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Silbriges Licht lag auf der altanischen Landschaft, als der Wagen über eine Anhöhe und aus dem Schatten der steilen Böschung kam.

»Ich kann mich nie daran gewöhnen, wie hell es ist«, sagte Olivia Southington zu Bethany Drake. Der Wagen hatte den Wald verlassen und fuhr langsam die gewundene Straße den Hügel hinauf, wo die Elite von Homeport ihre Villen hatte.

»Wie war es in den Tagen, nachdem die Druckwelle der Nova über Alta hinwegging?«

»Es sah aus, als wäre am Himmel ein elektrisches Bogenschweißgerät aufgegangen. Es war schwer, die Kinder zu Bett zu bringen, während die Nova am Himmel war. Glücklicherweise sind Kinder sehr anpassungsfähig. Nach einer Weile nahmen sie es als ein weiteres Detail ihres täglichen Lebens.«

»Ja«, erwiderte Olivia, »Kinder machen das Leben lebenswert. Wie geht es dem kleinen Ritchie? Schläft er jetzt die Nacht durch?«

»Ja, Gott sei Dank! Was ich vermisse, wenn Richard fort ist, das ist die Möglichkeit, ihn um drei Uhr früh aus dem warmen Bett zu stoßen, damit er den Kleinen versorgt.«

»Nur das?«, fragte eine männliche Stimme vom Rücksitz. Bethany fühlte ihre Ohren warm werden und war froh, dass die einzige Beleuchtung vom Armaturenbrett des Wagens kam. »Das Eheleben hat noch andere Kompensationen, die ich ebenso vermisse, Señor Santiago.«

Jorge Santiago hatte von Zeit zu Zeit angedeutet, dass er bereit sei, ihre Gedanken von ihren Sorgen abzulenken, wenn sie sich nachts einsam fühlte. Bisher war es ihr gelungen, so zu tun, als entgingen ihr die Implikationen seiner Bemerkungen, obwohl sie wusste, dass er wusste, dass sie wusste ... Es gehörte halt zu den Dingen, die es interessant machten, einer Spezies mit zwei Geschlechtern anzugehören. Außerdem hatte er, wenn das Gerücht zutraf, mit Consuela Aragon, die als vierte Passagierin im Wagen saß, alle Hände voll zu tun.

»Wer ist diese Frau, zu deren Empfang wir heute Abend fahren?«, fuhr Santiago fort, unbekümmert um die plötzliche Stille, die im Wagen entstanden war.

»Evelyn Mortridge ist eine der wichtigsten Damen der Gesellschaft von Homeport. Wenn jemand auf Alta eine Rolle spielt, wird er oder sie früher oder später zu einer von Mrs. Mortridge Soireen erscheinen. Übrigens lernte ich Richard auf einer ihrer Gesellschaften kennen.«

»Und wer wird heute Abend dort sein?«, fragte Olivia.

»Die üblichen Leute aus Politik und Wirtschaft, natürlich. Sie werden darüber reden, wie hoch die Kriegssteuern sind. Vielleicht hat man die Kapitäne von ein paar Schiffen der Terranischen Marine eingeladen, dazu ihre jungen Offiziere, um die einheimischen Mädchen glücklich zu machen. Ein paar Universitätsprofessoren und andere Prominente, einige von Evelyns Oberklassenclique.«

»Mich interessiert nur, ob es was zu trinken gibt«, murmelte Santiago in Bethanys Ohr. Sie roch den Avarato, den er am Nachmittag gehabt hatte, in seinem warmen Atem, der an ihr rechtes Ohr wehte.

»Ganz bestimmt wird es was zu trinken geben.«

Das Gespräch hörte abrupt auf, als der große Wagen die Höhe des breit hingelagerten Hügels erreichte. Dreihundert Meter voraus und zur Linken stand ein hell beleuchtetes Haus. Bethany verlangsamte und bog in die Zufahrt.

Zwei livrierte Diener öffneten alle vier Türen des Wagens; Bethany schwang ihre in schimmernde Seide gehüllten Beine aus dem Wagen und drückte den Schalter, der das Fahrzeug selbsttätig zum Parkplatz fahren würde, bevor sie mit Hilfe eines Dieners ausstieg.

Am Fuß der Freitreppe blieb sie stehen und zupfte ihr Schultertuch zurecht. Nach einer Pause von 125 Jahren hatte die Mode auf Alta den Anschluss an jene der Erde wiedergefunden, und Bethany konnte sich nicht recht mit dem gegenwärtigen Trend zu bloßen Schultern anfreunden, schon gar nicht an einem Abend, der den baldigen Winteranfang ankündigte.

Sie stieg die Stufen zum beleuchteten Säulenvorbau hinauf. Olivia folgte ihr auf den Fersen, während Jorge Santiago seiner Assistentin den Arm bot und in gemächlicherem Schritt folgte. Evelyn Mortridge erwartete sie unter dem Portikus.

»Bethany, wie schön, dass Sie gekommen sind! Wie geht es dem Kleinen?«

»Ein kleiner Racker, Evelyn.«

»Wie alt ist er jetzt?«

»Nächste Woche werden es drei Monate.«

»Wenn ich nächstes Mal in die Stadt hinunterkomme, werde ich den kleinen Liebling sehen müssen.«

»Er ist die meisten Tage mit mir im Institut. Kommen Sie irgendwann vorbei, ich werde zusehen, dass Sie das volle Programm bekommen.«

»Ist das klug, meine Liebe?«

»Ist was klug?«

»Das Kind diesem Ding auszusetzen? Der Himmel allein weiß, was für Krankheitserreger es mit sich trägt.«

»Varlan ist kein Ding, Evelyn, und auch kein Es. Sie ist eine Ryall, und wir wissen eine ganze Menge über die Krankheitserreger, die sie trägt. Keiner von ihren Mikroorganismen kann von menschlicher Biochemie leben. Wenn überhaupt, ist Ritchie bei ihr sicherer als beim menschlichen Personal.«

»Sie lassen ihn in denselben Raum mit ... ihr?«

»Klar. Sie hält ihn sogar und gibt ihm manchmal seine Flasche, obwohl sie es nicht mag, wenn er sie besabbert. Der Geruch von Milch verursacht ihr Übelkeit, wissen Sie. Wenn ich es recht bedenke, mag ich ihn auch nicht.«

Ihre zwei Jahrzehnte als Gastgeberin hatten Evelyn Mortridge gelehrt, wie und wann das Thema zu wechseln war. Statt Bethany in ihrer Verteidigung dieses ... dieses Krokodils zu bestärken, wandte sie sich Bethanys Begleitern zu.

»Und wen haben wir hier, meine Liebe?«

»Mrs. Mortridge, ich möchte Ihnen drei Kollegen von mir vorstellen, alle von der Universität Buenos Aires. Dr. Olivia Southington, Dr. Jorge Santiago, Señorita Consuela Aragon. Sie sind eine Gruppe von Xenologen, die gekommen sind, Varlan zu studieren.«

»Buenas noches, meine Freunde«, sagte Evelyn Mortridge und ergriff Olivia Southingtons Hand.

Olivia lächelte. »Ich arbeite bloß für die Universität, Mrs. Mortridge. Ich bin selbst nicht spanischer Abstammung.«

»Buenas noches«, sagte Jorge Santiago, als er an der Reihe war, die Gastgeberin zu begrüßen. »Ihr Willkommen ist sehr liebenswürdig.« Er nahm ihre Hand und beugte sich darüber, sie zu küssen, was die Dame des Hauses hinreißend fand.

»Sprechen Sie in Ihrem Heimatland immer noch Spanisch, Senior Santiago?«

Er nickte. »Im Privatleben. An der Universität und im Geschäftsleben sprechen wir natürlich Standard, genau wie alle anderen.«

»Wie bezaubernd! Auf Alta haben wir nichts dergleichen. Ich habe immer die Erde besuchen wollen, um die verschiedenen Kulturen zu erleben. Es wird so langweilig, wenn alle genauso sind wie man selbst, finden Sie nicht auch? Die Erde ist schon lange ein Hobby von mir gewesen, das heißt, Bücher darüber zu lesen. Ich dachte nie, dass ich einmal imstande sein würde, die Reise dorthin zu machen.

Nun, ich will meine bezaubernden Besucher nicht mit Beschlag belegen. Meine Gäste drinnen werden mir nicht verzeihen, wenn ich Sie länger aufhalte. Bitte machen Sie es sich bequem. Mi casa es su casa, heißt es, glaube ich.«

»Ich danke Ihnen, verehrte Dame«, schnurrte Jorge Santiago.

»Ich hätte es nicht besser sagen können, und Ihre Aussprache ist nahezu perfekt.«

Sie gingen hinein, als draußen ein weiterer Wagen vorfuhr und von den Dienern in Empfang genommen wurde. Bethany war beeindruckt von der reibungslosen Organisation.

»Sie weiß einiges«, bemerkte Consuela. »Warum sollte jemand hier auf Alta Spanisch lernen, wenn es nicht gesprochen wird?«

»Ich gab Ihre Namen heute Vormittag durch, als ich die Einladung beantwortete. Offensichtlich hat Evelyn daraufhin einige Zeit am Computer verbracht.«

»Sie ist eine versierte Gastgeberin. Würde bei uns zu Haus gut in eine Teegesellschaft der Fakultät passen.«

»Wird bei den Teegesellschaften der Fakultät auch geklatscht?«

Olivia lachte. »Und ob, meine Liebe. Sie tun kaum etwas anderes!«

In der Eingangshalle waren eine Menge Leute. Aus anderen Räumen im Inneren des Hauses drangen die Klänge einer Melodie, die Bethany nicht kannte, doch sie wusste, dass die Musik von einem echten Ensemble gespielt wurde. Bei Evelyn Mortridges Gesellschaften wurden niemals Tonaufzeichnungen verwendet.

Jorge Santiago legte einen Arm um Consuelas Taille und machte sich auf die Suche nach der Bar. Bethany winkte Olivia, ihr zu folgen, und führte sie in den Ballsaal, wo kleine Gruppen von Leuten herumstanden, Gläser mit Getränken in den Händen, und miteinander redeten, wie es seit undenklichen Zeiten bei Gesellschaftsempfängen üblich war. Sie erspähte eine vertraute weißhaarige Gestalt und zog Olivia mit sich. »Da ist jemand, mit dem ich Sie bekannt machen möchte. Olivia, dies ist mein Onkel Clarence. Er war nach dem Tode meiner Eltern für meine Erziehung verantwortlich.«

»Onkel Clarence«, sagte Olivia und gab ihm die Hand.

»Ach, Verzeihung«, sagte Bethany hastig. »Olivia Southington, Clarence Whitlow, erblicher terranischer Botschafter auf Alta und von Gottes Gnaden und aus eigenem Verdienst der gegenwärtige Botschafter emeritus.«

»Ein wirklich wichtiger Mann«, sagte Olivia.

»Kaum. Bei offiziellen Anlässen lassen sie mich die Schärpe tragen, aber mein Erster Botschaftssekretär tut alle wirkliche Arbeit.«

»Komm schon, Onkel. Du weißt, dass du der beste Mann für den Posten bist.«

Er nickte. »In Anbetracht dessen, dass die Arbeit in der Koordinierung unserer Kriegsanstrengungen besteht und des Umstandes, dass ich ein Einheimischer bin und weiß, wo all die Leichen verscharrt sind, mag das so sein. Wenn dies ein normaler diplomatischer Posten wäre, hätten sie einen alten Ochsen wie mich auf die Weide geschickt, sobald ein echter Berufsdiplomat dem ersten Schiff von der Erde entstiegen wäre. Immerhin hat der Posten seine Privilegien, einschließlich der Einladungen zu Evelyn Mortridges Gesellschaften. Sie lud mich nie ein, als ich bloß ein Mitleid erregender alter Mann war, der sich weigerte zu glauben, dass Alta für immer von der Mutterwelt abgeschnitten sei.«

»Niemand hat dich je für einen Mitleid erregenden alten Mann gehalten, Onkel.«

»Offensichtlich verkehrst du nicht in den gleichen Kreisen wie ich, junge Dame.«

»Was tust du heute Abend überhaupt hier? Ich weiß, dass du diese Empfänge nicht magst.«

»Ich tue meine Pflicht, wie gewöhnlich. Im Parlament gibt es gewisse Intrigen, und ich bin hier, um sie auszuschnüffeln. Tatsächlich kennst du den Oberintriganten.«

»Hallo, Bethany«, sagte eine bekannte Stimme hinter ihr. Sie wandte sich um und sah in dasselbe Grinsen, das sie einmal so anziehend gefunden hatte.

»Hallo, Carl.«