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Evelyn Mortridges Villa war wie die meisten der Herrenhäuser auf den Hügeln um Homeport in einem Stil erbaut, der auf der Erde dreihundert Jahre früher beliebt gewesen war. Durch Klatsch hatte Bethany erfahren, dass ein Besucher von Terra das Haus während einer von Evelyns wöchentlichen Soireen »anheimelnd altmodisch« genannt und die Gastgeberin damit so aus der Fassung gebracht habe, dass der Schleier ihrer Gastfreundschaft beinahe ein Loch bekommen hätte. Bethany, die selbst auf Alta geboren war, konnte Evelyns Verstimmung verstehen.
Neben der Bibliothek befand sich der große Salon mit seinem mächtigen Kamin. Ein offener Kamin war auf Alta eine Extravaganz, und einer, in dem echtes Holz verbrannt werden konnte, in noch höherem Maße. Das war natürlich der Grund, warum Evelyn Mortridge einen offenen Kamin hatte. Wie sonst könnte sie sich von den gewöhnlichen Leuten unterscheiden, wenn nicht durch die auffallende Zurschaustellung von Reichtum?
Vor dem Kamin stand eine Gruppe von Gästen, die Bethany von früher bekannt waren, als sie Carl zu Veranstaltungen der Konservativen Partei begleitet hatte. Die ziemlich lebhafte Konversation verstummte, als sie, Carl und Olivia Southington hinzukamen. Carl machte sie miteinander bekannt; danach ergriff Galston Highe, ein Parlamentsabgeordneter mit schnarrender Stimme, als erster das Wort.
»Bethany Drake? Die Gemahlin von Admiral Drake?«
»Ja, Sir.«
»Ihr Ehemann machte uns alle stolz, als ihm das operative Flottenkommando übergeben wurde.«
»Dafür können Sie Großadmiral Belton danken. Er hält viel von Richard.«
»Wir fühlen uns geehrt, dass Sie sich unserem kleinen Forum angeschlossen haben.«
»Ist das hier ein Forum?«, fragte sie in einer gelungenen Imitation staunender Naivität.
»Wann immer zwei Politiker zusammenkommen, um die gesetzgeberische Tagesordnung zu besprechen, ist es ein Forum.«
»Solange keine Fäuste fliegen«, bemerkte eine weibliche Abgeordnete vom kleineren Kontinent. »In diesem Fall ist es eine Schlägerei.«
»Oder ein Aufruhr«, warf ein weiteres Mitglied der Gruppe ein.
Highe ging nicht auf den heiteren Spott ein. »Ihr Gemahl und all die jungen Leute unserer Flotte haben sich in diesen letzten Monaten ausgezeichnet bewährt.«
Von mehreren Seiten kam zustimmendes Gemurmel.
»Ich danke Ihnen für die Unterstützung, die Sie meinem Mann und den Besatzungen unter seinem Kommando gewähren. Ich werde das in meinem nächsten Brief erwähnen.«
»Das würden wir zu schätzen wissen, Mrs. Drake«, sagte Highe glatt. »Vielleicht können Sie auch unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass dieser Krieg zu einem raschen und erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann.«
»In diesem Punkt braucht er keine Instruktion, Sir«, erwiderte Bethany etwas frostig.
»Keine Kränkung war beabsichtigt, das versichere ich Ihnen«, fuhr der Abgeordnete fort. »Es hat lediglich mit dem Umstand zu tun, dass wir gerade ... sagen wir, diskutierten ... wie die Feindseligkeiten am besten zu beenden wären. Wir haben uns gefragt, ob es für diese unsere Invasion ein Endziel gibt.«
»Das ›Endziel‹, wie Sie es nennen, war von Anfang an klar. Wir erobern Spica, lähmen die Wirtschaft der Ryall und warten auf den Zerfall ihrer Zivilisation.«
»Missverstehen Sie mich nicht, Mrs. Drake. Der Plan Ihres Ehemannes ist bisher sehr schön aufgegangen. Wir haben unseren Fuß im Nacken dieser schuppigen Bastarde, und solange wir ihn dort halten können, werden wir unser langfristiges Ziel erreichen. Die Frage ist, ob wir es uns leisten können, abzuwarten, bis die Natur ihren Gang genommen hat. Vielleicht sollten wir den Prozess durch eine aktivere Rolle fördern.«
»Aktivere Rolle?«, fragte Bethany. »Wir zerstören ihre Schiffe so rasch, wie sie aus den Faltpunkten kommen. Wie viel aktiver kann man werden?«
»Angriff ist die beste Verteidigung. Dieser alte Grundsatz ist es, den wir nach meiner Auffassung beherzigen müssen.«
Galston Highes Stimme war lauter und sein Tonfall schärfer geworden, als er sich für das Thema erwärmte. So war es ein gewisser Schock, als eine ruhige Stimme das momentane Schweigen brach. »Wie sind die derzeitigen Projektionen für einen wirtschaftlichen Zusammenbruch?«
Bethany wandte sich der grauhaarigen Frau zu, die neben ihr stand. Sie war als Garnet Price vorgestellt worden, Abgeordnete von Nova Haven.
»Optimistische Schätzungen besagen, dass es zwei Jahre dauern werde, bis eine Knappheit an wichtigen Rohstoffen und Materialien für ihre Kriegsmaschine spürbar wird. Pessimistische Schätzungen rechnen damit, dass sie noch ein Dutzend Jahre aushalten werden, wenn auch mit abnehmender Wirksamkeit.«
»Ein Dutzend Jahre«, sinnierte Price. »Und wir sind jetzt seit – wie viel, acht Wochen? – im Besitz der Kontrolle über Spica. Wie viele von unseren Leuten sind in dieser Zeit getötet worden?«
»Die letzte Verlustliste zählt 8.526 Gefallene. Das schließt alle Kampfhandlungen mit ein, nicht nur die Operation Spica.«
»Mehr als achttausend Tote in zwei Monaten. Verluste dieser Größenordnung können wir schwerlich zehn Jahre lang hinnehmen, nicht wahr?«
»Das können wir nicht. Es wird auch nicht bei diesen Zahlen bleiben«, erwiderte Bethany. »Unsere Strategen haben die Kampfkraft der Ryall analysiert und in Beziehung zu ihren Verlusten während unserer Invasion gesetzt. Die eigenen Verluste sollten mit der zunehmenden Schwächung der Ryall zurückgehen.«
»Ein paar ihrer letzten Gegenangriffe hätten beinahe Erfolg gehabt«, sagte Highe. »Nach den letzten Meldungen von Spica war der Kampf um den Faltpunkt Cor letzte Woche eine knappe Angelegenheit.«
»Ach, davon habe ich noch gar nicht gehört«, sagte Bethany.
»Gibt es schon Verlustlisten?«
»Nein. Sie sollten mit dem nächsten planmäßigen Kurierschiff kommen. Ich fürchte, morgen um diese Zeit wird es mehr Mütter, Ehefrauen und Töchter geben, die um ihre gefallenen Angehörigen weinen.«
Bethany überlief es kalt. Die logische Hälfte ihres Gehirns sagte ihr, dass Richards Flaggschiff wahrscheinlich Millionen von Kilometern von den Kämpfen entfernt gewesen war. Die emotionale Hälfte, wo noch das kleine Mädchen wohnte, das Angst vor der Dunkelheit hatte, glaubte das Schlimmste, nämlich, dass das nächste Kurierboot, das im Faltpunkt Val/Napier erschien, eine Kondolenzbotschaft für sie und den kleinen Ritchie mitbringen würde.
»Wenn wir mit knapper Not imstande waren, diese Verzweiflungsangriffe abzuwehren, wie können wir einem massiven Angriff planmäßig zusammengefasster Kräfte standhalten?«, fragte ein Neuankömmling. Er war nicht vorgestellt worden, und Bethany kannte ihn nicht.
»Hoffentlich werden wir bis dahin die Orbitalfestungen in Position haben«, antwortete sie. »Mit ihrer Feuerkraft sollten wir in der Lage sein, jede Streitmacht zurückzuschlagen, die die Ryall aufbieten können.«
»Aber wir werden Verluste hinnehmen können«, beharrte Highe.
»Selbstverständlich. Verluste sind ein unvermeidlicher Teil des Krieges.«
»Und wenn sie nie aufhören, uns anzugreifen? Wenn wir ihre Fähigkeiten unterschätzt haben? Wenn sie mit einem Gegenangriff auf unseren brillanten Plan kontern und uns hier zu Haus an der Gurgel packen, während ein Großteil unserer Kräfte in der Operation Spica gebunden ist?«
»Ich nehme an«, sagte Bethany«, dass Sie eine Lösung für dieses Problem haben.«
»Die haben wir allerdings«, sagte der Abgeordnete. »Wir warten nicht, bis die Gesetze der Ökonomie ihnen den Rest geben. Sobald wir sie kampfunfähig haben, gehen wir mit überwältigender Macht in ihre Systeme und löschen sie einen nach dem anderen aus.«
»Löschen sie aus? Wie?«
»Indem wir tun, was sie getan haben und allzu vielen unserer Welten anzutun versuchten. Wir bombardieren sie mit jeder Nuklearwaffe, die wir zusammenkratzen können, und dann lassen wir Antimateriebomben auf sie regnen, bis ihre Heimatwelten nichts als weite, abkühlende Lavafelder sind.«
»Sie sprechen von Ausrottung«, erwiderte Bethany. Es fiel ihr schwer, die Beherrschung zu wahren.
»Ganz recht, davon spreche ich. Alle miteinander ausrotten, sage ich, bevor sie uns ausrotten.«
Der Kapitän des Ingenieurkorps, Mikhail Borisovich Andrejew, saß angeschnallt hinter seinem übergroßen Schreibtisch und versuchte noch ein paar Vorgänge zu erledigen, die auf seinem mehr als vollen Terminkalender für den Tag standen, bevor sein prominenter Besucher erschien. Jenseits seines Büros erstreckten sich in jeder Richtung die schiefergrauen Schotten und gewaltigen Maschinen der Orbitalwerft Delta Sieben, die vor kurzem aus ihrer Umlaufbahn um Halcyon IV abgezogen worden war und nun in einer Umlaufbahn um Eulysta II lag, ihren früheren Eigentümern als Corlis bekannt. Das war zumindest die menschliche Transliteration der unaussprechlichen Ryall-Phoneme, die den wahren Namen dieser Welt ausmachten. Eine Orbitalwerft erfüllte die gleichen Funktionen wie ihre Gegenstücke am Boden, nur wurden alle Arbeiten unter Bedingungen minimaler Schwerkraft ausgeführt. Delta Sieben hatte die technischen Möglichkeiten, alles bis hin zu einem leichten Kreuzer von null an neu zu bauen, vorausgesetzt, die benötigten Materialien und Anlagen zum Einbau wurden angeliefert. Mit einigen Veränderungen an den Kokons aus Kohlenstofffasern, mit denen die verwundeten Patienten umgeben wurden, konnte die Reparaturwerft sogar größere Eingriffe an einem der großen Schlachtschiffe vornehmen. Im Moment waren die großen Hangars der Reparaturwerft leer, und ihr erster Kunde sollte ein leichter Kreuzer sein, was die epische Reise durch den Nebel, die Andrejew und seine Männer gerade beendet hatten, kaum zu rechtfertigen schien. Die Flotte, die gegenwärtig im Raum um Spica kämpfte, war lediglich die Lanzenspitze der Menschheit. Hinter dieser scharfen Spitze erstreckte sich eine logistische Kette, die bis zur Erde zurückreichte. So war es gekommen, dass Delta Sieben zum ersten Mal in fast einem Jahrzehnt seine Triebwerke in Gang gesetzt, seine neu installierte Strahlenabschirmung eingeschaltet und sich auf den Weg durch das Herz einer hundertjährigen Supernova zu diesem fremden Sternsystem gemacht hatte, das gegenwärtig zu einer Nachschubbasis und vorgeschobenen Bastion ausgebaut wurde.
Andrejews elektrische Anzeige piepte, und die Gefreite, die als seine Empfangsdame fungierte, kündigte die Ankunft seines erwarteten Besuchers an.
»Commander Walkirk von der Queen Julia für Sie, Sir.«
»Schicken Sie ihn herein«, befahl Andrejew.
Die Uniform des Offiziers, der durch die Türöffnung schwebte, war Kapitän Andrejew unbekannt, aber das war in dieser vereinigten Flotte keineswegs ungewöhnlich. Die meisten provinziellen Marinen bewachten ihre Heimatsysteme und überließen Offensivoperationen weitgehend der Terranischen Marine.
»Commander Walkirk, königlich sandarische Marine, Kommandant der Queen Julia, wie angemeldet zur Stelle.«
»Willkommen an Bord, Walkirk. Was können wir für Sie tun? Sie sind unser erster Kunde, wissen Sie.«
»Ich werde nicht der letzte sein, Sir, nach den Verlusten, die wir erlitten haben.«
»Das hörte ich. Neuigkeiten von der Front?«
»Sie wissen wahrscheinlich mehr als ich, Sir. Wir haben einen ganzen Monat gebraucht, um die Queen Julia bis hierher zu bringen, und wir dachten schon, wir würden sie in Carratyl aufgeben müssen.«
»Nun, Sie haben es geschafft und sind in guten Händen. Was brauchen Sie?«
Phillip erklärte die Schäden, die sein Schiff davongetragen hatte, in wenigen, sorgfältig formulierten Sätzen. Kapitän Andrejew hörte ihn ruhig an, ohne zu unterbrechen, dann nickte er bedächtig.
»Ein leichter Kreuzer der Illustrious-Klasse, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Erst letztes Jahr in Sandar nach den Spezifikationen der Terranischen Marine gebaut.«
»Gut, dann können Sie alle Standardmodule gebrauchen. Das heißt, dass wir schnell und schmutzig arbeiten können. Alles herausreißen, was nicht funktioniert, einen neuen Bugteil anschweißen und den Rumpf dann mit neuen Ausrüstungen vollstopfen, die noch in den Transportverschlägen von der Fabrik sind. Wir werden uns nicht mit der Reparatur Ihrer alten Ausrüstung abgeben, sondern einfach das, was noch brauchbar scheint, zurückschicken, um es bei den Herstellern aufarbeiten zu lassen. Wenn wir mit der Queen Julia fertig sind, wird sie wie neu sein.«
»Wie lange werden Sie brauchen?«, fragte Phillip.
»Einen Monat, maximal sechs Wochen. Vorausgesetzt, dass inzwischen nicht etwas mit höherer Priorität dazwischenkommt und Ihr Schiff aus dem Reparaturdock muss, bevor wir Zeit haben, die Arbeit zu beenden.«
»Kann meine Besatzung helfen?«
»Sicher. Wir können immer ausgebildete Leute brauchen, und auf diese Weise werden sie gleich mit dem neuen Zeug vertraut sein, wenn wir Ihr Schiff mit einer glänzenden neuen Farbschicht innen und außen zurück in den Raum schicken.«
»Danke, Captain. Sie wissen nicht, wie frustrierend es gewesen ist, dem Kampfgeschehen den Rücken zu kehren und hierher zu humpeln, während unsere Kameraden eingeheizt bekommen.«
»Commander Walkirk«, sagte Andrejew, »ich bin seit sechzehn Jahren Offizier im Ingenieurkorps und habe Schiffe und Männer gesehen, die aus dem Reparaturdock wieder in den Kampf hinausgingen, um nie mehr zurückzukehren. Ich weiß genau, wie frustrierend es ist ...«