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... Wie zahlreiche andere Aspekte ihrer Physiologie, ist der reproduktive Zyklus der Ryall an den Gang der Jahreszeiten auf der Heimatwelt Darthan der Spezies gebunden. Die Paarungszeit liegt gegen Ende des Winters, damit die befruchteten Eier im Frühling ausgebrütet werden können, was den ausgeschlüpften Jungen die günstigsten äußeren Entwicklungsbedingungen bietet, bevor sie die Härten des Winters auf sich selbst gestellt überstehen müssen. Mit dem Beginn des kalten Wetters hier in Homeport zeigt Varlan die physiologischen und psychologischen Veränderungen, die den Beginn ihrer fruchtbaren Phase kennzeichnen. Ihre Körpertemperatur liegt gleichmäßig um 0,75 Grad über normal, und im Vorfeld der Paarungszeit hat ihr Appetit ebenso zugenommen wie ihr Gewicht, das fast 10% über dem bisher gemessenen Wert liegt. Sie ist merklich reizbarer geworden, besonders auf Jorge Santiagos unaufhörliche Fragen über die Wurzeln der Mythen in der Kultur der Ryall. Ich kann es ihr nicht verdenken, da seine Art mir in letzter Zeit auch auf die Nerven geht.

Während ihrer Gefangenschaft ist sie zweimal in die Paarungszeit eingetreten, aber diesmal sind die Veränderungen stärker ausgeprägt als während der früheren Zyklen. Obwohl sie ungern über ihren gegenwärtigen Zustand und die damit verbundenen Stimmungen spricht, hat Varlan mir erklärt, dass diese Veränderungen das Ergebnis einer besonders starken Freisetzung von Hormonen in ihrem Körper sind, hervorgerufen durch ihre nun schon jahrelange Zeit eines erzwungenen Zölibats. In ein paar Wochen wird sie unfruchtbare Eier legen, wie sie es in den zwei vergangenen Jahren getan hat, und wird danach nicht mehr unter den unangenehmen Begleiterscheinungen der Paarungszeit leiden.

Als ich vorschlug, dass ich ihr einen der von der Marine internierten Gefangenen zur Verfügung stellen könnte, wenn das ihr Leiden erleichtern würde, fauchte sie mich regelrecht an und erklärte, »nur Perverse würden erlauben, dass die Jungen in Gefangenschaft schlüpfen.«

Der Fortpflanzungstrieb in ihr ist stärker, als ich es je gesehen habe, doch lehnte sie mein Angebot mit einer Entschiedenheit ab, die mich überzeugt, dass die Reaktion echt war. Da allgemein betrachtet der Fortpflanzungstrieb in den Ryall genauso stark ist wie im Menschen, beweist diese negative Reaktion, dass die Ryall nicht an ihre Instinkte gekettet sind, und dass sie wie Menschen ihre Intelligenz gebrauchen, um ihre biologischen Impulse zu unterdrücken, wenn die Notwendigkeit es gebietet. Diese Beobachtung hat die tiefgreifendsten Implikationen für die Beziehungen zwischen Menschen und Ryall und bietet Hoffnung, dass sie sich der Vernunft nicht verschließen werden, sobald sie erkennen, dass wir aus dem System Spica nicht vertrieben werden können.

Bethany hielt im Diktat ihres Forschungstagebuches inne und überlegte die letzte Feststellung. Nachdem sie den Hinweis gefunden hatte, nach dem sie so lange gesucht hatte, sah sie sich jetzt dem Dilemma gegenüber, wie sie ihre Folgerung testen könnte. Wie viel von dem, was sie gerade diktiert hatte, beruhte auf objektiven Beweisen, und wie viel war ihr Wunschdenken?

Von allen Gebieten der Wissenschaft war die Exobiologie wahrscheinlich am meisten belastet durch psychologische Probleme, wenn Forscher von ihren eigenen unbewussten Annahmen irregeführt wurden. Das Problem war der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns inhärent.

Zeigte man einem Menschen ein Muster von willkürlich gesetzten Punkten, so wird er innerhalb von Sekunden anfangen, Formen in dem Muster zu sehen. Deshalb sehen die Bewohner einer Welt mit einem größeren luftlosen Mond ein identifizierbares Gesicht in den Kratern und Ebenen, die ihren Satelliten sprenkeln, und deshalb ist die Beobachtung von Wolkenbildern ein beliebter sommerlicher Zeitvertreib unter jenen, die jung genug sind, Zeit dafür zu haben. In gleicher Weise verursacht die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Muster zu erkennen, dass Bilder von Jesus Christus und der Jungfrau Maria in Wasserflecken an Decken und Wänden gesehen werden, wenigstens in christlich geprägten Kulturen. Vermutlich werden in nichtchristlichen Kulturen andere Bilder in den Wasserflecken gesehen.

In der wissenschaftlichen Forschung verursacht dieser innewohnende Drang, dem Chaos einen Sinn zu geben, die Forscher, Fakten wie Perlen in einer Halskette aneinander zu reihen. Das Problem ist, dass diese Fakten bisweilen nicht wirklich zusammengehören, außer vielleicht im Bewusstsein des betreffenden Forschers.

Der gefährlichste Aspekt dieses Phänomens war für einen Exobiologen die Argumentation mittels Analogien. Wiederholt ertappten sich Forscher dabei, dass sie von einem fremden Organismus erwarteten, er müsse sich verhalten wie der terrestrische Organismus, dem er am meisten ähnelte. Dies war der Trugschluss des »Wenn es wie ein Hund aussieht, muss es sich wie ein Hund verhalten.«

Professoren der verschiedenen »Exo«-Wissenschaften pflegten ihre Studenten darauf hinzuweisen, dass vom Verhalten eines fremden Tieres erwartet werden könne, es müsse fremd sein. Nur weil es einer fetten alten Katze ähnelt, die man einmal als Hausgenossen hatte, kann man nicht erwarten, dass es sich im Schoß zusammenrollen und schnurren wird.

So fragte sich Bethany, ob sie Varlan nicht vielleicht unbewusst menschliche Reaktionsweisen und Eigenschaften zuordne, um dann auf dieser Basis Urteile abzugeben. War die Weigerung der Ryall, sich in Gefangenschaft fortzupflanzen, ein Fall von Varlans Intelligenz, die sich über ihren Instinkt hinwegsetzte? Oder war es ein anderer Instinkt, der in den Fortpflanzungstrieb eingriff? Es war bekannt, dass sich verschiedene Tierarten nicht fortpflanzten, wenn sie in der Gefangenschaft eines Zoos gehalten wurden. Vielleicht war Varlans Paarungsverweigerung lediglich die Rationalisierung eines Instinkts, der ihr sagte, sie müsse unbehindert durch ausgeschlüpfte Junge sein, um jede Gelegenheit zur Flucht besser nutzen zu können. In solch einem Fall würde der Fortpflanzungstrieb vom Selbsterhaltungstrieb unterdrückt, und Bethanys ganze These wäre ungültig.

So blieb die Frage, was sie immer gewesen war. Waren die Feinde Sklaven ihrer fremdenfeindlichen Instinkte, oder konnten sie sich über ihr natürliches Verlangen, menschliche Wesen abzuschlachten, hinwegsetzen, wenn sie eine passende Motivation erhielten – zum Beispiel bei Verhandlungen unter den Waffen einer Flottille menschlicher Schlachtschiffe?

In dem Monat, der seit jenem Abend bei Evelyn Mortridge vergangen war, hatte die Frage für Bethany eine erneute Dringlichkeit angenommen. Dass es Abgeordnete des altanischen Parlaments gab, die so beiläufig von der Auslöschung ganzer Welten sprachen, hatte sie tief erschrocken. Selbst wenn sie sich gegen Todfeinde der Menschheit richtete, störte und beunruhigte sie solche Gefühllosigkeit und hatte ihr einige schlaflose Nächte bereitet.

»So in Gedanken versunken?«, sagte hinter ihr eine Stimme. Bethany schrak zusammen, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie den Arbeitsbildschirm, auf dem ihr Forschungstagebuch dargestellt war, angestarrt hatte, ohne ihn zu sehen.

»Hallo, Olivia. Ich hörte Sie nicht hereinkommen.«

»Das denke ich mir. Sie schienen wie in Trance. Ich dachte daran, mich auf Zehenspitzen zurückzuziehen, aber dann fiel mir ein, dass es Sie noch mehr als meine Unterbrechung erschrecken könnte. Probleme?«

»Nein, nur etwas, was mich beschäftigt hat.«

»Kann ich vielleicht dabei helfen?«

»Ich habe darüber nachgedacht, was dieser Galston Highe sagte, als wir kürzlich bei Evelyn Mortridges Soiree waren.«

»Highe? Der Abgeordnete mit der schnarrenden Stimme?«

Bethany nickte.

»Ich erinnere mich nur an ein paar politische Dampfplauderer, die sich wichtig machten. Sicherlich haben Sie ihre Argumente nicht ernst genommen.«

»Wie können Sie jemanden nicht ernst nehmen, wenn er wie dieser Highe beiläufig davon spricht, ganze Welten zu sterilisieren?«

»Machen Sie sich seinetwegen keine Gedanken. Er ist verunsichert und frustriert. So reden die Leute, wenn sie fürchten, was die Zukunft bringen mag. Er möchte gern den starken Mann spielen, weil er im Parlament sitzt, aber es ist bloß heiße Luft.«

»Aber diese Tendenz scheint auch in der Öffentlichkeit Boden zu gewinnen. Mit jeder neuen Verlustmeldung, die uns erreicht, werden die Kommentatoren der Sender wütender in ihrem Hass.«

»Das ist eine gewöhnliche menschliche Reaktion.«

»Aber Völkermord! Man liest und hört über solche Ereignisse in der Geschichte, aber man erwartet nicht im wirklichen Leben darauf zu treffen.«

Olivia seufzte. »Sie waren hier lange Zeit isoliert, Bethany. Die Menschen der Erde haben keine Illusionen. Vielleicht kommt es von unserer viel längeren und blutigeren Geschichte.«

»Aber Ausrottung ist so endgültig.«

»Es ist, was die Echsenleute mit uns machen wollen, wenn sie gewinnen.«

»Das kann es nicht rechtfertigen.«

Olivia Southington wischte Bethanys Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Als Nächstes werden Sie mir sagen, dass es ›nicht fair‹ ist. Ich persönlich denke, dass diese Leute nur Dampf ablassen. Sie würden wahrscheinlich schockiert sein, wenn die Marine tatsächlich den blutigen Ausrottungsfeldzug durchführen würde, den sie jetzt befürworten. Dennoch müssen Sie sich auf die Tatsache vorbereiten, dass wir die Ereignisse dort draußen nicht unter Kontrolle haben. Sie wissen, was ein Tiger ist, nicht wahr?«

Bethany nickte.

»Nun, wir haben einen am Schwanz und reiten ihn. Sollte sich das Kriegsglück gegen uns wenden, oder die Ryall sich als flexibler und kampfkräftiger erweisen als unsere Computermodelle vorsehen, könnte es notwendig werden, ihre Heimatsysteme eins nach dem anderen anzugreifen und die Menschenleben zu opfern, die nötig sind, um ihre Verteidigung zu überwinden.«

»Aber man kann mit den Ryall vernünftig reden, Olivia. Ich denke, meine Arbeit mit Varlan beweist, dass sie ihre Instinkte überwinden können.«

»Das ist mir neu, und ich habe die Literatur über den Gegenstand sehr aufmerksam verfolgt. Die meisten Experten scheinen zu denken, dass ein Ryall ungefähr so programmiert ist wie ein Computer, und dass seine Reaktionen genauso automatisch sind.«

»Die so genannten Experten irren sich.«

»Dann ist es bedauerlich, dass sie bei den maßgeblichen Stellen Gehör finden, und Sie nicht.«

Bethany schwieg. Das war es, was ihr keine Ruhe ließ, seit Galston Highe an jenem Abend seinen schrecklichen Vorschlag gemacht hatte. Sie besaß Informationen, die wesentlich für die Kriegsanstrengungen waren, aber niemand hörte auf sie.

Allerdings gab es eine Person, die immer auf sie hören würde ... Sie wusste nur nicht, was er tun konnte, um ihr zu helfen.

Clarence Whitlow war in seinem Garten und pflegte die Rosen, als seine Nichte zu Besuch kam. Seine Freude über ihren Besuch wurde gedämpft, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Er zeigte an, dass sie nicht zu einem harmlosen Plauderstündchen gekommen war. Der alte Mann kannte diesen Ausdruck nur zu gut aus ihrer Jungmädchenzeit und wusste, dass er nichts als Schwierigkeiten bedeutete.

»Onkel«, sagte sie, als er, der auf den Knien seine preiswürdigen Pflanzen gemulcht hatte, mit steifen Bewegungen auf die Beine kam. Die Atmosphäre, in der sie sich umarmten, war heiß und feucht, der natürliche Zustand des Gewächshauses. Um sie her war das leise Summen importierter Bienen zu hören, die er beinahe so liebte wie seine Rosen und sonstigen Gewächse. Die Insekten hatten sich Altas natürlicher Umgebung nie gut anpassen können, und jede Biene seines mit Liebe und Umsicht gehegten Volkes war ihr Gewicht in Gold wert.

»Was führt dich her, Kind?«, fragte er, als sie endlich voneinander abließen – er widerwilliger als sie, wie er spürte.

»Ich habe etwas, das ich mit dir besprechen möchte, Onkel. Bin ich zur Unzeit gekommen?«

Er lächelte. »Ich sehe dich schon so zu selten, da können meine Rosen warten. Komm, gehen wir ins Haus und sprechen bei einer Tasse heißer Schokolade darüber. Ich scheine mich zu erinnern, dass es dein Lieblingsgetränk ist.«

Ihr Lachen klang gezwungen und kam eine Sekunde zu spät.

»Das war es, bis ich anfing aufzugehen wie Hefeteig. Erinnerst du dich, wie ich weinte, als ich nicht in dieses schöne Ballkleid hineinkam, das du mir gekauft hattest?«

»Ich erinnere mich an einen Nottermin bei der Änderungsschneiderin, obwohl ich dachte, es passte gut, wie es war.«

Als erblicher Botschafter der Erde auf Alta hatte Whitlow das Studium der Geschichte zu seiner Lebensaufgabe gemacht – nicht der aufbereiteten Geschichte in Geschichtsbüchern, die Ereignisse und Personen aus der oft verzerrten Perspektive späterer Generationen schilderten, sondern der zeitgenössischen Quellen, die enthüllten, wie die Menschen verschiedener Kulturen das Leben ihrer Zeit und die Welt um sie her betrachtet hatten. War das angesprochene Problem auch nicht Gegenstand seiner geschichtlichen Studien gewesen, so vermutete er doch mit einiger Bestimmtheit, dass junge Mädchen gleich welcher Kultur zu allen Zeiten befürchtet hatten, sie seien zu fett.

Arm in Arm gingen die beiden über die kleine, von Büschen gesäumte Rasenfläche zu dem niedrigen Bungalow hinüber. Das Erwärmen der Milch und die Zubereitung von zwei dampfenden Tassen Schokolade dauerte weitere zehn Minuten. Erst als sie bequem in seiner Essecke mit ihrem Ausblick auf das nahe Colgate-Gebirge saßen, brachte Whitlow das Thema von Bethanys unerwartetem Besuch zur Sprache.

»Was hast du auf dem Herzen, Kind? Du weißt, dass du nie sehr gut darin warst, mir etwas zu verheimlichen.«

Beinahe schluchzend schüttete Bethany ihm das Herz über die Frustrationen des vergangenen Monats aus, beginnend mit Galston Highes Äußerungen bei Evelyn Mortridges Abendgesellschaft bis zu ihrem Gespräch mit Olivia Southington an diesem Morgen. Whitlow hörte ruhig zu und versuchte den Schmerz hinter ihren Worten zu beurteilen. Er musste erheblich sein.

»Also glaubst du, dass du etwas Wichtiges entdeckt hast?«

Sie nickte mit niedergeschlagenem Blick.

»Und was willst du in der Sache unternehmen?«, fragte er freundlich.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Onkel. Ich nehme an, ich sollte meine Ergebnisse aufschreiben und einer der wissenschaftlichen Fachzeitschriften schicken.«

Sein Schnauben bewirkte, dass sie den Kopf hob und ihn ängstlich forschend ansah. Sie war nicht sicher, ob er Atembeschwerden hatte oder lachte. Schließlich entschied sie, dass das Letztere der Fall war. »Was ist daran so lustig?«, fragte sie in verletztem Ton.

»Entschuldige«, sagte er und wischte mit dem schmierigen Ärmel seines Arbeitshemdes Schokolade von seinem Mund.

»Ich dachte, dass ich dich gut kenne, Kind, aber das war das Letzte, was ich von dir zu hören erwartete.«

»Was sonst kann ich tun, Onkel? Niemand in der Regierung wird auf mich hören. Sie alle halten mich für eine Verrückte, die sich in ihr fremdes Schoßtier verliebt hat.«

Whitlow überdachte seine nächsten Worte sorgfältig. »Du glaubst also wirklich, dass mit den Ryall verhandelt werden kann, selbst wenn es am Ende eines Gigawatt-Lasers geschieht?«

»Das glaube ich.«

»Dann musst du etwas unternehmen.«

»Ich weiß das. Aber was?«

»Ich denke, du weißt die Antwort. Richard muss von deiner Theorie und den Folgerungen erfahren, die sich daraus ergeben.«

»Richard? Er kennt meine Ideen schon.«

»Weiß er von deinem neuen Ergebnis?«

»Nein«, sagte sie langsam, als wäre es eine seltsame neue Idee. »Ich nehme an, ich könnte ihm einen Brief schreiben und berichten, was ich gefunden habe.«

»Du meinst, das wird ausreichend sein?«

Sie schwieg einen Moment und sah den Menschen an, zu dem sie um Rat gekommen war, solange ihre Erinnerung zurückreichte – ganz sicher seit jener schrecklichen Nacht, als ihre Eltern bei dem Autounfall getötet worden waren.

»Was willst du damit sagen?«

»Du weißt, was ich meine.«

Bethany zog die Stirn in Falten, dann sah sie ihn mit großen Augen an, als das Verstehen in ihr Gehirn einsickerte. »Du meinst, ich soll ihm die Nachricht persönlich überbringen?«

Er nickte ernst.

»Aber ich kann nicht! Ich habe einen Säugling, um den ich mich kümmern muss.«

»Und du hast eine Information, die wesentlich für die Kriegsanstrengungen ist. Information, die nur persönlich überbracht werden kann ... das heißt, wenn sie zur Grundlage von Entscheidungen und Handlungen gemacht werden soll.«

»Sicherlich erwartest du nicht, dass ich Ritchie mitnehme?«

»Nein, das schlage ich nicht vor.« Er blickte ihr unverwandt ins Auge, und seine Stimme war leise genug, sie zu ängstigen.

»Ich verlange nur, was notwendig ist. Diese Information muss so schnell wie möglich überbracht werden, und du bist die Einzige, die sie überbringen kann.«

»Aber ich kann nicht!«

»Du musst.«

»Eine ... eine Mutter verlässt ihr Baby nicht!«

Clarence Whitlow, der den Handrücken seiner Nichte sanft massiert hatte, richtete sich plötzlich auf und lehnte sich zurück. In seinen Augen war ein Ausdruck von Triumph.

»Da, du hast es selbst gesagt. Gut. Nun können wir zu dem springenden Punkt bei der Sache kommen.«

»Welchem springenden Punkt?«

»Du sagst, du hättest entdeckt, dass die Ryall ihre Instinkte überwinden können, aber du kannst nicht einmal deinen eigenen überwinden.«

»Das ist nicht das Gleiche«, antwortete sie störrisch.

»Es ist genau das Gleiche. Du hast einen überwältigenden Drang, den kleinen Ritchie zu beschützen. Das ist natürlich. Schließlich ist der mütterliche Instinkt das Ergebnis von Millionen Jahren menschlicher Evolution. Während ihrer ganzen Geschichte hat unsere Spezies zwei automatische Reaktionen auf drohende Gefahr gezeigt. Beim ersten Waffengeklirr raffen Frauen die Kinder an sich und rennen in die entgegengesetzte Richtung, während Männer zu ihren Speeren greifen und direkt dem Gefechtslärm entgegeneilen. Dieser Instinkt ist so tief in unsere Gene eingebettet, wie die Fremdenfeindlichkeit der Ryall in ihre Gene eingeprägt ist. Die Frage ist, ob du deinen Instinkt überwinden kannst, um zu tun, was notwendig ist. Was sagt dir dein Herz?«

»Mein Herz sagt mir, dass ich Ritchie nehmen und vom Gefechtslärm davonlaufen soll. Ich möchte ins Bett steigen und mir die Decke über den Kopf ziehen, bis wir in einer vernünftigen Welt aufwachen, wo es keine feindlichen Echsen gibt.«

»Ja, das wäre fein, nicht wahr? Aber das ist natürlich nicht dein Ernst.«

»Nicht?«

»Nein. Was du herausgefunden hast, ist zu wichtig, als dass du dich deiner Pflicht entziehen könntest.«

»Die Pflicht einer Mutter ist, sich um ihr Kind zu kümmern.«

»Ja, das ist richtig. Nichtsdestoweniger ist das Nächstliegende nicht immer das Beste für unsere Kinder. Wenn es das wäre, hätte ich dir dieses Pferd gegeben, das du wolltest.«

»Aber was soll ich mit dem kleinen Ritchie tun, wenn ich in den Krieg ziehe? Wer wird sich um ihn kümmern?«

»Wer würde sich um ihn kümmern, wenn du bei einem Autounfall ums Leben kämst?«, fragte er.

»Du, Onkel? Aber er ist ein Säugling. Ich war zwölf, als ich zu dir kam.«

»Glaubst du, ein Säugling ist schwieriger als ein Jugendlicher?«

Bethany errötete, denn die Bemerkung ihres Onkels weckte Erinnerungen, an die sie lieber nicht denken wollte »Die meisten Männer deines Alters werden nicht Väter, schon gar nicht allein erziehende Väter.«

»Ich werde schon zurecht kommen. Keine Sorge, seine körperlichen Bedürfnisse werden befriedigt. Ich werde eine Kinderschwester mieten, und vielleicht eine Haushälterin. Was Liebe angeht, so kann ich ihm alles geben, was er braucht.«

Bethany zwinkerte und bemerkte, dass das Bild des weißhaarigen alten Mannes verschwamm.

Whitlow schob seinen Sessel über die Dekorfliesen und legte dann beide Arme um die schluchzende Frau, wie er es in der Vergangenheit so viele Male getan hatte. Die Tränen, das wusste er, bedeuteten, dass Bethany ihre Entscheidung getroffen hatte. Es war eine Entscheidung, die ihm keine Freude machte und Bethany schmerzen musste. Es war jedoch die richtige Entscheidung.

Unter den Umständen war es sogar die einzige Entscheidung.