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Varlan von den Duftenden Wasser lag quer über zwei Sitzen mit zurückgeklappten Lehnen, hatte es sich auf diesem provisorischen Lager so bequem wie möglich gemacht und betrachtete durch das runde Fenster des Raumtransporters die vertraute Landschaft. In der Reihe hinter ihr tat Bethany das Gleiche, während die aquamarinblaue See, die bewaldeten Berge und die weiten Ebenen von Corlis zur Begleitmusik des schrill pfeifenden Windes außerhalb der Kabinenwand von Augenblick zu Augenblick größer wurden.

»Welch eine schöne Welt!«, sagte Bethany sinnend.

Varlan wandte den Kopf auf ihrem langen Hals zu Bethany zurück. »Ja, sie ist schön auch für die Augen der Ryall.«

Bethany seufzte. »Das ist wirklich das Problem zwischen uns, nicht wahr? Wir begehren beide die gleiche Art von Grundbesitz. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn eine unserer Spezies sich auf den gefrorenen Ebenen und Teichen aus flüssigem Helium an den äußeren Rändern unserer jeweiligen Sternsysteme entwickelt hätte.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte Varlan. Etwas, woran sie sich im Umgang mit Bethany gewöhnt hatte, war der ständige Strom von »interessanten Gedanken«. Diese Reise, zum Beispiel. Sie war einer von Bethanys beharrlichsten Verrücktheiten zuzuschreiben, nämlich der, dass zwei intelligente Arten friedlich in einem Universum koexistieren könnten, wo Aggression die einzige Überlebenstechnik ist. Varlans Problem war, dass Bethanys Verrücktheiten ansteckend waren. Nach so vielen Zyklen ständiger Schmeichelei und Überredung seitens ihrer Wärterin/Freundin war Varlan sich ihrer eigenen Überzeugungen nicht mehr sicher. Mit der Zeit hatte die Idee friedlicher Koexistenz mit Menschen aufgehört, lächerlich zu sein und begann, wenn nicht vernünftig, so doch wenigstens als etwas zu erscheinen, das überlegenswert sein konnte. Bethany glaubte, Varlans Bereitwilligkeit, die Idee in Betracht zu ziehen, sei ein Beweis, dass Menschen und Die Rasse eines Tages friedlich nebeneinander leben könnten. Varlan wusste, dass es eine andere, wahrscheinlichere Erklärung gab.

Ihre neu gefundene geistige Beweglichkeit mochte durchaus ein Zeichen dafür sein, dass die lange Gefangenschaft sie aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht hatte. So etwas war von Zeit zu Zeit in der langen Geschichte Der Rasse vorgekommen.

Der Gedanke, dass sie selbst den Verstand verlieren könnte, beunruhigte Varlan nicht sonderlich. Sie fragte sich, ob auch das womöglich ein Symptom von Geisteskrankheit sei. Auf der anderen Seite (ihr Gebrauch dieses menschlichen Ausdrucks, erkannte sie, war ein Hinweis auf ihren Geisteszustand) gab es vielleicht einen Kern von Wahrheit in Bethanys fremdartigen Einsichten.

Varlan hatte niemals einen Schnellen Esser gesehen, es sei denn in künstlerischen Darstellungen und Skeletten in Museen. Das bedeutete allerdings nicht, dass die Schnellen Esser lediglich eine fast versunkene Erinnerung aus prähistorischer Zeit waren. Sie brauchte nur die Blinzhäute über ihre Augen gleiten zu lassen und sich eine der Bestien vorzustellen, um ihren Körper in Kampfbereitschaft zu bringen.

Da die Schnellen Esser gefräßige Essmaschinen waren, hatte sich niemals die Frage von Verhandlungen mit ihnen gestellt. Varlans Vorfahren hatten keine Wahl gehabt: töten oder gefressen werden. Wie aber, wenn es anders gewesen wäre?

Wäre vielleicht eine Zeit gekommen, wo es möglich war, vernünftig mit ihnen zu reden?

Periskay von den Fernen Bergen im Nebel langweilte sich. Seit der ersten Mahlzeit waren zwölf hoch drei Herzschläge vergangen, und bis zur zweiten Mahlzeit würde es noch dreimal so lang dauern. Seine Ausscheidungsaktivitäten für den Tag hatte er bereits hinter sich gebracht, und in seiner Zukunft gab es nichts auch nur entfernt Interessantes, bis Eulysta hinter den nahen Hügeln unterging und es wieder Zeit zum Schlafen sein würde. Mit anderen Worten, dieser Tag entwickelte sich zu einem Tag wie jeder andere seit seiner Gefangennahme durch die Ungeheuer.

Es wäre anders gewesen, wenn er jemanden von seiner eigenen Kaste als Gesprächspartner gehabt hatte, aber Ingenieur-Philosophen waren unter den Insassen des Gefangenenlagers von Corlis naturgemäß unterrepräsentiert. Mit anderen Worten, er war der Einzige.

Dillatan von den Flinken Schwimmern, sein Assistent, tat sein Bestes, um mit Periskay Konversation zu pflegen, doch nach so langer Gefangenschaft war ihnen der Gesprächsstoff weitgehend ausgegangen. Das heißt, Periskay hatte die Grenzen von Dillatans Gesprächskultur kennen gelernt, die für einen seines jugendlichen Alters typisch war.

Um den Verstand nicht zu verlieren und um aus der Not eine Tugend zu machen, hatte Periskay angefangen, ihre Gefangenenwärter zu studieren. Relativ frühzeitig hatte er gelernt, die feinen Unterschiede zwischen den Ungeheuern – oder Menschen, wie sie sich selbst nannten – zu erkennen und sie als Individuen wahrzunehmen.

Da war Sergeantsuharo mit seiner etwas anderen Pigmentierung und der verlängerten Form seiner Augendeckel. Er war es gewesen, der Periskay und einen halben Zwölfer seiner Arbeiter gefangen hatte, als sie sich durch den Busch gearbeitet hatten. Dann gab es Sergeantcunning-soundso mit dem unaussprechlichen Namen, dessen Status höher war als der von Sergeantsuharo. Nachdem er bemerkt hatte, dass viele menschliche Namen die ersten paar Silben gemeinsam hatten, hatte Periskay zuerst gedacht, sie seien Eigenossen. Später hatte er jedoch eine Tendenz der Menschen bemerkt, manchmal die mehr oder weniger überflüssigen Anfangssilben wegzulassen.

Sergeantsuharo war für seine Kantinengenossen Suharo, und Sergeantcunning-soundso war Cunning-soundso für jene, die seine Sergeant-Vorsilben teilten, außer wenn Suharo Yoshi war und Cunning-soundso Matt, was Periskay völlig verwirrte.

Er begann zu argwöhnen, dass Vorsilben wie Sergeant oder Soldat Ehrentitel irgendeiner Art waren, oder mögliche Statusbezeichnungen, eine Folgerung, zu der er gelangt war, nachdem Dillatan darauf hingewiesen hatte, dass alle »Soldaten« sich allen »Sergeants« zu beugen schienen, und beide Gruppen änderten ihr Verhalten in der Gegenwart von »Lieutenants« und »Captains«. Vielleicht war die menschliche Sozialstruktur selbst für einen Ingenieur-Philosophen Der Rasse einfach zu fremdartig, um sie zu begreifen. Oder vielleicht taten sie es bloß, um ihn zu verwirren?

Wenn die menschliche Sozialstruktur schwierig zu entziffern war, so schien ihre Sprache ebenso unverständlich. Sie war isolierend, wobei die Bedeutung von Silben von der Reihenfolge abhängig war, in der sie ausgesprochen wurden, obwohl diese Reihenfolge manchmal verändert werden konnte, ohne den Informationsgehalt zu ändern, während es in anderen Fällen nicht möglich war, die Reihenfolge zu verändern. Einige der menschlichen Äußerungen ergaben sich aus ihrem Zusammenhang. Das einsilbige »nein« war ein Negativ und bedeutete, dass die Gefangenen aufhören sollten, dies oder das zu tun. Das »ja« hingegen schien die entgegengesetzte Bedeutung zu haben, besagte aber nicht immer, dass die Gefangenen fortfahren sollten, die Arbeit zu verrichten, mit der sie gerade beschäftigt waren. Wenn das »ja« am Ende einer aufsteigenden Tonhöhe geäußert wurde, schien es eine Frage zu sein und wenig Zusammenhang mit demselben Geräusch zu haben, sofern es in gleichmäßigem Tonfall ausgesprochen wurde. Dann gab es die einsilbigen Worte, die die Wachen ausstießen, wenn sie überrascht, zornig oder frustriert waren. Die genaue Bedeutung von »fuck« entging Periskay, aber nach der Häufigkeit zu schließen, wie die Menschen es ausstießen, musste es eine verbale Formel mit mächtigen Assoziationen sein.

Periskays Überlegungen bezüglich der fremdartigen Natur von Fremden wurden unterbrochen von dem Erscheinen Sergeantsuharos. Wie Periskay, so hatte auch Suharo gelernt, die individuellen Mitglieder Der Rasse zu unterscheiden, soweit sie seiner Aufsicht unterstanden, und er steuerte direkt die Stelle an, wo der Ingenieur-Philosoph lag und sich sonnte. Seine Lippen bewegten sich, und die Ungeheuersprache kam in einer langen Schnellfeuerkette von Kauderwelsch hervor, die ungefähr so klang wie: »Komm-schon-hoch-mit-dem-Arsch-Professor-die-hohen-Tiere-wollen-deinen-Kadaver-in-der-Kommandantur-sehen.« Einen Herzschlag später sagte der Dolmetscherkasten am Gürtel des Kriegers: »Philosoph, Sie werden von denen, die über diese Einrichtung gebieten, sofort zum Versammlungsraum der Kommandantur befohlen.«

»Jaaah«, erwiderte Periskay und bewies damit seine Beherrschung der Feindsprache.

Sergeantsuharo ging voraus. Er bewegte sich unter den gefangenen Arbeitern und Kriegern ohne Waffen und ohne Furcht. Wenn die Gefangenen eine Neigung zur Rebellion hatten, wurden sie durch den Umstand davon abgebracht, dass sie auf einer fremden Welt in der Falle saßen, eine Kriegsflotte der Ungeheuer über den Köpfen hatten und die Heimat mindestens drei Sternportale durch feindbeherrschten Raum entfernt war. Außerdem hatte jeder Wächter ein Instrument am Gürtel hängen, das Viehtreiberstock genannt wurde und jedes Mitglied Der Rasse mit einer Berührung betäuben konnte. Die Schilderungen der wenigen, die davon berührt worden waren, brachten die anderen davon ab, diese Erfahrung zu riskieren.

Das Verwaltungsgebäude des Gefangenenlagers war ein typisches Beispiel für ein transportables menschliches Bauwerk, wenn die anderen dieser Art, die Periskay gesehen hatte, einen Hinweis boten. Es war überdacht mit einer weiten, aufblasbaren Kuppel und durch einen Tunnel mit zwei Türen zugänglich. Das Innere war zu kalt für Periskays Wohlbefinden und angefüllt mit den rechteckigen, kastenförmigen Abteilen, die von den Menschen so geschätzt wurden. Manche dienten offenbar als Wohnungen und Büros, andere als Lagerräume. Viele waren wohl aus Gründen der Platzersparnis aufeinander gestapelt. Selbst jene Räume, die an den kreisförmigen Umfang der Kuppel stießen, waren kastenförmig und von der gleichen Ausführung wie alle anderen.

Sergeantsuharo führte Periskay zu einem dieser Räume und bedeutete ihm, hineinzugehen. Drinnen war ein Mensch – ein weiblicher, nach den physiologischen Unterschieden von den Wächtern zu urteilen – und ein einzelnes Mitglied Der Rasse.

»Grüße«, sagte es in Der Einen Wahren Zunge. »Du bist Periskay von den Fernen Bergen im Nebel?«

»Dieser hier ist er. Wer bist du?«

»Ich bin Varlan von den Duftenden Wassern.«

Periskay spitzte die Ohren. »Die Verwalterin der Erzaufbereitungsanlage?«

Varlan machte die Geste der Zustimmung. »Ich nehme an, dass du auf der Suche nach mir warst, als Raumschwimmer überfällig war.«

»Ja. Ich wurde beauftragt, das Unheil zu untersuchen, das euch befiel. Unglücklicherweise erkannte ich erst, was geschehen war, als Kriegsschiffe der Ungeheuer aus dem Portal vom Bösen Stern kamen.«

»Und dein eigenes Schiff?«

»Ich schickte es auf ein Rennen zum Portal, um den Alarm zu verbreiten, aber die Ungeheuer waren schneller. Es wurde zerstört.«

»Gute Jagd für die Seelen, die an Bord waren«, sagte Varlan ehrerbietig.

Periskay machte das angemessene Zeichen und wartete die erforderlichen zwei Herzschläge ab, bevor er fragte: »Du bist eine Gefangene der Ungeheuer ... der Menschen?«

»Ja, ich wurde gefangen, kurz nachdem sie den Raumschwimmer abfingen. Seit damals bin ich Gefangener. Meine Wärterin ist Bethany, einst von den Lindquists, jetzt von den Drakes. Das ist sie, die neben uns steht.«

»Sie scheint interessiert an unserem Gespräch. Versteht sie Die Eine Wahre Zunge

»Nicht so gut wie ich möchte«, sagte der weibliche Zweibeiner. Trotz des starken Akzents, der ihr von den Unzulänglichkeiten ihres Stimmapparates aufgezwungen war, hatte Periskay keine Schwierigkeiten, ihre Bedeutung zu verstehen. Er war so überrascht, dass ihm die Blinzhäute momentan über die Augen glitten. Als er die Reaktion überwunden hatte, wandte er sich wieder Varlan zu und verhielt sich so, als wäre der Mensch nicht anwesend. »Warum bist du hier? Ich merke, dass du schwanger bist. Soll ich dein Partner sein?«

»Ich bin schwanger«, bestätigte Varlan, »aber es wird keine Paarung geben. In der Gefangenschaft ein Junges schlüpfen zu lassen wäre amoralisch.«

»Dem stimme ich zu. Warum bin ich dann gerufen worden?«

»Bethany ist seit meiner Gefangennahme eine ständige Gefährtin. Sie studiert mich, wie ich sie studiere. Sie hat einige sonderbare Ideen, die sie mit einem anderen von unserer Art erörtern möchte.«

»Warum?«

»Ich glaube, dass meine lange Gefangenschaft in mir einen Realitätsverlust bewirkt haben könnte. Sie sucht einen anderen von unserer Art, einen, der alle geistigen Fähigkeiten behalten hat.«

»Warum bin ich ausgewählt worden?«, fragte Periskay.

»Weil du der einzige Ingenieur-Philosoph bist, der sich gegenwärtig in den Händen der Menschen befindet, oder zumindest der einzige in bequemer Reichweite. Die Menschen haben gefolgert – oder vielmehr Bethany hat gefolgert –, dass Die Rasse in ihren Ansichten und Einstellungen unterschiedlicher und vielfältiger sein mag, als an den Kriegern zu beobachten ist, welche die große Mehrheit der Gefangenen ausmachen. Du sollst diese Hypothese auf die Probe stellen.«

»Vielfältig? Unterschiedlich? Ich verstehe nicht.«

»Bethany glaubt, dass unsere beiden Spezies imstande sein könnten, einander zu behandeln, wie wir andere unserer eigenen Art behandeln, mit denen wir in Streit geraten sind. Sie bittet dich, ihren Vorschlag anzuhören und ihr deine Einschätzung zu geben.«

Periskay signalisierte seine Verärgerung. Er hatte gehofft, dass etwas geschehen möge, irgendetwas zum Verscheuchen der Langeweile, aber dies schien ihm zu ausgefallen, um als geeignete Ablenkung zu dienen. »Warum sollte ich diesem Menschen helfen?«

»Weil es eine Chance gibt, dass wir beide die Heimat wiedersehen können, wenn sie mit deiner Antwort zufrieden ist«, sagte Varlan langsam. »Aber wenn sie es nicht ist, kann es zur Auslöschung Der Rasse führen.«

Bethany lauschte dem schnellen Wortwechsel zwischen den beiden Ryall und war sich bewusst, dass ihre leisen, zischelnden Stimmen einen hohen emotionalen Gehalt hatten. Sie verstand vielleicht ein Viertel von dem, was gesagt wurde, obwohl der Zusammenhang, in dem die Worte gebraucht wurden, oft keinen Sinn zu ergeben schien. Nach einer Zeit, die ihr wie eine Stunde vorkam, wahrscheinlich aber weniger als fünf Minuten dauerte, wandte sich Varlan zu ihr und sagte:

»Periskay wird sich deinen Vorschlag anhören und dir seine ehrliche Meinung dazu sagen.«

»Danke ihm für mich«, sagte Bethany, dann hielt sie schnell eine Hand hoch. »Lass gut sein, ich werde es selbst tun.«

Sie neigte den Kopf zur Seite und sprach mit sorgfältiger Betonung die anerkennende Redensart, die Varlan sie gelehrt hatte, und vergaß nicht, am Ende die Finger mit dem Handrücken nach oben zu spreizen. Sie wurde mit der beantwortenden Geste des Ryall belohnt, einer Bestätigung, dass er zwar Vorbehalte gegen ihre persönlichen Gewohnheiten und ihren Körpergeruch haben mochte, aber ihr Status wenigstens um einiges über einer »potenziellen Mahlzeit« war. Es war eine Bestätigung, dass er sie als ebenbürtig anerkannte, wenigstens für die Dauer ihres Gesprächs.

»Periskay«, begann sie, bevor ihr einfiel, den elektronischen Dolmetscher einzuschalten. Sie drückte auf den Schalter, der ihn aktivierte, und begann von neuem: »Verehrter! Wie Varlan dir gesagt hat, haben wir einander viele Zyklen studiert. Varlan hat versucht zu verstehen, wie wir Menschen das Universum sehen, während ich mich in gleicher Weise um ein Verstehen eurer Art bemüht habe. Wir sind Produkte verschiedener Welten, verschiedener Entwicklungsgeschichten und Biochemien. Doch als intelligente Wesen haben wir vieles gemeinsam. Wir sorgen uns beide um unsere Sprösslinge. Unsere Wissenschaften zeigen mehr Gemeinsamkeiten als Verschiedenheiten. Beide Arten reisen zwischen den Sternen und besiedeln die heimatähnlichen Welten, die wir finden. Ich gebe dir zu bedenken, dass diese Ähnlichkeiten eine gewisse Gemeinsamkeit in unseren Gehirnstrukturen und Denkweisen verraten. Wären wir nicht so ähnlich, würde es keinen Grund zum Kämpfen geben. Ich schlage vor, dass wir unsere gemeinsame Intelligenz gebrauchen, um zu sehen, ob wir nicht auch eine gemeinsame Basis finden können – oder, wie ihr sagen würdet, ruhiges Wasser.«

»Zu welchem Zweck?«, fragte Periskay.

»Zu dem Zweck, diesem endlosen Töten ein Ende zu machen.«

»Wie ist so etwas möglich, wenn eine Rasse nicht die andere ausrottet?«

»Das ist die Frage, die zu erforschen wir hier sind. Ich glaube, dass die Gehirne unserer Arten ähnlich auf Logik reagieren. Deshalb habe ich dich ausgewählt. Ich brauche einen, der in den Gesetzen der Logik geschult ist, nicht in den Gesetzen des Krieges, dem ich meine Ideen erklären kann. Ich brauche einen Ingenieur-Philosophen anstelle eines Kriegers.«

»Es ist wahr, dass Mitglieder meiner Kaste problemloser sind«, erwiderte Periskay. »Es ist jedoch schwierig ein Problem zu lösen, wenn man sich weigert, die Realität anzuerkennen. Wir überlassen es anderen, ihre Blinzhäute herabgleiten zu lassen, um den Kosmos in einem weichen weißen Licht zu sehen.«

»Ausgezeichnet. Dann würde ich gern eine Hypothese vorschlagen, die an der Realität erprobt werden kann.«

»Was für eine Hypothese?«

»Dass Intelligenz sich in denkenden Wesen über den Instinkt hinwegsetzt.«

»Wir von Der Rasse glauben, dass unsere Gehirne uns die Fähigkeit geben, unsere Instinkte zu modifizieren. Wie sonst wäre zu erklären, dass unsere Vorfahren die Schnellen Esser vernichteten? Diese alten Jäger suchten die Laichplätze der Schnellen Esser im tiefen Wasser auf, obwohl ihr Instinkt ihnen riet, sich am Land hinter dicken Palisaden zu schützen.«

Bethany überlegte. Es war ihr noch nie in den Sinn gekommen, die lange Jagd der Fähigkeit der Ryall zuzuschreiben, ihre Ängste zu überwinden. Immerhin hatte Periskay ihr etwas gegeben, womit sie arbeiten konnte. Als sie die Gelegenheit sah, nahm sie sie wahr.

»Ja, das ist ein Fall von Intelligenz, die sich über den Instinkt hinwegsetzte. Es muss schwierig für eure Jäger gewesen sein, sich nur mit Steinspeeren in die Meerestiefen zu stürzen. Ich würde dir zu bedenken geben, dass jetzt ein ähnliches Maß von Mut verlangt wird.«

»Ja«, sagte Periskay. »Seit eure Kriegsflotte so tief in unserem Raum ist, werden unsere Krieger Mut brauchen, um euch aus unserem Bereich zu verjagen.«

»Nein, Periskay. Der Mut eines Ryall-Kriegers ist gewissermaßen eingebaut, ebenso wie seine Aggressivität. Der Mut, von dem ich spreche, ist von anderer Art. Deine Spezies sieht sich der Vernichtung gegenüber. Hast du den Mut, gegen deine stärksten Instinkte anzugehen, um Die Rasse zu retten?«

Die Art und Weise, wie Periskay die Ohren anlegte und die Schnauze senkte, verriet ihr, dass die letzte Frage nicht wirkungslos geblieben war. Als er sprach, wirkte er vorsichtiger und wachsamer als bisher, vielleicht kam es ihr aber auch nur so vor.

»Du sprichst von Vernichtung. Ist das eine Prahlerei?«

»Keine Prahlerei. Wir sprechen über Wirklichkeit. Sicherlich weißt du genug über die wirtschaftlichen Verhältnisse deiner Art, um die langfristige Wirkung einer menschlichen Blockade eures wichtigsten Sternsystems zu erkennen. Schließlich wird die Hegemonie ihre Fähigkeit zur Kriegführung einbüßen, und wenn es dazu kommt, werden unsere Flotten eure Heimatwelten in glühende Schlacke verwandeln. Eure Bevölkerungen werden nacheinander auf ihren Heimatwelten vernichtet, bis zuletzt die einzigen noch lebenden ausgeschlüpften Jungen in menschlichen Zoos sein werden.«

»Wenn dies alles wahr ist, warum sprichst du dann zu mir?«

»Weil ich glaube, dass die Vernichtung der Ryall vermieden werden kann, wenn es gelingt, dies deinem Volk verständlich zu machen. Allerdings gibt es unter den Menschen, die unsere Kriegsanstrengungen befehligen, nicht wenige, die anders denken als ich. Sie glauben, ich hätte mich durch meine Freundschaft mit Varlan zu Selbsttäuschung verleiten lassen. Haben meine Vorgesetzten Recht? Täusche ich mich selbst?

Gibt es Hoffnung, dass wir in der Lage sein werden, mit Jenen Die Herrschen vernünftig zu verhandeln, oder müssen wir Die Rasse vernichten, um in Sicherheit zu leben?«

Bethany machte eine Pause und blickte in das eine obsidianschwarze Auge, das auf sie gerichtet war. »Das ist die entscheidende Frage. Ich brauche deine ehrliche Einschätzung. Wenn wir nach Lage der Dinge, wie ich sie beschrieben habe, Jene Die Herrschen überzeugen können, dass eure Art vor der sicheren Vernichtung steht, werden sie sich ergeben, um Die Rasse zu retten?«

Als sie geendet hatte, fühlte Bethany sich ausgelaugt und müde. Sie hatte in der vergangenen Nacht nicht gut geschlafen, hatte bei jedem Erwachen aus unruhigem Schlummer das Gesicht ihres kleinen Sohnes gesehen, der sie fragte, warum sie ihn verlassen habe. Es war eine wiederkehrende Zwangsvorstellung, die sich auch in ihre Träume einschlich und jenen anderen Traum zu überlagern begann, in dem Richard auf der Brücke seines Schiffes eingeäschert wurde. Nachdem sie alles gesagt hatte, was es zu sagen gab, wartete sie schweigend auf Periskays Antwort. Der Ryall dachte lange nach. Die Stille erstreckte sich über Minuten. Endlich hob er den Kopf auf dem langen Hals und blickte sie durchdringend an. Die lange Schnauze öffnete sich und zeigte die doppelten Zahnreihen, und Periskay beantwortete ihre Frage. Es war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte.