66
Richard Drake hatte gerade seinen Dienst beendet und stand unter der Dusche, als an Bord der Conqueror II die Alarmsignale ertönten. Fluchend fuhr er mit den noch nassen Beinen in seine Borduniform und fummelte hastig an den Verschlüssen; dann die Stiefel an die Füße und aus der Kajüte in den Gang und Hand über Hand zur Flotteneinsatzleitung.
»Lagemeldung!«, befahl er, noch während er sich anschnallte. Der Platz des Admirals mit seinen Bildschirmen und Kommunikationsanschlüssen wurde einfach nur »Der Tank« genannt; von hier aus konnte er direkt mit jedem Schiff im Kommunikationsbereich Verbindung aufnehmen.
»Die Ryall sondieren den Faltpunkt Darthan«, meldete Lieutenant Commander Parkinson, sein Stabschef, über die Befehlsschaltung. »Wir haben mehrere Dutzend Fahrzeuge gleichzeitig registriert, die nach dem Durchbruch sofort Raketengeschosse in alle Richtungen spuckten. Die Minen brachten ihnen einige Verluste bei, und wir erwiderten das Feuer. Darauf verschwanden die Überlebenden wieder.«
Drake nickte. »Ein Aufklärungsunternehmen. Haben Sie Schäden angerichtet?«
»Sie landeten einen Zufallstreffer. Der sandarische leichte Kreuzer Queen Julia wurde getroffen. Verlustmeldungen liegen noch nicht vor.«
»Verdammt!«
»Es hat begonnen, Admiral.«
»Sieht so aus. Unterrichten Sie alle Schiffe und alle Kampfgruppen von der Aktion. Sagen Sie ihnen, sie sollen nach Anzeichen koordinierter Angriffe Ausschau halten. Die Ryall könnten ein Kommunikationssystem haben, von dem wir nichts wissen. Verbinden Sie mich mit Admiral Gower. Wie ist die Zeitverzögerung zwischen hier und dem Faltpunkt Darthan?«
»Zwanzig Sekunden in jeder Richtung, Sir.«
»Das ist langsam, aber zu ertragen. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie ihn haben. Verwenden sie den Antwortcode ›Wenn taktische Situation es erlaubte‹ Wir wollen ihm nicht in einem kritischen Moment einen Rippenstoß versetzen.«
»Ja, Sir.«
Es dauerte zwei Minuten, aber schließlich blickte das Gesicht des sandarischen Admirals aus einem Bildschirm.
»Was gibt es, Sergej? Melden Sie.«
»Nun, achtundvierzig Raumfahrzeuge erschienen im Faltpunkt, Admiral. Wir zerstörten siebenunddreißig, bevor sie ihre Generatoren aufluden und die Flucht ergriffen. Sie spuckten Geschosse und Laserfeuer in alle Richtungen, solange sie Gelegenheit dazu hatten. Einer unserer Kreuzer wurde getroffen. Das Schiff sendet nicht mehr, also haben wir keine Information über Schäden. Radar und visuelle Sensoren zeigen an, dass Queen Julia noch da ist, aber ziemlich übel zugerichtet.«
Als Gower schwieg, sagte Drake: »Tut mir leid, das zu hören, Sergej. Trotzdem, es war unvermeidlich, dass wir Verluste würden hinnehmen müssen. Warum das lange Gesicht?«
Pause. Als der sandarische Admiral sich abermals meldete, sah Drake ihm an, dass ihn etwas quälte. »Der Kapitän der Queen Julia erkrankte. Ich habe das Kommando dem Kronprinzen übergeben. Er verließ uns hier eine Stunde vor dem Angriff und sollte ungefähr zu der Zeit, als es Queen Julia erwischt hat, an Bord eintreffen.«
Drake hatte Mühe, seine Reaktion unter Kontrolle zu halten. Der Gedanke an Phillip Walkirk machte ihn frösteln. Aber er hatte keine Zeit, sich zu grämen. Dringendere Angelegenheiten verlangten nach seiner Aufmerksamkeit.
»Tun Sie für dieses Schiff, was Sie können, Sergej, aber verstärken Sie zuerst Ihre Abwehrkräfte. Wenn das ein Aufklärungsvorstoß war, wird wahrscheinlich ein Großangriff folgen.«
»Jawohl, Sir.«
Der Bildschirm wurde dunkel, und Drake wandte sich wieder seiner Hauptaufgabe zu, nämlich sich Sorgen zu machen. Da der meiste Widerstand am Faltpunkt Darthan zu erwarten war, hatte er die Reserve näher an diesem Faltpunkt als an den anderen stationiert. Trotzdem dauerte es bei einer Entfernung von sechs Millionen Kilometern zu lange, um auf Veränderungen der taktischen Lage zu reagieren. Wenn er Gower verstärken musste, würde die Reserve zwei Tage benötigen, um an Ort und Stelle zu gelangen, und es war genauso gut möglich, dass sie anderswo würde eingesetzt werden müssen.
Deshalb mussten die siebzig Schiffe der Kampfgruppe Darthan abwehren, was immer die Ryall ihnen entgegen werfen würden. Die Reserve konnte vorerst nicht mehr tun, als Feindschiffe abzufangen, denen es gelang, die Sperre am Faltpunkt zu durchbrechen.
Das Kurierboot bekam einen Stoß wie von einer Sturmbö und legte sich nach Backbord über. Ein Hagelschlag von Splittern oder Trümmerstücken prasselte gegen den Rumpf, und die Korrekturtriebwerke schalteten sich selbsttätig ein, um die plötzlich ausgelöste Rotation um die Schiffsachse zum Stillstand zu bringen. In der Pilotenkanzel bemühten sich drei von der plötzlichen Explosion geblendete Augenpaare, etwas zu sehen.
Was immer es gewesen war, es hatte nicht viel gefehlt. Zum Glück hatte die Strahlung reflektierende Beschichtung der Panzerglasscheibe ihre Funktion erfüllt. Innerhalb von tausendstel Sekunden war die vollkommen klare Windschutzscheibe fast undurchsichtig geworden. So schnell sie reagiert hatte, die plötzliche Änderung war nicht schnell genug gewesen, um einen stechenden Schmerz in ihren Sehnerven zu verhindern.
»Das wäre fast ins Auge gegangen«, meinte der Pilot kaltblütig. »Was ist passiert?«
» Queen Julia wurde getroffen«, antwortete Phillip. Er zwinkerte heftig, um die Augen klar zu bekommen. Große Tränen bildeten sich in den Augenwinkeln, was die Sehfähigkeit nicht verbesserte. »Entweder das, oder knapp daneben. Gehen Sie auf Sendung und erkundigen Sie sich, wie schlimm es ist.«
Die Kopilotin drückte Knöpfe an der Sendeanlage und suchte die Flottenfrequenzen ab, soweit sie nicht vom Rauschen des Doppelsterns eine halbe Milliarde Kilometer unter ihnen überlagert waren.
»Nichts, Hoheit. Befehle von der Flotte, den Verteidigungsring um den Faltraum einzuengen, aber nichts von Queen Julia.«
»Verstehe ... wie heißen Sie?«
»Ich bin Lieutenant Osmond Delson, Sir. Dies ist Fähnrich Tamara Mason.«
»Also, Delson, halten Sie das Boot ruhig und bleiben Sie auf Kurs. Mason und ich werden unsere Anzüge anlegen. Wenn wir fertig sind, wird Fähnrich Mason Sie ablösen, damit Sie in Ihren Anzug steigen können. Ich möchte, dass wir in drei Minuten fertig und vakuumdicht sind. Danach werden wir an mein Schiff herangehen und nach Überlebenden suchen. Fragen?«
Es gab keine. Phillips Befehlston sorgte dafür, dass es keine geben würde. Es war ein Tonfall, den er von seinem Vater gelernt hatte und der durch lange Dienstjahre in der Marine noch verstärkt worden war. Wenn ringsum alles brennt, ist es wichtig, dass der diensthabende Offizier sich anhört, als wüsste er, was er tut. Wenn er auch weiß, was er tut, umso besser!
Phillip und Fähnrich Mason zogen sich durch die rückwärtige Luke, Phillip zu dem Platz, wo sein Schutzanzug wie ein zahlender Passagier angeschnallt lag, unbekümmert um die jüngste Aufregung. Er löste die Schnallen, öffnete den Anzug, um hineinzusteigen, doch der Anzug schwebte in seinen Händen aufwärts, so dass er mit dem Fuß nicht hineinsteigen konnte.
Einen Vakuum-Schutzanzug in Schwerelosigkeit anzulegen ist fast unmöglich, wenn der Anzug nicht festgehalten wird. Trotzdem rang er damit, war aber noch nicht zum Ziel gekommen, als Fähnrich Mason, schon in ihrem Schutzanzug, von hinten kam und den Anzug hielt, während er die Füße in die metallenen Gelenkbeine steckte. Als er den Anzug geschlossen und Druckausgleich hergestellt hatte, schaltete er mit dem Kinn den Helmlautsprecher ein und sagte: »Danke.«
»Nicht der Rede wert, Hoheit.« Sie glitt an ihm vorbei und verschwand in der Pilotenkanzel. Ein paar Sekunden später erschien Lieutenant Delson und sauste zum Kleiderspind des Kurierbootes. Bereits eine Minute später war er wieder da, komplett in Schutzanzug und Helm.
»Was nun, Sir?«
»Wir gehen ganz langsam näher, für den Fall, dass die Abwehr noch intakt sein sollte. Die Leute dort müssen einen ziemlichen Schrecken bekommen haben, und wir wissen nicht, wie sie eingestellt sind.«
»Richtig.«
Delson verschwand nach vorn und ließ Phillip im Passagierabteil. Er wäre dem Piloten gern gefolgt, aber dies war ein Zeitpunkt, wo die Bestimmungen beachtet werden mussten. Die Pilotenkanzel war zu klein für drei Personen in Schutzanzügen, und es wäre nicht hilfreich, wenn er seine Chauffeure während der Annäherung behinderte.
Vor allem wollte er zu seinem Schiff, vorausgesetzt, dass er noch eins hatte. Kaum eine Stunde hatte er sein eigenes Kommando, und schon war es abgeschossen. »Kein gutes Omen«, würde seine Mutter sagen.
Masons Stimme drang aus seinen Kopfhörern. »Keine Anzeichen, dass die Verteidigung aktiv ist, Hoheit.«
»Dann bringen Sie uns längsseits. Wie sieht das Schiff aus?«, fragte er. Das Passagierabteil war fensterlos, und der ins vordere Schott eingelassene Bildschirm brachte das Schiff nicht ins Bild, als er ihn aktivierte.
»Schlecht, Sir. Der Bug ist eingedrückt. Wir können große Risse in der Außenverkleidung sehen. Einige Tote treiben frei im Raum.«
»In Schutzanzügen?«
»Nein, Sir.«
Er nickte. Da niemand wusste, wie lange sie auf das Erscheinen der Ryall würden warten müssen, hatte die Kampfgruppe bald nach der Einschließung des Faltpunktes die Alarmstufe auf Gelb zurückgestuft. Das bedeutete, dass die Leute nicht in den unbequemen, unförmigen Schutzanzügen stecken mussten. Es bedeutete allerdings auch, dass es höhere Verluste geben würde, wenn der Angriff überraschend erfolgte. Diese Besatzungsmitglieder der Queen Julia, die nun tot im Vakuum trieben, würden wahrscheinlich die Unbequemlichkeit vorgezogen haben.
Das einzig Gute an dieser Situation war, dass gegenwärtig kaum noch jemand in der Kampfgruppe es sich in Hemdsärmeln gemütlich machen würde.
Irgendwo über seinem Kopf gab es eine Serie von Rülpsern der Korrekturtriebwerke, ein leichtes Ziehen künstlicher Schwerkraft, dann verkündete Delson: »Wir sind längsseits, Sir.«
»Wo längsseits?«
»Ladeluke Sechs. Sie sah am wenigsten beschädigt aus.«
»Sehr gut, machen Sie das Boot an der Queen Julia fest, und dann kommen Sie beide zurück hierher, um mich zu unterstützen. Wo sind die Ausrüstungen für Erste Hilfe?«
»Im zweiten Wandschrank achtern von der Luftschleuse, Sir.«
»Gut. Dann also los.«
Die enge Luftschleuse des Kurierbootes öffnete sich lautlos, sobald sie die Luft hineingelassen hatten. Zu dritt hatten sie kaum genug Platz, und noch weniger, wenn ihre Anzüge sich mit dem Absinken des Luftdrucks aufblähten. Sobald die Tür sich öffnete, wurde Phillips Visierscheibe automatisch dunkel. Das Sonnenlicht im Doppelsternsystem Spica hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit dem eines Lichtbogenschweißgeräts. Es schmerzte in den Augen, obwohl sie durch Lichtfilter geschützt waren. Einen Meter vor ihm war die Ladeluke, umgeben von den gelben und schwarzen Streifen, die ihre Funktion verdeutlichten. Mit einem flauen Gefühl im Magen und dem Geschmack von Galle im Mund streckte Phillip seinen geschützten Arm aus und drückte das Schalterfeld rechts von der Tür. Zu seiner Überraschung wechselte die Farbe von Grün auf Bernsteingelb und zeigte an, dass das Schloss funktionierte.
»Ein gutes Zeichen. Es ist in Ordnung.«
Eine Minute später schwang die äußere Tür der Ladeluke auf und gab den Blick auf das Innere der großen Luftschleuse frei. Auch hier sah alles normal aus.
»Kommen Sie, gehen wir hinein«, sagte Phillip. Er und seine zwei Begleiter schwebten aus der Schleuse des Kurierbootes in die größere des Kreuzers. Lieutenant Delson drückte die Innensteuerung, und die Tür schloss sich so leise, wie sie sich geöffnet hatte. Alles geschah in völliger Stille, bis ein plötzlicher Luftzug ihre Anzüge traf und das Anzeigelicht von Bernsteingelb wieder zu Grün wechselte. Die innere Luftschleusentür öffnete sich von selbst.
Im Schiff war Luft. Das war offensichtlich, als sie sich von dichtem rauchigen Dunst umgeben sahen. In Schwerelosigkeit erfüllt Rauch das gesamte ihm zugängliche Volumen. Der Rauch zeigte keine Tendenz, eine Schicht zu bilden. Innerhalb der Luftschleuse trieben zwei Gestalten, die offenbar tot waren. Ein Dritter wand sich in Schmerzen. Über dem blutigen Knie seines Bordanzugs hatte sich das gezackte weiße Ende seines gebrochenen Oberschenkelknochens durch den Stoff gebohrt.
»Mason, geben Sie ihm Beruhigungsmittel!«
»Ja, Hoheit.«
»Delson, Sie kommen mit.«
Die beiden zogen sich weiter zu dem Durchgang, der von vorn nach achtern das Schiff durchzog. Sie kamen nicht sehr weit nach vorn, bevor sie auf eine geschlossene Stahltür im Querschott stießen. Eine Überprüfung der Anzeige ergab, dass auf der anderen Seite keine Luft war.
»Was nun, Sir?«
»Wir gehen nach achtern, um zu sehen, ob wir Überlebende finden. Dann sehen wir, was wir tun können, um dieses Schiff aus der Gefechtslinie zu ziehen. Wir würden eine gute Zielscheibe abgeben, wenn die Ryall erneut angreifen.«
»Was ist mit der Notzentrale achtern? Die könnte in Ordnung sein.«
»Gehen Sie voraus.«
Phillip folgte dem Piloten durch den nur von Notbeleuchtung erhellten Gang. Da und dort sahen sie Gestalten, die sich durch den Dunst abzweigender Gänge bewegten. Als sie an der breiten Schiebetür zu den Maschinenanlagen vorbeikamen, steckte Phillip den Kopf hinein. Im Maschinenraum standen kleine Gruppen von Männern in Schutzanzügen, deren Helme an Sicherungsschnüren baumelten. Sie arbeiteten an den Maschinen, versuchten sie wieder betriebsbereit zu machen. Endlich erreichten sie die Notzentrale achtern. Dort trafen sie ein halbes Dutzend Besatzungsmitglieder. Ein paar überwachten die Aufzeichnungen der Sensoren, die übrigen arbeiteten fieberhaft an anderen Geräten, die anscheinend ausgefallen waren.
»Wer hat hier den Befehl?«, fragte er über den Helmlautsprecher.
Ein müde aussehender Lieutenant richtete sich auf, wandte den Kopf und sagte: »Ich. Wer sind Sie?«
»Commander Phillip Walkirk, neu ernannter Kommandant.«
»Oh, entschuldigen Sie, Hoheit. Ich erkannte Sie nicht in dem Anzug. Ich bin Harvey Weintraub, Zweiter Offizier und bis zu Ihrer Ankunft vorübergehend kommandierender Offizier.«
»Was ist hier passiert?«
»Wir bekamen einen Treffer, Sir. Gerade noch schossen wir Ryall-Schiffe in unserem Verantwortungssektor ab, und einen Augenblick später kam das Deck hoch und schlug mir ins Gesicht. Ich fürchte, danach dauerte es eine Weile, bis ich wieder zu mir kam.«
»Was machten Sie hier in der Notzentrale?«
»Der Captain verließ die Krankenstation, sobald der Alarm losging, Sir. Er schickte mich hierher und übernahm selbst die Kampfführung an Bord, bis ... bis ...«
»Schon gut.« Es war offensichtlich, dass der Lieutenant den Schock noch nicht ganz überwunden hatte. In Anbetracht dessen, was er durchgemacht und wie viele Freunde er gerade verloren hatte, konnte Phillip es ihm nicht zum Vorwurf machen. »Wie viele Überlebende?«
»Ich – ich weiß es nicht genau, Sir.«
»Meinen Sie nicht, dass wir es feststellen müssen?«
»Ah, ja, Sir. Ich hatte nur noch nicht die Zeit. Ich dachte, es sei wichtig, dass wir wieder auf Sendung gehen und das Flottenkommando verständigen können. Sie verstehen, Sir.«
»Ich verstehe vollkommen. Welche von diesen Männern sind am ehesten abkömmlich?«
»Garnet und Aviola, Sir.«
»Gut. Garnet, Aviola, Sie gehen mit Lieutenant Delson und suchen Fähnrich Mason, die wir in der Luftschleuse von Ladeluke Sechs zurückgelassen haben. Zu viert durchkämmen Sie dann jeden Teil dieses Schiffes, der Luft enthält. Sagen Sie allen, die Sie finden, dass sie sich hier bei uns in der Notzentrale melden sollen. Dann stellt einer von Ihnen fest, wie viele Leute in den Maschinenräumen sind. Sie scheinen dort drinnen organisiert zu sein.«
»Ja, Sir.«
»Gut. Wegtreten. Lieutenant Weintraub, wir werden zusehen, dass wir den Sender wieder betriebsbereit machen. Admiral Gower muss wissen, dass wir hier nicht alle tot sind.«
»Commander Walkirk von Queen Julia für Sie, Admiral.«
»Stellen Sie ihn durch!«
Sergej Gower schickte ein kurzes Dankgebet zu den Göttern, die über die Schlachtfelder des Raumes herrschten. Er verstand die Notwendigkeit, dass der Thronfolger sein Leben wie jeder andere Angehörige der Marine riskieren musste, aber er war eben nicht irgendeiner. Gower fürchtete nichts mehr als eine Trauernachricht an Seine Majestät abfassen zu müssen, nicht einmal die Ryall-Flotte, die sich bald auf sie stürzen würde.
»Hoheit, Sie sind am Leben!«, platzte er heraus, als Phillips von Empfangsstörungen gesprenkeltes Gesicht auf seinem Bildschirm erschien.
»Ja, Sir. Wir näherten uns dem Schiff, als es getroffen wurde. Abgesehen von ein paar hartnäckigen Punkten, die mir vor den Augen tanzten, blieb ich unverletzt.«
»Nicht einmal eine Überdosis Strahlung?«
»Nein, Sir. Wir haben unsere persönlichen Ablesungen überprüft. Sie sind innerhalb des Sicherheitsbereichs. Ich brauchte heute nicht einmal meine Bleiunterwäsche zu tragen.«
»Wie sieht es mit dem Schiff aus?«
»Schlecht, Sir. Es ist vorwärts von Schott 15 ohne Luft und dem Raum ausgesetzt. Kapitän und Brückenmannschaft sind alle tot. Wir haben 65 Überlebende, von denen 40 noch einsatzfähig sind. Die anderen leiden unter Verbrennungen, Knochenbrüchen und Gehirnerschütterungen. Der Bordarzt, der glücklicherweise zu den Überlebenden zählt, äußerte mir gegenüber, dass die meisten von ihnen überleben können. Der Zweite Offizier ist gleichfalls am Leben und hilft mir jetzt, die Lage unter Kontrolle zu bringen.«
»Können Sie kämpfen?«
»Nein, Sir. Die Feuerleitzentrale ist zerstört. Die meisten unserer Raketenabschussanlagen sind durch Treffereinwirkung verzogen und nicht mehr ausgerichtet, und wir haben nur noch zwei funktionsfähige Laser. Maschinen und Triebwerke sind größtenteils wieder betriebsfähig, und wir können mit vielleicht einem Viertel g manövrieren. Erbitte Erlaubnis, dieses Wrack aus der Gefechtslinie zu ziehen, da es ein Navigationshindernis ist.«
»Erlaubnis gewährt, Commander. Benötigen Sie Hilfe vom Rest der Flotte?«
»Gegenwärtig nicht, Sir. Wir werden das Reparaturschiff Brandywine ansteuern und sehen, ob man uns dort so weit zusammenflicken kann, dass wir wieder operationsfähig werden. Sobald wir den Rumpf abdichten können, sollte es möglich sein, eine nützliche Aufgabe zu übernehmen, zum Beispiel die Postbeförderung ... jedenfalls die leichteren Pakete.«
»In Ordnung, Commander. Ziehen Sie sich von der Verteidigungslinie um den Faltpunkt ein gutes Stück zurück. Wir wollen nicht irrtümlich Raketen auf Sie verschwenden. Sie kosten Geld, wissen Sie. Viel Glück, und melden Sie sich periodisch. Denken Sie auch daran, dass ich Seiner Majestät noch immer für Ihre Sicherheit persönlich verantwortlich bin.«
»Jawohl, Sir.«
Der Bildschirm wurde dunkel, und Gower drückte eine Verbindung mit seinem Nachrichtenoffizier. »Senden Sie eine Blitzmeldung zu den beiden Schiffen, die Queen Julia flankieren. Sie zieht sich zurück und hinterlässt eine Lücke in der Verteidigung. Die beiden sollen die Lücke schließen und den Quadranten zusätzlich übernehmen.«
»Jawohl, Sir, verstanden.«
Gower ließ sich zurücksinken und atmete erleichtert auf. Eine drückende Sorge weniger! Den beschädigten Kreuzer wieder in den Dienst zu stellen konnte Wochen dauern, selbst mit der Hilfe eines Reparaturschiffes. Es war gut für den jungen Prinzen, lehrte ihn den Wert harter Arbeit und hielt ihn vor allem einstweilen vom Kampfgeschehen fern.
Gower wandte sich wieder der Analyse des Ryall-Angriffs zu. Er hoffte, dass er durch das Studium der feindlichen Taktik imstande sein könnte, ihren nächsten Versuch vorauszusagen. Erst als eine Antimateriemine im Zentrum des Faltpunktes detoniert war, hatte die versammelte Kampfgruppe bemerkt, dass der Feind sich in ihrer Mitte befand. Anscheinend war eines der feindlichen Schiffe beim Durchbruch beinahe unmittelbar auf die Mine gestoßen und hatte die Explosion schneller ausgelöst, als die Radarsignale von den Zielen zurückkehren konnten, die eine Hundertstelsekunde vorher noch nicht da gewesen waren.
Vier Dutzend Kampfschiffe der Ryall waren gleichzeitig im Faltpunkt erschienen und hatten sofort in alle Richtungen das Feuer eröffnet. Sie hatten Raketengeschosse so schnell abgefeuert, dass sie, wie Gower vermutete, nicht einmal für ein Ziel vorprogrammiert worden waren. Sie hatten das Volumen des Faltpunktes einfach mit Feuer eindecken wollen, bevor die Waffenträger zerstört werden konnten, und sich auf die Zielsuchfähigkeit der Raketengeschosse verlassen, menschliche Schiffe anzusteuern und zu vernichten. In einem Fall hatte diese Taktik gewirkt.
Wie die Wiedergabe des kurzen einseitigen Gefechts erkennen ließ, waren die Eindringlinge keine großen Schiffe gewesen. Gower schätzte, dass sie alle ungefähr von der Größe seiner Zerstörer oder kleiner gewesen waren. Wie er zur Zeit des Geschehens diagnostiziert hatte, hatte es sich nicht um einen ernsthaften Versuch gehandelt, den Faltpunkt zu durchbrechen. Nein, dies war bewaffnete Aufklärung gewesen, ein Versuch, festzustellen, in welchem Umfang die menschliche Flotte den Faltpunkt befestigt hatte.
Sie hatten ihre Antwort zum Preis von drei Vierteln der eingesetzten Kräfte bekommen, dabei aber eine Menge gelernt. Vermutlich waren die Überlebenden in der Lage, die Zahl der Blockadeschiffe festzustellen und ihre Typen einzuschätzen. Sie wussten von den Antimaterieminen und konnten vielleicht eine Gegenmaßnahme ergreifen. Vor allem aber wussten sie jetzt, dass die Berichte über eine menschliche Invasion des Spica-Systems zutreffend waren. Nun konnten sie nicht mehr die Augen vor der tödlichen Gefahr verschließen, die ihrer Zivilisation durch die Besetzung des Systems Spica drohte. Das Wissen, dass sie nur begrenzte Zeit hatten, Spica zurückzugewinnen, würde ihnen Anlass geben, ihre Anstrengungen und Angriffe zu verdoppeln. Sie mussten Gowers Kampfgruppe aus dem Faltpunkt werfen, bevor die Menschheit Zeit hatte, Verstärkungen heranzuführen, was bedeutete, dass der Hauptangriff nicht lange auf sich warten lassen würde.
Und so war es. Noch als die Überlegung ihm durch den Kopf ging, meldete sich sein Nachrichtenoffizier mit einer dringenden Warnung. »Etwas geschieht im Faltpunkt, Admiral.«
»Was?«
»Wir haben einen einzigen Bogey. Groß. Er erschien gerade eben. Zwei Minen haben ihn angegriffen und wurden zerstört.«
»Benachrichtigen Sie alle Schiffe! Sie sollen den Faltpunkt unter Feuer nehmen. Raketen mit Zielsuchköpfen. Strahlungswaffen in Feuerbereitschaft. Und bringen Sie den Bogey auf den großen Bildschirm.«
Die Ansicht, die gleich darauf erschien, zeigte nur Schwärze. Gower konnte nichts sehen. Dann erschien ein heller Lichtpunkt an der Stelle, wo der Bogey vom Radar erfasst worden war. Das Licht explodierte zu einer sphärischen Schale von reinem Sonnenlicht. Es weitete sich immer mehr aus, bis es eine unmögliche Größe erreichte. Die Zeit verlangsamte beinahe zum Stillstand, als Gower beobachtete, wie die Druckwelle auf seine Schiffe zuraste. In einem Augenblick, der wie eine Ewigkeit schien, verblasste die strahlende Sphäre und löste sich auf, bevor sie die Schiffe der Kampfgruppe erreichte. Gower hatte diese Taktik schon früher gesehen. Er wusste, was als Nächstes kam!