40
Die Bogenlampen im großen Hangar der Discovery übergossen das Landungsboot Molière mit einem grellen, bläulich weißen Glanz, als Professor Alvarez und Bethany Lindquist am nächsten Morgen für den anderthalbstündigen Flug hinunter nach Corlis an Bord gingen. Bethany war ein wenig verkatert und müde, aber ansonsten zufrieden; sie hatte Drake erst in den frühen Morgenstunden verlassen. Gähnend folgte sie Professor Alvarez an Bord des Landungsbootes. Kaum hatte sie sich in einem der Liegesitze angeschnallt und ausgestreckt, als sie auch schon einschlief.
Einige Zeit später erwachte sie von heftigen Stößen und dem schrillen Pfeifen der am Rumpf vorbeisausenden Luft. Sie sperrte erschrocken die Augen auf und wandte sich an Alvarez, der zum Fenster hinausschaute und das Spiel der Plasmaströme um die Tragfläche beobachtete.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie.
»Vierzig Minuten«, antwortete er. »Wir sind gerade in die Atmosphäre eingetreten.«
Sie überlegte, ob sie weiterschlafen sollte, besann sich dann eines Besseren und sah schweigend zu, wie das Landungsboot hundert Kilometer über der Oberfläche des jungfräulichen Planeten die Nacht durchschnitt. Mit Ausnahme einiger Buschfeuer, die in der Ferne brannten, und den Funken von Blitzentladungen war die Nachthälfte des Planeten schwarz. Eine halbe Stunde später überquerten sie den Terminator, und die Landschaft nahm eine bräunliche und gelbliche Tönung an.
»Eine ziemlich große Wüste«, bemerkte Alvarez.
Bethany nickte. Ihre Geschwindigkeit war so hoch, dass die Wüste rasch zurückblieb und von einem weiten Ozean abgelöst wurde. Zehn Minuten lang überflogen sie das Azurblau tiefen Wassers, bevor wieder eine Landmasse in Sicht kam. Diese war bedeckt von dichten Wäldern mit blaugrüner Vegetation. Fasziniert beobachtete Bethany, wie unter ihnen immer mehr Einzelheiten erkennbar wurden, während die Maschine rasch tiefer ging.
Sie durchstießen dünne Wolkenschleier und gelangten schließlich zu ihrem Ziel. Bethany konnte nur einen flüchtigen Blick auf die Ryall-Installation werfen, bevor das Landungsboot in einen niedrigen Schwebeflug überging und die Vertikaldüsen gewaltige Staubwolken aufwirbelten, die alles jenseits der Fenster einhüllten. Der kurze Blick auf die Anlage hatte nur einen unbestimmten Eindruck von barackenartigen Langhäusern, Fördertürmen und kastenartigen Fabrikgebäuden hinterlassen, durch deren halboffene Seitenwände aus Rahmenwerk diverse Maschinerien zu sehen waren.
Das Boot hatte kaum aufgesetzt, als das Dutzend Passagiere sich losschnallte und begann, das Gepäck aus den Fächern über den Sitzreihen zu ziehen. Bethany stand auf und schob sich zwischen Professor Alvarez und den breiten Rücken eines Gefreiten vom sandarischen Marinekorps. Während sie warteten, dass der Ausstieg geöffnet wurde, sah sie durch die Fenster lebhafte Aktivität auf der anderen Seite des Landeplatzes.
»Was geht vor?«, fragte sie laut. »Wozu all die Landungsboote und Raumtransporter?«
Der Gefreite bückte sich und spähte zu den Fenstern hinaus.
»Das sind Boote der Saskatoon, Madam. Wir haben Befehl, unsere Panzerfahrzeuge und schweren Waffen so rasch wie möglich wieder an Bord zu bringen. Es heißt, dass wir bereit sein müssen, diese Welt Hals über Kopf zu verlassen, falls ein Ryall-Kriegsschiff durch den zweiten Faltpunkt kommt.«
»Das leuchtet ein«, meinte Bethany. Ihre Frage war mehr rhetorisch gewesen. Hätte sie darüber nachgedacht, so hätte sie selbst darauf kommen müssen, dass die Boote der Saskatoon um diese Zeit mit dem Rücktransport von Waffen und Mannschaften beginnen würden. Sie war dabei gewesen, als Richard Drake dem Captain der Saskatoon befohlen hatte, die schwere Ausrüstung der Marinesoldaten zu verladen und zurückzubringen.
»Ja, das leuchtet ein, Madam. Aber die anderen Befehle ...«
Sie unterdrückte mit nur teilweisem Erfolg ein Gähnen.
»Welche anderen Befehle?«
»Die Befehle, hier aufzuräumen, Madam. Der größte Unsinn, den ich je gehört habe. Wir sollen alles einsammeln, was wir mitgebracht haben, wirklich alles! Abfälle, leere Konserven, Munitionskästen, verschossene Patronenhülsen, aufgebrauchte Batterien. Es sind sogar Aufräumungstrupps draußen, die unsere Fahrzeugspuren und Fußabdrücke im Busch verwischen! Man könnte meinen, der König selbst käme zum Sonntagmorgenappell! Können Sie sich einen Reim darauf machen?«
»So ist es eben beim Militär«, erwiderte Bethany. »Ich habe mir sagen lassen, dass man meistens nicht weiß, warum man dies oder das tun soll.«
»Verdammt richtig! So ist es.«
Tatsächlich hatte der Aufräumungsbefehl seinen Ursprung in derselben Zusammenkunft, wo entschieden worden war, mit der Wiedereinschiffung zu beginnen. Die Hoffnung an Bord der Discovery war, dass sie alle Spuren menschlicher Anwesenheit auslöschen könnten. Gelang ihnen dies, und konnte die Flotte anschließend das System verlassen, bevor das nächste Ryall-Schiff eintraf, würden die Zentauren ein Rätsel zu lösen, aber keine schlüssigen Beweise haben, dass Menschen so tief in ihre Hegemonie eingedrungen waren. In Bethanys Ohren knackte es, als der Innendruck des Landungsbootes dem der äußeren Atmosphäre angeglichen wurde. Am vorderen Ende der Passagierkabine wurde die Tür zur Luftschleuse langsam nach innen geöffnet, und eine Wolke staubbeladener Luft drang ein.
Draußen wurden Bethany und Professor Alvarez von einem sandarischen Lieutenant erwartet, der sie zum Hauptquartier der Marinesoldaten führte. Sie gingen einen aus dem anstehenden Fels geschnittenen Weg entlang auf ein großes Gebäude mit einem Kuppeldach zu. Der Lieutenant führte sie durch einen Säuleneingang zu einer mit einem Fell verhängten Türöffnung. Daneben war ein handgeschriebenes Schild angebracht:
COLONEL O. C. VALDIS, KOS, OBV
KOMMANDIERENDER OFFIZIER33. REGIMENT, 6. DIVISION
KÖNIGLICH SANDARISCHES MARINEKORPSVOR DEM EINTRETEN BITTE KLOPFEN!
Der Lieutenant klopfte zweimal an den Türrahmen, wartete, bis die Aufforderung kam, und hob dann das Tierfell, um die Besucher einzulassen.
Colonel Valdis war ein hoch gewachsener grauhaariger Mann mit dem schlanken, trainierten Körper eines Berufssoldaten und einer eindrucksvollen Serie von Gesichtsnarben. Er erhob sich von dem behelfsmäßigen Schreibtisch, auf dem er einen tragbaren Datenanschluss installiert hatte, und schritt auf Bethany und Professor Alvarez zu. Er beugte sich über Bethanys ausgestreckte Hand. »Es freut mich, Sie bei uns zu haben, Miss Lindquist.«
»Und ich freue mich, hier zu sein, Colonel. Ich hatte die Hoffnung, meine Füße wieder auf festen Boden setzen zu können, schon beinahe aufgegeben.«
Der Colonel lachte. »Sie sprechen mir aus dem Herzen! Ich hoffe, wir können Ihren Aufenthalt hier zu einem unvergesslichen Erlebnis machen.« Darauf wandte er sich an Professor Alvarez und salutierte. »Willkommen, Professor. Wenn es etwas gibt, das ich für Sie tun kann, zögern Sie bitte nicht, mich zu fragen.«
»Ich brauche nur jemanden, der mir diese Rechenanlage zeigt, Colonel, die Sie erbeutet haben.«
»Und Sie, Miss Lindquist?«, fragte Valdis.
»Hat Captain Drake Sie verständigt, dass ich eine der Gefangenen vernehmen soll?«
»Ja, Madam, obwohl mir nicht ganz klar ist, warum Sie das auf sich nehmen wollen.«
»Seit wir von der Existenz der Ryall erfuhren«, sagte Bethany, »habe ich sie zum Gegenstand meiner Studien gemacht. Leider war es mir bisher verwehrt, persönlich mit einem lebenden Ryall zusammenzukommen.«
»Es wird einige Zeit dauern, das Zusammentreffen zu arrangieren, Miss Lindquist. Meine eigenen
Vernehmungsspezialisten benutzen die Geräte gegenwärtig, und es ist wichtig, dass wir die einzelnen Aussagen aufzeichnen, bevor die Gefangenen Zeit haben, sich auf eine erfundene Version zu einigen.«
»Ich habe es nicht eilig, Colonel. Einfach irgendwann, bevor wir an Bord zurückkehren müssen.«
»Verstehe. Lieutenant Harreck!«
Der Lieutenant, der sie vom Landeplatz hergeführt hatte, kam herein.
»Bitte zeigen Sie unseren Gästen ihren Arbeitsbereich und erläutern Sie ihnen die Bestimmungen, denen unsere Besetzung unterliegt.«
»Ja, Sir.«
»Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Miss Lindquist. Auch Sie, Professor Alvarez. Lieutenant Harreck wird Ihnen Ihren Arbeitsbereich zeigen und Quartiere für Sie bereitstellen.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Colonel.«
»Es ist mir ein Vergnügen. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen, ich muss die Evakuierung leiten.«
Die erbeutete Rechenanlage erwies sich als ein ziemlich typisches Beispiel für die informationsverarbeitende Technik der Zentauren. Aber auch so, und trotz Professor Alvarez' Annahme, dass die Verarbeitung der Navigationsdaten relativ einfach zu bewerkstelligen sei, tauchten beinahe sofort Schwierigkeiten auf. Das erste Problem betraf die Inkompatibilität der Speichereinheiten. Das Datenmaterial, das dem Rechner des Erzfrachters entnommen worden war, war in holographischen Datenwürfeln aufgezeichnet worden, während der Rechner des Corlis-Komplexes mit dünnen, durchscheinenden Streifen arbeitete. Zu der Anlage gehörten auch mehrere Bildlesegeräte, die jedoch nicht für holographische Würfel eingerichtet waren.
Alvarez arbeitete annähernd dreißig Stunden ohne Unterbrechung an der Aufgabe, das Würfel-Lesegerät eines Feuerleitcomputers der Marinesoldaten anzupassen, damit eine Schnittstelle mit der Ryall-Anlage geschaffen werden konnte. Dann schliefen er und Bethany sechs Stunden, bevor ein weiterer überlanger Arbeitstag der Aufgabe galt, die gespeicherten Daten des Erztransporters der erbeuteten Rechenanlage einzugeben.
Darauf ergab sich das Problem, die verschiedenen Programme zu aktivieren. Zu Bethanys Überraschung erwies sich Professor Alvarez als ein geschickter und erfahrener Übersetzer der Punktmuster, aus denen die Schrift der Ryall bestand. Zwei Tage lang arbeitete er das Operationshandbuch der Rechenanlage durch und übersetzte diejenigen Abschnitte, welche er für nützlich hielt. Bethany hatte mit der Datenübertragung und ihrer Abspeicherung in leicht abrufbarer Form alle Hände voll zu tun.
Als Alvarez sich endlich so weit mit der Systematik vertraut gemacht hatte, dass er anfangen konnte, die Rechenanlage direkt zu manipulieren, setzte er sich vor den Ableseschirm und ließ die Finger über die etwas schlüpfrige Oberfläche des Eingabe/Ausgabe-Segments gleiten. Die Anlage antwortete mit der Niederschrift eines Punktmusters, das von rechts nach links über den Bildschirm lief.
»Sieht so aus, als wüssten Sie, was Sie tun«, sagte Bethany bewundernd, als ihr die Leichtigkeit auffiel, mit der er das fremdartige Gerät bediente.
Alvarez nickte, offensichtlich erfreut über das Kompliment.
»Ich könnte es um einiges besser machen, wenn ich wie die Ryall einen zusätzlichen Daumen hätte. Dennoch ist es nicht schwierig, wenn man erst einmal den Bogen heraushat.«
»Soll ich die Aufzeichnung vorbereiten?«
»Ja. Wir sollten bald so weit sein, dass wir anfangen können, unsere Datenbasis zu erforschen.«
»Ich fange gleich an. Immerhin ist der schwierigste Teil getan!«
Alvarez sah sie mit dem nachsichtigen Wohlwollen an, das ein Erwachsener einem Kind zuwendet. »Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, Miss Lindquist. Der schwierige Teil beginnt erst!«
Ein frischer, kühler Wind blies durch das Tal und wehte Bethany das Haar in die Augen, als sie aus dem Schutz des Gebäudes trat. Sie blieb stehen und reckte die Arme, rollte die Schultern, um die Verspannungen zu lockern, die sich nach allzu vielen Stunden vor einem Computerbildschirm eingestellt hatten. Tief sog sie die klare Luft von Corlis in die Lungen und bemerkte, dass der normale Duft nach Zimt und Orangenblüten durch den Geruch von Regen ergänzt worden war. Die dahineilenden weißen Wolken des späten Vormittags hatten den mächtig ragenden Türmen von Kumuluswolken Platz gemacht, deren Unterseiten sich zusehends verdüsterten. Der Wolkenschirm eines aufziehenden Gewitters bedeckte ein Drittel des Himmels. Es war alles so, wie die Meteorologen vorausgesagt hatten. Bethany machte es nichts aus. Nach Monaten in der Enge der Discovery und ihrer hundertmal wiederaufbereiteten Atemluft war Wetter gleich welcher Art eine willkommene Abwechslung, mochte es sich auch gewalttätig darstellen.
Nachdem sie ihren Muskeln ein wenig Erleichterung verschafft hatte, entfernte sie sich rasch von dem überkuppelten Gebäude des Hauptquartiers, sorgsam darauf bedacht, auf der harten Oberfläche des Weges zu bleiben. Ihr Ziel war das barackenähnliche Langhaus, wo die gefangenen Ryall untergebracht waren. Unterwegs wurde ihr Blick zu den Hügeln gelenkt, die das Tal zu beiden Seiten begrenzten, und zu der Linie bläulich grüner Vegetation, die das Ende des gerodeten Bergwerkskomplexes kennzeichnete. Aus der Ferne ähnelte das Bild täuschend einem Wald des altanischen Hochlandes, obwohl die Bäume knorriger und verkrümmter schienen als jene daheim.
Ihr Blick folgte dem Waldrand zu dem großen, aus Erde aufgeschütteten Staudamm, den die Ryall talaufwärts von ihrem Komplex errichtet hatten. Marinesoldaten, die bis dorthin vorgedrungen waren, meldeten einen großen Stausee hinter dem Damm. Am Fuß dieses Dammes befand sich ein weißes, rechteckiges Bauwerk, von dem ein Dutzend Rohrleitungen von beträchtlichem Durchmesser ausging. Unterhalb dieses Gebäudes, das offenbar Ablassventile enthielt, teilten sich die Rohrleitungen in zwei Gruppen und verliefen parallel zueinander zehn Kilometer entlang den Talseiten bis zum Verhüttungskomplex.
In der Ferne erhoben sich jenseits des Dammes mehrere hohe, schneebedeckte Berge. Der Gebirgszug erinnerte Bethany an das Colgategebirge östlich von Homeport, und es machte sie ein wenig traurig, dass sie diese schöne Welt bald würde verlassen müssen.
Sie blickte in die Ferne und dachte darüber nach, was die Menschheit mit einer Welt wie Corlis anfangen könnte, als sie vor der Gefangenenbaracke anlangte. Sie wies sich bei dem Wachtposten am Eingang eines hastig errichteten elektrischen Zaunes aus, wartete eine Weile und wurde dann von einem zweiten Soldaten in ein Vernehmungszimmer geführt. Das Mobiliar bestand aus einem metallenen Klappstuhl, einem passenden Tisch und einem Übersetzungscomputer. Die Mikrofone waren an den Wänden und der Decke angebracht. Der Raum hatte massive, verstärkte Türen.
»Varlan wird gleich zu Ihnen gebracht, Madam«, sagte der Sergeant, der sie von der Wache herbegleitet hatte.
Bethany dankte ihm und wandte sich der dem Eingang gegenüberliegenden Tür zu. Weniger als eine Minute später wurde die Tür geöffnet, und zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Marinesoldaten führten einen Ryall herein. Der Ryall war oben graugrün und unten gelbbraun. Die Schädelwölbung war auffallend, aber das schnauzenartig vorgebaute Gesicht schien kürzer als auf den Fotografien, die Bethany gesehen hatte. Der Körper war auch schlanker als die Kriegertypen, aus denen die Masse der Gefangenen bestand. Der Schwanz war länger, und die Pfoten größer. Der Kopf drehte sich langsam auf dem langen Hals, als der Ryall seine Umgebung betrachtete.
»Miss Bethany Lindquist«, sagte der Sergeant, »darf ich Ihnen Varlan von den Duftenden Wassern vorstellen, Betriebsleiterin des Corlis-Komplexes. Varlan, ich habe die Ehre, Ihnen Bethany Lindquist vorzustellen, eine bedeutende Persönlichkeit unseres Volkes.«
Ein schwarzes Auge wie aus Obsidian musterte Bethany. Varlans Mund war offen und zeigte eine Doppelreihe konischer, rasiermesserscharfer Zähne, zwischen denen eine dreifach gespaltene Zunge hin und her glitt. Aus ihren Studien wusste Bethany, dass die Ryall durch den Mund atmeten, was die Ähnlichkeit mit einem hechelnden Hund erklärte.
»Hallo, Varlan«, sagte Bethany.
Es folgte ein Geräusch wie der Klang einer Flöte, dann übersetzte der Computer durch den Lautsprecher auf dem Tisch: »Grüße, Bethany von den Lindquists. Wie kann diese hier Ihnen behilflich sein?«
Bethany blickte zu den drei Marinesoldaten auf, die an den Wänden Aufstellung genommen hatten und ihre Maschinenpistolen schussbereit hielten. »Danke, Sergeant. Würden Sie und Ihre Männer bitte draußen warten?«
»Davon würde ich Ihnen abraten, Madam. Diese Zähne sind scharf, und einen Schlag mit dem Schwanz vergisst man nie mehr. Einer der Verteidiger hätte mir mit einem Schwanzschlag beinahe den Kopf abgerissen, obwohl ich einen gepanzerten Kampfanzug mit Helm trug.«
»Ich bin sicher, dass mir nichts geschehen wird, Serge. Varlan wird mir keinen Schaden zufügen, da sie weiß, dass Sie draußen sind.«
»Wie Sie wollen, Madam. Es ist Ihr Begräbnis.«
Die Gefangene neigte den Kopf zur Seite und verfolgte den Abgang der Marinesoldaten mit dem rechten Auge, während sie Bethany mit dem linken im Blickfeld behielt. Als die Tür geschlossen wurde, schenkte sie Bethany ihre ganze Aufmerksamkeit.
»Ich hörte, dass Sie weiblichen Geschlechts sind, Varlan von den Duftenden Wassern«, begann Bethany.
»So ist es.«
»Ich bin es auch«, sagte Bethany. »Und ich bin neugierig, ob wir Frauen gleich denken.«
»Wie könnten wir?«, fragte Varlan. »Wir sind von verschiedener Art.«
»Aber es muss Ähnlichkeiten geben. Wir sind das Geschlecht, das neues Leben hervorbringt, nicht wahr?«
»So ist es.«
»Dann müssen sich unsere Ansichten auf manchen Gebieten decken.«
»Was für ein seltsamer Gedanke.«
»Wollen wir dann versuchen, eine gemeinsame Grundlage für unsere Diskussionen zu finden?«
Varlan machte eine unverständliche Gebärde, stellte die Segelohren auf und stieß ein zischendes Geräusch aus. »Unter meinesgleichen würden wir sagen: Wollen wir versuchen, im Fluss der Einigkeit zu schwimmen?«
»Wollen wir?«
»Eine Gefangene tut gut daran, auf ihre Wärter einzugehen«, erwiderte Varlan. »Auch ist das Konzept interessant.«
Bethany begann das Gespräch mit einer Beschreibung des menschlichen Fortpflanzungszyklus und des Umstandes, dass menschliche Junge lebendig geboren werden. Sie erläuterte dann die Wirkung dieser einfachen natürlichen Tatsache auf die Einstellung der Menschen. Die Ryall, erfuhr sie bald, hatten ziemlich analoge Einstellungen, obwohl ihre Zuneigung und Fürsorge für die Jungen mehr allgemeiner Natur waren, da sie nicht wissen konnten, welche Jungen ihre eigenen waren. Dies wiederum erleichterte den Ryall die Entwicklung eines an der Gemeinschaft orientierten Bewusstseins und der Loyalität zu Sippe und Stamm und darüber hinaus zur ganzen Art.
»Sehen Sie«, sagte Bethany, nachdem sie mehr als eine Stunde lang diskutiert hatten, »es scheint keinen Grund zu geben, warum unsere beiden Arten nicht rational miteinander umgehen könnten.«
»Das scheint wahr zu sein.«
»Wie ist es dann zu erklären, dass ihr Ryall uns so hasst und fürchtet?«
»Wir hassen euch nicht, Bethany von den Lindquists. Noch fürchten wir euch.«
»Aber Ihre Schiffe griffen uns ohne Provokation an, und unsere Versuche, ein Ende dieses Krieges durch Verhandlungen zu erreichen, blieben ergebnislos.«
»Ihre bloße Existenz ist Provokation genug«, erklärte Varlan.
»Das ist keine Antwort. Sicherlich ist das Universum groß genug für beide Arten. Warum müssen wir einander bekämpfen, wenn es so viele Welten gibt, die der Besiedelung offen stehen?«
Varlan wandte den Kopf und blickte zum einzigen Fenster des Raums. »Schauen Sie hinaus, Bethany von den Lindquists«, sagte sie und hob eine sechsfingrige Hand. »Was sehen Sie?«
Bethanys Blick folgte der Geste. »Ich sehe die andere Seite des Tales, den Wald und die Berge dahinter.«
»Finden Sie diese Szene anziehend?«
Bethany nickte. »Ja, gewiß. Dies ist eine wunderschöne Welt. Sie erinnert mich an meine Heimat.«
»Dann stimmen wir auch darin überein«, erwiderte Varlan.
»Auch ich kann die Berge in der Ferne betrachten und an meine Heimat denken.«
»Ein Grund mehr, dass wir Freunde sein sollten.«
Die Ryall zischte: »Ein Grund mehr, dass wir Feinde sein müssen! Die Geschichte lehrt, dass zwei intelligente Arten kein einzelnes Habitat miteinander teilen können. Beide müssen ihren Lebensraum erweitern, bis sie eines Tages in Konflikt miteinander geraten.«
»Selbst wenn das wahr wäre«, entgegnete Bethany, »wird es Tausende von Jahren dauern, bevor auf den Welten, die wir jetzt bewohnen, der Lebensraum knapp wird. Warum jetzt kämpfen?«
»Würden Sie es verantwortungsvoll finden, wenn wir die Bürde, das Universum von euch Menschen zu befreien, künftigen Generationen überließen?«
»Ich würde versuchen, den Kampf ganz zu vermeiden«, antwortete Bethany seufzend. »Ich anerkenne jedoch Ihre Aufrichtigkeit. Ein Mensch in Ihrer Lage würde mir wahrscheinlich gesagt haben, was ich seiner Meinung nach gern hören würde.«
»Zu welchem Zweck?«, fragte Varlan. »Wenn die Logik einer Situation klar vor aller Augen liegt, kann es nicht von Wert sein, sich täuschen zu lassen oder sich als Lügner zu erweisen.«