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Richard Drake saß an seinem Platz auf der Brücke der Discovery und verfolgte am Bildschirm, wie der Cryogentanker Suitana seine Treibstoffleitung vom Schlachtkreuzer abkoppelte und einholte. An mehreren Stellen des Rumpfes leuchteten plötzlich die hellen Funken der Düsen zur Stabilisierung der Fluglage auf, und der massige Koloss begann sich langsam zu entfernen.

»Captain Lee meldet Auftanken beendet, Captain«, sagte Slaters Stimme. »Die Suitana kehrt zu ihrer Position zurück. Wir haben soeben auch eine Botschaft von Captain Trousma erhalten. Er meldet die Haridan bereit für den Übergang. Er wünscht uns Glück.«

»Ist Zeit für eine Antwort?«

»Nein, Sir. Die Verzögerung des Funkverkehrs beträgt bei unserer gegenwärtigen Entfernung siebenundneunzig Minuten. Bis unsere Botschaft eintrifft, wird die Haridan längst fort sein.«

»Danke, Mr. Slater. Machen Sie weiter. Mr. Cristobal, Sie können den Antrieb wieder einschalten, sobald Sie es für richtig halten.«

»Verstanden, Sir. Antrieb wird in dreißig Sekunden gezündet.«

Drake rief auf einem seiner Bildschirme eine schematische Darstellung des Systems Napier ab. Zusätzlich zum Zentralgestirn und seiner weit auseinander gezogenen Familie von Planeten zeigte der Bildschirm die Positionen der drei gegenwärtig aktiven Faltpunkte. Diejenigen für Alta und Sandarsons Welt waren in der gleichen Hemisphäre, lagen aber mehr als 80 Grad auseinander. Sein Blick ging zum Napier-Valeria-Faltpunkt und dem winzigen Symbol daneben, das die gegenwärtige Position des Cryogentankers Haridan kennzeichnete.

Zwar hatte Drake Alicia Delevans Forderung abgelehnt, dass die Einsatzgruppe 001 nach Alta zurückkehre, stimmte ihr aber darin zu, dass Regierung und Parlament so rasch wie möglich über die Ryall und das Schicksal, das sie New Providence bereitet hatten, unterrichtet werden sollten. Der Cryogentanker hatte die Umlaufbahn um New Providence vor drei Wochen verlassen, nachdem er den Rest seiner Ladung an die Suitana abgegeben hatte. Zusätzlich zu einem offiziellen Bericht der Expeditionsleitung hatte die Haridan ein Dutzend Vertreter von Verbänden an Bord, die um ihre Heimreise gebeten hatten. Drake vermutete, dass die meisten von ihnen nach Haus gingen, um Vorteil aus der Kontroverse zu ziehen, die mit der Nachricht von den Ryall zweifellos ausbrechen würde. Was auch immer der Grund ihrer Abreise sein mochte: Er war froh, sie los zu sein.

Dann ertönte die Beschleunigungswarnung durch die Discovery. Sekunden später wurde die Schwerkraft wieder spürbar.

»Bringen Sie die Darstellung des Faltpunktes ins Bild, Mr. Cristobal«, befahl Drake.

»Zu Befehl, Sir.«

Der große Projektionsschirm wurde leer geräumt und zeigte dann die Isogravitationslinien, die in der Position des Napier-Hellsgate-Faltpunktes zusammenliefen. Die Darstellung änderte sich wieder, und eine unscharfe rote Ellipse erschien in der Mitte der Projektion. Drei goldene kleine Funken hatten ihren Rand beinahe erreicht. Während er sie beobachtete, bewegten sich die Funken langsam nach innen.

»Stellen Sie eine Konferenzschaltung her, Mr. Slater.«

»Ja, Sir.«

Als die Kapitäne Fallan und Lee mit Drakes Konsole verbunden waren, ließ er sich die Statusmeldungen geben. Beide meldeten ihre Schiffe bereit für den Übergang.

»Lassen Sie die Frequenz offen. Die Reihenfolge des Übergangs wird die gleiche sein wie letztes Mal. Viel Glück!«

Die Bildschirme erloschen. Drake rief Bela Marston in der Feuerleitzentrale. »Fertig, Mr. Marston?«

»Fertig, Captain. Alle Gefechtsstationen sind besetzt, der Masseumwandler arbeitet planmäßig. Die Springertriebwerke sind bereit für den Autorisationscode.«

»Miss Lindquist!«

»Hier, Captain«, meldete sich Bethany von ihrem Platz neben dem Navigator.

»Zwei Minuten zum Übergang. Geben Sie jetzt Ihren Autorisationscode ein.«

»Ja, Sir.« Bethanys Finger drückten in rascher Folge die unter der Abdeckhaube verborgenen Tasten. Der Hauptprojektionsschirm bestätigte die Eingabe mit dem Signal, dass die Faltraumgeneratoren der Springertriebwerke einsatzbereit waren. Über den Leuchtbuchstaben kreuzte der goldene Funke, der die Discovery darstellte, die Grenze des Faltpunktes und begann rasch zu blinken.

»In Ordnung, Mr. Cristobal. Sie haben freie Hand für den Übergang.«

»Ja, Sir. Dreißig Sekunden zum Übergang ... Generatoren auf voller Energie. Die Springertriebwerke bauen das Übergangsfeld auf. Zwanzig Sekunden ... Zehn Sekunden ... Fünf, vier, drei, zwei, eins ... Null!«


HELLSGATE

Zwergstern der Spektralklasse FO im Antares-Haufen.

Position im Verhältnis zu Sol: 1712RA, -2513DEC, 560LY.

Zahl der Faltpunkte: 2

Faltraum-Übergangssequenzen:

Primär: Sol, Goddard, Antares, Napier, Hellsgate.

Sekundär: Vega, Carswell, Sacata, Hermes, Aezer, Hellsgate.

Das System enthält acht Planeten, 56 Monde und einen kleinen Asteroidengürtel. Planet IV, Sandarsons Welt, ist eine Welt vom Erdtypus mit einheimischen Lebensformen. Die Planeten in der Reihenfolge ihrer Entfernung vom Zentralgestirn des Systems sind ...

GESCHICHTE:

2315 von Carl Sandarson zuerst erforscht. Wegen der durch die komplizierten Faltraumübergänge des Systems bedingten wirtschaftlichen Randlage verzögerte sich die Kolonisation bis 2365. Der vierte Planet ist in seinen gemäßigten Zonen bewohnbar (siehe gesonderten Eintrag für Sandarsons Welt), wird aber als zu kalt betrachtet, um als unbeschränkt entwicklungsfähig eingestuft zu werden. Die Kolonie wurde von Bergbaugesellschaften aus New Providence gegründet, um die reichen mineralischen Bodenschätze von Hellsgate IV auszubeuten.

BEVÖLKERUNG:

Die Bevölkerung des Systems Hellsgate wurde in der Volkszählung von 2500 auf 1.480.000 geschätzt und besteht aus ethnisch relativ homogenen Nachkommen nordamerikanischer und europäischer Auswanderer.


Auszug aus Kurzführer zu den Siedlungsinseln im Raum,
97. Auflage, Copyright 2510
Hallan Publications Ltd., New York

Das erwartete Gefühl des Faltraumübergangs stellte sich ein, und als es nachgelassen hatte, aktivierte Richard Drake die Bordsprechanlage für eine allgemeine Durchsage. »Alle Abteilungen, Zustandsmeldung!«

Als die Meldungen kamen, fiel ihm der gegenüber dem ersten Faltraumübergang veränderte Ton auf. Damals war der Tonfall der Bereichsleiter von einer forcierten militärischen Knappheit gewesen, hinter der sich Anspannung und Nervosität verborgen hatten. Jetzt kamen die Meldungen ruhig und geschäftsmäßig, als meldete jeder Offizier die bevorstehende Ankunft des täglichen Postbootes. Drake fragte sich, ob der interstellare Flug sie bereits zu langweilen begann oder ob sie ihre innere Spannung lediglich besser zu verbergen wussten. Nach seiner eigenen Stimmung zu urteilen, war Letzteres wahrscheinlich.

»Wo sind wir, Mr. Cristobal?«

»Hellsgate, Sir. Das Spektrum stimmt überein.«

»Bringen Sie Antares auf den Projektionsschirm, Lieutenant.«

»Ja, Sir.«

Nach kurzer Verzögerung leuchtete der Projektionsschirm auf und zeigte einen schwarzen Hintergrund mit Dutzenden von verstreuten Lichtpunkten. In der Mitte war ein Stern von der Farbe erlöschender Glut. Es war ein Anblick, den Richard Drake nicht zu sehen erwartet hatte. Da Hellsgate von Antares doppelt so weit entfernt war wie Valeria, hatte die expandierende Wellenfront des Novaausbruches Altas Schwesterkolonie noch nicht erreicht. Zumindest in diesem System war Antares noch immer der rote Überriese alter Zeiten, der rötliche Lichtfunke, der bei vielen Ferienzeltlagern nachts vom Himmel auf den jungen Drake herabgeblinzelt hatte. Die Antares-Explosion würde Sandarsons Welt erst in einem Jahrhundert erreichen.

»Mr. Marston.«

»Ja, Sir!«

»Halten Sie Ausschau nach der City of Alexandria. Machen Sie Meldung, sobald Sie eine Ortung haben.«

»Zu Befehl, Sir.«

Lange Sekunden vertickten, bis der Erste Offizier meldete:

»Wir haben eine Ortung, Captain. Position 17/93, Distanz 280.000 Kilometer.« Eine weitere Wartezeit schloss sich an, dann kam die nächste Meldung: »Ortung auf Position 165/12, Distanz 820.000 Kilometer.«

»Mr. Slater, geben Sie den Kapitänen Fallan und Lee Anweisung, Kurs auf uns zu nehmen. Und schalten Sie mich für eine allgemeine Durchsage ein.«

»Sie sind dran, Captain.«

»Achtung, alle Besatzungsmitglieder! Hier spricht der Kapitän. Wir sind planmäßig im System Hellsgate eingetroffen. Es gilt Alarmstufe Eins. Abteilungen, die mit Raumüberwachung und Instrumentenaufklärung befasst sind, nehmen sofort die Arbeit auf. Ergebnisse sind sofort zu melden. Kapitän Ende.«

Wenn Drake sich gesorgt hatte, dass sie Sandarsons Welt so tot wie New Providence antreffen würden, wurde diese Befürchtung rasch zerstreut. Auch ohne die Hilfe von Navigationstabellen, die hundertfünfundzwanzig Jahre alt waren, wäre es schwierig gewesen, den Planeten zu übersehen. Sandarsons Welt war eine Radioquelle erster Ordnung und Ursprung ungewöhnlich hoher Neutrinoemissionen.

Ahnliche Emissionen von einigen anderen Planeten innerhalb des Systems verrieten das Vorhandensein mehrerer Unterkolonien.

»Wir fangen starke Radiosignale auf, Captain«, meldete Slater, kurz nachdem der Planet von den Radioteleskopen erfasst worden war.

»Von Menschen oder von Ryall?«

»Eindeutig von Menschen, Sir. Sie sprechen Standard. Der Akzent ist ziemlich stark, aber ich habe keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen.«

»Was sagen sie?«

»Bisher ist alles kommerziell, Sir. Hauptsächlich Unterhaltungsprogramme.«

»Lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas auffangen, was wie militärischer Funkverkehr klingt.«

»Ja, Sir.«

Die Instrumentenaufklärung machte Plasmafahnen von Triebwerken aus, die zu Raumschiffen im Verkehr zwischen den inneren Planeten des Systems gehören mussten. Soweit die spektroskopische Analyse aus der Entfernung zuverlässige Ergebnisse liefern konnte, war die Plasmazusammensetzung praktisch identisch mit jener der altanischen Triebwerke, was auf einen ungefähr vergleichbaren technologischen Stand schließen ließ. Für Richard Drake rechtfertigte bereits dieser Umstand allein die Entscheidung, nach Hellsgate vorzustoßen. Er bewies, dass Alta während seiner langen Isolation nicht hoffnungslos hinter den Rest der menschlichen Zivilisation zurückgefallen war.

Vier Stunden nach dem Übergang beobachteten die Astronomen der Alexandria eine Anhäufung von ungefähr sechzig verschiedenen Rauminstallationen hoch über der Ekliptik auf der gegenüberliegenden Seite des Zentralgestirns. Die Position war so weit von den Planeten Hellsgates entfernt, und der Haufen so groß, dass sie ihn unverzüglich mit weit reichenden Instrumenten zu untersuchen begannen.

»Das ist ungefähr die Position, wo vor der Nova der Faltpunkt vom System Aezer war«, sagte Nathaniel Gordon, als er die Entdeckung meldete.

»Raumstationen um einen Faltpunkt?«, fragte Drake.

»Weshalb? Ich würde es für wirtschaftlicher halten, Fracht über Sandarsons Welt zu entladen.«

»Vielleicht ist die Wirtschaftlichkeit des Frachtverkehrs hier nicht genauso wie bei uns zu Hause«, meinte Gordon.

Bethany Lindquist, die das Gespräch mitgehört hatte, ging zu Drakes Platz. »Ich glaube nicht, dass es sich um Ladeeinrichtungen handelt! Ich möchte wetten, dass diese Stationen militärisch sind.«

»Wieso militärisch?«

»Ich stelle mir vor, dass es gepanzerte Gefechtsstationen sind, die den Zweck haben, Eindringlinge von der Benutzung des Faltpunktes abzuschrecken.«

»Wie kommen Sie zu dieser Folgerung, Miss Lindquist?«

»Sie haben Militärgeschichte studiert, Captain. Wo setzt man Befestigungen ein? An geographischen Schlüsselpunkten, natürlich, und genau das ist ein Faltpunkt. Umgeben Sie ihn mit genug Feuerkraft, und Sie können jeden aus Ihrem System fern halten, der Ihnen nicht gefällt.«

»Wenn das der Fall ist, sollten wir ähnliche Installationen in unserer Nähe sehen, Bethany«, sagte Dr. Gordon. »Wo sind sie?«

»Es gibt keine, Dr. Gordon. Warum sollte es hier welche geben? Soweit die Bewohner von Sandarsons Welt wissen, führt dieser Faltpunkt nur zu der toten Welt ihrer Vorfahren. Warum also eine Sackgasse bewachen?«

»Dann stellt sich die Frage, gegen wen die Verteidigungsanlagen gerichtet sind?«, meinte Drake. »Die Ryall?«

»Könnte sein.«

»Wer immer sie sind«, sagte Dr. Gordon, »wir können annehmen, dass die Bewohner dieses Systems nicht überglücklich sein werden, uns zu sehen. Ich empfehle, dass wir äußerste Vorsicht walten lassen, bis wir mehr über die Lage hier wissen, Captain.«

Drake nickte. »Ich werde daran denken, Doktor.«

Der erste Hinweis, dass ihre Anwesenheit bemerkt worden war, ergab sich zwei Stunden später. Drake las aufgefangene Radionachrichten, als Karl Slater um Aufmerksamkeit summte.

»Was gibt es, Mr. Slater?«

»Wir werden gescannt, Sir! Sensoren haben eben einen überraschend starken elektromagnetischen Impuls aus dem inneren System festgestellt.«

»Radar?«

»So lese ich die Wellenform, Captain. Wahrscheinlich ein entwickeltes Suchradar.«

»Glauben Sie, dass sie sich über diese Distanz ein aussagefähiges Bild machen können?«

»Zumindest können sie Entfernungsdaten bekommen. Ob sie in der Lage sein werden, mehr zu entziffern, hängt von ihren Fähigkeiten zur Signalverarbeitung ab.«

»Könnte es eine Art Verkehrskontrollradar sein?«

»Die zivile Verkehrskontrolle verlässt sich im Allgemeinen darauf, dass Schiffe sich selbst anmelden, wenn sie ein System erreichen, Sir. Langstrecken-Suchradar riecht nach einem militärischen Überwachungssystem. Ich würde sagen, dass sie einen Angriff erwarten.«

Eine Stunde später wurde Slaters Vermutung bestätigt.

»Wir haben einen Start ausgemacht, Captain«, meldete Bela Marston aus der Feuerleitzentrale. »Ich berichtige mich, wir haben mehrere Starts ausgemacht!«

»Wie viele und von wo?«

»Höchstwahrscheinlich sechs Schiffe von Sandarsons Welt, Sir. Die Doppleranalyse sagt, dass sie mit fünf g Kurs auf uns nehmen.«

Drake pfiff durch die Zähne. »Jemand strengt sich mächtig an, um hierher zu kommen.«

»Ja, Sir. Wir schätzen siebzig Stunden bis zum Rendezvous, wenn sie wenden und verlangsamen – fünfzig, wenn sie nicht verlangsamen.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, auf Sendung zu gehen und ihnen zu sagen, dass wir mit freundlichen Absichten kommen, Captain.«

Drake dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Dafür haben wir später noch Zeit, Nummer Eins. Ich möchte etwas mehr über unsere Vettern in Erfahrung bringen, bevor wir uns identifizieren.«

»Sie sind der Chef. Feuerleitzentrale Ende.«

»Mr. Cristobal.«

»Ja, Captain?«

»Der Plan ist geändert worden. Legen Sie einen Kurs fest, der uns in der Mitte des Faltpunktes zum Stillstand bringt und bereiten Sie das Schiff zum Übergang zurück zu Napier vor, falls erforderlich.«

»Halt im Faltpunkt und Vorbereitung zum Übergang. Verstanden, Sir.«

Achtundvierzig Stunden nach ihrem Eintritt ins Hellsgate-System klopfte Bethany Lindquist an Drakes Kajütentür. Als die gedämpfte Aufforderung zum Eintreten kam, schob sie die Tür zurück und stieg über den erhöhten Süllrand.

»Sie wollten mich sprechen, Captain?«

Drake, der an seinem Schreibtisch vor dem Bildschirm saß, nickte. »Bitte machen Sie es sich bequem.«

»Danke.« Bethany schritt zu der lederbezogenen Couch unter dem Ölgemälde des Rahseglers und setzte sich.

»Sie sagten, Sie haben die letzten zwei Tage mit dem Studium der von Mr. Slater abgehörten Sendungen verbracht.«

»So ist es.«

»Was halten Sie von der Regierungsform unserer Vettern?«

»Ehrlich gesagt, ich bin überrascht. Man erwartet außerhalb von Geschichtsbüchern kein Königtum.«

Drake nickte. »Können Sie sich vorstellen, wie es einer konstitutionellen Monarchie gelang, eine parlamentarische Demokratie zu verdrängen?«

»Ich habe keine Ahnung, wie es in diesem Fall geschah, aber wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es im Laufe der Menschheitsgeschichte weitaus mehr Könige und Kaiser als Präsidenten gab. Wir neigen zu Vorurteilen gegen die monarchische Regierungsform, aber das heißt nicht, dass sie nicht effektiv sein kann.«

»Was sonst haben Sie den aufgefangenen Sendungen entnommen?«

Bethany lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen vor sich aneinander und betrachtete ihn mit ernstem Blick. »Ich habe erfahren, dass unser Verdacht weitgehend begründet ist. Sandar ... – Sie wissen, dass man den Namen des Planeten hier abgekürzt hat, nicht wahr? – Sandar liegt im Krieg mit den Ryall. Anscheinend hat es während der hundert Jahre, die seit der Evakuierung von New Providence vergangen sind, eine Anzahl größerer Schlachten gegeben.«

»Haben Sie Hinweise darauf, wie viele?«

»Das ist schwer zu sagen, Captain. Offenbar werden die Sendungen zensiert, wenn es um militärische Belange geht. Über militärische Operationen wird praktisch nichts gemeldet.«

»Haben sie uns erwähnt?«

»Mit keinem Wort. Wenn diese sechs Schiffe nicht auf uns zukämen, würde ich sagen, dass sie unsere Ankunft gar nicht bemerkt haben.«

»Haben Sie einen Vorschlag, wie wir ihnen am besten beibringen können, wer wir sind?«

»Ich denke, eine einfache Erklärung der Fakten wäre das Beste. Wahrscheinlich haben sie unsere Identität bereits aus dem Umstand gefolgert, dass wir hier zum Vorschein gekommen sind.«

Drake nickte. Er drückte einen Schalter, und einen Augenblick später leuchtete sein Bildschirm wieder auf. Bethany konnte das Gesicht nicht sehen, aber die zugehörige Stimme war die eines der jüngeren Nachrichtenoffiziere der Discovery. »Wo ist Slater?«, fragte Drake.

»In seiner Kabine, Captain. Er hat Freiwache. Soll ich ihn rufen?«

»Tun Sie das. Entschuldigen Sie mich bei ihm, dass ich seine Ruhe unterbreche, aber sagen Sie ihm, dass ich ihn brauche. Wir gehen mit der Kontaktbotschaft, die wir in der letzten Wache aufgenommen haben, auf Sendung. Ich werde in fünf Minuten oben auf der Brücke sein. Wir senden noch in dieser Stunde.«

»Ja, Sir«, sagte der Nachrichtenoffizier. Er wiederholte Drakes Befehl und meldete sich ab.

»Würden Sie gern den historischen Augenblick erleben?«, fragte Drake, als er von seinem Platz aufstand und um den Schreibtisch ging.

Bethany gab ihm die Hand und ließ ihn ihr beim Aufstehen behilflich sein. Sie lächelte. »Sehr gern, Captain.«

Gefolgt von Bethany Lindquist, schritt Richard Drake durch eine der kardanisch aufgehängten Luftschleusen auf die Brücke. Er ging direkt zu seinem Platz und schnallte sich an. Karl Slater traf nur wenige Augenblicke später ein.

»Bereiten Sie die Sendung der Kontaktbotschaft vor, wenn Sie fertig sind, Mr. Slater«, sagte Drake.

»Ja, Sir«, erwiderte Slater. Seine Finger huschten über die Konsole, und auf dem Projektionsschirm erschien eine neue Ansicht: Auf einer Seite war das Zentralgestirn des Systems, während sechs winzige Punkte weißlich violetten Lichts in der Mitte glühten.

Die Teleskope der Discovery und City of Alexandria waren auf die sandarischen Schiffe gerichtet, seit sie gestartet waren, die Eindringlinge abzufangen. Anfangs war der Plasmaausstoß der Abfanggruppe nur als winzige Stellen diffusen Lichts in der Schwärze des Raumes auszumachen. Fünfunddreißig Stunden später hatte sich das geändert. Die verwaschenen Lichtflecken wandelten sich zu blendenden Strahlungspunkten, als die sandarischen Schiffe wendeten und zum Rendezvous mit der Einsatzgruppe 001 verlangsamten. Ein feines Fadenkreuz erschien im Projektionsschirm. Es bewegte sich auf einen der Strahlungspunkte zu, schoss darüber hinaus und korrigierte sich. Gleich darauf gesellte sich ein Zielkreis dazu, als eine der Kommunikationsantennen der Discovery sich auf ihr Ziel einstellte. Slater wiederholte das Verfahren noch fünfmal, bis jede der sechs Strahlungsquellen in einem scharf gebündelten Richtstrahl lag. Dann meldete er:

»Alle Ziele anvisiert, Captain. Wir können senden.«

»Gehen Sie auf Sendung«, befahl Drake.

Er lehnte sich zurück und verfolgte die Aussendung der Aufzeichnung, die er am Nachmittag gemacht hatte: »Wir begrüßen die Regierung und das Volk von Sandar ...« Die Kontaktbotschaft erläuterte in knapper Form, wer und was die altanische Expedition war, versicherte die friedfertigen Absichten der Expedition und schloss mit der Bitte an die sich nähernden Sandarer, mit der Expedition in Verbindung zu treten. Nach dem Ende der Botschaft folgte eine Pause von fünf Sekunden, dann begann sie von neuem. Nach der dritten Wiederholung ließ Drake auf Empfang schalten und beobachtete die Strahlungspunkte der näher kommenden sandarischen Schiffe. Minutenlang ereignete sich nichts. Dann begann einer der Zielkreise endlich zu blinken, um anzuzeigen, dass von dem betreffenden Schiff eine Sendung empfangen wurde.

Der Projektionsschirm brachte ein Nebenbild von einem schwarz uniformierten Mann mit hartem Gesicht. Er war völlig kahl, sogar die Augenbrauen fehlten. Seine Züge zeigten die Spuren vieler Stunden unter hoher Beschleunigung. Der Mann in Schwarz sagte: »Ich bin Commodore Silsa Bardak, herzoglicher Erbe von Schloss Romal und kommandierender Offizier der Kampfgruppe 7735. Ich befehle Ihnen, Ihre Schiffe meinen Prisenkommandos zu übergeben. Sie haben eine Stunde, der Aufforderung Folge zu leisten.«

»An Selbstbewusstsein fehlt's ihm nicht, wie?«, bemerkte Drake. »Er wird erst in zwanzig Stunden in der Lage sein, uns anzugreifen.«

»Wahrscheinlich denken sie, die Kontaktbotschaft sei eine List der Ryall«, erwiderte Bethany.

»Mr. Slater, schalten Sie mich auf die Frequenz der Sandarer.«

»Sie sind dran, Captain.«

»Hier spricht Fleet Captain Richard Drake, Kommandant des altanischen Kreuzers Discovery.

Wir sind eine wissenschaftliche Expedition. Unsere Absichten sind friedlich.«

Die Züge des sandarischen Commodores blieben starr und undurchdringlich, bis die Botschaft ihn nach langen Sekunden erreichte. Dann sagte er: »Wenn das zutrifft, Fleet Captain, werden Sie freigelassen, sobald wir Ihre Identität verifiziert haben. Ich wiederhole meine Anweisung, dass Sie Ihre Schiffe meinen Prisenkommandos übergeben.«

»Abgelehnt«, erwiderte Drake. »Wir werden keine bewaffneten Schiffe an uns heranlassen. Ich schlage eine erste Begegnung von Hilfsfahrzeugen im tiefen Raum vor.«

Die Miene des sandarischen Commodores blieb undurchdringlich. Nach einer Pause sagte er: »Einverstanden. Ich schlage vor, dass jeder von uns einen unbewaffneten Aufklärer zu einem Punkt hunderttausend Kilometer von Ihrer gegenwärtigen Position entlang einer direkten Linie nach Hellsgate sendet. Die Begegnung wird in vierundzwanzig Stunden stattfinden.«

»Einverstanden«, sagte Drake.

»Ich muss Sie warnen, Fleet Captain, dass ich auf jedes Schiff feuern werde, das den Faltpunkt zu verlassen sucht.«

»Dagegen ist nichts einzuwenden«, sagte Drake. »Ich werde gezwungen sein, die Gefälligkeit zu erwidern, sollte eines Ihrer Schiffe versuchen, in den Faltpunkt einzudringen.«

»Verstanden.«