Augen und Ohren sein. Nehmen Sie günstige Gelegenheiten wahr. Arbeiten Sie mit den Sozis zusammen, wenn es Sinn ergibt, aber machen Sie ansonsten Ihre politische Gegnerschaft deutlich. Vor allem aber bringen Sie mir einen genauen und zutreffenden Bericht über die Situation dort draußen zurück.«

Alicia seufzte. »Ich nehme an, dass es keinen Sinn haben wird, Sie umstimmen zu wollen.«

Carstairs lächelte humorlos. »Überhaupt keinen. Ich brauche jemanden, dem ich dort draußen vertrauen kann, und die Wahl ist auf Sie gefallen.«