25

»Verflucht sei, der zuerst den Krieg erfand.«

- CHRISTOPHER MARLOWE,
Tamerlan der Große

»Zuversichtlich hoffen wir, inbrünstig beten wir, dass diese furchtbare Geißel des Krieges rasch vorübergehen möge.«

- ABRAHAM LINCOLN,
Präsident der USA, 1865

»Welche Seite sich auch zum Sieger erklären mag, in einem Krieg gibt es keine Gewinner, sondern alle sind Verlierer.«

- NEVILLE CHAMBERLAIN,
Britischer Premierminister, 1938

»Wenn jeder den Krieg so sehr verabscheut, wie kommt es dann, dass wir ständig so verdammt viele führen?«

- JOHN SEMPER FIFE,
Philosoph, 2016

Während er beobachtete, wie die Symbole der überlebenden Ryall-Kampfgruppe sich von denen der Discovery und ihrer Begleiter entfernten, glaubte Richard Drake zum erstenmal den Reiz, den der Kampf auf Angehörige seiner Spezies ausübte, wirklich zu verstehen. Die dreißig Sekunden, in denen die Discovery mit den Eindringlingen Schläge ausgetauscht hatte, waren die beängstigendsten – und die aufregendsten – seines Lebens gewesen.

Das seine Adern durchströmende Adrenalin hatte seine Sinne geschärft und den Ablauf der Zeit verlangsamt. Die Farben der Warnleuchten und des Projektionsschirmes waren auf einmal leuchtender und deutlicher; die Meldungen, die ihn über die Kopfhörer erreichten, lauter und aufgeregter. Sein Herz schlug einen Staccatorhythmus von den Schläfen bis zu den Zehen, und der Geruch ungewaschener Socken in seinem Vakuumanzug war überlagert vom Schweißgeruch seiner eigenen Angst.

So rasch, wie sie gekommen war, hatte sich diese Angst in Euphorie verwandelt, als er erkannt hatte, dass er, sein Schiff und seine Besatzung das Gefecht überlebt hatten. Er unterdrückte einen Drang, vor Freude laut loszubrüllen, und als er sich dieser Anstrengung unterzog, fiel ihm etwas ein, das einer seiner Professoren an der Kriegsakademie über die Nachwirkungen des Kampfes gesagt hatte: »Meine Herren, ein großer und weiser Staatsmann bemerkte einmal, dass nichts im Leben so fröhlich stimmt wie ohne Ergebnis beschossen zu werden.«

Drake unterdrückte seine Gefühlsregungen und überblickte die Brücke. Zuerst ging sein Blick zu Bethany, dann zu den anderen Besatzungsmitgliedern. Er tastete die Anweisung NUR BRÜCKE ein und fragte: »Sind alle unverletzt?«

Ein Chor von Bestätigungen ertönte. Dann schaltete er auf die Gegensprechanlage um und wählte die Feuerleitzentrale.

»Sind Sie noch da, Nummer Eins?«

»Hier, Sir«, meldete sich Commander Marston.

»Wie sind Ihre Leute durchgekommen?«

»Alle unverletzt, Captain. Aber wir haben Drunkard und Gossamer Gnat verloren.«

»Ich weiß«, sagte Drake. Er hatte beide Aufklärer auf dem Höhepunkt des Gefechts aus der Projektion verschwinden sehen. Acht gute Männer waren an Bord dieser Boote gewesen, darunter die Piloten Marman und Garth. »Das Gefecht war eine hervorragende Leistung, Mr. Marston. Geben Sie das Kompliment an Ihre Leute weiter.«

»Danke, Sir.«

Als Nächstes rief Drake den Chefingenieur. »Hier, Sir«, meldete sich die vertraute dünne Stimme.

»Wir sind hier auf der Brücke zum Vakuum offen, Mr. Arnam. Was können Sie dagegen tun?«

»Wir haben im Brückenbereich einen langen Riss im Rumpf, Captain. Ich habe Schadenskontrolltrupps draußen, die ihn flicken. Ich denke, dass wir Sie in ein paar Minuten wieder unter Druck setzen können.«

»Haben Sie eine Übersicht über weitere Schäden?«

»Unsere Cryogentanks sind zerfetzt, Sir. Ich habe veranlasst, dass alle Restvorräte aus den zerstörten Tanks in vier und sechs umgepumpt werden.«

»Wie viel Treibstoff haben wir verloren?«

»So weit ungefähr die Hälfte. Bis alles umgepumpt ist, werden wir weitere fünf Prozent verlieren.«

»Probleme mit dem Antrieb?«

»Keine, Sir. Wir haben volle Kraft, wenn Sie sie brauchen.«

»Gut. Lassen Sie Ihre Leute mit Hochdruck an der Schadensbehebung arbeiten. Es kann jederzeit sein, dass wir auf hohe Beschleunigung gehen müssen.«

»Zu Befehl, Sir.«

»Mr. Slater.«

»Ja, Captain.«

»Verbinden Sie mich mit Commodore Bardak.«

»Wird gemacht, Captain.«

Der Arbeitsschirm leuchtete auf, und die Züge des sandarischen Adligen kamen ins Bild. Bardaks Gesicht steckte wie Drakes in einem Helm, und sein aufgeblasener Anzug verriet, dass auch er im Vakuum saß.

»Wir haben es geschafft, Commodore«, meldete Drake.

»Erzählen Sie mir davon, Captain. Eines dieser Schlachtschiffe harkte uns im Vorbeiflug einiges ab. Sensoren nach achtern sind hinüber. Ich bin hinten blind.«

Drake meldete mit knappen Worten die Resultate der zweiten und dritten Staffel gegen die angreifenden Ryall einschließlich der Vernichtung der Angriffsträger und des Verlusts von 80 Prozent der eigenen Kampfgruppe. Bardak nahm die Nachricht mit unbewegter Miene auf.

Als Drake geendet hatte, nickte Bardak und sagte: »Haben Sie irgendwelche Vorschläge, bevor wir mit dem Sperrverband der Ryall zusammenstoßen?«

Drake blickte zum Projektionsschirm auf. Dort war zu sehen, dass die Angriffsformation der Ryall sich weiter von der Discovery und Vindicator entfernte, doch die zweite Gruppe von Ryall-Schiffen näherte sich rasch auf Kollisionskurs. Sie und der Rest von Bardaks Kampfgruppe würden den Abstand von vierzig Millionen Kilometern in weniger als einer Stunde schließen.

»Die Discovery ist nicht in der Lage, einen weiteren Angriff durchzuführen, Admiral. Meine Raketen sind verschossen, und das Schiff ist an mehr Stellen durchlöchert, als ich zählen kann.«

» Vindicator sieht nicht besser aus«, erwiderte Bardak. »Ich schlage vor, dass wir ihnen ausweichen.«

»Ja, Sir.«

»Gut, nehmen Sie Kurs auf den galaktischen Norden und beschleunigen Sie ...« – Bardak wandte sich von der Kamera weg und führte eine Überschlagsrechnung aus – »vierzig Minuten mit zwei g. Das sollte uns aus dem Weg bringen.«

»Ja, Sir.«

» Vindicator, Ende.«

»Discovery, Ende.«

Drake unterrichtete den Navigator von ihrem neuen Plan.

»Haben wir genug Treibstoff, um den Ryall auszuweichen und dann mit eigener Kraft nach Sandar zurückzukehren?«

Cristobal rechnete eine Weile, dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, Sir. Wir haben zu viel verloren.«

»Was ist das Beste, das wir erreichen können?«

Cristobal wandte sich wieder seiner Konsole zu und gab die Daten ein. Nach einer Weile schwang er mit seinem Sitz herum und sagte: »Wir haben genug Treibstoff, um nach Sandar zurückzukehren, wenn wir in eine Transferumlaufbahn gehen.«

»Wenn wir das Manöver ohne Antrieb fahren, wird es eine Weile dauern. Von wie viel Wochen sprechen Sie?«

»Von sechs Monaten, Captain.«

»Zu lang«, sagte Drake.

»Es gibt eine Alternative, Sir. Wir halten jetzt Kurs auf den Faltpunkt. Dort könnten wir ein Rendezvous mit den Gefechtsstationen planen.«

»Das ist eine gute Idee, Mr. Cristobal. Ich hätte selbst daraufkommen sollen. Nun, dann drehen Sie das Schiff auf galaktischen Nordkurs und gehen auf zwei g Beschleunigung.«

»Zu Befehl, Sir.«

Sechzig Minuten später sah Drake den Sperrverband der Ryall in sicherer Entfernung an der Discovery vorbeijagen. Er wurde noch immer von der Dritten Flotte verfolgt. Als sie vorbei waren, ließ Drake das Schiff wenden und entlang dem Kurs verlangsamen, der sie zum Rendezvous mit den Gefechtsstationen um den Faltraum bringen würde.

Zwei Stunden später saß er noch immer an seinem Platz auf der Brücke. Seine von Schlaflosigkeit und Anspannung rot geränderten Augen waren auf den Projektionsschirm konzentriert. Statt einer taktischen Darstellung zeigte dieser jetzt eine durch das Teleskop aufgenommene Ansicht von Sandar, das wie eine weiße Billardkugel mit einem breiten grünen und blauen Streifen in der Mitte aussah. Drake beobachtete abwechselnd den Planeten und das Brückenchronometer, während sich in ihm die nun schon vertraute Spannung aufbaute.

Die vier überlebenden Schiffe des Angriffsverbandes der Ryall hatten ihren Vorstoß gegen Sandar fortgesetzt und nur drei Stunden benötigt, um die gleiche Entfernung zurückzulegen, für die der kleine sandarische Flottenverband auf der Ausreise vierundzwanzig Stunden gebraucht hatte.

»Wie beurteilen Sie ihre Chancen, Mr. Marston?«, fragte Drake.

»Ungünstig«, sagte die Stimme des Ersten Offiziers in seinem Helm. »Die PVZs sollten imstande sein, alles aufzuhalten, was noch übrig ist. Natürlich könnten die Ryall mit Glück noch zu einem Erfolg kommen – so wie wir gegen die beiden Angriffsträger.«

Drake nickte wortlos. In etwa dreißig Sekunden mussten die Ryall in Reichweite des Planeten kommen. Er befeuchtete sich die Lippen und wartete angespannt.

Nach schier endloser Zeit explodierte in Richtung Sandar ein Feuersturm weißlich violetten Lichts.

Richard Drake saß in seiner Kajüte, betrachtete die Gefechtsstation, die in der Mitte seines Bildschirms schwamm, und überdachte die Ereignisse der letzten Wochen. Der gewaltige Kugelkörper der Station war weitaus stärker als das größte jemals gebaute Raumschiff und nahm es an Feuerkraft mit zehn Schlachtschiffen auf. In seinen Tiefen beherbergte er ein Vernichtungspotenzial, das frühere Generationen für unvorstellbar gehalten hätten. Doch so mächtig sie war, die Gefechtsstation und ihre mehr als fünfzig Schwesterstationen waren nicht imstande gewesen, den Durchbruch der Ryall zu verhindern. Sie hatten ihren Teil getan, nicht anders als viele Schiffe und ihre tapferen Besatzungen. Gleichwohl hatte es der militärischen Macht eines ganzen Planeten bedurft, um die Gefahr endlich abzuwenden.

Die überlebenden Ryall-Schiffe hatten tapfer angegriffen, doch ohne ihre Angriffsträger, die das Abwehrsystem mit den Massen ihrer Raketen hätten lähmen können, waren sie hoffnungslos unterlegen gewesen. Eines nach dem anderen waren sie im zusammengefassten Laserfeuer der Planetarischen Verteidigungszentren rot aufgeglüht und zu schmelzender Schlacke zusammengesunken, als ihre Antilaserpanzerung und die darunterliegenden Stahldecks durchgebrannt waren. Das Gefecht zwischen den Verteidigungszentren und den Kriegsschiffen war ein ungleicher Kampf gewesen, der dreißig Sekunden nach seinem Beginn geendet hatte.

Eine Stunde später waren die übrig gebliebenen Schiffe des Ryall-Sperrverbandes auf dem Schauplatz erschienen. Ihre Zahl betrug nur noch zehn, als sie in die planetarische Verteidigungszone eindrangen. Wieder schien Sandar in hellviolettem Licht zu explodieren, als die PVZs mit ihren schweren, fest installierten Laserkanonen das Feuer eröffneten. Und wieder schalteten sich Verteidigungssatelliten und Gefechtsstationen auf Sandars Monden mit plasmatischen Antimateriestrahlen ins Gefecht ein. Abermals wurden die Reste der Ryall-Flotte in weniger als einer Minute überwältigt und vernichtet.

Nach dem Kampf hatte John-Phillip Walkirk VI. allen Schiffen seine Glückwünsche übermittelt und Drake eine persönliche Botschaft gesandt, in der er ihm für den Einsatz der Discovery gedankt hatte. Mit der Botschaft war eine Einladung an die Altaner gekommen, nach Sandar zurückzukehren, um die diplomatischen Gespräche fortzusetzen. Drake hatte abgelehnt, so höflich er konnte, und den König davon unterrichtet, dass sein Schiff die Heimreise antreten werde, sobald die ärgsten Schäden repariert wären. Zehn Tage später unterrichtete Chefingenieur Arnam den Captain, dass die Discovery einsatzbereit sei. Drake verlor keine Zeit und bat um die Erlaubnis, die Verteidigungssphäre um den Faltpunkt zu verlassen und sich den wartenden Schiffen City of Alexandria und Suitana anzuschließen. Wie er es schon einmal getan hatte, bat Commodore Bardak Drake, seine Abreise ein paar Stunden aufzuschieben, um an Bord des Kreuzers zu einem Gespräch über wichtige Angelegenheiten zusammenzutreffen.

Der Summer an der Tür der Kajüte unterbrach Drakes Betrachtung. Er rief seine Erlaubnis zum Eintreten. Die Tür öffnete sich, und Bethany Lindquist stieg über den hohen Süll.

»Herzog Bardaks Schiff ist da und wird gleich ein Boot entsenden, Richard. Du wolltest verständigt werden.«

»Ich frage mich, warum er uns diesmal aufhält«, überlegte er laut.

»Er wird es uns bestimmt sagen«, versetzte sie.

Als sie in der Hangarbucht eintrafen, hatte das Boot von der Vindicator bereits festgemacht, und es herrschte normaler Luftdruck. Eine Doppelreihe Marinesoldaten war zum Empfang angetreten.

»Willkommen ... Admiral!«, sagte Drake, dem die glänzenden neuen Kometen auf den Kragenspiegeln seines Besuchers nicht entgangen waren.

Bardak ergriff Drakes dargebotene Hand. Ein breites Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Das Licht der Bogenlampen spiegelte sich auf seinem kahlen Schädel. »Anscheinend ist es mein Schicksal, immer wieder Ihre Heimreise zu verzögern, Captain.«

»Ich hoffe, diese Verzögerung wird nicht so aufregend sein wie die letzte.«

»Das kann ich Ihnen versichern.« Bardak wandte sich an Bethany. »Haben Sie schon ein Datum für Ihre Hochzeit festgesetzt, Milady?«

Bethany errötete ein wenig, als sie den Kopf schüttelte. »Ich habe noch immer meine Verpflichtung meinem Onkel gegenüber. Die Hochzeit wird warten müssen.«

»Warten Sie nicht zu lange damit«, sagte Bardak. »Wenn wir Sandarer aus unseren Kriegen etwas gelernt haben, dann ist es, dass man sein Glück ergreifen soll, solange man es kann.«

Bethany schob ihren Arm in Drakes und schmiegte sich an ihn. »Danke für den Rat, Admiral. Wir werden versuchen, ihn zu befolgen.«

»Gut für Sie!« Bardak wandte sich mit einer leichten Verbeugung zu Drake und sagte förmlich: »Ich komme als offizieller Emissär meiner Regierung, Fleet Captain. Wo können wir uns besprechen?«

»In der Offiziersmesse?«

»Ausgezeichnet.«

Als die drei in der Offiziersmesse Platz genommen und sich angeschnallt hatten, öffnete Bardak den mitgebrachten Aktenkoffer und nahm eine Anzahl offiziell aussehender Papiere heraus. »Dies sind Kopien, versteht sich. Die Originale werden mit dem Schiff, das entsandt worden ist, die königliche Familie zurückzuholen, zur Alexandria gebracht. Sie werden einen Vertragsentwurf zur Zusammenarbeit zwischen unseren Systemen finden, mehrere Protokolle über Handelsvereinbarungen und eine persönliche Botschaft meines Königs an Ihre Regierung und Parlament.

Ferner befindet sich bei diesen Unterlagen eine zusammenfassende Aufzeichnung von allem, was wir in einem Jahrhundert der Kriege über die Ryall in Erfahrung gebracht haben. Sie werden auch gebeten, Ihre Regierung zu verständigen, dass sie innerhalb von hundert Tagen nach Ihrer Rückkehr mit der Ankunft einer diplomatischen Delegation im System Valeria rechnen kann. Wir werden ein Schiff entsenden, sobald wir die größten Schäden an unseren Verteidigungsanlagen repariert haben, die durch diesen letzten Angriff entstanden sind.«

Drake nahm die Papiere und die Aufzeichnungstafeln entgegen. »Wir werden Sie erwarten.«

»Viel Glück für Ihre Heimreise. Ich wünschte nur, ich hätte Ihnen bei Ihrer Mission so helfen können, wie Sie mir bei meiner halfen.«

»Wie bitte?«, fragte Drake.

»Ich beziehe mich auf die Angelegenheit dieses Schiffswracks von der Erde«, erläuterte Bardak. »Ich wünschte, wir hätten Ihnen sagen können, wie es in unser System geraten ist.«

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, sagte Drake.

»Die Conqueror musste von irgendwo kommen. Wir brauchen bloß herauszubringen, woher ...« Er brach plötzlich ab und fasste sich unwillkürlich an den Kopf.

»Was ist los, Richard?«, fragte Bethany.

»Ich hatte gerade den seltsamsten Gedanken«, sagte er. »Es könnte sein, dass in der Frage der Herkunft der Conqueror des Rätsels Lösung liegt!«

»Woher sollte sie gekommen sein?«

»Augenblick«, sagte Drake. Er stand auf, ging zum holographischen Projektionsschirm an der Stirnwand des Raumes und rief ein Faltraumdiagramm ab. Nachdem er verschiedene Darstellungen projiziert hatte, fand er diejenige, die er gesucht hatte. Es war eine dreidimensionale Karte der Faltraumverbindungen zwischen den Systemen Valeria, Napier, Hellsgate und Antares.

Das System Valeria war leicht zu identifizieren, weil es das einzige mit nur einem Faltpunkt (Valeria-Napier) war. Hellsgate war das nächste, mit zwei Faltpunkten (Hellsgate-Aezer, Hellsgate-Napier), gefolgt von Napier mit seinen drei Faltpunkten (Napier-Antares, Napier-Hellsgate und Napier-Valeria). Und zuletzt kam Antares mit seinen vor dem Novaausbruch bestehenden sechs Faltpunkten. Drake betrachtete das Diagramm, bevor er fortfuhr:

»Mir wurde eben klar, dass wir auf New Providence etwas übersahen. Wir wissen, dass die Conqueror das System Valeria vom System Napier her erreicht hatte. Als wir New Providence verlassen vorfanden, folgerten wir natürlich, dass die Conqueror von Hellsgate ins System Napier gekommen sei. Sie aber, Admiral Bardak, sagen, es sei nicht so gewesen.«

»Richtig«, bestätigte Bardak.

»Ich glaube Ihnen«, sagte Drake und streckte die Hand zum Diagramm aus. »Sehen Sie unseren Fehler?«

»Offen gestanden, nein«, erwiderte Bardak.

»Ich auch nicht«, sagte Bethany. »Wir haben alle Faltpunkte im Napier-System als Kandidaten eliminiert.«

»Nicht alle«, sagte Drake. Er zeigte auf den Faltpunkt, der die Inschrift NAPIER-ANTARES trug.

»Aber das ist unmöglich!«, rief Bethany aus.

»Weshalb?«

»Weil dieser Faltpunkt ins Herz der Supernova führt!«

»Das trifft zu.«

»Ich erinnere mich, dass jemand mir Vorhaltungen machte, weil ich auf New Providence so unvorsichtig war, mich vom Antaresaufgang überraschen zu lassen, Richard.«

Er lachte. »Ich glaube mich an etwas Ähnliches zu erinnern.«

»Wenn die Strahlung auf New Providence so gefährlich war, fünfzehn Lichtjahre von der Gasblase entfernt, wie muss sie dann in ihrem Innern sein?«

»Es ist schwer vorstellbar«, räumte Drake ein, »aber die Conqueror passierte nichtsdestoweniger die Antares-Verbindung auf ihrem Weg zu unserem System. Ich kann es beweisen.«

»Wie?«

»Erstens durch den Zustand der Leichen, die wir fanden. Mehrere lagen in Abteilungen, die noch unter Druck standen und Sauerstoff enthielten, doch gab es keine Anzeichen von Verwesung. Das Schiff war durch harte Strahlung sterilisiert worden. Außerdem fanden wir, dass die Computer allesamt durch die Strahlung ausgefallen waren, alle bis auf jene, die durch ihre Konstruktion spezifisch strahlungsresistent waren. Doch selbst diese hatten gelitten. Wir dachten damals, es handle sich um Hinweise darauf, dass die Conqueror den Nahtreffer einer Nuklearwaffe erhalten habe. Wir irrten uns. Was wir sahen, war das Ergebnis eines Kurses, der das Schlachtschiff durch die Gasblase der Antares-Nova führte.«

Bardak runzelte die Stirn. »Wenn Sie Recht haben, Captain, ist es völlig nutzlos, die Route der Conqueror zum System Valeria zu kennen. Es ist ein Weg, der nur von einem beschädigten Schiff und einer toten Besatzung begangen werden kann.«

»Nicht unbedingt. Wir haben Abschirmungsfelder gegen harte Strahlung. Theoretisch ließen sich diese bis zu dem Punkt verbessern, wo sie Schiff und Besatzung im Innern der Gasblase schützen würden.«

»Darauf würde ich mein Leben nicht setzen wollen«, meinte Bardak.

»Wie oft haben Sie versucht, die Blockade der Ryall im Aezer-System zu durchbrechen?«, fragte Drake.

»Dreimal.«

»Und wie erfolgreich waren Sie?«

»Sie wissen recht gut, wie erfolgreich wir waren«, knurrte Bardak.

»Sandar und Alta sind vom Rest des menschlich besiedelten Raumes abgeschnitten«, sagte Drake. »Wie lange, meinen Sie, können zwei abgelegene Kolonien allein der Macht der Ryall-Hegemonie standhalten?«

»Wenn wir nicht Hilfe bekommen, werden wir im Laufe der nächsten fünfzig Jahre überrannt«, sagte Bardak. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Wir müssen Hilfe von der Erde kriegen. Es liegt auf der Hand, dass wir entweder das feindbesetzte Aezer-System durchbrechen oder die Antares-Gaswolke durchstoßen müssen. Wenn es eine dritte Möglichkeit gibt, sehe ich sie zumindest nicht.«

Die Discovery durchschnitt das Napier-System mit einem Abgasstrahl glühenden Plasmas. Ihr folgten dichtauf City of Alexandria und Suitana, als die Expedition das System von einem Faltpunkt zum anderen durchkreuzte. Napier-Hellsgate lag zwei Tagesreisen hinter ihnen, während Napier-Valeria noch acht Tage voraus lag. Als die drei Schiffe in einer flachen hyperbolischen Bahn das System durcheilten, beschäftigten sich die Wissenschaftler und Bordoffiziere mit der Sammlung aller Daten, die über die Gaswolke des Antares verfügbar waren.

Drake saß an seinem Platz auf der Brücke der Discovery und beobachtete die Darstellung der Gaswolke auf dem Projektionsschirm. Er hatte die Nachtwache übernommen, und die Deckenbeleuchtung war auf ein trübes Blau reduziert. Nachdenklich betrachtete er den gewaltigen Ball aus Licht, der sich vom höllisch blendenden Stern im Zentrum noch immer in alle Richtungen ausbreitete. Auf den ersten Blick schien die milchig weiße Wolke bis auf die allgemeine Helligkeitsabnahme vom Mittelpunkt zum Rand ohne besondere Merkmale. Aber Stunden, die in sorgfältiger Beobachtung an astronomischen Fernrohren mit geeigneten Filtern vorgenommen worden waren, hatten Wirbel und Strömungen von erhitzten Gasen gezeigt. Mit einiger Übung und etwas Phantasie war es möglich, die Wolke als ein dreidimensionales Phantom wahrzunehmen, das in der ewigen Nacht des Raumes schwebte.

»Schön, nicht wahr?«

Beim Klang der Stimme wandte Drake den Kopf und sah Bethany neben sich stehen. »Was treibt dich zu dieser Nachtstunde um?«

»Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie. »Da dachte ich mir, dass ich die Wolke beobachten könnte. Was ist dein Vorwand?«

»Der gleiche«, sagte er. »Ich habe Wachdienst und sonst nichts zu tun.« Sein Blick ging wieder zur Projektion, und ein Schauer überlief ihn. »Ich habe es mir anders überlegt.«

»Was?«

»In dieses verdammte Ding einzutauchen! Ich hatte vergessen, wie groß es ist! Ich muss einen Anfall von Größenwahn gehabt haben, um auch nur daran zu denken.«

»Eher einen Anfall von Inspiration.«

»Dann glaubst du, dass wir es machen können?«

»Ich muss es glauben«, erwiderte sie. »Jenseits von Antares ist die Erde, und ich habe meinem Onkel versprochen, dass ich seine Depeschen dorthin bringen werde.«

Er hob die Hand und streichelte ihre Wange. »Bist du immer so hartnäckig?«

»Immer!«

»Ich sehe schon, dass ich mich auf etwas gefasst machen muss, wenn wir verheiratet sind.«

Sie lachte. »Nicht, wenn du mir meinen Willen lässt.«

»Ich habe mir überlegt, was das Parlament tun wird, wenn ich sage, dass wir uns nur vor den Ryall retten können, wenn wir eine Anzahl von Schiffen bauen, die in die Überreste eines explodierten Sterns eintauchen können.«

»Die Abgeordneten werden tun, was sie in einer Krise immer tun«, meinte Bethany. »Zuerst werden sie schreien, protestieren, der Frage ausweichen und sich tausend Gründe ausdenken, die ihnen erlauben, das Problem auf die lange Bank zu schieben. Wenn darüber ein, zwei Jahre vergangen sind, werden sie sich beruhigen, die Herausforderung annehmen und tun, was getan werden muss. Das ist die Art von uns Menschen.«

»Hoffentlich hast du Recht.«

»Natürlich habe ich Recht«, sagte sie und setzte sich auf den Beobachterplatz neben ihn. Zu zweit betrachteten sie lange die Projektion, ohne etwas zu sagen. Endlich brach Drake das Schweigen. »Erinnerst du dich, wie aufgeregt du warst, als du erfuhrst, dass der Faltpunkt wieder offen war?«

Sie nickte. »Ich hörte es eines Tages in den Nachrichten, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Und ich dachte, wie aufregend es sein würde, wieder hinauszukommen und Menschen anderer Welten zu sehen.«

»Würdest du genauso gedacht haben, wenn du von den Ryall gewusst hättest? Ich meine, würdest du dann den Faltpunkt offen oder geschlossen wünschen, wenn du die Wahl hättest?«

»Offen, natürlich.«

»Warum?«

»Weil ich glaube, dass es für uns Menschen unerträglich ist, in einem einzigen Sternsystem gefangen zu sein. Wenn die Öffnung des Faltpunktes uns die Ryall beschert hat, so hat sie uns auch die Freiheit gegeben, wieder zur Erde zu gelangen. Wir werden die Ryall schlagen, Richard. Entweder wir oder unsere Kinder. Wir haben gar keine andere Wahl.«

»Mit anderen Worten«, sagte Drake lächelnd, »ich sollte aufhören, mich zu sorgen, und stattdessen Überlegungen anstellen, wie ich eine Flotte durch die Antares-Gaswolke bringen kann.«

»Genau! Seit wann hat sich Homo sapiens von einer Kleinigkeit wie einer Supernova den Weg versperren lassen?«